Geraldine Edel: Ideologie der Technologie

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Rezensiert von Stephan Mündges

ideologie_der_technologie_edel1Einzelrezension
Wie böse ist Google? Glaubt man dem Unternehmen: gar nicht, schließlich lautete das Unternehmensmotto lange: „Don’t be evil!“. Glaubt man Geraldine Edel, ist Google sehr böse, weil neoliberal. In ihrem Buch Ideologie der Technologie (2016) arbeitet sie heraus, wie die Funktionsweisen der Suchmaschine Google mit neoliberaler Doktrin durchsetzt sind: Ständig wird versucht, die Suchmaschine zu verbessern, deren Ergebnisse vermeintlich natürlich zustande kommen; jede staatliche Regulierung wird abgelehnt, finanzstarke Akteure werden bevorzugt – all das sind laut Edel Indizien für den neoliberalen Geist von Google. Die Autorin hat dazu keine eigenen empirischen Untersuchungen durchgeführt, sondern fasst in ihrem Buch Literatur zu Techniksoziologie und Neoliberalismus-Kritik sowie bekannte Konfliktfälle aus der Google-Geschichte zusammen. Auch aus ihrer Erfahrung als Mitarbeiterin einer Agentur für Online-Marketing und Suchmaschinenoptimierung schöpft sie Erkenntnisse.

Ihre Publikation hat sie zweigeteilt: Im ersten Teil geht es um die theoretischen Grundlagen, auf denen sie im zweiten Teil ihre Kritik an Google aufbaut. Edel zeigt auf, dass die Weltanschauungen der Konstrukteure neuer Technologien in eben diese einfließen (S. 19-21). Folglich manifestierten sich Ideologien in Technologien. Als Basis ihres Urteils dienen der Autorin die Arbeiten mehrerer linker Theoretiker: Karl Marx‘ und Friedrich Engels‘ Kritik der Ideologie als „falsches Bewusstsein“ (S. 25), das die echten Machtverhältnisse einer Gesellschaft verschleiere, ist dabei ihr Ausgangspunkt. Dass Technik mittlerweile zur hegemonialen Ideologie geworden ist, erläutert Edel anhand der Theorien von Herbert Marcuse (1967) und Jürgen Habermas (1981). Hier werden bereits die Herrschaftsfragen angerissen, die die Autorin später auf Google bezieht: Inwiefern schaffen Formalisierungen und Mathematisierungen eine vermeintlich objektive Realität? Und welche berechtigten subjektiven Interessen werden dadurch überlagert? Legitimiert Technologie eine Politik der wirtschaftlichen Liberalisierung und De-Regulierung?

Geraldine Edel argumentiert, der Neoliberalismus gaukle eine spontane Ordnung vor, Ergebnisse des kapitalistischen Systems entstünden auf natürliche Weise und seien demnach auch nicht anzuzweifeln. Man denke an Adam Smith‘ unsichtbare Hand, die auf einem freien Markt – salopp gesagt – alles regelt (Smith 2009). Auch Google stelle seine Ergebnisse als neutral dar (S. 103f.). Dass der Auswahl von Suchergebnissen dennoch Kriterien zu Grunde liegen, über die Menschen mit bestimmten Weltanschauungen und Werten entschieden haben, blendet die Suchmaschine dabei aus. Damit macht die Autorin auf eines der zentralen Probleme der digitalen Öffentlichkeit aufmerksam: Mit der Entstehung neuer unsichtbarer Gatekeeper (Pariser 2011: 60-63) hat sich ein Nebel der Fragmentierung und Desinformation über die digitale Öffentlichkeit gelegt. Google trifft täglich milliardenfach quasi-redaktionelle Entscheidungen, wenn seine Suchmaschine Resultate präsentiert. Allerdings entscheidet ein Algorithmus darüber, was Nutzern angezeigt wird und was auf den hinteren Plätzen de facto verschwindet.

Die Autorin weist zu Recht darauf hin, dass dieses System Schwächen hat. Finanzstarke Akteure können sich beispielsweise vordere Plätze in den Suchergebnissen sichern. Dies ist nicht nur über Werbeanzeigen möglich, sondern auch über die Suchmaschinen-Optimierung ihrer Websites. So hätten Abtreibungsgegner in Rumänien und den USA die obersten Plätze zu eigentlich neutralen Begriffen besetzt, indem sie ihre Websites auf die Kriterien des Google-Algorithmus ausrichteten (S. 145-147). Für Edel ein weiterer Beleg dafür, dass „das kollektive Interesse nicht ausreichend gewahrt wird, wenn sich öffentliche Güter in privatwirtschaftlicher Hand befinden“ (S. 147).

Die Frage, wie mit vermeintlichen Informationsangeboten, die in Wirklichkeit eine verborgene Agenda verfolgen, umzugehen ist, stellt sich tatsächlich immer häufiger: Unternehmen, Verbände, Lobbygruppen und politische Organisationen betreiben Content Marketing, werden also selbst zu Medien. Da sie genug Geld haben, kaufen sie sich die besten Marketingspezialisten ein, die die Google-Optimierung beherrschen (Frühbrodt 2016). Auch eine Flut neuer Pseudo-Nachrichtenseiten, wie sie vor allem im US-Wahlkampf zu beobachten waren, stellen Google und Facebook vor massive Probleme (Herrman 2016; Albright 2016; Cadwalladr 2016). Leider reißt Edel die Frage, wie diese Schwierigkeiten medienpolitisch gelöst werden könnten, nur an. Einen fundierten Vorschlag, wie sich dies regulieren ließe, macht sie ebenfalls nicht.

Sie konzentriert sich stattdessen auf ihre grundlegende Beweisführung: Sowohl der Neoliberalismus als Ideologie als auch das Unternehmen Google würden Regulierung durch externe Institutionen ablehnen (S. 114) und darauf abzielen, möglichst viele Bereiche des menschlichen Lebens zu formalisieren, um sie dann zu kommerzialisieren (S. 129). Denn jeder Klick, jede Äußerung einer Präferenz eines Nutzers verarbeite das Unternehmen und lasse es als Datenpunkt in sein Werbesystem einfließen. Alles was wir online tun, werde dadurch vermarktbar.

Einige ihrer Vorwürfe sind hingegen wenig überzeugend. Zum Beispiel ihre Kritik, die ständigen Veränderungen des Google-Algorithmus seien Beweis eines neoliberalen Optimierungsimperativs (S. 131f.), also der fortwährenden Anpassung aller Lebensbereiche an die Logik der wirtschaftlichen Effizienz. Aber kann man einem Konzern tatsächlich vorwerfen, dass es an der Weiterentwicklung des eigenen Produkts arbeitet? Wie sähen Autos wohl heute aus, hätten Unternehmer nicht stetig die Verbesserung ihres Produkts Auto angestrebt?

An anderer Stelle übt sie eine zweifelhafte Medienkritik: „Der massenmediale Diskurs unterstützt die Technologie, da dieser Diskurs eine latente technik-utopistische Grundstimmung vertritt und dadurch auch implizit die Produzenten der Technologien unterstützt“ (S. 96). Die These bleibt indessen ohne Beleg. Für Debatten in den USA mag die Einschätzung in Teilen noch stimmen. In der deutschen Auseinandersetzung aber eine „technik-utopistische Grundstimmung“ zu erkennen, ist nicht nachzuvollziehen. Wie kritisch die deutsche Öffentlichkeit gerade mit Google umgeht, davon zeugen die Diskussionen um ,Google Books‘ und ,Street View‘, kartellrechtliche Verfahren der EU-Kommission oder die immer wiederkehrende Datenschutzdebatte.

Erschienen ist das Werk in der Edition Kritische Forschung des österreichischen Promedia Verlag – ein tendenziell linker Verlag, in dessen Programm sich zahlreiche kultur- und kapitalismuskritische Publikationen finden. Mit ihrem grundsätzlichen Google-Bashing passt Edels Buch bestens in dieses Profil. Dadurch verliert es allerdings an Detailtiefe, Differenzierung und Überzeugungskraft.

Literatur:

Links:

Über das BuchGeraldine Edel: Ideologie der Technologie. Google als Motor globaler sozialer Ungleichheit und Steuerung. Wien [Promedia] 2016, 176 Seiten, 20,- Euro.Empfohlene ZitierweiseGeraldine Edel: Ideologie der Technologie. von Mündges, Stephan in rezensionen:kommunikation:medien, 22. Dezember 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19708
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