Rezensiert von Martina Thiele
Via Bildschirmmedien (“Screens“) vermittelte Geschlechterbilder können aus unterschiedlichen Positionen betrachtet werden. Ist diese Vielfalt von Vorteil oder von Nachteil? Was spricht dafür, was dagegen, sich sowohl mit “Gender im Wandel“, als auch mit “Rezeptionspraktiken“, “Karrieren“ und “Künstlerischen Perspektiven“ zu befassen? Verbunden mit dem Anspruch, “(De)Konstruktionen aus wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektive“ vorzunehmen?Dafür spricht, den Leser_innen eine Rundumschau und Bestandsaufnahme, ein “Screening“, zu bieten und bislang wenig Beachtetes in den Fokus zu rücken, z. B. “Intimchirurgie im ‘Fernsehen der Mikropolitiken‘“ (Anna-Katharina Meßmer) oder “Casting als Karrierestart? Motive von Teilnehmerinnen populärer TV-Formate“ (Claudia Wegener und Alexander Rihl) oder auch “Soldatinnen und Partisaninnen in sowjetischen Kriegsfilmen“ (Annegret Zettl).
Eine Basis für diese so unterschiedlichen Themen legt Sigrid Kannengießer durch ihren Überblicksartikel zu “Geschlecht, Feminismus und Bildschirmmedien im Wandel“. Darüber hinaus, so die Herausgeber_innen einleitend, soll die Frage, wie verschiedene strukturierende Momente visueller Repräsentation an der (De)Konstruktion von Geschlechteridentitäten und gesellschaftlichen Normen beteiligt sind, die Beiträge verbinden. Längst nicht alle Autor_innen nehmen dezidiert (de)konstruktivistische Positionen ein, auch gleichheits- und differenztheoretische Verortungen sind erkennbar: Sowohl in den inhaltsanalytischen Studien zur “Frau in der Serie“ (Katrin Döveling und Isabel Kick) oder zu “Geschlechtsspezifischen Altersrollen in der Werbung“ (Clemens Schwender), als auch in den Rezeptionsstudien, etwa wenn nach “entgrenzten Medienpraktiken“ (Christine Linke) und “situationalen und genderspezifischen Einflüssen auf die Nutzung mobiler Onlinedienste“ (Veronika Karnowski und Olaf Jandura) gefragt wird.
Und auch im Kapitel “Karrieren“, wo es u. a. um die berufliche Situation von Absolvent_innen der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf geht (Marion Jenke), um diejenigen, die Teilnehmer_innen an Reality-TV-Sendungen “casten“ (Laura Grindstaff) oder um “Frauen in der deutschen Computer- und Videospiel-Industrie“ (Sonja Ganguin und Anna Hoblitz) dominiert trotz Methodenpluralismus das Zählen von “Frauen“ und “Männern“.
Manche Autor_innen sprechen das Problem an, geschlechtertheoretisches Wissen über die soziale Konstruiertheit von Kategorien methodisch umzusetzen. So fragt Maya Götz in ihrem Beitrag “Barbie vs. SpongeBob“, ob Kinder, “Jungen“ und “Mädchen“, sich tatsächlich so sehr in ihren Vorlieben für Fernsehfiguren unterscheiden? Sie warnt davor, “durch die Grundannahme der Differenz genau diese unangemessen immer wieder zu untermauern“ (87).
(De)Konstruktionen aus künstlerischer Perspektive versprechen die Titel der Beiträge im letzten der vier Abschnitte. Auch hier herrscht theoretische Vielfalt. Während D.G. Stephan unter Berufung auf Niklas Luhmann grundsätzliche Überlegungen darüber anstellt, ob im bestehenden “System der Massenmedien“ der Verzicht auf Stereotype und Schemata überhaupt möglich ist, rekurriert Andrea Behrendt in ihrem Bericht über das Projekt “1000 Identitäten“ auf Stuart Hall und seine Ausführungen zu Stereotypen, Repräsentation, Identität und Ideologie.
Das Projekt hat Jugendlichen Möglichkeiten eröffnet, selbst künstlerisch tätig zu werden und andere_s als die üblichen Geschlechterarrangements ins Bild zu setzen. Auf neue An- und Einsichten zielen auch Kerstin Stutterheim und Susanne Foidl in ihren Beiträgen zu (De)Konstruktionen mittels offener Dramaturgie oder Schnitt und Montage. Foidl beendet ihren Beitrag “Editing Gender“ mit einem Zitat der Cutterin und Editorin Gabriele Voss: “Von der Technik her wäre es ein leichtes, sich von alten Formen und Vorstellungen zu lösen. Es ist eine Frage, wie wir innerlich davon loskommen und wohin wir dann kommen oder kommen wollen.“ (Voss 2006: 92)
Erwähnt, wenn auch nicht ausführlich gewürdigt, sind nun alle 17 Beiträge im Band Gender – Medien – Screens. Deutlich geworden sein sollte die Vielfalt der Themen, Ansätze, theoretischen Verortungen, bevorzugten Methoden und praktischen Beispiele. Diese Vielfalt ist grundsätzlich positiv. Sie birgt aber auch die Gefahr der Beliebigkeit. Wenn im Titel “(De)Konstruktionen“ angekündigt werden, weckt das zumindest bei einigen Leser_innen die Hoffnung auf eine stringente Auseinandersetzung mit entsprechenden theoretischen Positionen und methodischen Konsequenzen, auch die Hoffnung auf geschlechtergerechte Sprache, unabhängig davon, ob die Autor_innen mehr in der Wissenschaft, der Kunst oder Medienpraxis zu Hause sind. Freilich warnen die Herausgeber_innen in ihrer Einleitung vor falschen Erwartungen. Es bestehe, “weiterhin ein großer Forschungs- und Handlungsbedarf, zu dem dieser Band einen Beitrag leisten möchte.“ (18) Abgesehen von solchen kleineren, sprachlichen Ungenauigkeiten ist das Buch lesenswert, belegt es doch, dass Gender Media Studies in allen Bereichen – Produktion, Inhalte und Ästhetik, Rezeption und Wirkung – und nicht nur von Wissenschaftler_innen erkenntnisfördernd betrieben werden.
Literatur:
- Gabriele Voss: Schnitte in Raum und Zeit. Notizen und Gespräche über Dramaturgie und Montage. Berlin [Vorwerk 8] 2006
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Prof. Dr. Elizabeth Prommer an der Universität Rostock
- Webpräsenz von Prof. Dr. Martina Schuegraf an der Filmuniversität Babelsberg
- Webpräsenz von Prof. Dr. Claudia Wegener an der Filmuniversität Babelsberg
- Webpräsenz von Prof. Dr. Martina Thiele an der Universität Salzburg