Sándor Percze: Kunst, Kino und Kanzel

Einzelrezension
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Rezensiert von Christian Wessely

Kunst, Kino und KanzelEinzelrezension
Ist Sándor Perczes Versuch, das große und derzeit teilweise brachliegende Feld der Homiletik unter filmtheoretischen Gesichtspunkten neu zu bestellen, tauglich? Das ist die Leitfrage des Rezensenten, der sich mit Kunst, Kino und Kanzel. Die Ästhetik des Films und die Gestalt der Predigt auseinandersetzt. Ob diese Auseinandersetzung selbst wiederum tauglich ist, mag hinterfragbar sein: Ein katholischer Fundamentaltheologe soll ein Werk eines evangelisch-lutherischen Gemeindepfarrers kritisch würdigen. Kann dies gelingen, wenn die einzigen unmittelbaren Bindeglieder die Filmarbeit einerseits und die Gemeindearbeit andererseits (der Rezensent ist Diakon in einer Landpfarre) sind? Zumindest muss die nachfolgende Besprechung unter Berücksichtigung dieser Konstellation gelesen werden.

Mit einem Umfang von 332 Seiten ist das Werk nicht abschreckend, aber doch dick genug um etliche Lesestunden zu füllen. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis offenbart zweierlei: Erstens, dass hier systematisch sauber und einer konzisen Sachlogik entsprechend vorgegangen wurde; zweitens, dass es sich, wie Percze in seinem Vorwort auch darlegt, um die Druckfassung einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit handelt. Dennoch zeigt ein erstes kursorisches Hineinlesen kurze Sätze, klare Aussagen und übersichtliche Absatzgliederungen – eine Tugend, die man sich von etlichen deutschsprachigen AutorInnen in der theologischen Filmarbeit wünschen würde (der Rezensent schließt sich hier ausdrücklich ein).

Leider ergibt sich bei genauerer Lektüre dann doch der Eindruck, dass ein Lektorat für den Band nicht vorgenommen wurde. Allein im Vorwort finden sich schon Sätze ohne Verben (vgl. 10), Genusfehler und orthografische Abenteuerlichkeiten (“Geschpräch”, 11), von simplen Tippfehlern wie vergessenen Leerzeichen ganz zu schweigen. Schade! Gerade das Vorwort und die Einführung sind doch die Visitenkarten eines Buches; und hier zu schludern ist schlicht unangemessen – ein Vorwurf, den man allerdings eher dem Verlag als dem Autor machen muss.
Das abschließende Literaturverzeichnis (345ff.) ist lege artis ausgeführt. Erfreulich, dass sich hier nicht nur klingende Namen der evangelischen Filmarbeit und Theologie finden, sondern auch deren katholische Pendants in mehr als homöopathischer Dosis vertreten sind. Ein Personen- und Sachindex wäre hilfreich – ein Wunsch, der vielleicht im Rahmen einer Neuauflage zu berücksichtigen ist.

Nach dem Aufriss des Themas in der Einführung – warum fällt hier der lesenswerte Beitrag von Inge Kirsner unter den Tisch, obwohl ihr Buch im Literaturverzeichnis gelistet wird? (13; vgl. Kirsner 1996: 32-37) – beschreibt Percze die Entwicklung der Homiletik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Hinblick auf die Integration der Künste. Er handelt ausdrücklich Literatur, Musik, Malerei  und Theater ab und tut dies in einer der jeweiligen Kunstgattung angemessenen Form unter Berücksichtigung ihrer Genese und fokussiert auf praktische Aspekte. Der Ausblick stellt das Bindeglied zum Bereich des Filmes her.

Kurz wird die friktionsreiche gemeinsame Geschichte von Kirche und Film behandelt. Der Autor nimmt hier ausdrücklich auf katholische und evangelische Positionen Bezug. Allerdings unterläuft ihm ein sachlicher Irrtum, wenn er den Beginn der positiven Filmrezeption durch die römisch-katholische Kirche mit “[…] der Enzyklika von Pius XII. von 1957/58 in Zusammenhang […]” bringt (100). Vielmehr gilt die Enzyklika Vigilanti cura (Pius XI., 1936) als Grundstein der katholischen Filmarbeit.

Er umreißt auch potenzielle Konfliktfelder, die oft übersehen werden (wie den Anspruch auf grundlegende Narrationsmuster, vgl. 101) und geht dann über zu einer Beschreibung der evangelischen Filmpublizistik, die – ihren Meriten entsprechend – breit gewürdigt wird. Die bekannten Einsatzmöglichkeiten des Mediums Film im Rahmen einer Predigt kommen (auch betreffend ihrer Grenzen) zur Sprache (vgl. 118-146); der Abschnitt endet mit der Benennung der offenen Themenfelder und einem Hinweis auf deren nachfolgende Ausarbeitung (vgl. 144f.).

Im folgenden Teil, ‘Dramaturgie und Predigtarbeit’, faltet Percze seine eigenen Thesen aus und führt einige höchst interessante Überlegungen an. Faszinierend ist z. B. die Gegenüberstellung der Zeit, die der (deutsche?) Durchschnittsbürger vor dem Bildschirm verbringt (211 Minuten pro Tag) mit jener, die er einer Predigt lauscht (8-15 Minuten wöchentlich). Aber wäre es nicht sinnvoll, einen solchen Vergleich genauer zu betrachten? Es ist dem Rezensenten nicht klar, wie eine statistische Zahl, die sich wohl auf die Gesamtheit der Bevölkerung Deutschlands bezieht, mit der kleinen Teilmenge korreliert, die allsonntäglich einen christlichen Gottesdienst besucht – solche Vergleiche haben mithin zwar Illustrationswert, sind aber sachlich in dieser Form nicht hilfreich.

Nun aber wird es tatsächlich spannend und originell. Percze setzt die Frage der mythischen Erzählmuster nach Campbell und deren Verwendung im Film in Beziehung zur Homiletik (vgl. 152ff.) und verbindet im Abschnitt ‘Aristoteles’ Poetik und die Dramaturgie des Films’ die Adaption filmischer Erzählmuster mit der Lehre des großen Hellenen. Dies führt für ihn zum ‘Drama des Dogmas’, wobei er sich erheblich auf das Innsbrucker Konzept der dramatischen Theologie stützt (vgl. 189) und konsequent einfordert, dass die Predigt durch “[…] Hinführung in die Spannung des Dogmas Katharsis auslöst“ und “dogmatische Spannungen eines Textes […] als handelnde Größen oder Kräfte dargestellt [werden müssen]“ (192). Diese (und einige vorhergehende) Postulate versucht er im Folgenden zu unterfüttern.

Dabei ist insbesondere der Versuch hervorzuheben, mit den Gestaltungsmitteln eines ‘Drehbuchs‘ auf die inneren Bilder der RezipientInnen zu rekurrieren, und zwar in Kenntnis der Tatsache, dass dieselben wesentlich stärkere emotionale Reaktionen hervorrufen als alle noch so detaillierten verbalen Schilderungen innerer Vorgänge (vgl. 220ff.). Nicht der Eindruck, den eine handelnde Person hinterlässt, sondern die handelnde Person selbst wird in den Mittelpunkt gestellt. Im folgenden Vergleich epischer und dramatischer Erzählform betont Percze die Losgelöstheit der epischen Erzählung von Kausalität und Finalität, die die dramatische bestimmen (vgl. 229) und bezieht sich dabei auf Benke (2002); ob die These allerdings bei LiteraturwissenschaftlerInnen in dieser Form ungeteilte Zustimmung finden würde, ist zu bezweifeln. Zu deutlich sind die Auffassungsunterschiede; vgl. z.B. Merchant 1971 mit Christians 2004 oder Müller-Dyes 1984.

Was sich aus den Überlegungen aber schlüssig herleitet, ist das Kapitel, das Sándor Percze nun dem Prinzip der Montage unter besonderer Berücksichtigung der richtungsweisenden Ansätze von Kuleschow, Pudowkin und Eisenstein widmet. Die Montage scheint zwar vordergründig ein rein strukturelles Vorgehen zu sein, wird aber tatsächlich gerade dadurch zu einer wesentlichen inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeit: Der Film ist – anders als ein linearer Text, eine szenische Inszenierung und erst recht anders als ein statisches Kunstwerk – in seiner Aussage in höchstem Maße von der Montage abhängig, er entsteht letztlich im Schneideraum und nicht am Set. Die unter dem Zwischentitel ‘Der Kuleschow-Effekt’ behandelte Frage nach dem Zusammenhang von Montage und Wirkung auf ZuschauerInnen verdeutlicht dies sehr gut.

Schließlich weist Percze auf die Möglichkeiten hin, die sich im Anschluss an Zwick (1991) aus der Erkenntnis ergeben, dass Montage tatsächlich auch ein wesentlicher Bestandteil biblischer Erzählungen ist (beispielhaft ausgeführt an Markus 15,21-41; vgl. 322ff.), und leitet über zur Möglichkeit von ‘Montage-Formen in der Predigt’. Hier führt er Fachbegriffe aus der Schnitttechnik ein und wendet sie auf die strukturelle Gestalt von biblischen Texten bzw. Predigtbeispielen an. Mit einer kurzen Zusammenfassung endet das Buch.

Mit seinem Buch Kunst, Kino und Kanzel hat Sándor Percze ein Werk vorgelegt, das in gewisser Weise Neuland betritt: Prinzipien der Filmmontage nicht nur dem Namen nach, sondern auch faktisch auf den Text anzuwenden, ist in der Tat ein – soweit der Rezensent sehen kann – innovativer und spannender Ansatz. Wie bei allen derartigen methodischen Überlegungen gilt natürlich auch hier, dass seine Idee nicht von allen Ausführenden und für alle Gelegenheiten sinnvoll anzuwenden sein wird; sie bedeutet aber immerhin eine wertvolle Erweiterung des ‘homiletischen Werkzeugkastens’, von der auch der Rezensent durchaus profitieren wird.

Sándor Percze argumentiert umfassend und weitgehend solide; die wenigen Fragen, die aus Sicht des Rezensenten offen, und die Handvoll Ungenauigkeiten, die am Ende übrig bleiben, kann man durchaus in Kauf nehmen (im Rahmen einer Neuauflage sollten sie aber tunlichst korrigiert werden).

Dass der Verlag insbesondere im Bereich des Lektorates am falschen Platz gespart hat, ist ein Schönheitsfehler, der dem sachlichen Wert des Buches nicht abträglich sein soll.

Literatur:

  • Christians, Heiko: Der Traum vom Epos. Romankritik und politische Poetik in Deutschland (1750 – 2000). Freiburg [Rombach] 2004.
  • Kirsner, Inge: Erlösung im Film. Praktisch-theologische Analysen und Interpretationen. Stuttgart [Kohlhammer] 1996.
  • Merchant, Paul: The Epic. London [Methuen] 1971.
  • Müller-Dyes, Klaus: Literarische Gattungen. Lyrik, Epik, Dramatik. Freiburg [Herder] 1984.
  • Zwick, Reinhold: Montage im Markusevangelium. Studien zur narrativen Organisation der ältesten Jesuserzählung. Stuttgart [Katholisches Bibelwerk] 1991.

Links:

Über das BuchSándor Percze: Kunst, Kino und Kanzel. Die Ästhetik des Films und die Gestalt der Predigt. Reihe: Studien zur christlichen Publizistik, Band 22. Erlangen [Christliche Publizistik Verlag] 2013, 364 Seiten, 25,- Euro.Empfohlene ZitierweiseSándor Percze: Kunst, Kino und Kanzel. von Wessely, Christian in rezensionen:kommunikation:medien, 8. September 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16886
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