Rezensiert von Carsten Brosda
Ein Anflug von Melancholie lässt sich kaum vermeiden, wenn man den im Nomos-Verlag erschienenen Sammelband Das Gespräch ist die Seele der Demokratie zur Hand nimmt, in dem Wolfgang R. Langenbucher und Hans Wagner medien- und kommunikationspolitische Texte von Peter Glotz zusammengetragen haben. Wortgewaltig und präzise, leidenschaftlich und zugleich auf der Höhe der jeweiligen Debatte belegt das Vermächtnis des sozialdemokratischen Medienpolitikers, zu welchen gesellschaftlichen Beiträgen das kommunikationswissenschaftliche Instrumentarium fähig ist, wenn man es nur zur Anwendung bringen will. Es zeigt damit zugleich, welche Perspektive uns in den aktuellen Diskussionen über die Zukunft der digitalen Öffentlichkeit bisweilen schmerzlich fehlt.Peter Glotz‘ Analyse kommunikativer Phänomene zieht eine immanent normative Kraft aus ihrem Kommunikationsverständnis. Immer wieder kommt Glotz in seinen Texten auf die auch titelgebende Metapher des öffentlichen Gesprächs zurück und verwendet sie als Maßstab gesellschaftlicher und kultureller Erwartungen an medial erzeugte Öffentlichkeit. Beispielhaft sei dafür ein Text von 1966 zitiert. Dort heißt es: “Die Massenmedien haben in unserer Demokratie eine öffentliche, und das bedeutet politische Aufgabe: sie haben durch die Vermittlung der gesellschaftlichen Kommunikation, des Kampfes der Ideen und Meinungen, jene ‘bestmögliche Überschaubarkeit‘ herzustellen. Sie stehen keineswegs irgendwo zwischen Staat und Gesellschaft, sind keineswegs eine ‘vierte Gewalt’, sondern sind der Gesellschaft zugeordnet, sind gesellschaftliche Institutionen.” (82) Und daraus folgert Glotz im Hinblick auf den Journalismus: “Die Journalisten sind Gesprächsanwälte der demokratischen Gesellschaft, Beförderer und Förderer gesellschaftlicher Kommunikation.“ (83) Glotz schafft es in solch hochkondensierter Argumentation, jene normativen Gehalte der Medien jenseits ihrer wirtschaftlichen Fundamente freizulegen, um die sich Medienpolitik und Kommunikationswissenschaft gleichermaßen intensiv kümmern müssten. Für ihn ist die “Frage nach der Organisationsform der Medien […] ein Strukturproblem der Demokratie” (85).
Das Buch ist ein Streifzug durch ein halbes Jahrhundert Medienpolitik. Es finden sich intensive Auseinandersetzungen mit dem Monopolbegriff oder dem Kommunikationsraum Europa ebenso wie listige Hinweise gegen die geplante Fusion von Springer und ProSieben/Sat.1, kluge Betrachtungen der Herausforderungen der Digitalisierung von Kommunikation oder eine Analyse der politischen Reform als Kommunikationsprozess. Überhaupt zeigt die Lektüre der Texte, die von den 1960er Jahren bis in unser Jahrtausend reichen, wie sehr sich der Schwerpunkt weg von ökonomischen und hin zu technologischen Fragen verschoben hat. In seinen späteren Jahren sieht Glotz genau hier die Herausforderungen für die Kommunikationspolitik. Er wendet sich gegen “Informationsnihilismus, gesinnungsethische Simplifikation, metaphysischen Ekel” (423) und plädiert stattdessen vehement dafür, auf die technische Entwicklung “weder mit konventioneller Kulturkritik noch mit affirmativer Utopik zu reagieren” (381). Vielmehr müsse Europa im Hinblick auf die Telekommunikationsindustrie pragmatisch eine “gezielte Forschungs- und Technologiepolitik” (375) betreiben, um Märkte und Kompetenzen zu erwerben, die in Zukunft Wertschöpfung ermöglichen – eine Debatte, die uns bis heute begleitet.
Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung und der neuen technologischen Optionen sei eine “Privatisierung von Öffentlichkeit” (193) zu beobachten, die eine “große gesellschaftliche Debatte” (379) entzünden müsste. Dabei geht es Glotz nicht um die vielfach bis heute geforderten Kompetenzbereinigungen. Mit Blick auf diese vermerkt er schon 1983 klar: “Viele mögen es bedauern, ich begrüße es: Die komplizierten Bedingungszusammenhänge eines föderalen Staates erzwingen in der Medienpolitik ein Minimum an Kooperation zwischen den unterschiedlichen politischen Kräften.” (218f.) Aber Glotz fordert die politisch Verantwortlichen dazu auf, die Fragen der kommunikativen Infrastruktur unserer Gesellschaft auch politisch zu diskutieren, weil sie die gesamte Gesellschaft in ihren Konsequenzen berühren. “Wenn das so ist, dann muss man diese Thematik in den Mittelpunkt von Landtagswahlen stellen. Man wird sie so vereinfachen müssen, dass sie wirklich auch in Wahlkämpfen darstellbar ist.” (194)
Die Zusammenstellung bereits bekannter Texte mit einigen eher abseitig erschienenen Werken und sogar einem Faksimile eines Briefs an Heinz Starkulla zeigt ein facettenreiches Bild eines intellektuell inspirierenden Politikers. Die Bibliographie weist den Weg zur Vertiefung. Peter Glotz war “eine Lichtgestalt und ein Pionier”, schreibt Michael Meyen in seiner kundig knappen Einführung (15), der seine Herkunftsdisziplin auch als Politiker nie aus den Augen verloren habe. Wie sehr das stimmt, lässt sich anhand der immer wieder durchscheinenden konzeptionellen Figuren der Kommunikationswissenschaft und der Öffentlichkeitstheorie gut nachvollziehen.
“Ein Buch mit seinen Texten ist damit auch Werbung für die Kommunikationswissenschaft”, schreibt Michael Meyen in seiner Einleitung (42). Recht hat er. Das Buch zeigt immer wieder auf, wie weitrechend kongruent die Konturen des Kommunikationswissenschaftlers und des Medienpolitikers Glotz immer wieder waren. Im Gedächtnis bleibt vor allem Peter Glotz‘ Plädoyer, auf die Bruchkanten der Entwicklung besonders zu achten, auf die Reibungsflächen zwischen dem Alten und dem Neuen, auf die Schnittstellen: “Das Interessante geschieht in den Schnittstellen. An den Schnittstellen müssen wir uns bewegen“ (399), schreibt Glotz 1997. Das gilt fort. Lesenswert!
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Über das BuchPeter Glotz: Das Gespräch ist die Seele der Demokratie. Beiträge zur Kommunikations-, Medien- und Kulturpolitik. Mit einer Einführung von Michael Meyen. Herausgegeben von Wolfgang R. Langenbucher und Hans Wagner. Baden-Baden [Nomos ]2014, 495 Seiten, 79,- Euro.Empfohlene ZitierweisePeter Glotz: Das Gespräch ist die Seele der Demokratie. von Brosda, Carsten in rezensionen:kommunikation:medien, 7. Juli 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18232