Helene Karmasin, Matthias Karmasin: Cultural Theory

Einzelrezension
6621 Aufrufe

Rezensiert von Nina Tessa Zahner

Einzelrezension
In ihrer Publikation Cultural Theory stellen Helen und Matthias Karmasin den Ansatz der Cultural Theory nach Mary Douglas vor und zeigen seine vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten für das Management auf. Die Autoren argumentieren, dass es bei der Bearbeitung aktueller Fragestellungen in Kommunikation und Management zunehmend gilt, kulturelle Aspekte verstärkt “in die Analyse von Prozessen einzubeziehen, die zunächst rein ökonomischer Natur zu schein scheinen” (15). Kultur wird hierbei verstanden als “ein Regelsatz, der nicht voll bewußt ist […] und der (eben deswegen) das Verhalten von Menschen sehr effizient bestimmt.” (17) Vor dem Hintergrund dieses Kulturverständnisses werden mit Mary Douglas zwei grundlegende Dimensionen der Organisation des sozialen Lebens identifiziert: Group und Grid. “Group bezeichnet das Ausmaß, in dem individuelles Verhalten durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder sozialen Einheit bestimmt ist […]. Grid bezeichnet das Ausmaß, in dem individuelles Verhalten durch von außen auferlegte Regeln reguliert wird”. (31)

Eine spezifische Kultur kann nun durch die Extremausprägungen beider Dimensionen charakterisiert werden. Hieraus ergeben sich vier Kulturtypen: die hierarchistische Kultur (Grid +/Group -), die individualistische Kultur (Grid -/Group -), die egalitäre Kultur (Grid -/Group +) und die fatalistische Kultur (Grid +/Group -). (34) Diese Typologie ist gemäß der Überzeugung der Autoren geeignet, um Organisationen jeder Art (Gesellschaften, Familien, Berufskulturen, Firmenkulturen, Institutionen einer Gesellschaft etc.) einerseits und individuelle Entscheidungen andererseits zu untersuchen. Im Anwendungsfall Management lässt sie sich demnach beispielsweise auf Unternehmenskultur aber auch auf individuelle Wahl- und Entscheidungsprozesse auf Märkten beziehen, wobei die vier Grundtypen “direkt in Managementprozessen angewendet werden” können. (20)

Der ausführlichen Beschreibung der vier kulturellen Typen in Kapitel 3 folgt in Kapitel 4 eine Analyse der Ethiken der verschiedenen Kulturen des Modells. Hier wird eine dritte Dimension der kulturellen Theorie eingeführt: Ein formelles ethnisches System, das außerhalb der übrigen Modelle liegt und “auf formal prozessuale Normen beschränkt” (81) als metakulturelle Norm gilt. Hier wird deutlich, dass der Versuch metakulturelle Standpunkte zu finden, umso schwieriger ist, je universalistischer der Anspruch der beteiligten Kulturen ist (86).

Im fünften Kapitel wird das Modell der kulturellen Typen auf den Bereich des Marketing angewendet. Markt wird hier bewusst weit als ein Medium definiert, “durch das Objekte in einer Kultur von einer Person zur anderen oder von einer Gruppe zur anderen wechseln.” (93) Damit wird die “Interpretation des Marktes als monetäre[r] Tauschmarkt” als kulturell relative Setzung, nämlich die der individualistischen Kultur, sichtbar. (94) Ähnliches gilt für die Konzeption des Preises als erklärende Variable für das Markthandeln. Die Publikation zeigt hier sehr gelungen auf, dass sich am Markt realisierenden “Bedürfnisse durch die Kultur selbst geformt und gefordert werden” (102). Produkte können demnach nicht nur als Mittel zur Befriedigung individueller Bedürfnisse gedacht werden. Es wird aufgezeigt, dass der Cultural-Theory-Ansatz hier die Möglichkeit bietet, die Funktionen von Produkten um zwei Gesichtspunkte zu erweitern: “Produkte dienen als Signale, die die Wahl einer ganz bestimmten kulturellen Grundorientierung anzeigen, und Produkte dienen dazu, die Ordnungsmuster dieser Kultur deutlich zu machen.” (103) Folglich bemessen sich die Tauschwerte von Produkten nicht zuletzt auch danach, inwieweit sie eine “semiotische Differenzierungsleitung erbringen”. (108)

Vor diesem Hintergrund sehen die Autoren die Cultural Theory in der Lage “exakte Möglichkeiten der Differenzierung und Positionierung” für das Marketingmanagement angeben zu können. (112) In diesem Sinne erfolgt in Kapitel 5.3 eine Operationalisierung der Theorie hinsichtlich der Ausprägung der verschiedenen kulturellen Konsumtypen in Österreich. Die Typen weisen sowohl hinsichtlich des körper- bzw. gesundheitsbezogenen Verhaltens sowie des Lebens- und Konsumstils eine hohe erklärende Kraft auf. Im Anschluss wird die Cultural Theory auf Marken, Haushaltstypen, Unternehmenskulturen und Risiko-Management-Kulturen angewendet, wobei die kulturellen Typen jeweils am Beispiel ausgearbeitet werden (Kapitel 5.4 bis 8). Zum Abschluss werden die Potentiale des Modells als Medientheorie und Theorie transkultureller Kommunikation in Kapitel 9 und 10 reflektiert.

Die Publikation stellt eine sehr gelungene Einführung in die Theorie Mary Douglas’ dar und arbeitet in höchst nachvollziehbarer und verständlicher Weise deren Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten für Fragestellungen des Managements heraus. Stellenweise wäre es sicherlich wünschenswert gewesen, wenn die Anschlussmöglichkeiten des Modells an aktuelle Diskurse der Markt- bzw. Lebensstilforschung (vgl. beispielhaft Beckert/Diaz-Bone/Ganßmann 2007; Otte 2008  und Rössel/Otte 2011) deutlicher aufgezeigt worden wären. Außer Frage aber steht, dass das Buch zahlreiche Anregungen für die Managementpraxis generiert und die Potentiale einer kulturwissenschaftlich informierten Sichtweise auf aktuelle Fragestellungen in Management und Kommunikation gelungen herausarbeitet.

Literatur:

  • Beckert, J.; R. Diaz-Bone; H. Ganßmann (Hrsg.): Märkte als soziale Strukturen. Frankfurt a. M. [Campus] 2007.
  • Otte, G.: Sozialstrukturanalysen mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen und methodischen Neuorientierung der Lebensstilforschung. Wiesbaden [VS Verlag] 2008.
  • Rössel, J.; G. Otte (Hrsg.): Lebensstilforschung. Sonderheft 51 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Wiesbaden [VS Verlag] 2011.

Links:

 

Über das BuchHelene Karmasin; Matthias Karmasin: Cultural Theory. Anwendungsfelder in Kommunikation, Marketing und Management. Wien [Facultas], 276 Seiten, 22,30 Euro.Empfohlene ZitierweiseHelene Karmasin, Matthias Karmasin: Cultural Theory. von Zahner, Nina Tessa in rezensionen:kommunikation:medien, 19. Dezember 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/10959
Getagged mit: , , , , ,
Veröffentlicht unter Einzelrezension