Shitstorms, Trolle, Online-Bashing – Kommunikationsverhalten im Web

Rezensionen, Sammelrezension
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Rezensiert von Katharina Lobinger und Rebecca Venema

Sammelrezension
Ingrid Brodnig ist eine österreichische Journalistin und Autorin, die sich – u. a. in ihrer Kolumne im Nachrichtenmagazin profil – regelmäßig mit “Netzthemen” auseinandersetzt. Ihr neues Sachbuch trägt den Titel Hass im Netz und ordnet sich damit quasi automatisch in die höchst aktuelle Debatte um hitzig vorgebrachte Labels wie Hate Speech, Hetze im Netz und Lügenpresse ein. Was an diesem Buch jedoch anders und deshalb besonders erfreulich ist, lässt sich bereits am Untertitel ablesen. Dieser lautet Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können.

Das Buch verschreibt sich dem Ziel, das Web sozusagen zu einem besseren Ort zu machen, an dem ein höflicher und respektvoller Umgang sowie empathisches Diskutieren möglich sind. Der typische Troll (ein unangenehmer User-Typus, den die Verfasserin im Laufe des Buches ausführlich skizziert) würde hier vermutlich sofort einhaken und, die vermeintliche Naivität dieser Idee bejubelnd, jegliche weitere Diskussion an sich reißen und ad absurdum führen. Aber gerade naiv kommt dieses Buch eben nicht daher.

Ingrid Brodnig beschäftigt sich vielmehr ausführlich mit wissenschaftlichen Studien im Feld der Online-Kommunikation. Die Aussagen und Implikationen der Studienergebnisse werden dabei allgemein verständlich beschrieben und zur Erklärung dafür herangezogen, wie es überhaupt zu beleidigenden Aussagen und übertrieben harten, polarisierten Diskussionen in verschiedenen Online-Settings kommt. Den Lesern werden dabei u. a. kommunikationswissenschaftliche sowie sozial- und kognitionspsychologische Theorien und Konzepte, wie beispielsweise zu Online Disinhibition Effects, Confirmation Bias, Framing, Echo-Chambers, Selective Exposure, anschaulich und mithilfe zahlreicher Beispiele aus dem deutschsprachigen Kontext vermittelt. Anschließend werden “Trolle“ und “Glaubenskrieger“ als zwei Typen untergriffiger User mit jeweils spezifischer Rhetorik und Zielen illustriert.

Der letzte Teil des Buches, meiner Ansicht nach der spannendste, widmet sich schließlich der Frage, was man den teilweise höchst erfolgreichen Kommunikationstaktiken, die auf Hass als Instrument (Kap. 5), auf dem Missbrauch des Deckmantels der Meinungsfreiheit (Kap. 6) oder auf Silencing (“mundtot machen“ bestimmter User, Kap. 7) basieren, entgegensetzen kann und wie der einzelne User generell dazu beitragen kann, die Online-Gesprächskultur zu verbessern. Mit dem Buch ist damit die klare Handlungsaufforderung verbunden, sich gegen Hetze, herabwürdigende Rhetorik und Hass im Netz zu positionieren und damit – implizit – eine Wertedebatte voranzutreiben. Das Buch schließt deshalb auch mit einem “Plädoyer für ein Internet, in dem Verantwortung übernommen wird“ (Kap. 13).

Diese Forderung kann in ihrer Wichtigkeit gar nicht überschätzt werden. Informations- und Kommunikationstechnologien sind längst ein ‘natürlicher’, ein selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags. Sie sind, könnte man auch sagen, mit unserem Leben, unseren Interaktionen und Kommunikationspraktiken untrennbar verwoben. Und dennoch haben sich für vielfache Anwendungen noch keine allgemein akzeptierten Regeln und Standards entwickelt.

Wie auch Ingrid Brodnig beschreibt, ist dies völlig normal, denn Werte und Normen kann man als Konstrukte verstehen, die im Kontext spezifischer Situationen und Anforderungen ausgehandelt werden. Neue Kommunikationssituationen erfordern damit auch die Neu-Aushandlung bestehender Normen für unsere alltägliche Kommunikation. Und hier setzt mein – einziger – Kritikpunkt an diesem Buch an: An mehreren Stellen wird “das Internet“ als eigener, vom “echten Leben“ getrennter Raum oder sogar als Akteur mit Handlungsfähigkeit benannt. Dabei wird suggeriert “das Internet“ könne etwas verstärken (27) oder sei eben anders als das “echte“ Offline-Leben (199).

Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, da die Autorin an vielen Stellen explizit betont, dass menschliche und technische Faktoren zusammenspielen (das Internet an sich also gar nichts “tut“), dass hinter Infrastrukturen und Algorithmen auch menschliche Akteure und Entscheidungen stehen und der “dissoziativen Vorstellungskraft“ (15) entgegen vermittelt werden muss, dass in der Online-Kommunikation eben keine anderen Regeln für soziale Interaktion gelten als offline. Man kann daran erkennen, wie leicht und auch unbeabsichtigt wir auf die Dichotomien online vs. offline bzw. online vs. real zurückfallen. So tief sitzt diese gedankliche Trennung, die es nicht nur im Kontext der Debatte um Kommunikationswerte und -normen zu überwinden gilt. Alltag ist eben beides: Online und offline, und soziale Beziehungen bestehen über vielfältige mediale Kontexte hinaus.

Insgesamt ist das Sachbuch Hass im Netz vielen wissenschaftlichen Projekten und Publikationen, die gerade in diesem Themenfeld entstehen, einen kleinen aber wichtigen Schritt voraus, da es sich direkt an ein allgemeines Publikum – eben an die User – wendet und ihnen wissenschaftliche und zugleich verständliche Handreichungen bietet. Gerade beim so wichtigen Wissenstransfer hat die Wissenschaft nach wie vor noch Aufholbedarf. Das Buch ist deshalb allen an Netzthemen interessierten Usern/Lesern, die sich in dieser Debatte positionieren möchten, auf jeden Fall wärmstens zu empfehlen. (Katharina Lobinger)

Sammelrezension
Sollte man anstatt von “sozialen“ Medien treffenderweise eher von “unsozialen“ Medien sprechen? Droht eine zunehmende Verrohung oder sogar das Ende der Debattenkultur im Internet? Oder kann es sich bei empörten Kommentaren in den so oft zitierten “Shitstorms“ nicht auch um eine deliberative Praxis handeln? Sind Klagen über Shitstorms vielleicht auch lediglich Rechtfertigungsstrategien von professionellen Kommunikatoren, die Probleme mit neuen Formen von Bottom-Up-Kommunikation haben?

Mit diesen breit gefächerten Fragen leitet Hektor Haarkötter, Professor für Journalismus und Unternehmenskommunikation, den von ihm herausgegebenen Band ein und rahmt so die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Shitstorms. Diese seien “grassierendes Problem“ und gleichzeitig “geflügeltes Wort“ (17) im Mittelpunkt der Debatten über sozial dysfunktionale Medien. Ziel des Sammelbandes ist es, aus “sehr unterschiedlichen Perspektiven die Grenzen der (Online-)Kommunikation“ auszuloten. Haarkötter versammelt sieben Beiträge, die das “Phänomen Shitstorm und andere Formen der Social Media-Kommunikation“ aus verschiedenen methodischen und fachwissenschaftlichen Perspektiven beleuchten. So integriert der Band Beiträge, die Shitstorms theoretisch und empirisch als rhetorische Strategie fassen (Haarkötter), Sprachhandlungsmuster aus diskursanalytischer Perspektive (Kuhlhüser) oder Reaktionsverhalten auf Kommentare mittels Eyetracking (Skottke et al.) untersuchen, einen Überblick zum Forschungsstand zum Themenfeld Shitstorms liefern (Spiller/Hintzen) sowie die Frage, was eigentlich öffentlich kommuniziert werden ‘darf’, aus rechtlicher Perspektive behandeln (Solmecke).

Mit den letzten beiden Beiträgen wird dann ein Perspektiven- und Schwerpunktwechsel vollzogen. Statt des Phänomens Shitstorms stehen nun, “andere Formen der Social Media-Kommunikation“, genauer Nutzungsmotive und Nutzungsarten bzw. -typen von News-Fanpages (Emde/Saß) und die Wahlkampfkommunikation von Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2013 auf Facebook (Elter/Köhler) im Mittelpunkt. Ergänzend eingeleitet und kontextualisiert wird der Band durch ein Geleitwort des Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, der Shitstorms insbesondere als ständige Heraus- und stellenweise auch Überforderung für Journalisten im Kontext eines “dramatischen“ Strukturwandels der Öffentlichkeit charakterisiert.

Der Herausgeber liefert in seinem Vorwort zwar einen Kurzüberblick über die Beiträge, eine ausführlichere Einführung, wie sich diese aufeinander sowie auf das Thema des Sammelbandes beziehen, bleibt jedoch aus. Die inhaltlich und auch qualitativ sehr heterogenen Beiträge liefern damit jeweils interessante Perspektiven und (empirische) Befunde, stehen aber ohne erkennbare “Dramaturgie“ unverbunden nebeneinander und werden auch nicht durch ein abschließendes Kapitel miteinander in Beziehung gesetzt. Vor allem die beiden letzten Beiträge fallen dadurch aus dem durch den Titel und das Vorwort des Buches gesetzten Rahmen. Das Potenzial einer interdisziplinären Betrachtung von Dynamiken von Shitstorms und einem gemeinsamen Debattenbeitrag zu den hochaktuellen und kontroversen Diskussionen zu Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen der Kommunikation in Social Media wird so leider nicht vollständig ausgeschöpft.

Dabei bieten gerade die unterschiedlichen Herangehensweisen und Auseinandersetzungen mit Kommunikation in Social Media und mit den Dynamiken von (Empörungs-)Kommunikation interessante Diskussionsreize. So plädieren Hektor Haarkötter und Sandra Kuhlhüser etwa zurecht dafür, Shitstorms nicht per se als eruptive und negative Empörungskommunikation zu fassen, da dies eine kritische Analyse des Phänomens erschwere. Stattdessen zeigt Haarkötter die Traditionen und Rationalität von Empörung und Kritik ad personam als rhetorische Strategie auf und betont auf Basis seiner Analyse von Sprachqualität, dass gerade die hoch-emotionalen und prägenden Kommentare in den beiden untersuchten Shitstorms nicht so sehr emotional-eruptiv und unbewusst, sondern rational-bewusst vorgebracht werden (45). Diese Perspektive ist spannend, steht sie doch den “klassischen” Lesarten der emotionalen Empörungskommunikation entgegen, die das eher unreflektierte Entladen von Emotion in den Vordergrund rücken. Diese These stellt einen wertvollen Impuls dar, erfordert aber aufgrund ihrer Komplexität unbedingt weitere empirische Studien.

Kuhlhüser wiederum will Shitstorms als spezifische Ausformung gesellschaftlicher Debatten, als partizipativen Kommunikationsraum mit dem Potenzial zur Sensibilisierung für gesellschaftliche Werte und Normen verstanden wissen. Sie konstatiert in ihrer Analyse zum “Amazon-Shitstorm“ 2013 eine große Variationsbreite der Kritikäußerung, in der der Anteil unsachlicher, beleidigender und diffamierender Beiträge für einen Shitstorm “eher ernüchternd“ (69) ausfiele. Sie plädiert daher ebenfalls für eine differenziertere Betrachtung und eine reflektierte Verwendung des Labels “Shitstorms“ – diese müssten nicht zwangsläufig nur “Shit“, Wut oder reines Bashing enthalten (80). Auch wenn die Autorin selbst auf die mangelnde Repräsentativität dieser Schlüsse hinweist, liefert sie doch einen höchst relevanten Hinweis für eine kritisch-differenzierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen und Begriff Shitstorm.

Was hier beispielhaft herausgegriffen ist, unterstreicht der gesamte Band: Auch vermeintlich banale und/oder unerwünschte Kommunikationsweisen sind komplexer und vielschichtiger als vielleicht auf den ersten Blick gedacht und müssen kritisch und differenziert betrachtet werden, indem Potenziale wie auch Problematiken integriert in den Blick genommen und diskutiert werden. Die Beiträge und Fallstudien liefern dazu wichtige Anregungen und Impulse für weitere (interdisziplinäre) theoretische und empirische Auseinandersetzungen, sowohl mit erwünschten wie auch unerwünschten Kommunikationspraktiken in Social Media. (Rebecca Venema)

Mit den beiden Büchern liegen zwei Beiträge zu virulenten – und noch lange nicht abgeschlossenen – Debatten zu digitalen Öffentlichkeiten, Social Media und Diskussions- und Kommunikationskultur vor. Die Bücher könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Während sich Shitstorms und andere Nettigkeiten aus vielfältigen Perspektiven Kommunikationspraktiken in Sozialen Netzwerken, deren Potenzialen, aber auch Grenzen und Grenzüberschreitungen widmet und ein überwiegend wissenschaftlich orientiertes Publikum adressiert, liefert Brodnigs Buch zu Hass im Netz einen konkreten Anwendungsbezug und adressiert den “durchschnittlichen” Internet-User. Außerdem widmet sich Hass im Netz weiterführenden alltagspraktischen Fragen danach, wie mit grenzüberschreitenden Kommunikationspraktiken umzugehen ist, um Empörung und Hass eben gerade nicht zu zentralen Determinanten der Onlinekommunikation zu machen. Damit verbunden sind Anleitungen, was der einzelne User dem, laut gegenwärtigen Debatten zunehmenden, Hass im Netz entgegensetzen kann.

Beiden Büchern gemeinsam sind die brennende Fragen danach, wie “gelingende” Kommunikation in digitalen, vernetzten Gesellschaften aussehen und gestaltet werden kann, und welche sozialen Normen der Grenzziehung zu “unerwünschtem” Kommunikationsverhalten auf welche Weise und durch wen gezogen werden bzw. gezogen werden sollten. Sie sind auf jeweils eigene Weise als Plädoyer für eine kritisch-differenzierte Debatte zu den erwünschten und unerwünschten “Wirkungen und Nebenwirkungen” vernetzter Kommunikation zu lesen.

Links:

Über das BuchIngrid Brodnig. Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können.Wien [Brandstätter Verlag] 2016, 232 Seiten, 17,90 Euro.

Hektor Haarkötter (Hrsg.): Shitstorms und andere Nettigkeiten. Ãœber die Grenzen der Kommunikation in Social Media. Baden-Baden [Nomos] 2016, 182 Seiten, 34,- EuroEmpfohlene ZitierweiseShitstorms, Trolle, Online-Bashing – Kommunikationsverhalten im Web. von Lobinger, Katharina
Venema, Rebecca in rezensionen:kommunikation:medien, 10. August 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20408
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