Matthias Bauer, Maren Jäger (Hrsg.): Mythopoetik in Film und Literatur

Einzelrezension
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Rezensiert von Annette Simonis

Einzelrezension
Der vorliegende Sammelband widmet sich mit der Frage nach Mythopoetik in Literatur und Film einem äußerst interessanten Thema, das in jüngster Zeit eine neue Hochkonjunktur erfahren hat. (Vergleiche zum Beispiel den von Uwe Mayer und Bent Gebert edierten Tagungsband Zwischen Präsenz und Repräsentation. Mythos in theoretischen und literarischen Diskursen, der auf ein Kolloquium am FRIAS zurückgeht und demnächst bei de Gruyter erscheint.) Das Konzept der Mythopoetik wird einleitend zunächst durch eine Engführung aus Aristoteles’ Poetik und Roland Barthes’ Vorstellung einer Entpolitisierung des Mythosbegriffs hergeleitet, die letzteren zu einem Instrument der Lenkung und Manipulation werden lasse. Darüber hinaus werden zur Erhellung des Mythosbegriffs auch die klassisch gewordenen Ansätze von Blumenberg, Adorno, Freud und Campbell herangezogen. So ergibt sich ein differenziertes Spektrum von Perspektiven und Zugehensweisen zu einem ebenso komplexen wirkungsmächtigen Phänomen.

Roland Barthes’ Mythenkritik bietet den Herausgeber/innen auch den geeigneten Ansatz um die Verbindung von Mythen und Medien zu fundieren und näher zu erörtern. Die von Barthes gewählten Beispiele für neue Mythen – Greta Garbo und der neue Citroën – lassen die Anbindung der Mythologisierung an einen Medienapparat sichtbar werden und verdeutlichen die steigende Tendenz der Inszenierung und die Inszenierbarkeit der Mythen. Ohne mediale Repräsentation und Wahrnehmbarkeit, so lässt sich folgern, bliebe der Mythos etwas Ungreifbares und hätte kaum jene Wirkung auf das kollektive und kulturelle Imaginäre, die in allen Jahrhunderten zu verzeichnen ist. Entsprechend weit gefächert sind auch die Beiträge des Bandes, die, was den Gegenstandsbereich betrifft, von der Antike bis in die aktuelle Gegenwart reichen. Die vergleichsweise große Heterogenität der Aufsätze liegt in der erfreulich ausgeprägten Interdisziplinarität des Bandes begründet.

Alexander Honold untersucht in seinem erhellenden Aufsatz zu “Ovid und die Mythopoetik des Wassers” das Konzept der poetischen Verwandlung und die Eigendynamik, die es in diversen Erzählungen in den Ovidschen Metamorphosen entfaltet. Dabei arbeitet Honold zwei einander gegenläufige Tendenzen heraus, einen genealogischen und teleologischen Diskurs, der sich insbesondere immer wieder in den onomatopoetischen Eigennamen kristallisiert, und eine unauf-haltsame Fließdynamik, die sich in der Ovidschen Beschreibung der Gewässer eindringlich manifestiert.

Susanne Gödde widmet sich in ihrem aufschlussreichen Beitrag dem “Phantasma” des Achill, der eine antike anthropologische Reflexionsfigur des Heroischen darstellt. Gödde beobachtet die Transformationen jener Kategorie anhand verschiedenster Adaptionen der Figur des Achilles in Skulptur, Malerei und neuzeitlichem Drama.

Fabienne Liptay behandelt die “Mythopoetik des Labyrinths in The Good Shepherd und anderen Filmen”, wobei sie nicht nur unterschiedliche Raumstrukturen des Labyrinths unterscheidet und das Labyrinth als eine ordnungsstiftende Kategorie identifiziert, sondern auch auf verschiedene Ebenen des Labyrinthischen in der Filmnarration eingeht, insbesondere auf die labyrinthische Qualität des Psychogramms der Hauptfigur.

Dagmar von Hoff beleuchtet in ihrem Beitrag zu “Hans Richters mythopoetischen Filmen” wiederum unterschiedliche Facetten der Mythen-Adaption im Film. Zum einen betrachtet sie mit Matthias Bauer das Kino als einen modernen Ort der Mythenbildung und Mythenverbreitung par excellence. Zum anderen erkennt sie eine Tendenz zur Selbstreflexion des Mythos, die durch die Figur des Labyrinths in Minotaur und durch die produktive Aufnahme des Narziss-Mythos repräsentiert wird.

Zwei weitere Beiträge, die zueinander in einem komplementären Verhältnis stehen, zeigen, wie der Mythos einerseits als eine Kritik am Faschismus eingesetzt werden kann, wie er aber andererseits auch zum Instrument des Faschismus wird. Günter Helmes stellt in seinem Beitrag “Antigone in Nazideutschland” Sophokles’ Antigone die erzählerische Adaption Rolf Hochhuths (Die Berliner Antigone) gegenüber, die wiederum Grundlage eines Fernsehspiels wurde. Maren Jäger erörtert demgegenüber das “Scheitern von Mythopoetik” angesichts des Faschismus, indem sie die Herakles-Figurationen in Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands in den Blick nimmt. Es ist letztlich der Zweifel an der Tauglichkeit des mythischen Helden als Leitbild, der sich im Verlauf des Erzählens bei Peter Weiss mehr und mehr verdichtet, um schließlich in eine Dekonstruktion der heroischen Figur einzumünden.

Chrisian Riedels Beitrag “Homer hat gelogen” analysiert die auf den ersten Blick erstaunliche Renaissance einer homerischen Randfigur im 20. Jahrhundert, die Wiederkehr Elpenors bei James Joyce, Jean Giraudoux und Katharina Hacker. Bei Joyce wird Elpenor in eine moderne urbane Szenerie Dublins versetzt, während Giraudoux ihn noch grundlegender zum Protagonisten einer neuen mythologischen Gegennarration erhöht und auf Kosten des Odysseus zur mythischen Hauptfigur aufwertet.

Markus Pohlmeyer widmet sich der Verlängerung des homerischen Epos im Science Fiction-Genre. Sein Beitrag “Mit Odysseus durch den Weltraum” wirft die Frage auf, inwiefern sich die Science Fiction mythopoetischer Darstellungsmuster bedient und inwiefern letztere als ein integrales poetisches Verfahren jenes Genres gelten können. Im Mittelpunkt der aufschlussreichen Analyse stehen Battlestar Galactica sowie 2001: A Space Odyssey.

Rada Bieberstein beleuchtet in ihrem Beitrag “Der Khan und das Imperium” ein großdimensioniertes Projekt filmischer Historiographie, die im Dienste einer nationalen Selbstbestätigung und monumentalen Erinnerung steht. Nicht von ungefähr entstand Khan Asparuch 1981 zur 1300-Jahrfeier des bulgarischen Staates.

Jana Jäger erkundet den “Mythos Goethe” bei Thomas Mann und Martin Walser, einen Schriftstellermythos, der wissensgeschichtlich und literarisch äußerst stimulierend gewirkt hat. Walsers und Manns Goethe-Bild eröffnen dabei zwei ganz verschiedene Perspektiven auf den klassischen Autor, der keineswegs nur unkritisch überhöht würde.

Matthias Bauer geht in “Mythopoetik der Verschwörung” der Frage nach, ob es sich bei der Aufnahme antiker Verschwörungstheorien in Moderne und Gegenwart um einen Rationalisierungsprozess handele. Die Antwort, zu der Bauer in differenzierten Analysen gelangt, bleibt mehrdeutig und lässt verschiedene Alternativen zu: Zum einen kommt es in der Moderne zu Theoriekonstruktionen, die sich offenbar jeglicher Kritik entziehen, oder die adaptierten Konzepte werden ins Reflexive gewendet und ggf. sogar unterlaufen.

Insgesamt handelt es sich um einen höchst anregenden, facettenreichen und impulsgebenden Sammelband zur produktiven Relation zwischen Mythen und ihren poetischen und filmischen Adaptionen.

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Über das BuchMatthias Bauer; Maren Jäger (Hrsg.): Mythopoetik in Film und Literatur. Studien zu Natur, Kultur und Film. Reihe: Projektionen, Band 5. München [edition text & kritik] 2011, 261 Seiten, 26,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMatthias Bauer, Maren Jäger (Hrsg.): Mythopoetik in Film und Literatur. von Simonis, Annette in rezensionen:kommunikation:medien, 25. November 2012, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/10684
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