Rezensiert von Guido Keel
Auf Schilderungen aus seinem Privatleben verzichtet er. Ausgerechnet er, der Erfinder des Schweizer People-Journalismus: Peter Rothenbühler. In seiner gerade erschienenen Autobiografie Frösche küssen – Kröten schlucken erklärt er gleich zu Beginn: „Was privat ist muss privat bleiben, weil es eben privat ist, sage ich, (…) der seine lieben Promis immer vom Gegenteil zu überzeugen versuchte und damit oft Erfolg hatte“ (S. 16). Die Autobiografie erzählt vor allem seine berufliche Geschichte: Vom 68er-Journalist zum Medienentwickler und Chefredaktor bis zum Unternehmensberater, Hochschuldozenten und reflektierten Kolumnisten. In diesem Leben spiegelt sich auch ein Teil der jüngeren Schweizer Mediengeschichte: die Ausdifferenzierung der Boulevardmedien, die Verbreitung der People-Magazine sowie das neue Privatfernsehen.Nicht jeder Schweizer kennt Peter Rothenbühler. Aber wohl jeder Schweizer, der in den letzten 30 Jahren nicht ganz ohne die Lektüre von Printmedien gelebt hat, wurde mit dessen Schaffen konfrontiert. 1948 im frankophonen Jura geboren, ist Rothenbühler wohl der einzige Schweizer Journalist, der in beiden großen Sprachregionen der Schweiz mit ihren unterschiedlichen journalistischen Kulturen bedeutende Spuren hinterlassen hat.
Als Rothenbühler im Alter von 20 Jahren in die Medienbranche einstieg, schrieb man das Jahr 1968. Der Geist des Aufbruchs war ideal, um als neugieriger und selbstbewusster junger Mann in den Journalismus zu starten. Rothenbühler wurde, ohne jegliche journalistische Erfahrung, vom Gymnasium weg beim Journalistenbüro Cortesi angeheuert, das als mutiges linkes Pressebüro Medien bis ins ferne Zürich bediente. Die Berichte zeichneten sich von Beginn an durch einen für die Schweiz neuen, frecheren und direkteren Journalismus aus. Nicht mehr Protokolle von Ratsdebatten und offizielle Verlautbarungen standen im Zentrum, sondern die Menschen dahinter, Meinungen, Kontroversen, Affären. Dieser Stil prägte auch Rothenbühler: Politischer Journalismus, personalisiert, nah an den wichtigen Leuten, schnell und mit vielen direkten Zitaten. „Bundesräte ganz privat, in Freizeitkleidung, wenn möglich mit Ehefrau, zu Hause, im Ferienhaus oder beim Sport. Das war für die Schweiz revolutionär“ (S. 113).
1981 verschlug es Rothenbühler als „Chef der Entwicklungsgruppe“ (S. 141) zum (Boulevard)Medienhaus Ringier in Zürich, „ins Auge des Zyklons der Medienwelt“ (S. 139). Dort lancierte er 1983 den Blick für die Frau, wurde später Chefredaktor des SonntagsBlick und schaffte 1988 in gleicher Position den Turnaround der Schweizer Illustrierten. Nach einem kurzen und erfolglosen Abstecher ins Privatfernsehen als Programmdirektor von Tele24 kehrte er für Ringier in die Westschweiz zurück und übernahm dort die Chefredaktion der Zeitungen Le Matin und Le Matin Dimanche.
In all diesen Stationen führte Rothenbühler konsequent weiter, was er im Büro Cortesi gelernt hatte: Guter Journalismus hat sich an den Interessen des Publikums zu orientieren, und das Publikum will über Menschen lesen, deren private Seiten, Glücksmomente und Tragödien. Diese Vereinfachung und Vermenschlichung trug ihm den Vorwurf seines früheren Mentors Frank A. Meyer ein, er betreibe „die Abschaffung des Journalismus unter Vortäuschung desselben“ (S. 243).
Dafür ließ sich Rothenbühler immer wieder von Entwicklungen im Ausland inspirieren: Die Vorlage für seine Schweizer Illustrierte war die französische Paris-Match, der Blick für die Frau folgte exakt dem Beispiel der Bild der Frau, und für die sprachregionale Tageszeitung Le Matin orientierte er sich an der norwegischen Verdens Gang („stark illustriert, grosse Schlagzeilen, sehr populär in Aufmachung und Schreibstil, aber nie unkorrekt, verlogen oder zynisch“, S. 341). Rothenbühler schätzt die Besten ihres Faches und versuchte, von ihnen zu lernen oder sie zu imitieren, wie er offen schreibt. Daneben schildert er, wie er talentierte junge Journalisten fand und sie zu bekannten Größen werden ließ, zum Beispiel Jörg Kachelmann, der vor seiner Karriere als Wetterexperte Rothenbühlers Stellvertreter beim SonntagsBlick war, Christine Maier, die spätere Chefin der wichtigsten Gesprächsendung im Schweizer Fernsehen Der Club und Chefredaktorin des SonntagsBlick, und Alex Capus, heute erfolgreicher Schriftsteller.
Rothenbühler ließ nicht nur über Prominente berichten, er musste sie in der Schweiz oft erst einmal schaffen. „Die neue Miss Schweiz haben wir ins Schaumbad gesteckt, Manager in die Sauna. Mit Prominenten gingen wir Skifahren oder Bergsteigen, mit [dem ehemaligen Bundespräsidenten] Dölf Ogi waren wir auf dem Dom“ (S. 249), dem höchsten Berg der Schweiz. „Hauptsache, die Prominenten schwitzten, schnauften oder schmachteten und zeigten sich als Menschen wie du und ich. Wir bewiesen: Auch die Schweiz hat People, man muss sie nur herzeigen und gut belichten. Aber wir porträtierten eben nicht nur die immer gleichen Fernsehstars und Sportskanonen, sondern auch hervorragende Schriftsteller, Architekten, Kunstmaler, Schauspieler, Werber, Wissenschaftler und andere herausragende Personen aus allen Bereichen“ (ebd.). Das Erfolgsrezept von Rothenbühlers Schweizer Illustrierten dabei: „Jeder Promi konnte sich darauf verlassen, dass er von uns nicht in die Pfanne gehauen wird“ (S. 281).
Das Buch liefert zahlreiche Anekdoten mit Einsichten in die Medienwelt – zuweilen selbstironisch, manchmal als schelmisch verpackte Kritik. Gelegentlich reflektiert Rothenbühler auch den Journalismus an sich, etwa zur Publikumsferne der Journalisten: „Ich musste einmal mehr einsehen, dass wir Journalisten ein Völklein von eher überdurchschnittlich gebildeten und kultivierten Menschen sind und nicht den gleichen Geschmack haben wie die Mehrheit der Leser“ (S. 263). Oder zur Natur des Boulevard-Journalismus: „Was ist Boulevard-Journalismus anderes als die immer gleiche, gebetsmühlenartig repetierte Erzählung der immer gleichen Räuber- und Liebesgeschichten, die als Story-Topoi schon bei den Griechen existierten? Das Neue daran ist nur der jeweilige aktuelle Stoff, das Ereignis von heute, das ins uralte Erzählschema passt“ (S. 76). Rothenbühler widmet sich schließlich auch dem Grund, weshalb Unglücksfälle und Verbrechen das Publikum mehr ansprechen als politische Abhandlungen: „Es sind dramatische Geschichten mit einem Anfang und einem Ende, die den grossen Vorteil haben, dass sie jeder verstehen und weitererzählen kann“ (S. 333). Solche Storys seien Diskussionsgrundlage für existenzielle Fragen „nach Schuld und Sühne, was darf man, was darf man nicht? “ (ebd.).
Zusammen mit den Anekdoten aus dem beruflichen Alltag entsteht ein unterhaltsamer Mix aus lebensnahen Geschichten und tiefergehenden Gedanken. Am Schluss bleibt das Bild eines unbekümmerten, trotzdem zielstrebigen Journalisten, der sich immer wieder ideenreich und unternehmungslustig neuen Herausforderungen stellte und reüssierte, wo andere versagten, wie der an sich sympathisch bescheidene Rothenbühler stolz erzählt.
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Über das BuchPeter Rothenbühler: Frösche küssen – Kröten schlucken schlucken. Der Erfinder des Schweizer People-Journalismus. Thun [Werd & Weber] 2016, 412 Seiten, 34;- Euro.Empfohlene ZitierweisePeter Rothenbühler: Frösche küssen – Kröten schlucken. von Keel, Guido in rezensionen:kommunikation:medien, 9. Januar 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19742