Bernard Schüler: Der Ullstein Verlag und der Stummfilm

Einzelrezension
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Rezensiert von Patrick Rössler

Schüler_Der Ullstein Verlag und der StummfilmEinzelrezension
Kaum ein Branchenkongress ohne Vortrag über Triple Play, kaum ein Filmfestival ohne Vermarktertreffen – crossmediale Verwertungsketten sind inzwischen eher die Regel denn die Ausnahme in der Content-Produktion. Ein Phänomen des Internet-Zeitalters oder zumindest der explosionsartigen Ausweitung des Medienmarktes seit den 1980er Jahren, könnte man meinen, aber weit gefehlt: Schon eingangs der Weimarer Republik schmiedeten der einflussreiche Ullstein-Verlag und die zweitgrößte deutsche Filmfirma, die Decla-Bioscop AG, eine strategische Allianz. Die Uco-Film GmbH als gemeinsames Tochterunternehmen hatte einzig den Zweck, die zuvor in der Berliner Illustrierten Zeitung, einem der Flaggschiffe des Hauses Ullstein, erschienenen Fortsetzungsromane auf die Leinwand zu bringen. Diese enge Partnerschaft zwischen Presse und Film war seinerzeit tatsächlich noch ohne Vorbild, denn der Schritt des Kinos von der Jahrmarktattraktion zu einer ernstzunehmenden kulturellen Unternehmung lag nicht lange zurück, und seinen unzweifelhaften kommerziellen Potenzialen haftete noch immer ein zweifelhaftes Image an.

Angesichts der offenkundigen Bedeutung dieses Fallbeispiels als ein frühes Lehrstück über Erfolg und Scheitern eines Medienverbundes mag es verwundern, dass dessen zusammenhängende und fundierte Aufarbeitung bis heute auf sich warten ließ. Dies ist zum einen der (aufgrund der Zeitläufte) ziemlich desaströsen Quellenlage geschuldet; vielmehr aber vielleicht der Tatsache, dass dafür nur ein transdisziplinärer Zugang Erfolg verspricht, der auf Befunde im Schnittfeld von Verlagsgeschichte, Publizistik, Filmwissenschaft und nicht zuletzt der Medienökonomie zurückgreift. Die lange erwartete Publikation auf Basis der Dissertation des Mainzer Buchwissenschaftlers Bernard Schüler schließt nun diese Lücke, und seine materialreiche Studie zeigt die Möglichkeiten, aber in erschreckendem Umfang auch die Grenzen auf, die das verfügbare Material der Analyse von selbst vergleichsweise kurz zurückliegenden Medienphänomenen setzt. Denn Kriegsschäden und Archivverluste schränken die historische Rekonstruktion erheblich ein, ganz zu schweigen von der ohnehin lückenhaften Überlieferung all dessen, was in vergangenen Zeiten als ‘Unterhaltung’ (und mithin wertlos, jedenfalls nicht sammel- oder aufbewahrungswürdig) galt. Wenn selbst von den fünf Filmen, die die Uco letztlich produzierte, heute zwei gänzlich verschollen sind, ist eigentlich alles gesagt.

Dass es Schüler trotzdem gelingt, mit seiner umfangreichen Ausarbeitung deutlich über ein hilfloses “Ich weiß, dass ich nichts weiß” hinauszukommen, liegt sicher an seiner minutiösen Recherche auch abgelegener Dokumente, archivalische Zufallsfunde inklusive – viel mehr aber noch an seinem Mut, die klar benannten Fehlstellen durch gut begründete Spekulationen zu überbrücken. Insgesamt ergibt sich so ein facettenreiches Bild dieser Symbiose von Illustriertenpublizistik und Stummfilm, den beiden prägenden Phänomenen jenes machtvollen Durchbruchs des Visuellen, die sich auch gut im Kontext des “Iconic Turn” der Zwischenkriegszeit verorten ließe. In einem ersten, eher systematischen Teil beleuchtet Schüler das Zusammenwirken von Verlags- und Filmbranche in einem multimedialen Vermarktungskonzept, und aus zahlreichen Einzelbeobachtungen lernen wir, wie problematisch sich die Ausgestaltung dieser Schnittstelle für zwei Medienunternehmen erwies, die auf eine solche Kooperation im Grunde weder organisatorisch noch juristisch vorbereitet waren. In einem zweiten, fallbezogenen Teil wird jeder einzelne der fünf entstandenen Filme hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte, ergriffenen Werbemaßnahmen, Publikums- und Kritikerresonanz sowie seines ökonomischen Erfolges untersucht. Dass dabei gewisse Redundanzen unvermeidlich sind, soll nicht stärker ins Gewicht fallen, weil damit auch die einzelnen Teile der umfassenden (aber bei diesem Thema unverständlicher Weise ohne eine einzige Abbildung gedruckten) Ausarbeitung für sich stehen können und einzeln konsumierbar sind.

Allerdings sei exemplarisch auf einige Brüche und Fehldeutungen hingewiesen, die wohl dem transdisziplinären Zugang geschuldet sind, bei dem man fairerweise keine Tiefenexpertise in den jeweiligen Einzeldisziplinen verlangen darf. Von einer filmhistorischen Warte aus könnte man anmahnen, dass die einzelnen Werke nur rudimentär in die Werkgeschichte der Beteiligten eingebunden werden (etwa erfährt man erst zum Ende des Buches hin, dass Fritz Lang, Regisseur des größten Uco-Erfolgs Dr. Mabuse, der Spieler, mit der Drehbuchautorin Thea von Harbou verheiratet war). Aus Perspektive der Kommunikatorforschung mag man ankreiden, dass keine Unterscheidung zwischen Werbung und Public Relations getroffen wird, weshalb in der Folge auch die Rolle von Journalisten in dem Prozess nicht hinreichend differenziert erscheint: Schüler übersieht, dass sich die “Filmbesprechungen” jener Tage grundsätzlich in Rezensionen unabhängiger Kritiker und inhaltslastige PR-Texte der Verleihe unterscheiden lassen, die oft kommentarlos abgedruckt wurden und auf durchaus unterschiedliche Funktionszusammenhänge verweisen. Auch die mitunter seitenlangen Zitationen aus den Originalartikeln ermüden den Leser zuweilen.

Schließlich fällt aus Sicht der Publizistikwissenschaft auf, dass sich der Autor bei der Einordnung mancher Quelle schwertut: Der Illustrierte Filmkurier (IFK, Berlin) beispielsweise wird durchweg als Zeitschrift bezeichnet, und dessen mehrseitige Filmvorstellungen als “Werbung”. Dies verkennt, dass es sich beim IFK tatsächlich um eine Filmprogrammreihe handelte, die immer nur einem Film gewidmet war – vermutlich hat der Autor mit gebundenen Jahrgangsbänden gearbeitet, in denen diese Unterscheidung leicht verlorengeht. Der IFK erschien zwar periodisch und wurde an Abonnenten der Film-Tageszeitung Film-Kurier ausgeliefert bzw. konnte an den Kinokassen erworben werden; in der Hauptsache wurden diese Filmprogramme aber von den Verleihen als PR-Maßnahme initiiert und mit reichem Abbildungsmaterial und Inhaltsangaben unterstützt. Daher existieren auch Parallelausgaben ohne den Zeitschriftenkopf, die zu Werbezwecken direkt abgegeben wurden. Eine wichtige Funktion des Filmprogramms für den Kinogänger war die eines Erinnerungsblatts an den Kinobesuch, weshalb es oft mit Datumsangaben versehen oder die Eintrittskarte aufgeklebt wurde. Und dies klärt auch die offene Frage des Autors, weshalb in den Programmen der Schluss des Films erzählt wurde – zum Zeitpunkt von deren Erwerb war der Kinobesuch meist schon erfolgt.

Aber diese kritischen Einzelbeobachtungen können den imponierenden Gesamteindruck der Studie nur geringfügig trüben. Neben ihrer treffenden literaturhistorischen Einbettung überzeugt Bernard Schülers akribische Stoffverwertung gerade in der Darstellung der verwickelten Geschäftsprozesse, die letztlich auch das crossmediale Pionierunterfangen Uco zu einem Fehlschlag werden ließen. Zwischen Kriegstraumata und Hyperinflation schien die Zeit wohl noch nicht reif für einen Medienverbund solcher Prägung.

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Über das BuchBernard Schüler: Der Ullstein Verlag und der Stummfilm. Die Uco-Film GmbH als Ausdruck einer innovativen Partnerschaft. Reihe: Mainzer Studien zur Buchwissenschaft, Band 23. Wiesbaden [Harrassowitz] 2013, 344 Seiten, 65 Euro.Empfohlene ZitierweiseBernard Schüler: Der Ullstein Verlag und der Stummfilm. von Rösler, Patrick in rezensionen:kommunikation:medien, 24. März 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16191
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