Rezensiert von Christoph Bertling
Ausgangsbeobachtung der vorliegenden Arbeit ist die Allgegenwärtigkeit des Sports in den Medien sowie der immer stärker werdende Konkurrenzkampf von Sportarten um mediale Aufmerksamkeit. Dies führt die Autorin zur Frage, wer diese Entwicklung auslöst und warum gerade in den vergangenen Jahren eine besonders starke Medialisierung im Sport zutage tritt. Formuliertes Ziel der Untersuchung ist es somit, “Medialisierung anhand des gesellschaftlichen Teilsystems Sport zu analysieren, genauer gesagt anhand des modernen Spitzensports und seinem Zusammenspiel mit dem Medium Fernsehen“ (27f.). Die Studie geht dabei von der Grundthese aus, dass “seit 1984 in sämtlichen untersuchten Sportarten Anpassungen an die Bedürfnisse und Anforderungen des Fernsehens vorgenommen wurden. Es wird angenommen, dass sich solche Maßnahmen auf der Programmebene manifestieren und damit anhand von Regeländerungen erkennbar sind” (30f.).Zur möglichst trennscharfen Analyse wird der Sport als gesellschaftliches System in die drei Bereiche Makroebene (Regeln und Wettkampfrhythmen, Taktiken und Strategien), Mesoebene (Organisationen und Institutionen) und Mikroebene (Athleten, Trainer, Funktionäre) unterteilt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Makroebene. Analysiert werden die sechs Sportarten Badminton, Dressurreiten, Fußball, Beach-Volleyball, Biathlon und Moderner Fünfkampf. Den empirischen Nachweis, dass es sich um medialisierungsbedingte Änderungen handelt, sollen Dokumentanalysen sowie Experteninterviews erbringen.
Die Arbeit gelangt zu dem Fazit, dass sich in sämtlichen Sportarten das Bewusstsein durchgesetzt hat, dass Medienarbeit und Vermarktung wichtige Bestandteile der strategischen Ausrichtung einer Sportart sind. Drei Aspekte werden hervorgehoben: 1. In allen Sportarten haben die Medien in den letzten 30 Jahren an Einfluss gewonnen; 2. In allen untersuchten Disziplinen fanden Anpassungen an die Bedürfnisse und Anforderungen insbesondere des Fernsehens statt; 3. Regelwerke, Experten und Materialien können einen solchen Wandel bestätigen (vgl. 461f.).
Die Sportarten können nach Auffassung der Autorin entsprechend der Ausprägung der Kriterien “Anpassungsbereitschaft an die TV-Logik“ und “TV-Präsenz“ in die drei Gruppen Verfolger, Spezialisten und Verteidiger eingeteilt werden. Verfolger wie Biathlon oder Badminton weisen eine hohe bis mittlere Anpassungsbereitschaft auf sowie unterschiedliche TV-Präsenzen. Die Spezialisten wie Dressurreiten nehmen wenige Eingriffe im Sport vor, und ihre TV-Aufbereitung ist wenig massentauglich. Die Verteidiger wie Fußball planen wenige Eingriffe im Sport, jedoch nehmen sie intensive Abstimmungen mit dem Fernsehsektor vor.
Die Originalität der Arbeit besteht vor allem in ihrem methodischen Ansatz und der Auswahl der Sportarten. Bisherige Studien im Bereich Medialisierung und Sport haben nahezu ausschließlich auf inhaltsanalytischer Ebene geforscht. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass es zu einer Überbetonung der medialen Einflüsse kommt. Durch die durchgeführten Experteninterviews können die Veränderungen in ihrer Entscheidungslogik eingeordnet werden. Es ist dabei etwas bedauerlich, dass auf ein Experteninterview im Bereich Fußball verzichtet wurde. Hier hätten sicherlich noch weitere interessante Entwicklungen zutage gefördert werden können. Durch das breite Spektrum an Sportarten ist es erstmals möglich, klare Vergleiche zwischen den Disziplinen zu ziehen. Auch dies kann als innovativer Ansatz bezeichnet werden. Es ist dabei besonders interessant, dass Fußball sich in besonderem Maße immer wieder “neu erfunden“ hat, um der Medien- und vor allem der TV-Logik zu entsprechen. Man könnte resümieren: Die Vormachtstellung ist nicht nur natürlich gegeben, sondern zumindest in Teilen erarbeitet.
Auch die Rechercheleistung ist hervorzuheben. Die Dokumentanalyse ist nicht nur umfangreich, sondern in ihrer Beschaffung durchaus als kompliziert zu betrachten. Eine klare Entwicklung nachzuzeichnen bedarf einer umfangreichen Recherche. Wären die Dokumente dabei vielleicht in Teilen etwas stärker gebündelt und interpretiert worden, hätten einige umfangreiche, stark deskriptive Textpassagen vermieden werden können.
Auch wenn die Arbeit die Medialisierungsforschung nicht theoretisch mit grundsätzlich neuen Aspekten versorgt, gelingt es ihr doch, einen wichtigen gesellschaftlichen Teilbereich mit diesem Forschungsgebiet zu verbinden und hier zahlreiche interessante Entwicklungen nachzuzeichnen. Die gewonnenen Erkenntnisse sind dabei sicherlich für zahlreiche Bezugsgruppen interessant. Sie zeigen auf, dass sich die Sportwelt zunehmend zu einer Mediensportwelt – mit allen damit verbundenen Auswirkungen – entwickelt hat. Die vorliegende Untersuchung ist als Lektüre für Medienschaffende, Akademiker sowie Praktiker empfehlenswert, um einen detaillierten, profunden Einblick in ein sich stark wandelndes Feld zu erlangen.
Links:
Über das BuchStephanie Heinecke: Fit fürs Fernsehen? Die Medialisierung des Spitzensports als Kampf um Gold und Sendezeit. Reihe: Sportkommunikation, Band 12. Köln [Herbert von Halem] 2014, 504 Seiten, 34,- EuroEmpfohlene ZitierweiseStephanie Heinecke: Fit fürs Fernsehen. von Bertling, Christoph in rezensionen:kommunikation:medien, 20. Juli 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18252