Von Horst Pöttker
Zwei Monographien Siegfried Weischenbergs als Informationsquellen und Kontrastfolien
Zu seinem 150. Geburtstag am 21. April 2014 hat die Post dem deutschen Gründervater (und -mythos) der Sozialwissenschaften eine Sondermarke gewidmet. Der Autor der beiden Monographien über Max Weber, die den folgenden Überlegungen als Reservoir von Informationen und Argumenten, aber auch als Kontrastfolien dienen, klebt sie auf seine Briefe an Kollegen. Der folgende Essay plädiert ebenso wie Siegfried Weischenbergs Bände dafür, Max Weber nicht zuletzt als Klassiker der Journalistik und Kommunikationswissenschaft ernst, oder wenigstens: endlich gründlich zur Kenntnis zu nehmen. In der Empfehlung zur Rezeption von Webers Schriften, um sich davon in diesen Disziplinen anregen zu lassen, stimmen Bände und Essay überein. Mit Weischenberg teile ich die Überzeugung, dass in Webers Werk ein enormes Potential besonders für das Fach Journalistik steckt. Dass das noch längst nicht ausgeschöpft ist, hängt auch mit divergenten, von gegenseitiger Ignoranz gehemmten Entwicklungen der Fächer Kommunikationswissenschaft einerseits und Soziologie andererseits zusammen.1 Was die Art und Weise betrifft, wie Webers Werk innovativ für die Kommunikationswissenschaft rezipiert werden kann, worin seine Bedeutung vor allem für die Journalistik besteht, gibt es zwischen Weischenbergs Bänden und den folgenden Argumenten für eine fachspezifische “Klassifikation” Webers auch Unterschiede.
1. Max Weber – fachstrategisch ausgebeuteter Klassiker
Stephan Russ-Mohl ist in seiner Besprechung von Weischenbergs Weber-Bänden sehr weit gegangen.2 So wenig man dort über deren Inhalt erfährt, so viel wird über die persönliche Motivation ihres Autors und über eine angebliche akademische Genealogie spekuliert, die auf Weber zurückgehen soll.
Am Anfang wird Weischenberg in die Schublade alternder Medienforscher gepackt, die “den Jungen noch einmal so richtig” zeigen wollten, “was sich stemmen lässt”. Am Ende wird er, weil er vor 15 Jahren kurze Zeit Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands (djv) war, mit investigativem Habitus als “Chef-Lobbyist” einer nur auf Eigeninteressen erpichten journalistischen Berufsgruppe entlarvt – und mit ihm der djv als deren Gewerkschaft, die u. a. zu den Gründer- und Trägerorganisationen des Deutschen Presserats zählt, gleich mit. Weischenberg verweigere sich “standhaft” der Einsicht, dass sich Elisabeth Noelle-Neumann und ihr Schüler Hans Mathias Kepplinger mit ihrer empirisch gestützten Kritik am Eigennutz dieser Berufsgruppe bleibende “Verdienste um das Gemeinwesen und um den Journalismus erworben” hätten.3
Man muss sich zu diesen Behauptungen einiges in Erinnerung rufen: Russ-Mohl hat sich mit seinem Leitbegriff vom Journalisten als “homo oeconomicus”4 selbst als Kritiker von journalistischem Eigennutz positioniert. Das hindert ihn nicht, Simplifizierung durch Personalisierung selbst als Erfolgsrezept zu nutzen, wie die Weischenberg-Rezension in der NZZ zeigt.5 Bezeichnend für deren enge Sicht auf Weber ist, dass der als Ahnherr der “Mainzer Schule” in Anspruch genommen wird, die eine wertfreie Journalismusforschung nach dem Konzept des Klassikers betreibe. Dem liegt offenbar das verbreitete Missverständnis zugrunde, Weber habe eine empirische Forschung vorgeschwebt, die mit Werten und Wertungen nichts zu tun haben darf. Dazu sei schon hier zitiert, was Weber selbst über den “Sinn von Diskussionen über praktische Wertungen“6 für die empirische Forschung geschrieben hat. “Sehr weit entfernt davon (…), ‘sinnlos’ zu sein”7, befruchteten sie nicht nur deren Fragestellungen “auf das nachhaltigste”;8 als erste von mehreren Funktionen, die Wertdiskussionen für die Forschung haben, nennt Weber “Die Herausarbeitung der letzten, innerlich ‘konsequenten’ Wertaxiome (…). Nicht nur über die der Gegner, sondern auch über die eigenen täuscht man sich oft genug. (…) Sie ‘gilt’ in gleicher Art wie die Logik.”9 Weber setzt voraus, dass alle empirische Forschung auf “letzten Wertaxiomen” beruht, indem sie sie als – oft unbewusste – Selektionskriterien zu Grunde legt. Wertdiskussionen sind daher für die Forschung unentbehrlich und haben den Sinn, die Wertprämissen logisch als Wertungen bewusst zu machen, nicht zuletzt um empirische Forschungsergebnisse vor Objektivationen zu bewahren. Das müsste, stünde sie tatsächlich in der Weber-Tradition, auch für die von Noelle-Neumann geprägte Medienforschung der Mainzer Schule gelten, die allerdings lieber die von Russ-Mohl missverstandene “Wertfreiheit” in Anspruch nimmt, als bei der Formulierung ihrer Fragestellungen oder bei der Präsentation ihrer Ergebnisse Wertdiskussionen zu führen.
Die Fixierung auf eine These zur akademischen Genealogie in Russ-Mohls Rezension wird nicht nur der intellektuellen Leistung von Weischenbergs Weber-Bänden nicht gerecht. Russ-Mohls Argumentation erinnert auch frappant an die Fundamentalkritik von Kepplinger10 und anderen Vertretern der Mainzer Schule am Journalismus, die ihm nicht einmal zugestehen wollen, überhaupt ein Beruf zu sein. Die Begründerin dieser Schule, das stellt sich bei einer Analyse ihrer letzten, innerlich konsequenten Wertaxiome heraus, hat in der “Schweigespirale” aufgrund durchgehend biologistischer Beispiele das Menschenbild des mündigen Bürgers als “Ich-Ideal”11 und Hemmnis des wissenschaftlichen Fortschritts12 in Frage gestellt und theoretisch-normativ dadurch bekämpft, dass sie konfliktfreie Konformität zum Kern der Gesellschaftlichkeit erhob.13 Dass sie damit Verdienste ausgerechnet um das demokratische Gemeinwesen erworben habe, ist eine steile These, deren Bezug zu Max Weber hergeholt wirkt.
Der Versuchung, nachträglich auf den Ahnherrn Weber zulaufende akademische Genealogien zu konstruieren, sind etliche Autoren erlegen. Dabei wird der Klassiker wissenschaftsstrategisch zur Legitimation diverser und auch kontroverser Begrifflichkeiten und Denkschulen instrumentalisiert. Auch Weischenbergs umfassend recherchierte Bände sind nicht frei davon, etwa wenn gegen Ende der Vermessung die von Weber 1910 in seinem Konzept für eine große Presse-Enquête gestellten Fragen umstandslos in Fragen zu den Bereichen überführt werden, die Weischenberg in seinem Kontext-Modell des Journalismus unterschieden hat,14 das auch als Zwiebel-Modell bezeichnet und kritisiert wird.15 Michael Haller hat das in seiner Rezension des Bandes16 zur Kritik an Weischenbergs Bemühungen veranlasst,
sein zweifellos sinnfälliges Medienanalyse-Konzept (‘Kontexte des Journalismus’, 1992) in die Webersche Theorielinie einzufügen, so, als gäbe es eine vom Jahrhundertdenker Max Weber begründete Konzeption, die über verschiedene Geistesheroen zu Weischenbergs Konzept führe.17
An gleicher Stelle fragt Haller nach einem die Bände durchziehenden Unterton, Weber für die Systemtheorie Luhmannscher Prägung zu reklamieren:
Weischenbergs Wünschelrute, die auf der Suche nach dem binären Journalismuscode in früheren Entwürfen beim Begriff Aktualität vibrierte, produziert nun beim Merkmal ‘nachrichtlich/nicht-nachrichtlich’ (S. 353) den harten Ausschlag. Ob auch dies in die Denklinien Max Webers zu bringen ist?18
Dagegen versucht Wolfgang R. Langenbucher in seiner Rezension des Entzauberungs-Bandes,19 Weber für die Münchner Schule um Heinz Starkulla, Hans Wagner und Peter Glotz zu reklamieren, indem er Weischenberg vorhält, die mit der “geistigen Determinante im Kultur- und Sozialgeschehen bei Max Weber” und “der Ortung seines Entwurfs einer Soziologie des Zeitungswesens in seinem Gesamtwerk” befasste, 1955 erschienene Münchner Dissertation von Bernd M. Aswerus übersehen zu haben, die die Berufung dieser Schule auf Weber rechtfertige. Tatsächlich fehlt ein Hinweis auf Aswerus im Entzauberungs-Band, während zwei Jahre später in der Vermessung der Medienwelt gleich vier seiner Schriften berücksichtigt werden und ihm und der Münchner Schule ein langer Exkurs (S. 229-237) gewidmet ist. Dass das durch Langenbuchers zwischen den beiden Bänden erschienene Rezension angestoßen wurde, mag sein, ist aber nicht gesichert, weil Weischenberg Langenbuchers Besprechung nicht erwähnt, auch nicht im Literaturverzeichnis aufführt.
(Re-)Konstruktionen von Genealogien, die auf Max Weber zurückführen sollen, werden in der Kommunikationswissenschaft oft nur durch Hinweise auf Erwähnungen oder Zitate des in Anspruch genommenen Ahnherrn in späteren Werken belegt. Dagegen begründet Weischenberg seinen vergleichsweise zurückhaltenden Anspruch, sich auf der Traditionslinie Webers zu bewegen, durch Übereinstimmungen mit inhaltlichen Akzenten in dessen Werk, vor allem mit Webers Forderung nach empirisch prüfender Forschung. Wenn sich daran kaum Differenzen zur Mainzer Schule zeigen, für die Weber von Russ-Mohl kontrovers zu Weischenberg reklamiert wird, demonstriert das, wie wenig sich eine Berufung auf Empirie, die begrifflich-theoretische Fundierung ja nicht ausschließt, oder die Alternative zwischen “harten”, quantitativen und “weichen”, qualitativen Methoden zur Bildung produktiver sozialwissenschaftlicher Identitäten eignen.20 Auch, dass Weber von Anfang an beides im Auge hatte, macht ihn zum Klassiker.
In der Soziologie hat der am “Sciences Po” (“Institut d’Études Politiques de Paris”) und an der “London School of Economics” lehrende Bruno Latour nach dem Tod von Ulrich Beck ein Beispiel für nachträgliche Konstruktionen von Traditionslinien geliefert, die bei Weber ihren Ursprung haben sollen. In seinem Nachruf “auf den großen Soziologen” (Ulrich Beck) war zu lesen:
Ja, Beck dachte in großen Zusammenhängen. Als ich ihn in München besuchte, legte er Wert darauf, mit mir zum Haus von Max Weber zu pilgern. Die Weite seines wissenschaftlichen Horizonts, der Mut, neu zu denken, gepaart mit einer absoluten Bescheidenheit und unprätentiösem Auftreten, ohne sich als den großer Erneuerer darzustellen, der er tatsächlich war, machen ihn zu einem Erben Max Webers.21
Abgesehen davon, dass Latour sich damit – nicht ganz unprätentiös – auch selbst ein wenig in die Tradition Webers begibt, betont er Eigenschaften des verstorbenen Ulrich Beck und damit auch Max Webers, die wohl tatsächlich einen Klassiker zum Klassiker machen: Neben originären Beiträgen zur Theoriebildung sind das Weite der Perspektive, Offenheit, Innovationsfreude, Komponenten einer Universalität des Denkens, die partikulare Begrifflichkeiten und Sichtweisen überspannt und der eine direkte Zuordnung zu Teilgebieten (“Bindestrich-Soziologien”) oder Theorietraditionen (System- versus Handlungstheorie u. ä.), aber auch sozialwissenschaftlichen Disziplinen (Journalistik/Kommunikationswissenschaft versus Soziologie etc.) nicht gerecht wird. Erst recht schlägt ihr eine Vereinnahmung für strategische Interessen von akademischen Schulen und Zitierkartellen ins Gesicht.
Universalität zeichnete Max Weber zweifellos aus, wenn man den Reichtum der von ihm bearbeiteten Gegenstände vom Untergang des Römischen Reichs bis zur Weimarer Verfassung, von der sozialen Lage der ostelbischen Landarbeiter über die Denkweisen der Weltreligionen bis zum Zeitungswesen, von den Handelsgesellschaften des Mittelalters über die Berufe des Wissenschaftlers und Politikers und das methodologische Potential von Idealtypen bis zu den Gefährdungen grundlegender Ethik-Modelle betrachtet; Universalität bleibt für ihn charakteristisch, wenn man die Vielfalt der von ihm praktizierten oder ins Auge gefassten Methoden von der historischen Rekonstruktion bis zur Strukturanalyse, von der Wirtschaftsstatistik bis zur Fragebogenerhebung, von der Hermeneutik bis zur quantitativen Inhaltsanalyse “mit der Schere”22 als methodologisches Programm ernst nimmt; und Universalität zeigt sich schließlich vor allem daran, dass er mit seinem Grundriss der “verstehenden Soziologie” ein wissenschaftstheoretisches Konzept entworfen hat, das sich in allen Sozialwissenschaften anwenden lässt, seien es Soziologie, Politikwissenschaft, Pädagogik oder Journalistik. Es ist dieses Umfassende und Grundlegende, das uns bewegt, in Weber einen Klassiker der Sozialwissenschaften und damit auch von Journalistik oder Kommunikationswissenschaft zu sehen. Weil Universalität gemeinhin als Kriterium von Klassizität gilt und weil der Klassiker Weber dieses Kriterium vorbildlich erfüllt, ist es verfehlt, ihn für einzelne Theorietraditionen und Schulen, aber auch für einzelne sozialwissenschaftliche Disziplinen besonders in Anspruch zu nehmen.
Dass auch Weischenberg dieser Versuchung nicht nur im Hinblick auf sein Kontext-Modell, sondern auch im Hinblick auf Journalistik und Kommunikationswissenschaft als Sozialwissenschaften nicht völlig widersteht, zeigt sich an seiner die beiden Bände durchziehenden These, Zeitung und Journalismus hätten im Vergleich zu anderen Gegenständen Webers besondere Aufmerksamkeit gefunden und für sein Wissenschaftskonzept besondere, quasi konstitutive Bedeutung gehabt.23 Wie andere Weber-Exegeten will er der “Vieldeutigkeit der Werke Max Webers” (Entzauberung 29), die doch deren Klassizität ausmacht und auf sich beruhen darf, dadurch beikommen, dass er von seiner speziellen, durch sein Fach, seine Theorietradition und deren Gegenwart geprägten Position aus kommunikationswissenschaftliche Intentionen in den Klassiker zurückprojiziert.
Weischenberg begründet seine These damit, dass die Sozialwissenschaft, die Weber neben anderen Klassikern wie Émile Durkheim oder Georg Simmel ins Leben gerufen hat, mit der europäischen Moderne sowohl als ihr Produkt als auch als ihr Erkenntnissubjekt eng verflochten ist. Da auch Presse und Journalismus charakteristische Hervorbringungen der Dynamik dieser Sozialformation sind, müssten sie prädestinierte Erkenntnisobjekte eines vor allem am Modernisierungsprozess interessierten Gelehrten wie Weber sein. En passant stößt man im Entzauberungs-Band auf Passagen wie folgende:
Webers Projekt ist ein umfassendes mediensoziologisches Unternehmen, in dessen Zentrum das einzige Medium steht, das damals als Träger für die Verbreitung journalistischer Inhalte verfügbar war. Doch die Zeitung als Untersuchungsobjekt soll hier nicht einem deskriptiven Selbstzweck dienen, und ihre Akteure sind für Weber nicht ‘als Menschen’ von Interesse. Vielmehr geht es ihm um die Vermessung der Bedeutung, welche dieser neue Faktor für die Generierung von Öffentlichkeit hat und in welcher Weise er die rationalisierte Gesellschaft prägt. Seine Presse-Enquête war in diesem Sinne gedacht als zentraler Bestandteil seines kolossalen wissenschaftlichen Oeuvres. (91)
Der Band endet unter Verwendung des Begriffs der Entzauberung, als deren Objekt im Titel die Medienwelt erscheint, die aber auch als Charakteristikum der von Weber analysierten Moderne dienen kann, mit folgender Bemerkung:
Für unsere Studie wählten wir die Entzauberungsmetapher als Leitidee – zur Bezeichnung des Selbstbeobachtungsprozesses moderner Gesellschaften, in denen Medien und Journalismus eine prägende Rolle spielten. Max Weber hatte dies als einer der Ersten erkannt. (Entzauberung 399)
Auch wenn man das als retrospektive Projektion kommunikationswissenschaftlicher Identität betrachtet, die den Klassiker für das eigene Fach in Beschlag nehmen und diesem eine besondere Dignität als die Sozialwissenschaft der Moderne verleihen will, schmälert das die Leistung der beiden Bände nicht, die zwischen den Fächern Soziologie und Kommunikationswissenschaft klaffende Lücke nicht nur zu beschreiben und auf ihre Entstehungsgründe hin zu analysieren. Darauf, dass die Soziologie Medien und Journalismus als Gegenstände lange vernachlässigt hat, während die Kommunikationswissenschaft deren gesellschaftliche Dimensionen seit jeher verkannte, haben schon andere hingewiesen, u. a. der Schreiber dieser Zeilen.24 Weischenberg hat die Lücke aber nicht nur gesehen, er hat sie mit seinen materialreichen Weber-Bänden zu füllen begonnen. Zu hoffen bleibt, dass die damit zugänglich gemachten Schätze in beiden Fächern auch gehoben werden.
Weder die Klassizität eines Werks noch verengende Nachfolge-Konstruktionen sind Leistungen oder Verfehlungen, die allein ihren Urhebern zuzuschreiben wären. Vielmehr hängen sie mit deren chronologischer Position in der Entwicklung der betreffenden Wissenschaften oder Künste zusammen. Einen verengenden Blick können nur Nachgeborene haben, für die es bereits etwas zu verengen gibt. Und die Weite, die Universalität eines klassischen Werks, das sich Vereinnahmungen durch eindeutige Interpretationen widersetzt, wird dadurch begünstigt, dass das Werk am Beginn einer Entwicklung steht, wenn noch keine interne Ausdifferenzierung der von den Klassikern initiierten Disziplinen oder Kunstrichtungen eingesetzt hat.
Auseinandersetzungen zwischen handlungstheoretischer und systemtheoretischer “Schule” um das wahre Erbe Webers oder Durkheims, wie wir sie aus der Fachgeschichte der Sozialwissenschaften kennen, wären nicht möglich, wenn die Werke dieser Klassiker in ihrer Vieldeutigkeit nicht bereits vorlägen. Und Weber oder Durkheim wäre die Vielschichtigkeit ihrer Ideenwelten, die auch Widersprüchliches enthalten, kaum möglich gewesen, wenn sie sich im Interesse ihrer akademischen Karrieren in bereits ausformulierte Theorietraditionen hätten begeben müssen. Es ist kein Zufall und auch nicht allein auf die Genialität der Klassiker zurückzuführen, dass in den Sozialwissenschaften wie in anderen Metiers als klassisch geltende Werke nicht irgendwann auftauchen, sondern in der Gründerphase. Und es ist auch kein Zufall oder nur der Schwäche von “Epigonen”, sondern vor allem der unvermeidlichen Tendenz zur Ausdifferenzierung zuzuschreiben, wenn später Kommende im Vergleich mit den Gründern borniert erscheinen. Wer sich mit einem Klassiker wie Max Weber einlässt, hat es immer schwer und kann der Verlockung, ihn für die eigene Ideenwelt zu vereinnahmen, nicht mehr, aber auch nicht weniger entgegensetzen als die (Selbst-)Reflexion dieser Prozesslogik.
Für die folgenden Überlegungen führt das zum Verzicht auf den Anspruch, mit der Konzentration auf journalismus- oder kommunikationswissenschaftliche Anteile eine inhaltliche Würdigung von Webers Gesamtwerk vorzunehmen. Hier soll es nur darum gehen, auf einige Einsichten in seiner nahezu unerschöpflichen Ideenwelt hinzuweisen, von denen Journalistik und Kommunikationswissenschaft lernen können.
Das schließt die Möglichkeit ein, von Weber Gedachtes – möglicherweise unter Berücksichtigung der schon stattgefundenen Rezeption – weiterzudenken und zu modifizieren, wobei es nicht darauf ankommt, ob das im Sinne Webers wäre. Wissenschaft, die Innovation als ihre konstitutive Qualität nicht vergisst, steht Riesen nicht nur auf der Schulter, sondern tanzt ihnen auch auf der Nase. Ob Weber sich mehr darüber gefreut hätte, von Späteren sein eigenes Werk erklärt zu bekommen oder von ihnen aufgegriffen und unabhängig von der ursprünglichen Intention für eigene Forschungen genutzt zu werden, sei dahingestellt.
Sinnvolle Auseinandersetzung mit einem Klassiker kann jedenfalls nicht Hagiographie bedeuten, auch nicht mit negativem Vorzeichen, sondern die Nutzung des Innovationspotentials, das in einem Klassiker wegen dessen Universalität steckt. Es soll hier nicht in erster Linie um Max Weber gehen, sondern um Journalistik und Kommunikationswissenschaft und wozu sie den Klassiker Weber in der Fülle seiner Ideen gebrauchen können. Deshalb enden die folgenden Abschnitte jeweils mit dem Versuch, ein Konzept Webers auf die Erforschung von gesellschaftlicher Kommunikation im Allgemeinen und Journalismus im Besonderen anzuwenden und so in eine mögliche Richtung weiterzudenken.
2. Webers Presse-Enquête und die Strukturierung des kommunikationswissenschaftlichen Forschungsfeldes
Journalistik und Kommunikationswissenschaft können von dem Konzept für eine umfangreiche Presse-Enquête lernen, für die Weber 1908 einen Vorbericht skizziert und die er 1910 auf dem ersten Deutschen Soziologentag durch einen Geschäftsbericht vorgestellt hat. Seine Bemühungen um die Realisierung des Großprojekts waren in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg dann zwar vergeblich, obwohl (oder gerade weil?) er, wie Weischenberg amüsant erzählt, bedeutende Zeitungswissenschaftler wie Karl Bücher daran beteiligen wollte. Kein Zweifel aber, dass Webers Entwurf wegen seines systematischen Reichtums an Fragen, Kriterien und methodischen Hinweisen eine außerordentlich wertvolle Hilfe für Untersuchungsplanungen sein kann, die sich späteren Konzepten zur Strukturierung des Feldes der Medienforschung als überlegen erweist. In dessen Durchdringung in die Breite wie in die Tiefe liegt die zeitlose Bedeutung von Webers damaligen Planungen für Journalistik und Kommunikationswissenschaft heute.
Im Entzauberungs-Band ist der Entstehung und Entwicklung sowie dem Scheitern und der defizitären Rezeption dieses Weberschen “Medienprojekts” ein umfangreiches Kapitel gewidmet (78-164); in der Vermessung wird dessen Potential für die Strukturierung von empirischer Forschung verstreut über den Band ausgelotet. Das Stichwort-Verzeichnis weist auch hier für “Presse-Enquête” 33 großenteils mehrseitige Belegstellen aus. Für besonders aufschlussreich, was Webers Konzeption der Medienforschung betrifft, hält Weischenberg den Vorbericht (vgl. Vermessung 244), der erst ein knappes Jahrhundert nach seiner Entstehung publiziert wurde. Die Aufnahme der im Kieler Tönnies-Nachlass schlummernden Skizze in den 2001 erschienenen Sammelband mit Texten von Klassikern der Sozialwissenschaft über Journalismus und Medien25 sollte ebenfalls die kaum zu überschätzende Bedeutung dieses kompakten, ebenso reichhaltigen wie systematischen Konzepts zum Ausdruck bringen.
Weischenberg hat sich mit den beiden Weber-Bänden nicht zuletzt das Verdienst erworben, die zwar zahlreichen, aber verstreuten und oft oberflächlichen Bezugnahmen auf Webers Presse-Projekt in der Medienforschung zusammengetragen und für systematischen Gebrauch bereitgestellt zu haben. Er weist darauf hin, dass sich der Soziologe Karl Weber bereits 1937 in der Schweiz gründlich mit dem Vorbericht auseinandergesetzt hat, um eine Soziologie der Zeitung zu skizzieren, was vermutlich dazu beigetragen hat, dass er später Professor für Journalistik in Bern wurde. Das hat aber nichts daran geändert, dass Karl Weber mit seiner Aufmerksamkeit für den Vorbericht in den folgenden Jahrzehnte allein blieb (vgl. Vermessung 107f.). Wenn dieser Namensvetter Max Webers sich unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit der Zeitung auf den “Einfluss des Staates auf die Presse” (Vermessung 108) und dessen gesetzliche Regulierung konzentriert hat, war das allerdings eine Perspektive, die die besondere Qualität des Vorberichts, nämlich den interaktionistischen Blick auf beide Einflussrichtungen zwischen den Medien und ihrer Umwelt (bei Max Weber heißt sie “Kultur”), auf nur eine Richtung reduzierte.
2.1. Das Konzept der Presse-Enquête
Um die Fülle der von Max Weber im Presse-Projekt gestellten Fragen zu demonstrieren, genügt eine Aufzählung der im Vorbericht unter der Gliederungsrubrik “A. das Zeitungsgeschäft” ins Auge gefassten Gegenstände:
Besitzer der Zeitungen, (…) Einfluss der Besitzer, (…) Kapitalbedarf und Kapitalumschlag im Zeitungsgeschäft (…). Ungefähre laufende Produktionskosten (…) Bedarf an Redakteuren und Kosten derselben (…). Art der Stoffbeschaffung 1. Von außen her: vor allem a) Nachrichtendienst (…) 2. Innerer Dienst und Art der Stoffverteilung. (…) 3. Annoncendienst und Annoncenaquisition (…). Einnahmen der Zeitung. Entwicklung der Größe der Auflagen und des Maßes des Annoncierens (…) Konkurrenz und Monopol auf dem Gebiete der Presse. (…) Qualitative Ansprüche an den modernen Journalisten (…). Anfänge einer Berufsorganisation und Chancen derselben.26
Wie detailliert und konkret Weber diese Untersuchungsgegenstände auf engstem Raum beschreibt, sei an seiner Erläuterung zu den “Besitzern der Zeitungen” demonstriert:
Entwicklung in den letzten Jahrzehnten für eine Anzahl großer Zeitungen und für einige typische Gebiete. Quelle: Handelsregister. – Einfluss der Besitzer, Großanteilshaber, Donatoren auf die ‘Richtung’ der Zeitung und Grenzen desselben. Etwa geschaffene besondere Garantien zur Sicherung der ‘Richtung’ der Zeitung ihnen gegenüber. Ankauf von Zeitungen zwecks Änderung ihrer ‘Richtung’ und Aufnahme solcher Vorgänge durch den Abnehmerkreis.27
Eine ähnlich lange Liste zum Gliederungsstichwort “B. die Zeitungsgesinnung” folgt,28 und immer wieder fragt Weber bei den diversen Untersuchungsgegenständen auch nach dem “Zustand des Auslandes in dieser Hinsicht”.29
Trotz seiner Fülle ist Webers Forschungskonzept kein Sammelsurium. Seine Strukturierungskraft ergibt sich weniger aus der Gliederung in “Zeitungsgeschäft” und “Zeitungsgesinnung” als aus dem Hinweis auf die “großen Kulturprobleme(n) der Gegenwart” gleich am Anfang, auf die “eine Erhebung über das Zeitungswesen (…) in letzter Linie ausgerichtet sein”30 müsse:
I. Die Art der Bildung jenes Apparats von psychischen Suggestionsmitteln, durch welche die moderne Gesellschaft kontinuierlich den einzelnen sich einzufügen und anzupassen trachtet: Die Presse als eins der Mittel zur Prägung der subjektiven Eigenart des modernen Menschen,
II. die durch die öffentliche Meinung, deren wichtigste Determinante heute die Zeitung ist, geschaffenen Bedingungen für die Entstehung, Erhaltung, Untergrabung, Umbildung von künstlerischen, wissenschaftlichen, ethischen, religiösen, politischen, sozialen, ökonomischen Kulturbestandteilen: Die Presse als Komponente der objektiven Eigenart der modernen Kultur.31
Nach Weber soll die Medienforschung also in beide Richtungen blicken: von den Medien auf die Menschen, darauf, wie die Medien deren Einstellungen beeinflussen und sie so an die gesellschaftliche Normalität anpassen; und von der Kultur auf die Medien, also darauf, wie die Umweltbedingungen durch die Medien als “öffentliche Meinung” und kulturelle Diskurse zum Ausdruck kommen. Damit weist Weber gleich am Anfang in die zwei Richtungen, in die kommunikationswissenschaftliche Forschung blicken kann.
In den beiden Absätzen am Anfang des Vorberichts wird zugespitzt etwas deutlich, das sich durch Webers ganzes Werk verfolgen lässt, wenn man diesen roten Faden einmal in der Hand hält: Dass dieser Klassiker sich weder auf die objektive noch auf die subjektive Seite der sozialen Realität, weder auf Internalisierung noch Externalisierung im Verhältnis zwischen Mensch und – von ihm sowohl angeeigneter als auch hervorgebrachter – Kultur kaprizierte, sondern beides in Wechselwirkung miteinander im Auge behielt. Spätere waren genötigt oder verführt, sich zwischen Systemtheorie und Handlungstheorie zu entscheiden; der Gründervater musste das am Anfang der Sozialwissenschaften noch nicht.
2. 2. Weischenberg zur Presse-Enquête
Anders als Hallers oben zitierte Frage (Anm. 18) nahelegt, sucht Weischenberg sichtlich der Versuchung zu widerstehen, Weber für die von ihm sonst präferierte Systemtheorie zu vereinnahmen. Der in beiden Weber-Bänden durchgehend referierende Duktus vermeidet einseitige Positionen – ganz im Sinne des Klassikers. Dessen Janusköpfigkeit, wie sie der Anfang des Vorberichts auf den Punkt bringt, passt Weischenberg sich auch dadurch an, dass er der handlungstheoretischen Rezeption Webers durch Achim Baum und der systemtheoretischen durch Manfred Rühl in zwei gleich langen Abschnitten (Vermessung 216-219 und 219-222) ähnlich starkes Interesse entgegenbringt. Und im Entzauberungs-Band finden sich als Antwort auf die Frage, welche Art von Soziologe Weber war, die Sätze:
Tatsächlich ein Handlungstheoretiker, wie meist behauptet wird – obwohl er keine elaborierte Handlungstheorie hinterlassen hat (…), sondern ‘nur’ eine akzeptierte Definition für Soziales Handeln? Oder gar ein früher Systemtheoretiker? Die ausführlichere Beschäftigung mit seinen Nachfolgern und möglichen Erben hat gezeigt, wie wenig tragfähig solche Etikettierungen sind. (Entzauberung 324)
Wie erwähnt fügt Weischenberg die Forschungsfragen des Enquête-Konzepts von 1908 aber nachträglich in sein Kontext-Modell des Journalismus von Anfang der 1990er Jahre mit den vier Dimensionen Mediensysteme, Medieninstitutionen, Medienaussagen und Medienakteure ein (vgl. Vermessung 248), denen er noch die Dimension Meta-Studien hinzufügt (Vermessung 250). Anschließend listet er 20 Fragen auf, “welche man seinen [Webers] auf das Presse-Projekt bezogenen Texten entnehmen kann” (Vermessung 250), von “1. Was bedeutet die privatwirtschaftliche Organisation der Presse für ihre Situation in der Gesellschaft im Allgemeinen und speziell im Hinblick auf Konzentrationsprozesse?” bis “20. Welche beruflichen Perspektiven haben die Journalisten?” (Vermessung 251). Daraus wiederum werden für eine eigene bibliometrische Studie, die beantworten soll, welche der “Weber-Fragen” in der Forschungsliteratur wie intensiv bearbeitet wurden und welche nicht,
13 besonders Journalismus-affine Themen selektiert, die – unter Einbeziehung der jeweils zentralen Methode – in folgende vier Themenbereiche gruppiert wurden (…): Die Komperatistik der Systeme (…). Die Beobachtung der Strukturen (…). Die Analyse der Aussagen (…). Die Befragung der Akteure (…).” (Vermessung 252)
Neben konkreten Ergebnissen seiner bibliometrischen Studie zu den Leistungen und Lücken der Journalismusforschung in diesen vier Bereichen fasst Weischenberg seine Resultate zu einem für das Fach wenig schmeichelhaften Befund zusammen: Auf dem Fundament des Weberschen Enquête-Konzepts
hätte sich schon in der Weimarer Republik eine kommunikationswissenschaftliche Disziplin entwickeln können, die sich für die Verhältnisse interessiert, sie beobachtet und beschreibt. Doch bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg konnte – jedenfalls in Deutschland – von einer Ernst zu nehmenden empirischen Beschäftigung gerade auch mit dem Prozess der Aussagenentstehung in den Medien kaum die Rede sein, nachdem die frühen Anregungen Webers nicht aufgegriffen worden waren. Dabei hatte die zuständige Kommunikationswissenschaft (…) seine Ideen stets in ihrem Repertoire – irgendwie. (Vermessung 332)
2.3. Was lässt sich mit dem Enquête-Konzept anfangen?
Zu den nach dem Zweiten Weltkrieg gelassenen (oder erst entstandenen) Lücken der empirischen Medienforschung bietet sich u. a. die Erklärung an, dass man auch in Deutschland, wo ein Rekurs auf Webers Konzept aus der unverfänglichen Zeit vor dem Ersten Weltkrieg durchaus möglich gewesen wäre, stattdessen beharrlich auf spätere Strukturierungsmodelle, vor allem die Lasswell-Formel von 1948, zurückgegriffen hat. Harold Dwight Lasswells berühmte, das Forschungsfeld höchst unvollständig erfassende Frage “Wer sagt was auf welchem Kanal zu wem mit welcher Wirkung?” blickt nur in einer Richtung auf öffentliche Kommunikationsprozesse, nämlich von den Produzenten der Medien und ihren Inhalten auf das Publikum und die bei ihm manifesten Wirkungen. Diese Sichtweise hängt mit der Tätigkeit Lasswells als Verantwortlicher für die US-Propaganda im Zweiten Weltkrieg zusammen. Propaganda will Einfluss auf das Denken und Verhalten der Rezipienten nehmen und interessiert sich deshalb nicht für den umgekehrten Einfluss des Publikums auf die Entstehung von öffentlichen Aussagen, also nicht für die “objektive” Seite der Durchdringung von Medieninhalten mit ihrem sozio-kulturellen Kontext, für dessen Erforschung sie deshalb als Indikatoren brauchbar wären. Dass in der für die Anlage von Projekten gern verwendeten Lasswell-Formel ein Desinteresse an den Einflüssen herrscht, die Publikum und Kultur auf die Inhalte der Medien nehmen, erklärt auch Weischenbergs Befund von Forschungsdefiziten zumal beim Prozess der medialen Aussagenentstehung. Mittlerweile sind diese Defizite in der Medienwissenschaft weniger erkennbar, weil dort kultur- und diskursanalytische Ansätze an Bedeutung gewonnen haben. In der empirischen Kommunikations- und Journalismusforschung existieren sie aber fort.
Sich auf das Enquête-Konzept Webers zu besinnen, wäre für die Forschung zumal der Journalistik nach wie vor mit der Chance verbunden, sich zu Fragen anregen zu lassen, auf die es bisher wenig zuverlässige Antworten gibt. Zum Beispiel empfiehlt Weber zu untersuchen:
Von wem und was schweigt die Zeitung und aus was für, in ihrer Eigenart und den Bedürfen ihres Publikums liegenden, Gründen? 32
Abgesehen von medienkritischen Initiativen wie dem Project Censored in den USA oder der Initiative Nachrichtenaufklärung in Deutschland kümmert sich die Journalismus-Forschung um solche Lücken medial hergestellter Öffentlichkeit, deren Gründe nicht zuletzt in kulturellen Tabus liegen können,33 bisher kaum. Dabei sollte Webers Hinweis beachtet werden, “dass, ehe man an solche Fragen geht, über die es sehr leicht ist, ein hübsches Feuilleton, über die es unglaublich schwer ist, eine wissenschaftliche Darstellung zu bieten, eine breite Unterlage von Erfahrungen und Analysen zu schaffen ist”.34
Vielleicht würde es der empirischen Journalismusforschung leichter fallen, ihre Versäumnisse nachzuholen, wenn sie nicht direkt auf Webers sehr gedrängten und deshalb kompliziert wirkenden Text zurückgreift. Praktikabler wäre wohl, etwa die Lasswell-Formel, die ihren forschungsanregenden und -gliedernden Erfolg auch ihrem einfachen, parataktischen Satzbau verdankt, unter Berücksichtigung der in Webers Enquête-Konzept enthaltenen Ideen zu ergänzen. Eine so vervollständigte “Weber-Lasswell-Formel” könnte etwa lauten:
Wer sagt was mit welchem Interesse, in welcher Absicht, auf welche Weise, in welcher Darstellungsform und auf welchem Kanal zu wem unter welchen sozio-ökonomischen, sozio-kulturellen und institutionell-politischen Bedingungen mit welcher Wirkung und mit welchen Rückwirkungen auf Entstehungsprozesse medialer Aussagen?
3. Max Webers Konzept der Berufsethik als Stütze von Journalismus und Journalisik
Eine häufig zitierte Definition Max Webers findet sich im ersten Teil von Wirtschaft und Gesellschaft:
Beruf soll jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person heißen, welche für sie Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- oder Erwerbschance ist.35
Das wirkt, wie viele Definitionen Webers, in seiner tiefgründigen Schlichtheit überzeugend. Denkt man allerdings genauer darüber nach, entpuppt es sich als fragmentarisch, irgendetwas fehlt. Warum sollte jemand, bloß weil er sich auf etwas spezialisiert hat, daraus eine kontinuierliche Chance auf Erwerb oder Versorgung ableiten können? Einer hat sich auf das Sammeln von Briefmarken, ein anderer auf das Aquarellmalen oder Fliegenfischen spezialisiert und es dank besonderer, auf sein Hobby gerichteter Leistungen darin sogar zur Meisterschaft gebracht. Kann er aber erwarten, damit auf die Dauer seinen Lebensunterhalt zu bestreiten? Briefmarkensammlungen lassen sich irgendwann verkaufen, gelungene Aquarelle vielleicht auch. Aber kontinuierlich und zuverlässig sind diese Erwerbschancen nur selten, in der Regel ist es umgekehrt, dass Hobbys, die ja zweifellos auch aus Bündeln spezieller Leistungen und Kenntnisse bestehen oder auf solche hinauslaufen, mehr kosten, als sie notfalls einbringen würden.
3. 1. Berufsbegriff und Ethik-Konzepte
Woraus ergibt sich bei einem Beruf die Erwerbs- oder Versorgungschance und deren Kontinuität? Zweifellos daraus, dass die besonderen Leistungen, die ihn ausmachen, für Andere einen Wert haben, der sich in deren Bereitschaft ausdrückt, dafür zu bezahlen oder äquivalente Leistungen zu erbringen. Das führt zu einem in der zitierten Definition nicht ausdrücklich genannten, aber mitschwingenden Begriff, auf den die Vorstellung von dem, was ein Beruf ist, offenbar nicht verzichten kann. Wir finden ihn bei Weber in den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie genannt:
Nun ist unverkennbar, daß schon in dem deutschen Worte ‘Beruf’ ebenso wie in vielleicht noch deutlicherer Weise in dem englischen ‘calling‘, eine religiöse Vorstellung: – die von einer von Gott gestellten Aufgabe – wenigstens mitklingt und, je nachdrücklicher wir auf das Wort im konkreten Fall den Ton legen, desto fühlbarer wird. 36
Berufe, so lassen sich die beiden Texte Webers zusammenfügen, sind Bündel spezieller Leistungen oder Fähigkeiten von Menschen, die ihnen die realistische Aussicht auf ein dauerhaftes Einkommen sichern, weil sich durch die Spezialisierung eine Aufgabe (ob von Gott gestellt, sei offengelassen) besonders effektiv erfüllen lässt, die für (viele) Andere von Nutzen oder Interesse ist.
Legt man dies zugrunde, ist für einen Beruf weiterhin charakteristisch, dass den in ihm Tätigen die jeweilige Aufgabe so bewusst ist, dass sie sich zuverlässig an ihr orientieren, was als Professionalität bezeichnet werden kann. Erst auf Professionalität beruhende Verlässlichkeit der Aufgabenerfüllung kann dauernde Bereitschaft Anderer zu Gegenleistungen und damit eine kontinuierliche Einkommenschance sichern. Moderne, funktional stark ausdifferenzierte Gesellschaften lassen sich als Netzwerke von zahlreichen Berufen beschreiben, die sich auf diese Weise untereinander wechselseitig alimentieren.
Das für Verlässlichkeit und kontinuierliches Einkommen entscheidende Bewusstsein von der Aufgabe eines Berufs kann als professionelle Mentalität oder als Berufsethos bezeichnet werden. Ein Berufsethos überschneidet sich mit der allgemeinen Moral, deckt sich aber nicht mit ihr, weil die verlässliche Konzentration auf eine für Andere wichtige Aufgabe Anforderungen an das Handeln der Berufstätigen stellen kann, die nicht mit der Goldenen Regel (“Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!”) übereinstimmen.37 Die Konzentration auf eine berufliche Aufgabe u. U. auch dort, wo sie der allgemeinen Moral nicht entspricht, stellt eine legitime Variante des Beharrens auf einem leitenden Prinzip dar, für das sich der Begriff der Gesinnungsethik anbietet.
Webers Anfang 1919 in München vor studentischem Publikum gehaltener Vortrag Politik als Beruf ist nur als von ihm nachträglich redigierte und erweiterte stenografische Mitschrift überliefert. Weischenberg würdigt ihn als “wohl bis heute all seine anderen Publikationen an Popularität” Übertreffende (Vermessung 19). Weber äußert sich dort direkt und konkret über den Journalistenberuf.38 Einerseits charakterisiert er ihn, offenbar (noch) in der deutschen Tradition der Gesinnungspublizistik befangen,39 als “wichtigsten heutigen Repräsentanten der Gattung” des politischen Demagogen40; andererseits nimmt er ihn vor seinem geringen sozialen Ansehen als eine “Art von Pariakaste” und gegen “die seltsamsten Vorstellungen” in Schutz, indem er journalistische Verantwortung und Leistung als intellektuell mindestens so anspruchsvoll preist “wie irgendeine Gelehrtenleistung”.41
Bekannter als diese Passagen, die vor allem in der Journalistik Beachtung finden, ist Webers Gegenüberstellung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik im hinteren Teil von Politik als Beruf. Gesinnungsethik, so darf man den Text verstehen, bedeutet, in einer Konfliktsituation ohne Rücksicht auf die konkreten Folgen des eigenen Tuns oder Lassens einem Prinzip, etwa einer beruflichen Aufgabe, kompromisslos treu zu bleiben; Verantwortungsethik dagegen beachtet die konkreten Auswirkungen des eigenen Handelns, um sie verantworten zu können.
Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. (…) Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet – : ‘Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim’, oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.42
Weil Weber das “Problem der Heiligung der Mittel durch den Zweck”43 für letztlich unlösbar erklärt und überwiegend Beispiele aus der Revolutionszeit nach der Kriegsniederlage anführt, die die Inhumanität gesinnungsethischer Prinzipienreiterei vor Augen führen, wird ihm oft einseitiges Engagement für die Verantwortungsethik unterstellt. Das gibt sein Text jedoch nicht her. Man findet dort nicht nur den Satz:
Ob man (…) als Gesinnungsethiker oder als Verantwortungsethiker handeln soll, und wann das eine und das andere, darüber kann man niemandem Vorschriften machen.44
Sondern er hält es auch für
unermeßlich erschütternd (…), wenn ein reifer Mensch (…), der diese Verantwortung für diese Folgen real und mit voller Seele empfindet und verantwortungsethisch handelt, an irgendeinem Punkte sagt: ‘ich kann nicht anders, hier stehe ich’.45
Und aus diesem Beispiel folgert er:
Insofern sind Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den ‘Beruf zu Politik’ haben kann.46
Weber ergreift also nicht Partei für Verantwortungsethik, sondern Verantwortungsethik und Gesinnungsethik sollen sich ihm zufolge wechselseitig zügeln, besonders in politischen Berufen, zu denen er den Journalismus ja zählt.
3. 2. Weischenberg zum Berufsethik-Konzept
Ein langer erster Abschnitt des Vermessungs-Bandes (9-97) befasst sich mit möglichen Beiträgen des Mediensoziologen Max Weber zur Medienethik, worunter Weischenberg nicht nur im Unterkapitel “Eine Berufsethik des Journalismus?” (Vermessung 71-76) vor allem journalistische Berufsethik versteht. Unter dem – nicht mit einem Fragezeichen versehenen – Rubrum “Anschlüsse für eine konstruktivistische Ethik” (Vermessung 65-70) und den vorangehenden “Beobachtungen zum ‘Beobachter'” (Vermessung 62-65) stehen Sätze, die mir als externem Beobachter konstruktivistischer Theoriebildung die fragwürdigsten in Weischenbergs Weber-Bänden erscheinen. Beim “Medien- und Journalismussystem” habe man es, so liest man dort,mit besonderen Verhältnissen [insofern] zu tun, als es einerseits – wie jedes andere soziale System – auf Kommunikation basiert und damit Wirklichkeiten schafft, auf denen es selbstbezogen operiert. Andererseits geht es aber auch mit nichts anderem um als mit Kommunikation bzw. Wirklichkeiten, während z. B. Wirtschaft mit der Zirkulation von Geld beschäftigt ist und Wissenschaft mit der Zirkulation von Hypothesen über die Welt.” (Vermessung 62; Hervorhebung: H.P.)
Es ist schwer einzusehen, warum sich eine Konstruktion durch medial verbreitete journalistische Aussagen von einer solchen durch die Verteilung von Geld oder durch die Zirkulation von Hypothesen über die Welt grundsätzlich unterscheiden soll. Jedenfalls lässt sich die konstruktivistische Prämisse, alle Wirklichkeit sei – individuell oder kulturell – subjektiv konstruiert, es gebe also keine der menschlichen Erkenntnis und Kommunikation gegenübertretende Wirklichkeit, ebenso wenig beweisen wie die alternative Prämisse, es existiere eine z. B. dem Journalismus oder der Wissenschaft vorgegebene Realität, der man, wenn man sie aufgrund der unvermeidlichen Selektivität von subjektiven Wahrnehmungen schon nicht objektiv abzubilden vermag, doch mit Aussagen über sie mehr oder weniger gerecht werden kann. Das allerdings scheint Weischenberg eine Prämisse von minderem Rang zu sein, denn von der konstruktivistischen Annahme aus, dass die Selbstreflexion des Beobachters allein über die Qualität von journalistischen Wahrnehmungen und Aussagen entscheide, mokiert er sich über die realistische Leitidee des kritischen Rationalismus, dass eine vorgegebene Welt existiert, der die menschliche Erkenntnis zwar nicht endgültig habhaft werden, der sie sich aber durch permanente Falsifikationsbemühungen nähern kann:
Praktischer ist es zu postulieren, dass Berichterstattung eine möglichst weitgehende Annäherung an die Ereignisse und damit an ‘die Realität’ zum Ziel hat. Als ideales Rollenbild des Journalisten wird deshalb der ‘Vermittler’ ausgerufen, und so der Erwartungshorizont für die Primärfunktion der Medien beschrieben. Diese Vorstellung von einer Realität außerhalb des Beobachters mag im Journalismus ungebrochen sein (…); vermutlich ist aber vielen Journalisten heute durchaus bewusst, dass (…) es für sie unmöglich ist, Abbilder der Welt zu liefern. (Vermessung 63)
Die Einsicht in die Unmöglichkeit, Abbilder der Welt zu liefern, impliziert freilich nicht zwingend, dass die Weltangemessenheit journalistischer Wahrnehmungen und Aussagen ganz und gar an die Subjektivität des Beobachters, die Beschränktheit seiner Beobachtungen und deren selbstkritische Reflexion gebunden ist. Journalisten, so kann man mit gleichem Recht annehmen, haben eben nicht nur mit kommunikativ konstruierten Wirklichkeiten als Gegenständen zu tun, sondern auch mit Fakten.
Indem Weischenberg einmal mehr die Radikalität des Positivismus und die Radikalität des Konstruktivismus als Alternativen gegenüberstellt, geht ihm die Möglichkeit des von Popper skizzierten Mittelwegs verloren. Wenn der schon “praktischer”, aber nicht weniger beweisbar ist als der konstruktivistische, warum dann unpraktisch und kompliziert, wenn es auch praktischer und einfacher geht? Weil der “radikale” Konstruktivismus, der ohne seine Radikalität als Konstruktivismus gar nicht denkbar wäre, nur von dem auszugehen bereit ist, was sich sicher sagen lässt, nämlich der Beteiligung von Subjektivität an aller menschlichen Erkenntnis und Kommunikation, ist er in gewisser Weise positivistischer als der Positivismus.
Ein Grundproblem des Konstruktivismus ist, dass er Erkenntnis als elementare Beziehung des Menschen zur Welt auf die Figur des Beobachters und dessen Tätigkeit des Beobachtens reduziert. Menschen beobachten die Welt aber nicht nur, sie stellen Lebensmittel aus ihr her, sie leiden an ihr, und das ist nicht ohne Bedeutung für Sinn und Qualität von Kommunikationsinhalten. Seit Eva und Adam vom Baum der Erkenntnis aßen, müssen Menschen im Schweiße ihres Angesichts mit der Welt zurechtkommen. Erkenntnis und Arbeit hängen zusammen.
Jürgen Habermas hat in seiner Frankfurter Antrittsvorlesung von 1965 Grundlegendes über den Zusammenhang von Erkenntnis und Interesse47 gesagt, wobei es ihm um gesellschaftliche Interessen an drei Leistungen von Wissenschaft ging:
Informationen, die unsere technische Verfügungsgewalt erweitern; Interpretationen, die eine Orientierung des Handelns unter gemeinsamen Traditionen ermöglichen; und Analysen, die das Bewußtsein aus der Abhängigkeit von hypostasierten Gewalten lösen.48
Diese “erkenntnisleitenden Interessen bilden sich im Medium von Arbeit, Sprache und Herrschaft.”49 Das technische an Erleichterung der Arbeit ist die Aufgabe der empirisch-nomologischen Naturwissenschaften; das praktische an kultureller Verständigung die der historisch-hermeneutischen Geisteswissenschaften; und das emanzipatorische an Befreiung von sozialen Zwängen die der kritisch-analytischen Gesellschaftswissenschaften. “Der ontologische Schein reiner Theorie, hinter dem die erkenntnisleitenden Interessen verschwinden, (…) fällt dem verdrängten Äußeren anheim und wird ideologisch.”50 Das schreibt Habermas der konstruktivistischen Erkenntnistheorie schon 1965 ins Stammbuch. Ist es Zufall, dass Weischenberg diese Publikation, die in der jungakademischen Bewegung der Jahre um 1968 kursierte, mit keinem Wort erwähnt? Wohl kaum – zählt doch Habermas neben Luhmann und Bourdieu zu den intensiv beachteten Theoretikern, zu deren Ideen er Webers Werk in Beziehung setzt.
Ob und wie Menschen mit der Welt zurechtkommen, hängt allerdings nicht zuletzt von der Menge und Qualität ihrer Beobachtungen und deren Vermittlung ab: in modernen, aufgrund ihrer Komplexität von vielfältigen Kommunikationsbarrieren durchzogenen Gesellschaften nicht zuletzt davon, ob sie genügend Informationen erhalten, die, zumal sie sich oft der Kontrolle durch unmittelbare Erfahrung entziehen, möglichst richtig und wichtig, also der Welt, mit der das Publikum zurechtkommen muss, angemessen sind: Ob und wie das Publikum mit der Welt zurechtkommt, hängt in modernen Gesellschaften nicht zuletzt von Qualität und Quantität der journalistischen Information ab.
Wo es um Journalismus und journalistische Berufsbildung geht, ist daher Skepsis gegenüber konstruktivistischen Überzeugungen besonders am Platz. Journalisten müssen nicht nur nach den Bedingungen ihrer subjektiven Wahrnehmung fragen, sondern auch danach, wie die Welt ihrer Gegenstände beschaffen ist. Die erste und wichtigste berufsethische Forderung an Journalisten ist, dass ihre Informationen stimmen. Wer nur nach dem subjektiven Anteil daran fragt, relativiert dieses professionelle Grundgebot. Im Konstruktivismus, der die Existenz von Objekten prinzipiell bezweifelt, weil wir nur ihrer subjektiven Konstruktion sicher sein können, verschwindet die Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt von Kommunikation, die Dialektik von Erkenntnisprozessen nicht weniger als im Positivismus, der Objektivität ohne subjektive “Verzerrungen” grundsätzlich für möglich (und in den nach seinen methodologischen Regeln zustande gekommenen Fällen auch für gegeben) hält.
In dem Abschnitt, in dem er Weber als einen Produzenten von “’Vorläufer-Kommunikation’” (Vermessung 64) der konstruktivistischen Erkenntnistheorie konstruiert, stützt Weischenberg sich unter zusätzlichem Rückgriff auf seinen eigenen Entzauberungs-Band (dort 19f.) auf eine einzige Stelle aus Webers berühmtem Traktat über Objektivität aus den Gesammelten Aufsätzen zur Wissenschaftslehre. Dort bezeichnet Weber es als
Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforstung ablesen können, sondern ihn selbst zu schaffen im Stande sein”51
müssten. Das wird von Weber allerdings nicht über Entstehungspotentiale wissenschaftlicher Erkenntnis oder journalistischer Information gesagt, sondern eben über den “Sinn des Weltgeschehens” oder, wie Weischenberg treffend extrapoliert, über “Weltanschauungen” (Vermessung 64). Damit erweist sich Weber hier wie in anderen Texten als Kritiker essentialistischer Geschichtsphilosophie etwa eines Hegel oder Marx, die Objektivitätsansprüche für den von ihnen “selbst” konstruierten Sinn im Ablauf des Weltgeschehens erheben. Aber gerade das zeigt Weber ja als den auf systematische Empirie als den Königsweg wissenschaftlicher Wahrheitsannäherung pochenden Realisten, als den Weischenberg ihn aufs Ganze gesehen auch porträtiert.
Empirismus und Konstruktivismus schließen einander nicht aus. Aber sie sind auch nicht, wie etwa Konstruktivismus und Systemtheorie durch ihren gemeinsamen Fokus auf Selbstreferenz, aufgrund ihrer zentralen Prämissen automatisch Verbündete, sondern müssen ihre Übereinstimmungen suchen. Übereinstimmung des Empirie-affinen Klassikers Weber mit dem Konstruktivismus lässt sich aber noch nicht durch Weischenbergs Hinweis herstellen, dass Weber “’Objektivität’ (…) grundsätzlich in Anführungszeichen gesetzt” hat (Vermessung 64). Erstens relativiert Weischenberg diese Feststellung selbst, indem er en passant Webers stilistische Besonderheit erwähnt, mit Anführungszeichen nicht zu sparen; zweitens heißt “grundsätzlich” hier keineswegs immer, denn Weber schreibt von Objektivität auch ohne Anführungszeichen; und drittens: Selbst wenn Weber “Objektivität” stets mit Anführungen versehen hätte, könnte das auch bedeuten, dass er zwar Objektivität in der menschlichen Erkenntnis und Kommunikation nicht für substantiell erreichbar hielt, aber durchaus annahm, dass Realität objektiv existiert und Menschen mit ihr zurecht kommen müssen – auch wenn wissenschaftliche Erkenntnis sich ihr allenfalls annähern, sie aber sogar für einzelne Erkenntnisakte nicht ein für allemal beanspruchen kann.
Dazu sei über den Plan zur Presse-Enquête hinaus auf Webers realisierte statistische und empirische Untersuchungen hingewiesen, etwa zum damals virulenten Problem der prekären Lage der ostelbischen Landarbeiter;52 auch in zahlreichen Passagen seiner methodologischen Schriften erweist er sich als genuiner, um den Beitrag der Wissenschaft zum Zurechtkommen mit vorgegebenen Realitäten bemühter Realist, der (noch) keiner erkenntnistheoretischen Grundposition, weder Positivismus noch Konstruktivismus, zuzurechnen ist.
Näher läge die Konstruktion eines Urhebers von konstruktivistischer Vorläufer-Kommunikation bei einem anderen Klassiker. Immanuel Kant hat allerdings nicht nur die Kritik der reinen Vernunft (1781) geschrieben, sondern auch eine Kritik der praktischen Vernunft (1788).53 Zusammen mit einer Reihe weiterer Schriften, etwa der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) oder Zum Ewigen Frieden (1795),54 hält sie Kants Vorstellungen zur Ethik fest. Sie haben zusammen mit seiner Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie nicht nur die Aufklärung in Deutschland vollendet, sondern auch den von Hegel und – auf die Füße gestellt – von Marx radikalisierten “deutschen Idealismus” begründet.
Interessanterweise geht Weischenberg mehr im Zusammenhang der praktischen Vernunft (Ethik) als dem der konstruktivistischen Erkenntnistheorie auf das Verhältnis der Weberschen zur Kantischen Ideenwelt ein, und zwar mit der plausiblen, explizit nur referierend vorgetragenen These einer tiefgreifenden Divergenz, die Weber jedoch implizit den Vorzug gibt. Kant, so darf man Weischenberg zuspitzend interpretieren, war ein pietistisch geprägter Prinzipienreiter, der, am deutlichsten im kategorischen Imperativ55,
nur universalisierbares Handeln akzeptiert (…) als moralisches Handeln. Das Verhalten soll an Prinzipien ausgerichtet sein, die wir als allgemeine Regeln wünschen, und zwar ohne Berücksichtigung der Umstände und ohne Ausnahme. (Vermessung 50).
Die von Kant entworfene Ethik ist demnach Gesinnungsethik par excellence, der die von Weber geforderte Zügelung durch Verantwortungsethik fremd ist.
Auf dieses in der Tradition des deutschen Idealismus angelegte Problem, in die Max Weber nicht recht passen will, hat schon Hannah Arendt am Beispiel der Rechtfertigungsversuche des Angeklagten im Jerusalemer Eichmann-Prozess hingewiesen, den sie für die Zeitschrift The New Yorker beobachtet hat.56 Der hunderttausendfache Mörder Adolf Eichmann hat sich vor dem israelischen Gericht dem eigenen Verbrechen und seiner Bestrafung durch den Hinweis auf einen angeblichen Befehlsnotstand zu entziehen versucht, dessen Unentrinnbarkeit er notorisch mit dem kategorischen Imperativ begründet hat. Arendt hat dazu bemerkt, dass diese Rechtfertigung – trotz Kants Aufruf zum Gebrauch des eigenen Verstandes – nicht völlig unbegründet sei, da im kategorischen Imperativ ja auch die Idee einer (mehr oder weniger kritiklosen) Identifikation mit dem Gesetz(geber) angelegt sei, die von den konkreten Folgen eines gesetz- und prinzipienkonformen Handelns – in diesem Fall Millionen von Toten in den Vernichtungslagern – absehe.57
Arendts Bemerkung passt zu Webers Postulat einer gegenseitigen Begrenzung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik. In diesem Fall geht es nicht um die Zügelung der Verantwortungsethik durch Gesinnungstreue, wenn nämlich scheinbares Verantwortungsbewusstsein in puren Opportunismus umschlägt.58 Hier geht es um den umgekehrten Fall der Zügelung ideologisch ausufernder Prinzipientreue durch eine Berücksichtigung konkreter Auswirkungen von Handlung(sweis)en. Weber hätte Eichmann antworten können, dass in der Abwägung zwischen Gesetzes- und Befehlstreue einerseits und wahrnehmbarem Leid diesen Ausmaßes andererseits Gesetz und Befehl hätten übertreten werden müssen – wozu Verantwortungsethik legitimiert.59
Weischenberg demonstriert die Problematik ungezügelter Gesinnungsethik an einem weniger drastischen, dafür berufsethisch einschlägigen Beispiel: “Im Journalismus wäre z. B. jede Art von Täuschung bei der Recherche nicht akzeptabel, auch wenn daraus wichtige Enthüllungen resultieren würden.” (Vermessung 50) Der journalistische Verhaltenskodex des Deutschen Presserats lässt an dieser Stelle Ausnahmen zu. Er erklärt verdeckte Recherche zwar grundsätzlich für illegitim, aber unter zwei Bedingungen kann sie gerechtfertigt sein: Wenn die Information, um die es geht, von besonderem öffentlichen Interesse ist und wenn sie sich auf anderem Wege nicht beschaffen lässt.60
Solche Ausnahmeregelungen sind für Bereichs- und Berufsethiken charakteristisch, weil sie im konkreten Einzelfall ein Abwägen erfordern zwischen der allgemeinen Moral, in diesem Fall der grundsätzlichen Illegitimität von Täuschungen, und der beruflichen Aufgabe, in diesem Fall dem Herstellen von gesellschaftlicher Transparenz. Max Webers Auffassung vom Journalismus als einem in die politische Auseinandersetzung um die Macht integrierten Beruf ist überholt, seitdem sich auch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg das angelsächsische Modell des Journalismus als unabhängiges Gegenüber der Politik an der institutionellen Oberfläche durchgesetzt hat. Da Weber die Idee der gegenseitigen Zügelung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik in Politik als Beruf auf die Politik bezieht, erlaubt uns seine überholte Auffassung vom Journalismus aber immerhin, diese Idee auch innerhalb seiner Vorstellungswelt auf den Journalismus und seine Berufsethik anzuwenden.
3. 3. Was lässt sich mit dem Berufsethik-Konzept anfangen?
Webers Berufs- und Ethik-Konzept kann besonders für Journalisten in der Mediengesellschaft wichtig sein. Denn eine stärkere Orientierung daran könnte eine abwägende Grundhaltung fördern, die der Journalismus je mehr braucht, desto häufiger und stärker er zur strukturellen Bedingung dessen wird, was in der realen Welt geschieht. Vieles in der Mediengesellschaft geschieht ja nur deshalb, weil oder damit darüber berichtet wird. Das reicht von der Inszenierung und Wiederholung öffentlicher Rituale für die Kamera bis zu Amokläufen und politisch motivierten Terrorakten. Dürfen Journalisten (noch) Verantwortung für solche Folgen ihres Tuns oder Lassens ablehnen, indem sie sich gesinnungsethisch auf das traditionelle Selbstbild des unbeteiligten Beobachters berufen?
Für die externe Beobachtung konstruktivistischer Erkenntnistheorie, die in der Ignoranz gegenüber den in Beobachtungen enthaltenen Faktizitäten, auch der Faktizität ungewollter journalistischer Realitätserzeugung, deren blinden Fleck erkennt, ist die von Webers Ethik-Konzept implizierte Aufforderung zu abwägender Selbstreflexion von besonderem Wert. Im journalistischen Alltag und der für ihn qualifizierenden Berufsbildung kann selbstreflexives Abwägen z. B. Sensibilität für Instrumentalisierungen durch Ereignisinszenierungen von interessierter Seite fördern und zur Vorsicht bei und in Extremfällen sogar zum Verzicht auf Berichterstattung über solche Vorgänge führen.
Gesinnungsethik und “Wertrationalität”, wie es Weber an anderer Stelle nennt, zeichnen sich durch signifikante Beharrlichkeit des Festhaltens an einmal formulierten Prinzipien und Werten aus. Sie orientieren sich daher meist an traditionellen, aus näherer oder fernerer Vergangenheit übernommenen Grundsätzen und Regeln. In der Zeit des digitalen Umbruchs, in der auch der Journalismus und seine Regeln sich fundamental verändern (müssen), kann Webers liberales, auf Eigenverantwortlichkeit setzendes und daher Raum für Flexibilität lassendes Ethik-Konzept besondere Bedeutung gewinnen.
Freilich: Wie soll man wissen, bevor man eine Information hat, ob sie von “besonderem öffentlichen Interesse” ist und ohne verdeckte Recherche nicht zu erlangen wäre? Wie soll man als Journalist abschätzen können, ob die eigene Anwesenheit eine Situation wesentlich verändert? Und lässt sich der Wandel des Journalismus in der digitalen Medienwelt auch nur annähernd prognostizieren? Zügelung von Gesinnungs- durch Verantwortungsethik ist in hochkomplexen Gesellschaften mit dem Problem konfrontiert, dass dort Folgen von eigenen Handlungen oft kaum absehbar sind, weil sie erst nach langwierigen, außerordentlich schwer abschätzbaren Transformationsprozessen zeitversetzt sichtbar werden. Dass z. B. Individuen aufgrund ihres persönlichen Energieverbrauchs Verantwortung für den Klimawandel als dessen Folge übernehmen, wird außerdem durch die naheliegende Befürchtung erschwert, dass diese Verantwortungsübernahme ins Leere ginge, weil auch Millionen andere sie vollziehen müssten, damit die globalen Handlungsfolgen tatsächlich vermieden werden.
Wenn es aufgrund der Undurchschaubarkeit von Handlungsfolgen und den damit verbundenen Defiziten an Verantwortungsbewusstsein in modernen Gesellschaften zu einem charakteristischen Interaktionsmangel zwischen Personen(-gruppen) und Institutionen sowie einem daraus folgenden Versagen sozialer Selbstregulierungsmechanismen kommt,61 ergibt sich daraus für den Journalismus eine (neue) Aufgabe. Ihre Erfüllung ist ausschlaggebend für die Problembewältigungskapazität und damit den Zusammenhalt solcher Gesellschaften, zumal andere Institutionen und Berufe wie Schule oder Politik an ihr mitwirken: Von Journalisten hergestellte Öffentlichkeit darf sich nicht (mehr) auf bereits geschehene Ereignisse beschränken, sondern sollte – im Sinne eines weiter pluralistischen, diskursiven Meinungsangebots – auch mögliche Auswirkungen diverser Handlungsweisen beim Warenkonsum, beim Wählen, beim Ein- und Ausschalten technischer Geräte usw. ins Auge fassen. Von Journalisten hergestellte Transparenz möglicher Handlungsfolgen kann das Verantwortungsbewusstsein von Bürgern und Konsumenten stärken und so zur Funktionstüchtigkeit von demokratischen Entscheidungsprozessen, freien Märkten und anderen gesellschaftlichen Selbstregulierungsmechanismen beitragen. So kann auch der für den Journalismus von jeher ausschlaggebende Begriff der Aufklärung zeitgemäß konkretisiert und mit neuen Inhalten gefüllt werden.
Er liefe dann auf die Entzauberung nicht (nur) der Medienwelt, sondern der anthropogenen Sozialwelt überhaupt durch aufklärenden Journalismus hinaus. Zu behaupten, Max Weber hätte dies bereits erkannt, wäre allerdings verwegen, denn es erfordert ein anderes Konzept der Unterscheidung von Handlungsweisen als seine Typologie von Rationalitäten.
4. Max Webers Rationalitätentypologie als Impuls für Kommunikator- und Rezeptionsstudien
Webers Tableau von Handlungsweisen und Rationalitätentypen erscheint für Journalistik und Kommunikationswissenschaft entwicklungsbedürftig. In dem dafür aufschlussreichsten Text kommen Medien oder Journalismus nicht vor. Es handelt sich um die Ouvertüre zu Wirtschaft und Gesellschaft, die unter dem Titel Soziologische Grundbegriffe auch als eigenständiger Sonderdruck publiziert wird. Mein mit Markierungen versehenes Exemplar ist 1966 bei Mohr Siebeck als “2., durchgesehene Auflage” erschienen.62 Die Anschaffung angeregt hat damals eine Vorlesung Eduard Heimanns über “Sinn und Tragik der modernen Wirtschaftsgesellschaft”, die ich laut aufbewahrtem Studienbuch im Winter 1964/65 an der Universität Hamburg gehört habe und in der viel und lebhaft von Webers Thesen über den Zusammenhang von Protestantismus und Kapitalismus die Rede war. Erscheinungsjahr wie Heimanns Vorlesung zeigen, dass Max Weber auch schon in den 1960er Jahren in soziologischer Lehre und Forschung präsent war – und nicht erst, wie manchmal behauptet, erst seit den 1980er Jahren wieder entdeckt werden musste.
4. 1. Rationalitäts-Typen als Typen sozialen Handelns
Strukturbildend für Webers Werk, das dadurch zu einem zwar weit verzweigten, aber zusammenhängenden Gedankengebilde wird, ist der Begriff des sozialen Handelns, das die von ihm ins Auge gefasste Soziologie “in seinem Ablauf und seinen Wirkungen” verstehen und erklären soll:
’Handeln’ soll (…) ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ‘Soziales’ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.63
Weber grenzt damit die empirische Sozialwissenschaft von “dogmatischen” Disziplinen wie “Jurisprudenz, Logik, Ethik, Ästhetik” ab, denn mit “Sinn” wird von ihm ausdrücklich “nicht etwa irgendein objektiv ‘richtiger’ oder ein metaphysisch ergründeter ‘wahrer’ Sinn” gemeint, sondern “der tatsächlich (…) von dem oder den (…) Handelnden subjektiv gemeinte Sinn.”64
Diese Definition impliziert zweifellos eine Differenz zu dem sozialwissenschaftlichen Denkansatz, dem es um den objektiven Sinn von Handlungsweisen für soziale Systeme geht und der deshalb als “Systemtheorie” bezeichnet wird. Wenn diese von Talcott Parsons und später von Niklas Luhmann geprägte “Schule” sich von der Handlungstheorie abgrenzt, halten ihre Schüler der in der Regel vor, nur Individuen und deren subjektiv sinnhaftes Verhalten in Betracht ziehen zu können.65 Dass dieser Einwand auf Webers Entwurf nicht zutrifft, geht aus einem der folgenden Paragraphen der Soziologischen Grundbegriffe hervor:
Es lassen sich innerhalb des sozialen Handelns tatsächliche Regelmäßigkeiten beobachten, d. h. in einem typisch gleichartig gemeinten Sinn beim gleichen Handelnden sich wiederholende oder (eventuell auch: zugleich) bei zahlreichen Handelnden verbreitete Abläufe von Handeln. Mit diesen Typen des Ablaufs von Handeln befasst sich die Soziologie, im Gegensatz zur Geschichte als der kausalen Zurechnung wichtiger, d. h. schicksalhafter, Einzelzusammenhänge. 66
Die verstehende Soziologie befasst sich nach Weber also nicht mit individuellen Handlungen, sondern mit – im Wesentlichen kollektiven – Regelmäßigkeiten, Mustern des Handelns, die dessen Erwartbarkeit als gesellschaftskonstituierende Qualität ausmachen und durch eine Reihe vor allem sozio-kultureller, normierter und nicht-normierter Mechanismen (Brauch, Konvention, Sitte, Recht, typische Interessenlagen usw.) erzeugt werden,67 die Weber großenteils in den Grundbegriffen definiert und in ihrer Wirkungsweise erläutert. 68
Die feststellbare Substanz sozialer Gebilde und Institutionen besteht für Weber aus solchen Handlungsweisen. Das wird aus den Beispielen deutlich, mit dem er im gern übersehenen Kleingedruckten in den Soziologischen Grundbegriffen seine Definitionen erläutert.
Wenn sie [die Soziologie] von ‘Staat’ oder von ‘Nation’ oder von ‘Aktiengesellschaft’ oder von ‘Familie’ oder von ‘Armeekorps’ oder von ähnlichen ‘Gebilden’ spricht, so meint sie damit (…) lediglich einen bestimmt gearteten Ablauf tatsächlichen, oder als möglich konstruierten sozialen Handelns (…). Die Deutung des Handelns muss von der grundlegend wichtigen Tatsache Notiz nehmen: daß jene (…) Kollektivgebilde Vorstellungen von etwas teils Seiendem, teils Geltensollendem in den Köpfen realer Menschen (der Richter und Beamten nicht nur, sondern auch des ‘Publikums’) sind, an denen sich deren Handeln orientiert (…). Ein moderner ‘Staat’ besteht zum nicht unerheblichen Teil deshalb (…), weil bestimmte Menschen ihr Handeln an der Vorstellung orientieren, daß er bestehe oder so bestehen solle.69
Mit anderen Worten: Soziale Gebilde und Institutionen sind nach Weber vor allem aus den Mustern des subjektiv gemeinten Sinns zu erklären und zu verstehen, den viele Menschen ihrem sozialen Handeln unterlegen. Dass sich daraus die erwähnte Differenz zur struktur-funktionalistischen Systemtheorie ergibt, wird an anderer Stelle in Webers Kleingedrucktem klar:
Wir sind bei ‘sozialen Gebilden’ (…) in der Lage: über die bloße Feststellung von funktionellen Zusammenhängen und Regeln (‘Gesetzen’) hinaus (…) etwas aller ‘Naturwissenschaft’ (im Sinne der Aufstellung von Kausalregeln für Geschehnisse und Gebilde und der ‘Erklärung’ der Einzelgeschehnisse daraus) ewig Unzugängliches zu leisten: eben das ‘Verstehen’ des Verhaltens der beteiligten Einzelnen, während wir das Verhalten z. B. von Zellen nicht ‘verstehen’, sondern nur funktionell erfassen und dann nach Regeln seines Ablaufs feststellen können. Diese Mehrleistung der deutenden gegenüber der beobachtenden Erklärung ist freilich durch den wesentlich hypothetischeren (…) Charakter der durch Deutung zu gewinnenden Ergebnisse erkauft. Aber dennoch: sie ist gerade das dem soziologischen Erkennen Spezifische.70
Ein Grund für die Entscheidung, von diesem Konzept Webers auszugehen, kann die Einsicht sein, dass darin der Begriff des subjektiven Sinns die Möglichkeit von kollektiven Täuschungen und der Begriff des Verstehens ideologiekritische Deutungen nicht ausschließt. Die potentiell ideologiekritische Komponente geht auch aus Webers Hinweis hervor, dass soziale Handlungsweisen sich auf früheres oder zukünftiges, also erwartetes Verhalten Anderer beziehen können, so dass z. B. Umgangsweisen mit Kulturprodukten wie dem Geld (oder den Medien!), die – möglicherweise falsche – Erwartungen an das Verhalten Anderer konstituieren, durchaus zu den Gegenständen der “verstehenden Soziologie” gehören.
Soziales Handeln (…) kann orientiert werden am vergangenen, gegenwärtigen oder für künftig erwarteten Verhalten anderer (…) ‘Geld’ z. B. bedeutet ein Tauschgut, welches der Handelnde beim Tausch deshalb annimmt, weil er sein Handeln an der Erwartung orientiert, dass sehr zahlreiche, aber unbekannte und unbestimmt viele Andre es ihrerseits künftig in Tausch zu nehmen bereit sein werden.71
Das ideologiekritische Potential seiner “verstehenden Soziologie”72 wird von Weber auch explizit angesprochen, wenn er betont, dass “auch solche ‘Irrtümer’ (…), denen wir selbst zugänglich sind oder deren Entstehung einfühlend erlebbar gemacht werden kann”, mit einer “für unser Bedürfnis nach Erklärung hinlänglichen Evidenz” soziologisch verstehbar seien. Allerdings besitze nur die “Deutung eines (…) rational orientierten Zweckhandelns (…) für das Verständnis der angewendeten Mittel (…) das Höchstmaß von Evidenz.”73
Die letzte Bemerkung weist auf Webers Typologie von Handlungsweisen hin, die seiner mehr oder weniger kritischen, jedenfalls melancholischen Analyse der Moderne zugrunde liegt:
Wie jedes Handeln kann auch das soziale Handeln bestimmt sein 1. zweckrational: durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen (…) als ‘Mittel’ für rational, als Erfolg erstrebte und abgewogene eigene Zwecke, – 2. wertrational: durch bewußten Glauben an den (…) unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg, – 3. affektuell, insbesondere emotional (…), – 4. traditional: durch eingelebte Gewohnheit.74
Grob gesagt erkennt Weber mit Hilfe dieser Typologie (und bedauert es), dass die Moderne durch eine Zunahme (und wohl auch einen Überhang) an zweckrationalen, zwar effizienzsteigernden, aber auf die Reflexion des Sinns von Zielen verzichtenden Handlungsweisen charakterisiert sei. Die Ambivalenz seiner Position dazu kommt in Webers Begriff der “Entzauberung” zum Ausdruck, den Weischenberg in seinem ersten Weber-Band auf die moderne Medienwelt bezieht.
4. 2. Weischenberg zum Entzauberungs-Begriff
Webers Tenor vom Prozess unerbittlich entzaubernder Zweckrationalität, die den Menschen in ein “stahlhartes Gehäuse”75 einzwänge, wendet sich Weischenberg am intensivsten im Kapitel “Wissenschaftslehre und wissenschaftliches Erbe” des “Entzauberungs”-Bandes (S. 165-273) zu. Er rekonstruiert die zwischen Gesellschaftsanalyse und Geschichtsphilosophie schwingende Grundthese des Klassikers, indem er sie aus den Perspektiven ihrer Rezeption durch Talcott Parsons, Niklas Luhmann, Pierre Bourdieu und Jürgen Habermas beleuchtet. Zu den Gründen für Webers Bedauern ist der Abschnitt über “Jürgen Habermas und Max Weber” (Entzauberung 195-207) besonders aufschlussreich.
Zunächst stellt Weischenberg Übereinstimmungen zwischen Habermas und Weber in deren faktischen Analysen der modernen Gesellschaft fest, wobei es auch hier offenbar nicht ohne Luhmann abgehen kann:
Habermas stellt Webers zentrale These, dass die moderne Gesellschaft einen Rationalisierungsprozess durchlaufen habe, der – alles in allem – zur Entzauberung der Welt führte, nicht in Abrede; die funktional ausdifferenzierte Gesellschaft, die Luhmann filigran in ihre subsystemischen, sich selbst steuernden Einzelteile zerlegt, deckt sich insofern mit seiner eigenen Sozialanalyse. (Entzauberung 196)
Ein analytisches Hinausgehen über Webers Sicht auf die Moderne zeige sich bei Habermas erst bei dessen Versuch, Webers Bedauern über den Rationalisierungsprozess in Begriffe vom dem zu überführen, was in der kapitalistischen Moderne bedroht oder schon verloren ist. In diesem Zusammenhang weist Weischenberg in einer etwas kryptischen Formulierung auf Habermas’ Gegenüberstellung von System und Lebenswelt hin:
Mit Weber und gegen Weber (und Luhmann) beharrt er [Habermas] aber darauf, dass es neben diesem vor allem kapitalistisch und administrativ festgezurrten Bereich einen zweiten gibt, den er in Abgrenzung vom System Lebenswelt nennt; (Entzauberung 196)
Im Folgenden erläutert Weischenberg, was Habermas unter der aus verständigungsorientierter Kommunikation von Subjekten gespeisten wie auf sie gerichteten Lebenswelt versteht. Er referiert (Entzauberung 207ff.), dass Habermas dabei vor allem auf “kommunikative Vernunft” setzt. In der Journalistik hat sich daraus eine Theorie des “diskursiven Journalismus”76 entwickelt, dessen Sinn, so ließe sich mit Habermas formulieren, darin besteht, durch freies, aber rationales, d. h. nur an Vernunft und Logik gebundenes Argumentieren in der Berichterstattung den Anschluss der Lebenswelt an das Gehäuse des kapitalistischen Systems herzustellen.77
Bezeichnend für Weischenbergs Rekonstruktion der gern übersehenen, aber evidenten, von Habermas selbst betonten Übereinstimmungen zwischen der Theorie des kommunikativen Handelns78 mit ihrem lebensweltlichen Akzent und Webers Charakterisierung der Moderne durch die Entzauberungs-Metapher: dass sie die Gefangenheit beider Konzepte im Bannkreis einer Fixierung auf einen bestimmten Inhalt des Sinns von Handlungsweisen zeigt. Diese Substanz wird als “Rationalität” bezeichnet und soll zu vernünftiger öffentlicher Meinung, zu einem von der Allgemeinheit geteilten und in ihrem Interesse liegenden Konsens führen können. Tatsächlich spricht noch aus der durch sein Werk schimmernden Bewunderung Max Webers für das persönliche Charisma als einzigem, aber letztlich doch nicht wünschbaren und insofern auch hilflosen Gegenmittel zum Gehäuse der Systemnotwendigkeiten der Glaube an die Macht der Rationalität und damit eine Fixierung auf die Frage, welche inhaltlichen Muster von “subjektiv gemeintem Sinn” die für moderne Gesellschaften typischen Handlungsweisen begleiten.
Die Konzentration auf Rationalität als Substanz von Handlungssinn steckt schon in Webers Instrument zur Bildung von Erkenntnissen über die Moderne, eben seiner (Ideal-)Typologie von Handlungsweisen in den “Grundbegriffen”, und ist durch deren verbreitete Rezeption in den Sozialwissenschaften zementiert worden. Während über affektuelles und traditionales Handeln weder theoretisch noch empirisch nennenswert gearbeitet wird, hat die Unterscheidung von Zweck- und Wertrationalität zu intensiven Auseinandersetzungen geführt. Besonders Stimmen, die Webers Seitenblick auf die Schattenseiten der Moderne wenig und dessen Kritikpotential gar nichts abgewinnen können, äußern den Einwand, im Grunde sei eine klare Unterscheidung der beiden Rationalitätstypen Webers kaum möglich. Denn meistens ließe sich ja gar nicht entscheiden, ob tatsächlich an Werten um ihrer selbst willen festgehalten werde oder nicht auch dabei äußere Zwecke wie Ansehen oder Selbstachtung eine Rolle spielten. Auch wenn man im Grad der Beharrlichkeit des Festhaltens an Werten ein Kriterium zur Unterscheidung der beiden Idealtypen von Handlungsweisen erkennt, wird man einräumen müssen, dass dessen Anwendung bei der Analyse gesellschaftlicher Realität schwierig ist, weil die beiden Typen im konkreten (individuellen oder kulturellen) Fall ineinander übergehen (können).
4. 3. Lässt sich das Konzept des sozialen Handelns für die Journalistik modifizieren?
Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, ob Webers Grundbegriff der (sozialen) Handlungsweisen nicht auch auf andere Weise ausdifferenziert werden kann als durch seine Unterscheidung von Rationalitätstypen. Lässt sich das Konzept modifizieren, um einen anderen, vielleicht klareren Blick auf die Pathologien der Moderne und deren Therapie zu gewinnen? Lässt sich daraus vielleicht auch eine andere Sicht auf die Rolle der Medien für die Pathologien wie für deren Therapie ableiten?
Es liegt nahe, unter Betonung der sozialen Komponente in Webers Konzept eines Handelns, das “seinem gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen und daran in seinem Ablauf orientiert” ist, auch einmal nach der Art und Weise, der Modalität zu fragen, in der solcher Sinn eigenes Handeln auf das Verhalten Anderer bezieht.79 Eine mögliche Alternative ist dabei, ob das Verhalten des oder der Anderen – etwa im Sinne der Nachahmung eines Vorbilds oder im Sinne der Ablehnung eines abschreckenden Beispiels – nur als gegebene Bedingung des eigenen Handelns gesehen wird oder ob es als etwas gilt, das durch das eigene Handeln verändert werden, für das das eigene Handeln Folgen haben kann. Im ersten Fall liegt der Begriff der rezeptiven Handlungsweise nahe, im zweiten der der Folgenreflexivität. Interaktion kann auf dieser Grundlage als soziale Beziehung verstanden werden, in der beide Seiten folgenreflexiv handeln.
Dem Menschen als einem Wesen, das darauf angewiesen ist, seine Welt selbst herzustellen, wohnt ein fundamentales Bedürfnis nach Folgenreflexivität inne. Aber moderne Gesellschaften, deren zentrales Merkmal auch nach Weber “stahlharte Gehäuse”, z. B. bürokratische Apparate sind, frustrieren das Verlangen nach Folgenreflexivität notorisch, weil Bürokratien ähnlich wie Maschinen auf ihre Eigengesetzlichkeit pochen. Zwischen Institutionen moderner Gesellschaften und ihrem Publikum herrscht demnach ein notorisches Defizit an Interaktion. Unter der weithin geteilten Annahme, dass Interaktionen relevante Potentiale für soziale Selbstregulierung enthalten, ist daher für moderne, hochkomplexe und bürokratisierte Gesellschaften ein notorisches Defizit an Selbstregulierung charakteristisch.
So weit eine aus einer Modifikation der Weberschen Typologie von Handlungsweisen ableitbare Sozialpathologie der Moderne. Eine mögliche Aufgabe für Medien bei deren Therapie wurde schon erwähnt: Auch in modernen Gesellschaften sind Handlungsweisen tatsächlich keineswegs folgenlos für Institutionen und Makrostrukturen. Das Konsumverhalten wirkt sich auf das Konsumgüterangebot aus, seine Folgen reichen bis zum Klimawandel; das kollektive, von Publikumsmehrheiten an den Tag gelegte Rezeptionsverhalten steuert die Programmangebote der Medien usw. Damit solche Folgen in den gemeinten Sinn kollektiver Handlungsweisen eingehen können, die moderne Gesellschaften konstituieren, müssen sie durchschaubar gemacht werden.
Abgesehen von dem Wandel, den diese Aufgabe für das professionelle Selbstverständnis und die berufsethischen Regeln des Journalismus mit sich bringt (vgl. Abschnitt 3.3.), ergeben sich aus der skizzierten Konstellation für Journalistik und Kommunikationsforschung auch bei der Diagnose neue Fragestellungen. Medien können Regulierungsdefizite, die aus der institutionalisierten Zurückweisung von Folgenreflexivität herrühren, verfestigen, indem sie – etwa durch Gewinnspiele u. ä. – pseudosoziale Handlungsfolgen vortäuschen und so das Interaktionsbedürfnis kompensatorisch stilllegen. Bisher werden solche problematischen Handlungsweisen in der Kommunikatorforschung wenig beachtet. Und in Alltagssprache wie Medienpraxis und -forschung herrschen ungenaue, über das Interaktionsdefizit hinwegtäuschende Begriffe von “Interaktivität” vor.80 Ist damit, dass die Grenze zwischen Kommunikator- und Rezipientenrollen in der digitalen Medienwelt verwischt, tatsächlich eine Zunahme an selbstregulierender Folgenreflexivität verbunden? Offenbar weist die skizzierte Weiterentwicklung der Weberschen Begrifflichkeit auf brachliegende Felder von Kommunikations- und Journalismusforschung hin. Ein Erbe Max Webers bleibt dabei, dass auf diesen Feldern systematisch-empirisch nach Regelmäßigkeiten des “gemeinten Sinns”, nach Mustern subjektiver Motivationen einschließlich möglicher kollektiver Täuschungen gefragt wird, die Kommunikatoren oder Rezipienten ihrem Medienhandeln unterlegen.
Das wäre ein Stück Entzauberung der Medienwelt durch ihre Vermessung, durch Medienforschung, das Siegfried Weischenberg – in variabler Konkretisierung – mit den beiden Weber-Bänden auch im Auge gehabt haben kann.
5. Der Klassiker Max Weber – was können Journalistik und Kommunikationswissenschaft mit ihm anfangen?
Fassen wir zusammen, was Journalistik und Kommunikationswissenschaft von dem sozialwissenschaftlichen Klassiker Max Weber haben können. Zweifellos lassen sich mehr als die hier genannten Anknüpfungspunkte finden – und sollten auch gesucht werden. Die folgende Aufreihung erhebt jedenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
- Der erste Punkt betrifft die Frage, was sich von Webers Werk nicht lernen lässt, für welchen Umgang mit ihm der Klassiker Weber sich nicht eignet: Die charakteristische Universalität seiner Gegenstände, Methoden und Perspektiven macht es ebenso leicht wie unangemessen, ihn als Referenz zur exklusiven Beglaubigung eigener Ansätze zu benutzen. Kein Klassiker, auch der Klassiker Weber nicht, sollte auf eine Vorläuferfunktion für die eine oder andere Theorierichtung reduziert werden. Statt ihn zu instrumentalisieren, kann sein Werk von eigenständigen Positionen aus nach Anteilen durchmustert werden, die gegenwärtiger Forschung Anregungen geben. Dass sich Klassiker nicht instrumentalisieren lassen, scheint eine zu optimistische Annahme. Aber dass man das Werk eines Klassikers verengt und seinem Potential nicht gerecht wird, wenn man seine Kraft in einen einzigen Kanal zu lenken versucht, ist ebenso sicher.
- Eine Möglichkeit für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, sich von Webers Ideenreichtum anregen zu lassen und selbstständig Anschluss an sein Wissenschaftskonzept zu finden, liegt in der Nutzung seiner für die Presse-Enquête entwickelten Aufgliederung des Feldes der Zeitungsforschung als Strukturierungskonzept für Kommunikationsanalysen. Da Webers Konzept umfassender und reichhaltiger ist als spätere Entwürfe, z. B. die Lasswell-Formel, nach denen sich die Kommunikationsforschung bisher richtet, wirft es Fragen auf, die vor allem mit dem medialen Niederschlag kultureller Kontexte als Einflussfaktor der Aussagenentstehung zusammenhängen. Das unausgeschöpfte Innovationspotential von Webers Strukturierungskonzept zeigt sich auch daran, dass er in den Plänen für eine große Presse-Enquête konkrete Fragen formuliert hat, die von der Forschung vernachlässigt worden sind, etwa die Frage nach dem Nicht-Berichteten.
- Wenngleich Webers Auffassung vom Journalismus als einem in das System der parteipolitischen Auseinandersetzungen integrierten Beruf heute – jedenfalls auf normativer Ebene – überholt ist, lässt sich von seinen Überlegungen zur Dualität von Gesinnungs- und Verantwortungsethik auch für den Journalismus (und damit für die Journalistik) manches lernen. Das gilt vor allem hinsichtlich einer professionellen Grundhaltung von Journalisten, die die Journalistik zu fördern hätte. Gerade in einer Zeit tiefgreifenden Wandels sind gesinnungsethische Fixierungen kontraproduktiv, weil sie Flexibilisierungen behindern und Wandel blockieren können. Produktiv ist dagegen eine Haltung des konkreten Abwägens, die durch eine Hinwendung zu Webers Konzept der wechselseitigen Relativierung von Prinzipientreue und Folgenreflexivität gefördert würde.
- Setzt man an die Stelle des Begriffspaars Wert- versus Zweckrationalität das auf die Modalität des Bezugs zum Verhalten Anderer zugreifende Folgenreflexivität versus Rezeptivität, erscheinen nicht nur die Sozialpathologien der Moderne – anders als in der Metapher vom “stahlharten Gehäuse” materieller Zweckrationalität – prinzipiell heilbar. Für den Journalistenberuf wird im Licht eines so modifizierten Konzepts von sozialen Handlungsweisen auch eine konkrete Facette der Aufgabe Öffentlichkeit bzw. Aufklärung sichtbar: In hochkomplexen Gesellschaften geht es auch darum, bereits erfolgte oder potentielle Auswirkungen von Handlungsweisen sichtbar zu machen, um Interaktionen zwischen Institutionen und ihrem Publikum und damit die Selbstregulierungskapazität der Beziehung zwischen ihnen zu fördern. Eine solche Aufgabenbeschreibung deckt sich nur teilweise mit dem traditionellen journalistischen Selbstbild des unbeteiligten Beobachters.
- Eine vom modifizierten Handlungs-Konzept Webers inspirierte, ideologiekritische Analyse der Moderne kann auch die Medienforschung zu neuen Fragestellungen anregen: Wo fördern Journalismus und Medien Interaktionen zwischen Institutionen und ihrem Publikum, indem sie tatsächliche, aber als solche schwer erkennbare Auswirkungen von dessen Handlungsweisen – u. U. erst nachträglich, aber jedenfalls realistisch – durchschaubar machen; und wo behindern sie solche Interaktionen und lassen Selbstregulierungspotentiale ungenutzt, indem sie Interaktions-Illusionen stimulieren und so das Bedürfnis nach Folgenreflexivität kompensatorisch stilllegen?
Um das Potential des Klassikers Max Weber für Journalistik und Kommunikationswissenschaft auszuloten, genügt es nicht, diejenigen seiner Texte zu lesen, die sich ausdrücklich mit Presse und Journalismus befassen. Mir scheinen drei Qualitäten seines Werks für unsere Fächer besonders wichtig, die Siegfried Weischenberg in seinen Weber-Bänden in unterschiedlicher Intensität behandelt:
Erstens, von Weischenberg stark hervorgehoben: Die Bedeutung systematischer Empirie für die Leistungsfähigkeit aller Sozialwissenschaften, also auch von Journalistik und Kommunikationsforschung. Dabei ist es nützlich, sich an Webers intensive Begriffsarbeit zu erinnern, was die Notwendigkeit theoretischer Lenkung der Empirie und die Gefahr einer methodologistischen Verselbstständigung bewusst halten kann.
Zweitens, von Weischenberg gesehen, aber weniger hervorgehoben: Die Notwendigkeit eines gesellschaftsanalytischen Rahmens für journalistische Berufsbildung und Medienforschung. Dazu gehört die Einsicht, dass der von Weber kritisch betrachtete Kontext der Moderne für Journalismus und Medien nicht nur Gefährdungen mit sich bringt, sondern auch Aufgaben konstituiert.
Drittens, von Weischenberg weniger beachtet: Die Fruchtbarkeit eines methodologischen Subjektivismus, der zwar nicht Handlungen Einzelner im Blick hat, sondern Handlungsweisen Vieler, der aber nie das von Weber als “gemeinten Sinn” bezeichnete, Handlungsweisen begleitende Bewusstsein81 und damit die Möglichkeit kollektiver, u. a. durch Medien hervorgerufener oder sich in ihnen ausdrückender Irrtümer (Ideologien) vergisst.
Indem Weber die Realität von sozialen Gebilden als von Bewusstseinsmustern konstituierte Handlungsweisen versteht, behält er die objektive und die subjektive Seite der von Menschen sowohl hervorgebrachten als auch angeeigneten gesellschaftlichen Verhältnisse zusammen im Auge. Das scheint mir die wichtigste Bedeutung, die dieser Klassiker für alle Sozialwissenschaften hat.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch Max Weber und die Entzauberung der Medienwelt
- Verlagsinformationen zum Buch Max Weber und die Vermessung der Medienwelt
- Webpräsenz von Prof. Dr. Siegfried Weischenberg am International Media Center
- Webpräsenz von Prof. Dr. Horst Pöttker an der TU Dortmund
- Während die von Philologie und Ökonomie inspirierten Zeitungswissenschaftler die gesellschaftliche Dimension der öffentlichen Kommunikation vernachlässigten, auch weil sie sich von den Soziologen missachtet empfanden, ließ die Soziologie trotz des Interesses ihrer Klassiker an der Massenkommunikation die Medien als Gegenstände links liegen, u. a. weil sich mit denen ja ein eigenes Fach befasste; vgl. Pöttker, H. (1993): Massenkommunikation bei Klassikern des soziologischen Denkens. In: Meulemann, H./Elting-Camus, A. (Hrsg.): 26. Deutscher Soziologentag. “Lebensverhältnisse und soziale Konflikte im neuen Europa“, Sektionen, Arbeits- und Ad hoc-Gruppen. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 185-188. ↩
- Russ-Mohl, S. (2014): Wirkungsmächtiger Forscher. Max Weber als Mediensoziologe. In: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 30. 12. 2014. ↩
- Alle Zitate Russ-Mohl 2014 a.a.O. ↩
- Vgl. Fengler, S./Russ-Mohl, S. (2005): Der Journalist als “Homo oeconomicus“. Konstanz: UVK. ↩
- Nebenbei: Müsste wissenschaftlich fundierte Kritik am Journalismus, die ihn verbessern kann, nicht wenigstens die verfassungsrechtlich verankerte öffentliche Aufgabe des Berufs zum Angelpunkt ihrer Begrifflichkeit machen und als Maßstab zugrunde legen? Der Arzt z. B. ist ja auch ein “homo oeconomicus“, ohne dass die Medizin diese Einsicht ins Zentrum ihrer Forschung stellt. ↩
- Weber, M. (1968): Der Sinn der “Wertfreiheit“ der Sozialwissenschaften. In: ders.: Soziologie. Weltgeschichtliche Analysen. Politik. M. e. Einl. v. E. Baumgarten. Hrsg. u. erl. v. J. Winckelmann. 4., ern. durchges. u. verb. Aufl. Stuttgart: Alfred Kröner, S. 263-310, S. 275. ↩
- Weber “Wertfreiheit“ 1968 a.a.O., S. 276. ↩
- A.a.O. ↩
- A.a.O., S. 275. ↩
- Vgl. Kepplinger, H. M. (2011): Journalismus als Beruf. Wiesbaden: VS. Kepplingers Zweifel an der Beruflichkeit des Journalismus, die der Titel dieser Aufsatzsammlung verschweigt, fasst immerhin der gut passende Klappentext zusammen, der mit dem Satz endet: “Kann und soll der Journalismus eine Profession im engeren Sinne werden – vergleichbar den Ärzten und Anwälten?“ Was sich dazu von Max Webers Berufssoziologie aus sagen lässt, vgl. Abschnitt 3. ↩
- Noelle-Neumann, E. (1980): Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut. München, Zürich: Piper, S. 143. ↩
- Vgl. Noelle-Neumann Schweigespirale 1980 a.a.O., S. 166. ↩
- Das geht bereits aus dem Untertitel der Schweigespirale hervor, der “Öffentliche Meinung“, d. h. das kollektive Verschweigen eigener Meinungen, um sich nicht zu isolieren, als “soziale Haut“ von Menschen charakterisiert. Vgl. dazu genauer Pöttker, H. (1993): Ferdinand Tönnies und die Schweigespirale. Zur Mutation einer Theorie über die öffentliche Meinung. In: Bentele, G./Rühl, M. (Hrsg.): Theorien öffentlicher Kommunikation. München, S. 202-213. ↩
- Vgl. Weischenberg, S. (1992): Journalistik. Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation. Bd. 1: Mediensysteme, Medienethik, Medieninstitutionen. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 66-70. Von Max Weber ist dort nicht die Rede, wohl aber von der Zwiebel-Metapher, was gelegentlich bestritten wird. ↩
- Vgl. z. B. Reus, G. (1998): Herr Fuchs im Hühnerhaus. Journalistik als Sozialwissenschaft mit kulturellem Gewissen. In: Publizistik, 43/3, S. 250-259. ↩
- Haller, M. (2015): Weischenberg, Siegfried: Max Weber und die Vermessung der Medienwelt. In: Publizistik, 60/1, S. 107f. ↩
- Haller 2015, S. 108. ↩
- A.a.O. ↩
- Im Online-Dienst “h/soz/kult“, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-19694, letzter Zugriff: 5. 6. 2015. ↩
- Wer den schon Anfang der 1930er Jahre in Paul F. Lazarsfelds Marienthal-Studie demonstrierten Methodenpluralismus als Königsweg der Forschung anerkennt, kann sich in diesen sinnlosen Streit nur einschalten, wenn er entweder die nur durch quantitatives Arbeiten erreichbare Repräsentativität und Reliabilität oder die nur durch die Unmittelbarkeit des qualitativen Zugriffs zu sichernde Validität ignoriert. ↩
- Latour, B. (2015): Die mit sich selbst konfrontierte Moderne. Europa verliert den Denker, der Europa das meiste Gewicht gegeben hat. Ein persönliches Zeugnis. In: Süddeutsche Zeitung (SZ), 5./6. 1. 2015, (auch: http://www.bruno-latour.fr/sites/default/files/downloads/00-BECK-DE-pdf.pdf). ↩
- Weber, M. (2001): Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens. In: Pöttker, H. (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaft über Journalismus und Medien. Konstanz: UVK, S. 316-325, S. 325. ↩
- Nach Erscheinen der beiden Weber-Bände hat Weischenberg diese These in der Vorlesung zum Abschied von seinem Hamburger Lehrstuhl so auf den Punkt gebracht: “Für Max Weber waren die Massenmedien Teil des kapitalistischen Systems der okzidentalen Gesellschaft. An ihrem Beispiel glaubte er dessen Erscheinungsformen und Konsequenzen besonders gut analysieren zu können.“ Weischenberg, S. (2015): Biografie, Bibliografie und Bibliometrie-Wissenschaftsforschung am Beispiel von Max Webers Mediensoziologie. In: ders./Kaesler, D.: Max Weber, China und die Medien. Zwei Studien zum 150. Geburtstag des Soziologen. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-11, S. 8. ↩
- Vgl. Pöttker Massenkommunikation 1993 a.a.O., S. 187. ↩
- Vgl. Weber Vorbericht 2001 a.a.O., S. 316-325. ↩
- Weber Vorbericht 2001 a.a.O, S. 317-322. ↩
- A.a.O., S. 317. ↩
- Vgl. Weber Vorbericht 2001 a.a.O, S. 322-325. ↩
- A.a.O., S. 319. ↩
- A.a.O., S. 316. ↩
- A.a.O., S. 316. ↩
- Weber Vorbericht 2001 a.a.O, S. 324. ↩
- Vgl. Pöttker, H. (2014): Geheim, verdrängt, unbekannt. Lücken von Öffentlichkeit: Worüber Medien gern schweigen – und warum sie das tun. In: medien & zeit, 29. Jg., 2/2014, S. 13-30 (auch: http://www.derblindefleck.de/wp-content/uploads/2015/05/MZ-2-2014-Poettker.pdf). ↩
- Weber Vorbericht 2001 a.a.O., S. 324. ↩
- Weber, M. (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5., rev. Aufl. v. J. Winckelmann. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), S.80. ↩
- Weber, M. (1947): Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. 4., photom. gedr. Aufl. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), S. 17-206, S. 63. ↩
- Vgl. dazu näher Pöttker, H. (2012): Öffentlichkeit und Moral. Zu Kernproblemen journalistischer Berufsethik. In: Zichy, M./Ostheimer, J./Grimm, H. (Hrsg.): Was ist ein moralisches Problem? Zur Frage des Gegenstandes angewandter Ethik. Freiburg, München: Karl Alber, S. 268-292. ↩
- Weber, M. (2001): Politik als Beruf. In: Pöttker, H. (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaft über Journalismus und Medien. Konstanz: UVK, S. 329-347. ↩
- Vgl. dazu auch Passagen aus Webers Vorbericht zur Presse-Enquête, z. B. das Zitat bei Anm. 27. ↩
- Weber Politik 2001 a.a.O., S. 335. ↩
- A.a.O. ↩
- A.a.O., S. 344f. ↩
- A.a.O, S. 346. ↩
- A.a.O. ↩
- A.a.O., S. 347. ↩
- A.a.O. ↩
- Habermas, J. (1969): Erkenntnis und Interesse. In: ders.: Technik und Wissenschaft als “Ideologie“. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 146-168. (Frankfurter Antrittsvorlesung vom 28. 6. 1965, zuerst in: Merkur 213, Dez. 1965, S. 1139-1153) ↩
- Habermas Erkenntnis und Interesse 1969 a.a.O, S. 162. ↩
- A.a.O., S. 163. ↩
- A.a.O, S. 164. ↩
- Weber, M. (1982): Die “Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. 5. Aufl. hrsg. v. J. Winckelmann. S. 146-214, S. 154. ↩
- Vgl. Weber, M. (1984): Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland. Hrsg. v. M. Riesebrodt. Max Weber Gesamtausgabe, hrsg. v. H. Baier, M. R. Lepsius, W. J. Mommsen, W. Schluchter, J. Winckelmann. Bd. 1/03, Halbb. 1 u. 2. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). ↩
- Kant, I. (1998): Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Felix Meiner (zuerst 1781); ders: Kritik der praktischen Vernunft. Hamburg: Felix Meiner 2003 (zuerst 1788). ↩
- Kant, I. (1994): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hamburg: Felix Meiner (zuerst 1785); ders. (2008): Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Stuttgart: Reclam (zuerst 1795). ↩
- Der ja eine zumindest potentielle Gesetzgebung als Maxime individuellen Tuns und Lassens verlangt. ↩
- Vgl. Arendt, H. (1964): Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Aus d. Am. v. B. Granzow. München: Piper. ↩
- Vgl. Arendt Eichmann 1964, S. 174f. ↩
- Darauf hat sich bizarrerweise Heinrich Himmler berufen, wenn er es als “anständig“ gepriesen hat, angesichts der Leiden und Leichen in den Vernichtungslagern am Prinzip der Selbstverteidigung der germanischen Herrenrasse festzuhalten. ↩
- In diesem Fall war die Berufung Eichmanns auf den kategorischen Imperativ im Übrigen nicht nur partiell begründet, sondern auch subjektiv unwahrhaftig, weil Eichmann das rassistische Prinzip der Vernichtung des vermeintlichen Konkurrenten um knappe Ressourcen um jeden Preis geteilt hat. Das sagt jedoch nichts über die in seiner Rechtfertigung enthaltene, von Hannah Arendt bemerkte Sinnfälligkeit und damit die Notwendigkeit der Kritik am kategorischen Imperativ. ↩
- Vgl. den publizistischen Verhaltenskodex des Deutscher Presserats (Pressekodex); dort heißt es unter “Richtlinie 4.1 – Grundsätze der Recherchen“: “Journalisten geben sich grundsätzlich zu erkennen. Unwahre Angaben des recherchierenden Journalisten über seine Identität und darüber, welches Organ er vertritt, sind grundsätzlich mit dem Ansehen und der Funktion der Presse nicht vereinbar. Verdeckte Recherche ist im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.“ (http://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/#panel-ziffer_4_grenzen_der_recherche; letzter Zugriff: 5. 6. 2015) ↩
- Vgl. Pöttker, H. (1997): Entfremdung und Illusion. Soziales Handeln in der Moderne. Tübingen: Mohr Siebeck. ↩
- Weber, M. (1966): Soziologische Grundbegriffe. 2., durchges. Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). ↩
- Weber Grundbegriffe 1966 a.a.O., S. 5. ↩
- A.a.O., S. 6. Der Weber-Spezialist Dirk Käsler dazu: “Hier taucht die zentrale Prämisse jedes ‘verstehenden’ Ansatzes auf, nämlich daß handelnde Personen einen ‘Sinn’ mit ihrem Handeln verbinden und dass dieser ‘Sinn’ ihr Handeln zumindest mitbestimmt. Daraus ergibt sich als Folgerung für jeden wissenschaftlichen Versuch der Analyse menschlichen Handelns, diesen Sinn in eine Erklärung sozialer Phänomene miteinzubeziehen.“ (Käsler, D. (1979): Einführung in das Studium Max Webers. Müchen: C. H. Beck, S. 176) ↩
- Vgl. exemplarisch z. B. Schweiger, W. (2013): Determination, Intereffikation, Medialisierung. Theorien zur Beziehung zwischen PR und Journalismus. Baden-Baden: Nomos, S. 64-67, 94. ↩
- Weber Grundbegriffe 1966 a.a.O., S. 23. ↩
- Vgl. Popitz, H. (1980): Die normative Konstruktion von Gesellschaft. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), bes. die Übersicht auf S. 34. ↩
- Vgl. Weber Grundbegriffe 1966 a.a.O., S. 23-33. ↩
- A.a.O., S. 12f. ↩
- A.a.O., S. 13f. ↩
- A.a.O., S. 18. ↩
- Die ideologie- und gesellschaftskritische Dimension hinter der oft verkürzend missverstandenen Forderung nach Werturteilsfreiheit in Max Webers Werk einschließlich seiner politischen Publizistik hat der Siegener Politikwissenschaftler Gerhard Hufnagel analytisch rekonstruiert. Vgl. Hufnagel, Gerhard (1971): Kritik als Beruf. Der kritische Gehalt im Werk Max Webers. Frankfurt a. M. u. a.: Propyläen. ↩
- Weber Grundbegriffe 1966 a.a.O., S. 6. ↩
- A.a.O., S. 20. ↩
- Die oft missverständlich wiedergegebene Passage in Webers berühmtem Text über Protestantismus und Kapitalismus lautet: “Nur wie ‘ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte‘, sollte nach Baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr. Auch die rosige Stimmung ihrer lachenden Erbin: der Aufklärung, scheint endgültig im Verbleichen (…). Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber – wenn keins von beiden – mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich-wichtig-nehmen verbrämt.“ (Weber protestantische Ethik 1947 a.a.O., S. 203f.) Dirk Käsler weist am Beispiel der einflussreichen amerikanischen Übersetzung dieser Textstelle durch Talcott Parsons (“iron cage“) auf Misslichkeiten hin, die damit einhergehen, dass z. B. die internationale Kant- oder Weber-Forschung sich umstandslos der Lingua Franca Englisch bedient. Vgl. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16239; letzter Zugriff: 5. 6. 2015. ↩
- Vgl. Brosda, C. (2008): Diskursiver Journalismus: Journalistisches Handeln zwischen kommunikativer Vernunft und mediensystemischem Zwang. Wiesbaden: VS. ↩
- Einen ähnlichen Gedanken hat Habermas schon 1962 seinem Strukturwandel der Öffentlichkeit zugrunde gelegt, als er die Funktion der frühbürgerlichen, später durch das kapitalistische System zersetzten und instrumentalisierten Öffentlichkeit darin sah, die Absichten bedeutender Privatleute zu klären und zusammenzufassen, um so den Staat an deren Interessen zu binden – auch wenn es noch nicht die Interessen der Allgemeinheit, sondern nur einer wohlhabenden und privilegierten Minderheit waren. Vgl. Habermas, J. (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied: Luchterhand. ↩
- Habermas, J. (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. Bd.1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung; Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. ↩
- Zur folgenden Begrifflichkeit vgl. näher Pöttker Entfremdung 1997 a.a.O., S. 73-100. ↩
- Zur Kritik daran und aus ihr ableitbaren Forschungsfragen vgl. Neuberger, C. (2010): Illusionäre Interaktion. In: Eberwein, T./Müller, D. (Hrsg.): Journalismus und Öffentlichkeit: Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag. Wiesbaden: VS, S. 97-105. ↩
- Hier wie stets bei Weber im weitesten Sinne gemeint, also auch “unterbewusste“ Sinnmuster und -zusammenhänge einbeziehend. ↩
Siegfried Weischenberg: Max Weber und die Vermessung der Medienwelt. Empirie und Ethik des Journalismus - eine Spurenlese. Wiesbaden [Springer VS] 2014, 416 Seiten, 49,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseMax Weber als Klassiker der Journalistik und Kommunikationswissenschaft. von Pöttker, Horst in rezensionen:kommunikation:medien, 15. Juli 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18278