Mediatisierung

Sammelrezension
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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Die Mediatisierung sozialer WelterSammelrezension
Seit etlichen Jahren vertreten Friedrich Krotz und Andreas Hepp das Konzept der “Mediatisierung“ als einem generellen, grundlegendem Meta-Prozess des gesellschaftlichen und kommunikativen Wandels, primär induziert von den medientechnologischen, vor allem digitalen Innovationen und ihren diversen Applikationen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen – wobei bislang weder die historischen Ausmaße, die Zusammenhänge mit anderen Transformationsfaktoren wie auch ihre immanente Struktur und Dynamik  (die so genannte “Medienlogik“) hinreichend geklärt sind und sich die Kategorie inzwischen als probates Schlagwort für alle möglichen strukturellen Änderungen anführen lässt.

Unzählige Publikationen sind seither darüber erschienen, vor allem von den beiden Protagonisten selbst, zumal es ihnen 2010 gelungen ist, bei der DFG einen auf mindestens sechs Jahre angelegten Schwerpunkt “mediatisierte Welten“  mit jeweils zwölf Projekten einzurichten und dafür auch diese Reihe “Medien – Kultur – Kommunikation“ zu initiieren: 2012 erschien dazu das Auftaktwerk der beiden, nämlich Mediatisierte Welten: Forschungsfelder und Beschreibungsansätze, seither geht es Schlag auf Schlag in Monografien, Sammelwerken und Aufsätzen; nunmehr liegen der Berichtsband nach den ersten drei Jahren Forschung (Krotz u. a. 2014) sowie ein weiterer Report von zwei Soziologen aus Dortmund und Karlsruhe vor (die auch im Berichtsband mit einem Beitrag ähnlicher Thematik vertreten sind). Überlappungen und Wiederholungen zumal der grundlegenden Konzepte sind damit unausweichlich.

Gleich eingangs bilanziert Krotz, dass sich der Ansatz “mediatization” inzwischen auch international etabliert habe, mit verschiedenen internationalen Verbundprojekten, einer ECREA working group, diversen Publikationen, darunter einem Handbuch zur Mediatisierungsforschung, aufwarten kann und sich sogar “eine klare konzeptionelle Zielsetzung sowie darauf bezogene empirische Forschung und sich entwickelnde theoretische Diskurse” (8) abzeichnen. Diese Homogenität stellt er allerdings wenige Zeilen später gleich wieder in Frage, da die “unterschiedlichen Medienkonzepte” (ebd.) dieses Ansatzes erheblich divergieren – einschließlich des eigenen, der sich entgegen früheren nun erstmalig und plötzlich als “semiotischer“ deklariert, ohne auch nur ansatzweise semiotische Kriterien zu beinhalten.

Denn Zusammenhänge und Antriebskonstellationen des sozialen Wandels werden nach wie vor kontrovers erachtet, zudem Mediatisierung und mediatisierte Welten für gänzlich verschiedene soziale Prozesse und Dimensionen in Anspruch genommen. So muss Krotz am Ende seiner Klärungs- und Vereinheitlichungsbemühungen konstatieren, dass es sich (weiterhin) um “komplexe Wechselwirkungen in den je betroffenen Kultur- und Handlungsräumen auf verschiedenen Ebenen, in unterschiedlichen Dimensionen und unter unterschiedlichen historischen, kulturellen und sozialen Bedingungen sowie medienbezogenen Kontexten und Entwicklungen” handelt (27), die zwangsläufig unterschiedlich untersucht und gedeutet werden (müssen) und “Mediatisierung” zwar derzeit ein attraktives, vielfältig propagiertes Paradigma darstellt, aber eben längst nicht der einzige und vor allem gänzlich überzeugende Ansatz ist.

Diese Disparität zeigen schon die zwölf folgenden Artikel in ihren theoretischen wie fallstudienartigen Betrachtungen, obwohl sie interessanterweise von mindestens zwei AutorInnen aus verschiedenen Projekten verfasst sind, um “tragfähige übergreifende theoretische Einsichten zu erarbeiten” (10). Damit sollen “Synergien empirischer Forschung”, wie es im Untertitel heißt, gewonnen werden. Unterteilt sind die Beiträge in drei Rubriken und sie befassen sich mit “Konzepten zur Analyse von Mediatisierungsprozessen”, mit dem “Medienwandel in einer Mediatisierungsperspektive” sowie mit “übergreifende[n] Schlussfolgerungen aus empirischen Untersuchungen”.

Zunächst betrachten die beiden ersten Beiträge recht allgemein und eher definitorisch ausgewählte soziale Phänomene unter möglichen Einflüssen von Mediatisierung: nämlich Vergemeinschaftung und Gemeinschaft (wie schon häufig von A. Hepp) und – ähnlich – Sozialität und Situation in Zusammenhang mit digitalen Interaktionen im Social Web. Gestufte, aufeinander  bezogene und damit hochgradig “reflexive Mediatisierung” konzipiert der nächste Artikel und exemplifiziert sie an drei empirisch untersuchten Fallbeispielen: nämlich der Rechtsmedizin, des Fitnessbooms und des digitalen Pokerns.

Ebenfalls diverse Mediatisierungsschübe insbesondere durch sogenannte “skopische Medien“ entdeckt der folgende Artikel an den Beispielsfeldern Poker und eSport. Die eingangs vorgestellten Medien-Definition ergänzen Krotz u. a. mit dem neu kompilierten, von Foucault u. a. abgeleiteten, aber in der Medienwissenschaft bereits im engeren Sinn eingeführten Dispositiv-Begriff, der nun als abstraktes, reichlich additives Mega-Konstrukt gleichermaßen das “konkrete medienbezogene Handeln des Individuums, Technik und gesellschaftliche Verhältnisse aufeinander bezieht und über die Konzepte Macht, Vergemeinschaftung und praktisches Zusammenwirken von Einzelnen und Institutionen in einem sozial verstandenen Alltag der Menschen […] verschränkt” (137) und so das Mediatisierungskonzept ergänzen wie fundieren soll. Analytische Präzision und Operationalität für empirische Forschung, die Krotz dezidiert von den Kommunikationswissenschaften einfordert, lassen sich so wohl nicht erreichen.

Den ‘Medienwandel in einer Mediatisierungsperspektive’, speziell: die Rolle des Fernsehens diskutiert der erste Beitrag in dieser Rubrik anhand sowohl von Fernsehserien zur Gerichtsmedizin als auch an Nachrichtenkonzepten “im kulturelle Metaprozess der Mediatisierung” (145): Akteur und Agent werden als Kategorien für die wechselseitigen Vermittlungsprozesse vorgeschlagen. Wiederum vorwiegend theoretisch, nach der Durchsicht verschiedener Mediatisierungsansätze, plädieren A. Hepp als schon bekannter Protagonist des Konzeptes von Vergemeinschaftung und J. Röser, die sich mehrfach mit der sogenannten Domestizierung (Verhäuslichung) von Medien beschäftigt hat, dafür, Mediatisierung nicht nur als lineare Veränderungen zu begreifen, sondern auch Beharrungen, etwa Gewohnheiten und Routinen im Alltag, sowie gezielt funktionale Verwendungen sozialer Medien in der Gruppe in den Blick zu nehmen.

Ähnlich kommt die nächste, sehr gründliche, empirische Befunde einbeziehende Sondierung ‘generationsspezifischen Medienhandelns’ zu dem Ergebnis, dass mittels der Kategorie “soziale Welten” ungleich kleinteiligere soziale Konstellationen, primär in der Familie, betrachtet werden müssen, um verschiedene Medienaneignungsweisen zu identifizieren und aus ihnen “Bedingungen und Mechanismen der Mediatisierung” (209) herauszuarbeiten. Der dritte Abschnitt kündigt “übergreifende Schlussfolgerungen aus empirischen Untersuchungen” an: Die vier Beträge ziehen sie hinsichtlich der Veränderungen innerparteilicher Demokratie durch den Einsatz sozialer Medien (z. B. Twitter), für die (beschränkten) Chancen und Modalitäten von Partizipation in verschiedenen Handlungsfeldern, für unterschiedliche Aktivierungsweisen und -typen etwa bei der Verbrechensaufklärung im Fernsehen, beim Fittness-Boom und Poker-Spielen sowie für reale wie auch medial figurierte Veränderungen des mediatisierten Heims in Alltag wie in TV-Sitcoms, mithin großenteils für die bereits erwähnten Projekte des DFG-Schwerpunkts.

Allesamt unterstreichen sie nachdrücklich erforderliche und sich abzeichnende soziale Differenzierungen in jedweder Hinsicht, die nur durch weitere, auch langfristige empirische Erkundigungen entdeckt werden können, jedenfalls die allzu pauschale Logik von Mediatisierung relativieren. Überraschend ist diese – hier allerdings nicht generell formulierte – Erkenntnis gewiss nicht; aber sie erstaunt doch ein wenig zumal aus dem Munde der beiden eingangs genannten Protagonisten, die seit Jahren das neue Paradigma unermüdlich propagiert haben und nun jedes Mal eilends versichern, dass es sich mit den unausweichlich gefundenen Relativierungen, Modifikationen und Gegenläufigkeiten keineswegs erledigt habe.

Unter MediatisierungsdruckSammelrezension
Was Mediatisierung ist bzw. sein soll und wie sie in Gesellschaft und Kommunikation funktioniert, darüber bestehe “kein Konsens, sondern erheblicher Klärungsbedarf“ (4), konstatieren die beiden Herausgeber des zweiten Sammelbandes, die selbst an Projekten des DFG-Schwerpunktes mitarbeiten und ihn unter diesem Rubrum publizieren, definitiv gleich in ihrer Einleitung. Relativ offen wollen sie daher mit den neun hier versammelten Beiträgen – ebenfalls aus dem DFG-Schwerpunkt – anhand von “unterschiedlichen empirischen Untersuchungsfeldern den Implikationen nach[…]gehen, die aus dieser relativen Unabgeschlossenheit und aus der Gestaltungs- und Nutzungsoffenheit digitaler Medien resultieren“ (3). Warum sie dieses Anliegen mit dem recht plakativen Titel Unter Mediatisierungsdruck etikettieren und damit unweigerlich kausale, einseitige Wirkungsabläufe unterstellen, erklären sie eingangs freilich nicht.

In vier Themenfelder sind die Beiträge eingeordnet: “Produzenten mediatisierter und medialisierter Welten“, “Aneignungsprozesse in mediatisierten Konsumwelten“, “Entgrenzungen und Wechselwirkungen mediatisierter Handlungsformen“ sowie “wissenssoziologische Reflexionen zur gesellschaftlichen Dimension von Mediatisierung“.  Mit kritischem Blick auf die bislang geführte Mediatisierungsdebatte, die sich vorzugsweise auf die Aneignung durch die Nutzer und die Veränderungen deren Alltags kaprizierte, wird hier zunächst der Blick (wieder) auf Produktions- und Technologiezusammenhänge geöffnet (wie es in anderen wissenschaftlichen Kontexten selbstverständlich ist): Am (schon bekannten) Fallbeispiel von Online-Plattformen für Fitness zeigt der eine Herausgeber auf, wie die ‘Macher‘ mit diesen neuen Techniken und Medien alltägliche Lebensgestaltung prägen, sie kommerzialisieren und auf für sie relevantes Verwertungswissen fokussieren. Wie Events – spektakuläre Performance-Erlebnisse – heutzutage inszeniert werden und welche Rolle Medien bei multipler Werbung, Erweckung von Publikums-Erwartungen, Promotionen des gesamten Ambientes und Ensembles spielen, schildert der nächste Beitrag anschaulich, aber ohne theoretische Ambitionen am Beispiel der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, speziell anhand der führenden Management-Institution “RUHR.2010 GmbH“.

“Aneignungsprozesse“ werden sodann anhand des privaten Online-Konsums exemplifiziert, einmal anhand von Erwartungen und Reklamationsstrategien von Konsumenten beim Online-Shopping, das mittels der digitalen Technologien zunehmend zum Probehandeln mutiert, sowie anhand von Collaborative Consumption-Plattformen, die über das gemeinsame, nachhaltige Konsumieren hinaus Optionen des individualisierten Kaufs, gegenseitigen Beratens, Tauschens, Verkaufens, zeitweiligen Leasings, Schenkens etc. offerieren. “Entgrenzungen und Wechselwirkungen“ werden am Finanzierungsmodell Crowdfunding (Schwarmfinanzierung) für ein Computerspielprojekt, (noch einmal) am Online-Pokern und an Manipulationen bei (Live-)Sportwetten exemplifiziert. Allenthalben zeichnen sich nicht intendierte und erwünschte “Nebenfolgen“ ab, die ein nur progressives Verständnis von Mediatisierung relativieren, wenn nicht konterkarieren und die auch sonst in postmodernen Gesellschaften greifende bzw. erforderliche Reflexivität erkennen lassen.

Daran könnten die beiden letzten Beiträge anschließen; sie befassen sich mit Potentialen der Robotertechnologie (Mensch-Maschine-Interaktionen) im Sinne von “artifical companions” bzw. “social robotics” sowie – als ganz anderes, hier nur angerissenes Thema – mit “Observation und Exhibition” mit und in den digitalen Medien. Obwohl die Bereiche so unterschiedlich, hier nur zufällig nebeneinander stehen (und insgesamt sicherlich nicht für Alltag und Lebensgestaltung die wichtigsten sind), unterstreichen die beiden Beiträge – wie andere zuvor –, dass menschliches Handeln ungleich vielfältiger motiviert, dimensioniert und auch geprägt ist, als es unter einer Perspektive zu erfassen ist. Zwar sind Medien fast immer beteiligt, aber ob sie nur genutzt werden, nachhaltig prägen oder gar spezielle, neue Wirklichkeiten kreieren oder die vorfindlichen ‘nur‘ modifizieren, entscheidet sich in den jeweiligen Situationen und Konstellationen, unter der Maßgabe der Beteiligten, gemäß deren Interessen, Emotionen, Gewohnheiten und Handlungszielen jeweils unterschiedlich. Insofern unterfüttern und stützen empirische Sondierungen und Verifikationen das Paradigma “Mediatisierung”, aber sie begrenzen und relativieren auch seine analytische Reichweite.

Literatur:

  • Friedrich Krotz, Andreas Hepp (Hrsg.): Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze. Wiesbaden [Springer VS] 2012.

Links:

Über das BuchFriedrich Krotz, Cathrin Despotovic, Merle-Marie Kruse (Hrsg.): Die Mediatisierung sozialer Welten. Synergien empirischer Forschung. Wiesbaden [Springer VS] 2014, 313 Seiten, 39,99 Euro.

Tilo Grenz, Gerd Möll (Hrsg.): Unter Mediatisierungsdruck. Änderungen und Neuerungen in heterogenen Handlungsfeldern. Wiesbaden [Springer VS] 2014, 219 Seiten, 34,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseMediatisierung. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 3. September 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16818
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