Rezensiert von Ahmad Milad Karimi
Lale Behzadi wendet sich in ihrer Studie Sprache und Verstehen einem Thema zu, das weit über die Grenzen der Arabistik und Islamwissenschaft, von sprachphilosophischer und sprachhistorischer Bedeutung reicht. Gegenstand der Untersuchung ist die arabische Sprache. Um zeigen zu können, dass sich die Debatten um die arabische Sprache im Spannungsfeld der theologischen Überlegungen und zugleich unkonventionell geführten sprachkritischen und erkenntnistheoretischen Diskurse bewegt haben, widmet sich die Autorin dem Literaturtheoretiker und Sprachwissenschaftler, ja dem Universalgelehrten al-Ǧāḥiẓ (ca. 776-868), über den der Historiker Ibn Chaldūn in seinem berühmten muqaddima schreibt, dass er einer der ersten Gelehrten gewesen sei, der die Fundamente für eine umgreifende Sprachwissenschaft gelegt und mithin die Bedingung der Möglichkeit ihrer Eigenständigkeit geschaffen habe.Die Originalität dieser Studie liegt darin, dass sie aufgrund der sprachtheoretischen Analysen nicht nur die Bedeutung und den Stellenwert der Sprache, der Sprachwissenschaft vornämlich im 9. Jahrhundert untersucht, sondern zugleich auch den Blick für das Gesamtwerk al-Ǧāḥiẓ’ eröffnet.
Die Frage ist nämlich, inwiefern überhaupt Sprache und die damit verbundenen Ausdrucksdimensionen Gegenstand einer Wissenschaft sein können, sind doch “individuelle Empfindungen und subjektive Reaktionen” (31) insbesondere in der Dichtung tragend? Können Menschen ohne Sprache erkennen? Was ist die Sprache und wie geschieht überhaupt Vermittlung? In welchem Zusammenhang stehen Sprache und Welt zueinander? Oder in ästhetischer Hinsicht gefragt: Wie sind Sprache und Wahrnehmung miteinander verknüpft? Welche Rolle spielt dabei die Theologie, bedenkt man dabei die Tatsache, dass das Offenbarungsgeschehen im Islam als ein Sprachakt aufgefasst wird? Behzadi führt in die Thematik ein, indem zunächst die Rahmenbedingungen für die Entstehung einer eigenen Disziplin der Sprachforschung in der Frühzeit des Islams dargelegt werden. Schrittweise stellt die Autorin die Bedeutung der arabischen Sprache zwar knapp, aber konzentriert, in zeitgeschichtlicher, theologischer und sprachkritischer Hinsicht dar.
Nach dieser gelungenen Kontextualisierung wird das Hauptkapitel des Buches über al-Ǧāḥiẓ’ Ringen um den besten Ausdruck eingeleitet. Hier werden die Argumentationen vorwiegend aus al-Ǧāḥiẓ’ Schrift Kitāb al-bayān wat-tabyīn entwickelt, wobei flankierend auch Kitāb al-ḥayawān herangezogen wird. Behzadi diskutiert dabei systematisch die wichtigsten Begriffe und sprachkritischen Analysen, die vor allem den Begriff des al-bayān, d. h. Deutlichkeit der Ausdrucksform in den Mittelpunkt stellen. Al-Ǧāḥiẓ’ ist nämlich der Ansicht, dass der Mensch nicht nur ein sprachliches Wesen ist, sondern sein Selbst-, Welt- und Gottesverständnis in der Sprache verwurzelt sind. Ziel der Sprachwissenschaft sei demnach, die bestmögliche und adäquate, d. h. eindeutige Beschreibung des Ganzen zu leisten.
Der Mensch verfügt, so die Auffassung von al-Ǧāḥiẓ, über ein Zeichensystem, wodurch er vermögend ist, die Schöpfung zu erkennen, ja ihm wird überhaupt die Welt erst durch Zeichen zugänglich (57ff.), so dass sprachliche Zeichen, ob verbal oder nonverbal, für das Leben des Menschen konstitutiv werden. In diesem Zusammenhang ist der Mensch nach dem Zeichentheoretiker al-Ǧāḥiẓ aufgerufen, in der Erkenntnis nach Eindeutigkeit zu streben.
Besonders ersichtlich wird in dieser Studie die Verstrickung der Theologie und Sprachanalyse; denn die Pflicht des Menschen, ein gottesfürchtiges Leben zu führen, bedeutet eben, dass der Mensch im Verhältnis zu seinem Schöpfer und im gleichen Atemzug zu den anderen Menschen durch Zeichen, die ihm potentiell zur Verfügung stehen, Eindeutigkeit herzustellen hat. Ein sicheres Wissen über Zeichen, die nach al-Ǧāḥiẓ allein sprachlich verfasst sind, wird für die Menschen zu einem Grundanliegen. Überspitzt könnte man sagen, dass eine Emanzipation der Sprachwissenschaft von der Theologie, welche durch die notwendige Koranexegese vorherrschend war, gerade durch die Theologie selbst bewirkt wird. Die Sprache wird die Heimat des Menschen, eine Heimat, über die er nicht verfügt. Im Streben nach Eindeutigkeit nämlich wird er letztlich scheitern, bleibt doch ein dunkler Rest, der sich nicht entschleiern lässt. Dies ist insofern sympathisch, als sie die “notwendige Unabgeschlossenheit erkenntnis- und sprachtheoretischer Überlegungen zutage” (172) treten lässt und mithin die der Sprache innewohnende Offenheit unterstreicht.
Trotz der theologischen und schöpfungstheoretischen Implikationen, die für al-Ǧāḥiẓ konstitutiv waren, konstatiert Behzadi unmissverständlich, dass “er doch für einen diesseitigen Zweck” (168) geschrieben habe. Eine diesseitige Welt, die ihn und seine unermessliche Schaffenskraft würdigt. So beschreibt Behzadi im nächsten Kapitel die Rezeptionsgeschichte von al-Ǧāḥiẓ’ Analysen, die sprachphilosophisch und theologisch Kreise gezogen haben, wenn er auch “insgesamt eher negativ” (132) aufgenommen wurde, vielleicht auch weil er “keine ausgefeilte Monographie zur Kritik der arabischen Sprache erarbeitete” (170).
Die Studie wird mit einer Schlussbetrachtung über das Werk von al-Ǧāḥiẓ abgerundet. Sie ist klar strukturiert, und sie zeigt eindrucksvoll den Beginn einer von der Theologie durchaus entfesselten Sprachwissenschaft mit umfassenden sprachtheoretischen Analysen der arabischen Sprache im 9. Jahrhundert.
Aufgrund der Fülle der Begriffe und einzelnen Analysen, die wiederum in unterschiedlichen Hinsichten reflektiert werden, wäre, so könnte man kritisch bemerken, eine kategorische Darlegung der Termini mit ihren jeweiligen Bedeutungsfeldern hilfreich gewesen, doch die Verfasserin verstrickt die Leser in Worten, prägnante Ausdrucksformen, die zuweilen an al-Ǧāḥiẓ erinnern.
Links:
Über das BuchLale Behzadi: Sprache und Verstehen. al-ǦÄḥiẓ über die Vollkommenheit des Ausdrucks. Reihe: Diskurse der Arabistik, Band 14. Wiesbaden [Harrassowitz Verlag] 2009, 186 Seiten, 48,- Euro.Empfohlene ZitierweiseLale Behzadi: Sprache und Verstehen. von Karimi, Ahmad Milad in rezensionen:kommunikation:medien, 5. Dezember 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/4197