Michael Steinbrecher, Günther Rager (Hrsg.): Meinung Macht Manipulation

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Rezensiert von Guido Keel

Einzelrezension
Mainstream-Medien, Fake-News, Lügenpresse. Die Vorwürfe aus der Öffentlichkeit sind heftig, und sie werden in einer Zeit gemacht, in welcher die Medien und der Journalismus in einer tiefen Krise stecken: Institutionen verlieren an Bedeutung, und was bisher als unbestritten galt, wird grundsätzlich hinterfragt.

Das von den beiden Journalistik-Professoren Steinbrecher und Rager initiierte und herausgegebene Buch Meinung, Macht, Manipulation: Journalismus auf dem Prüfstand stellt die Frage, wie es denn wirklich um den Journalismus steht. Dazu gibt es jungen Journalistinnen und Journalisten eine Plattform, um ihre Gedanken, Überzeugungen und Zweifel zu ihrem Beruf und ihrem Berufsfeld zu äußern. Im Rahmen eines Master-Seminars haben sie sich mit der aktuellen Situation des Journalismus beschäftigt. Dabei sind Beiträge entstanden, deren erklärtes Ziel nicht die wissenschaftliche Prüfung von Thesen ist, sondern eine individuelle Auseinandersetzung mit Fragen, welche junge Journalisten in diesen Zeiten umtreiben. Herausgekommen ist eine Sammlung von 14 persönlichen und gleichzeitig gut recherchierten Texten zur aktuellen Situation des Journalismus.

Das Buch ist thematisch strukturiert. In ihren Texten nehmen sich die Schreibenden ausgewählten Aspekten der Diskussion an und fokussieren jeweils auf unterschiedliche Ebenen des Journalismus: Von Makro-Blicken auf die Rolle des Journalismus in der heutigen Demokratie und medienökonomischen Betrachtungen zur Neugestaltung des Medienmarktes durch mächtige Akteure wie Facebook über berufskulturelle Fragen wie die nach journalistischen Haltungen und Rollen, bis hin zu journalistischen Prozessen und Praktiken. Besondere Beachtung erhält daneben die Diskussion um die angebliche Lügenpresse durch rechtspopulistische Bewegungen, der sich immerhin vier der vierzehn Kapitel annehmen.

Die Themenvielfalt spiegelt die aktuelle Diskussion gut wieder – es geht um den Einfluss von Social Media, die Rolle von Fact-Checkern, um die Bedeutung von Daten und Algorithmen im digitalen Journalismus, um Fragen rund um journalistische Qualitätsnormen wie Objektivität und Transparenz. Einiges davon hat man auch andernorts schon gelesen, vieles eröffnet aber auch überraschende neue Einsichten und Erkenntnisse, wie beispielsweise die historische Aufarbeitung des Begriffs Lügenpresse, der keinesfalls erst in Nazi-Deutschland zum Kampfbegriff wurde und sich oft nicht gegen die Macht im eigenen Staat richtete, wie Vanessa Martella in ihrem Beitrag erklärt (90-100). Oder die vertiefte Auseinandersetzung mit Öffentlichkeitsstrategie von rechtspopulistischen Gruppen in Deutschland von Maximilian Ernst (101-114).

Außergewöhnlich sind die Beiträge aber vor allem dadurch, dass sich die Autorinnen und Autoren auf den Spagat einlassen, fundiert und auf zahlreiche Quellen gestützt zu berichten, und gleichzeitig ihre persönliche Meinung und Erfahrung einfließen zu lassen. Davon zeugen Sätze wie: “Wer sich heute für den Journalismus entscheidet, wählt diesen Weg nicht wegen des Prestiges, das diesen Beruf einmal umgeben haben muss” (32). Oder Jana Fischer fragt sich: “Kann Unparteilichkeit nicht auch Ausdruck von Bequemlichkeit sein, weil man keine Farbe bekennen will?” (44). Anderes kommt etwas gar banal daher, was sich in Sätzen manifestiert wie “Es gibt nur einen Weg, diese Vorwürfe zu entkräften: […] mehr journalistische Qualität liefern” (155). Oder: “Es müssen jedoch Ressourcen freigesetzt und Strukturen geschaffen werden, um die neuen digitalen journalistischen Möglichkeiten auszuschöpfen” (175).

Die vielköpfige Autorenschaft und die Themenwahl bringen es mit sich, dass es inhaltlich zu Überlappungen und Redundanzen kommt. So wird beispielsweise die Qualitätsnorm Transparenz in mindestens sechs Beiträgen als mit ein Schlüssel zur Lösung der aktuellen Probleme präsentiert. Auch die Abwägung von Objektivität und Parteiergreifung ist wiederholt Thema, wobei die Autoren dazu durchaus auch widersprüchliche Ansichten vertreten – Widersprüche zwischen dem Bildungsauftrag und der Rolle des neutralen Vermittlers, wie sie auch im journalistischen Alltag bestehen.

Der Tonfall ist meist sachlich, durchaus selbstkritisch und wird nur selten belehrend. Die jungen Autoren fangen bei der Problemerkennung meist bei sich selbst bzw. im Journalismus an, ohne deshalb gleich den Berufsstand pauschal zu verurteilen. So schreibt etwa Veronika Prokhorova: “Die deutschen Journalisten haben natürlich das Recht, die Entwicklung in den USA zu kommentieren. Aber was ist mit dem nötigen Respekt vor Andersdenkenden?” (158). Oder Victor Fritzen stellt fest: “Wenn bei Rezipienten das Gefühl der Bevormundung und unkritischen Auseinandersetzung entsteht, dann haben wir etwas falsch gemacht” (198).

Das Buch erinnert nicht nur thematisch immer wieder an Uwe Krügers Mainstream (2015). Auch die breite Abstützung auf sowohl akademische als auch andere Quellen wie Medienberichte und weitere Dokumente entspricht vom Stil her dieser Form von Analyse, die den Elfenbeinturm verlässt und die Phänomene auch für Laien gut verständlich beschreibt – im vorliegenden Fall zudem aus jeweils mehr oder weniger persönlicher Sichtweise. So ist ein gut lesbares Buch entstanden für ein Publikum, das sich für die Perspektive von jungen Journalisten in der aktuellen Journalismus-Diskussion interessiert. Und das auch Journalisten selbst dazu bewegen könnte, selbstkritisch eigene Annahmen und Haltungen zu hinterfragen. Denn wie Jan Reckweg stellvertretend für seine Mitautoren schreibt: “Den größten Einfluss auf die Medien haben die Medien selbst” (140).

Literatur:

Links:

Über das BuchMichael Steinbrecher, Günther Rager (Hrsg.): Meinung Macht Manipulation. Journalismus auf dem Prüfstand. Frankfurt a.M. [Westend] 2017, 240 Seiten, 18,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMichael Steinbrecher, Günther Rager (Hrsg.): Meinung Macht Manipulation. von Keel, Guido in rezensionen:kommunikation:medien, 15. August 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20499
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