David Waldecker: Mit Adorno im Tonstudio

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert vom Carsten Heinze

Einzelrezension

Die Herstellung von Musik in einem Tonstudio übt in mindestens zwei Hinsichten eine besondere Faszination aus. Einerseits kommen Musiker*innen, Bands oder Ensembles an einem technisch speziell hierfür konzipierten Ort zusammen, um in einem komplizierten, mal kürzer, mal länger währenden Prozess des “gemeinsamen Musizierens” (Alfred Schütz) zusammen mit Toningenieur*innen ein klingendes Produkt herzustellen. Andererseits sind es die historischen Spuren dieser mystischen Orte und der dort produzierten Alben und Künstler*innen, die faszinieren und über eine räumliche, technische und auch ästhetische Aura verfügen. Das Tonstudio verkörpert den modernen, auf Rationalisierungen beruhenden Prozess der Musikproduktion und ist damit Teil der musikindustriellen Professionalisierung. Diesem Ort ist die vorliegende Untersuchung gewidmet.

Wer sich als Außenstehende*r für Tonstudios und die dort stattfindenden Abläufe interessiert, hat kaum Gelegenheit, daran teilzunehmen und Einblicke zu gewinnen. Musikproduktion findet hinter verschlossenen Türen statt. Schon deshalb ruft sie die Neugier von Hörer*innen und Fans hervor. Jedoch kann auf Filme zurückgegriffen werden, die diesen Teil der Musikproduktion dokumentarfilmisch begleitet haben. Für Musikinteressierte ist es so möglich, filmisch einen audio-/visuellen Eindruck künstlerisch-kreativer Praxis zu erhalten und in die Atmosphäre der Studioarbeit einzutauchen.

Das Tonstudio ist Gegenstand zahlreicher Dokumentarfilme, die einen Blick hinter die Kulissen der Musikproduktion werfen und Musiker*innen, Bands sowie Ton-Ingenieuren bei ihrer Tätigkeit zusehen. Ein frühes Beispiel hierfür liefert etwa Jean-Luc Godards One Plus One/Sympathy for the Devil (FR 1968), der die Rolling Stones bei den Aufnahmen des Songs “Sympathy for the Devil” zeigt. Heinz Emigholz‘ Film 2+2=22 [The Alphabet] (DE 2017) über Studioaufnahmen der Düsseldorfer Band Kreidler in Tiflis, Georgien, knüpft an Godards Film an. Für die knapp acht Stunden dauernde Mini-Serie Get Back (US 2021) über die Entstehung wegweisender Songs zum Album “Let it be” der Beatles vertiefte sich Peter Jackson in zeitgenössisch entstandene Ton- und Filmarchivaufnahmen, um daraus einen neuen Film zu schneiden.

Während diese drei Filmbeispiele die kreative Arbeit der Bands in den Mittelpunkt rücken und verklären, hebt Harun Farockis Single. Eine Schallplatte wird produziert (DE 1980) den seriellen, arbeitsteiligen und mitunter nervenaufreibenden Prozess im Tonstudio bei der Produktion einer Hitsingle hervor. Dass der Aufnahmeprozess eines Albums durchaus künstlerische und damit ausstellungswürdige Qualitäten besitzen kann, belegt PJ Harvey – A Dog called Money (IR/GB 2019): In diesem Film werden die Aufnahmen PJ Harveys zu ihrem Album “The Hope Six Demolition Project” gezeigt, in dem das Tonstudio zugleich als Kunstinstallation für ein beobachtendes Publikum zugänglich gemacht wurde. Auch prominente Musikproduzent*innen wie Conny Plank rücken in den Aufmerksamkeitsbereich dokumentarischer Filme, wie Conny Plank – The Potential of Noise (DE 2017) belegt. Schließlich veranschaulicht der Blick hinter die Kulissen auch die psychosozialen Belastungen und Verwerfungen, die während der Arbeit im Studio auftreten können: Metallica: Some Kind of Monster (US 2004), der den Produktionsprozess an ihrem neunten Studioalbum St. Anger begleitet, berichtet von zeitweiligen Zerwürfnissen der Band. Zahlreiche weitere Filme wären zu nennen, in denen das Tonstudio Gegenstand dokumentarfilmischer Darstellungen ist.

Dokumentarfilm und Ethnografie teilen das Interesse an der sozialen Beobachtung. Zwar beschäftigt sich die vorliegende Studie nicht mit Filmen, aber dass über filmische Artefakte nicht nur Produzierende, sondern ebenso Studios zu “Stars” stilisiert werden können, darauf weist auch David Waldecker in seiner Untersuchung hin (vgl. 302-303). Hierin geht es um einen ethnografischen Gang ins Tonstudio, der gedanklich begleitet wird von Theodor W. Adorno und dessen Musiksoziologie. Es handelt sich, wie es im Untertitel heißt, um eine Soziologie der Musikproduktion. Mit der Fokussierung auf die Arbeit im Tonstudio grenzt sich Waldecker konzeptuell von musiksoziologischen Arbeiten ab, die entweder die Musik als Endprodukt, als situativ-performative Aufführung, als soziales Distinktionsmerkmal oder als Teil spezifischer Subkulturen und Milieus verstehen wollen (vgl. 14).

Demgegenüber geht es ihm um die Transformationen des Klangs im Prozess seiner Herstellung. Das, was die Hörer*innen als Endprodukt präsentiert bekommen, entsteht erst mittels des Einsatzes moderner Technik und deren spezifisch räumlicher Anordnungen. Für die Musiksoziologie erhofft sich der Autor durch eine derartige Perspektivierung empirische Impulse auf ein wichtiges Scharnier innerhalb der Musikproduktion geben zu können, das ihm zufolge in der soziologischen Forschung bisher zu wenig Berücksichtigung gefunden habe. Gleichzeitig unterbreitet David Waldecker einen methodologischen Vorschlag zur Überwindung der vorhandenen Gräben zwischen Kritischer Theorie und Ethnografie, indem er mit Adorno einen theoretisch ungewöhnlichen Zaungast teilhaben lässt an einer ethnografisch orientierten Studie.

Die Wahl Adornos ist nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung von Kritischer Theorie und Ethnografie ungewöhnlich, sondern auch, weil als empirische Beispiele der Untersuchung die Produktion einer Hardcore-Band und eines Jazz-Ensembles gewählt wurden – Musikstile, die von Adorno wenig geschätzt wurden/worden wären. Waldecker rückt Adorno “in dreierlei Hinsicht in den Blick: als Stichwortgeber für eine Soziologie des Tonstudios, als Autor einer kritischen Musiksoziologie im weiteren Sinn, der auch in der aktuellen, praxeologischen Musiksoziologie diskutiert wird, und des Weiteren als Theoretiker einer kritischen Methodologie der Sozialforschung.” (18)

Erklärtes Ziel der Untersuchung ist es, das Tonstudio als Ort der modernen Produktion von Klang im Prozess seiner technischen Herstellung mithilfe der ethnografischen Beobachtung empirisch zu untersuchen und so einen spannenden Beitrag zu leisten für Einsichten in die Abläufe technisch-transformativer Musikproduktion. Gleichzeitig soll auf theoretisch-methodologischer Ebene Adornos kritische Musiksoziologie für die ethnografische Forschung (neu) erschlossen bzw. durch ein ‘close reading’ reaktualisiert werden. Um dies zu erreichen, ist die Arbeit unterteilt in einen theoretischen, einen methodologischen und einen empirischen Teil.

Der theoretische Teil widmet sich zum einem der Durchsicht musiksoziologischer Ansätze zu den Aspekten Raum und Technik. Zwei Aspekte, die im Rahmen einer Untersuchung zum Tonstudio von besonderer Bedeutung sind, da diese maßgeblich die Herstellung des klanglichen Endprodukts prägen. Zunächst werden in einem vorangestellten Exkurs Elemente einer Geschichte des Tonstudios aufgearbeitet, die von der mechanischen Aufnahme um 1870 bis in die digitale Gegenwart reicht und die Veränderungen im Zuge technischer Entwicklungen hinsichtlich ästhetischer Fragen, aber auch Fragen des Arbeitsfeldes der Tonverarbeitung beleuchtet. Dieser Abschnitt schließt mit der Feststellung, dass angesichts der Vereinfachung und Verkleinerung der technischen Geräte die Studiolandschaft vielfältiger geworden ist, da heutzutage beinahe jede*r in der Lage sei, Klänge quasi im Vorbeigehen aufzunehmen sowie zuhause weiterzuverarbeiten (vgl. 44-45).

Im folgenden Abschnitt zu Raum und Technik rekonstruiert Waldecker die (bis heute dünne) Forschungslage der Musiksoziologie zum Tonstudio und zur soziologischen Beschäftigung mit Musik im Allgemeinen. Er kommt zu dem Schluss, dass lediglich die – in der Soziologie ebenso selten wahrgenommenen – Sound Studies sich umfassender mit der Produktion, der Vermittlung und dem Klangkörper von Musik auseinandersetzen. Die Einschätzung, dass die Soziologie (aktuell) wenig Interesse an Musik zeige, ließe sich auf andere kulturelle Artefakte (wie den Film oder die Literatur) übertragen.

Bevor Waldecker das erste Ziel seiner Untersuchung angeht – die theoretische Diskussion und Würdigung der kritischen Musiksoziologie Adornos – schiebt er einen weiteren Exkurs dazwischen und fragt nach der Rezeption Adornos innerhalb der Musiksoziologie. Hier weist der Autor eine selektive Adorno-Exegese nach, welche aber überwiegend auf die Ablehnung seiner Überlegungen hinauslaufe und dabei kaum oder gar nicht die gesellschaftstheoretische und kritische Dimension seiner Musiksoziologie berücksichtige. Genau hierin aber läge, so Waldecker, das Potential einer Reaktualisierung Adornos im Zeichen aktueller Musikproduktionsprozesse im Licht gesellschaftstheoretischer Perspektiven.

Nachdem die musiksoziologischen Bezugnahmen auf Adornos Werk kritisch aufgearbeitet worden sind, wendet sich Waldecker schließlich im Einzelnen den Aspekten Musik, Raum und Technik innerhalb Adornos Musiksoziologie zu und versucht die Kritik daran weiter zu “entkräften”. Insbesondere wird der vielstimmige Begriff der Technik eingehender diskutiert und als Konzeption für eine “zeitgenössische Rezeption seiner Musiksoziologie” vorgeschlagen (119).

Der zweite Hauptteil ist der “Methodologie” gewidmet, die insofern als solche konzeptuell angelegt ist, als dass hier zunächst keine methodische Vorgehensweise erläutert wird, sondern vor dem Hintergrund des theoretischen Teils der Versuch unternommen wird, die kritische Soziologie Adornos für die ethnografisch orientierte, empirische Feldforschung zu erschließen. Hier wird besonders sein Werk zur “Negativen Dialektik” herangezogen und zur ethnografischen Methodologie ins Verhältnis gesetzt und darin erkennbare Parallelen herausgearbeitet.

Anschließend stellt Waldecker kurz seine beiden Fallbeispiele vor, die einen musikkulturellen Kontrast zueinander bilden: Eine Band kommt aus dem Hardcore, bei der anderen handelt es sich um ein Jazz-Ensemble. Amateure und Professionelle sollen so gegenübergestellt werden, wobei es Waldecker in erster Linie um die Bedingungen und Umsetzungen der Musikaufnahmen (und Nachbearbeitungen) im Tonstudio geht. Dabei gestaltet sich die Beobachtung der Hardcore-Band langwieriger, da diese nicht nur im Tonstudio, sondern auch bei den vorherigen Proben begleitet wird. Das war im Fall des Jazz-Ensembles nicht möglich, da es nach Auskunft des Autors keine vorherigen Proben gab. Insofern fallen auch die Beschreibungen zum Fallbeispiel des Jazz-Ensemble geringer aus als zum Fallbeispiel der Hardcore-Band, sie bilden vielmehr einen Kontrast. Nicht unerheblich für die im empirischen Teil äußerst präzise und fokussiert beschriebenen Beobachtungen ist sicherlich, dass Waldecker selbst Instrumente spielt und Erfahrungen in verschiedenen musikalischen Zusammenhängen besitzt, wie er schreibt.

Im dritten Hauptteil wendet sich der Autor der empirischen Aufarbeitung seiner ethnografischen Beobachtungen und Materialien zu. Dieser Abschnitt ist untergliedert in “Proben”, “Aufnehmen” sowie “Mischen und Meistern” als Prozesse der transformativen Klangerzeugung. Das Proben als thematisches Feld betrifft nur die Hardcore-Band, da diese ihre späteren Tonstudioaufnahmen, die aufgrund der anfallenden Kosten zeitlich knapp bemessen sind, hier vorbereitet. Das Jazz-Ensemble hingegen kommt nur zusammen, um nach kurzer Abstimmung in den Prozess des Aufnehmens im Tonstudio überzugehen, ohne zuvor zu proben. Für die Hardcore-Band ist der Proberaum, wie Waldecker hervorhebt, ein sozialer Ort der Vergemeinschaftung und der Band-Zusammenkunft, an dem nicht nur geprobt, sondern auch gemeinsam über die Songs diskutiert und die Zusammengehörigkeit gelebt wird. Zugleich legt Waldecker überzeugend dar, wie soziale und technische Abstimmungsprozesse bei der Entwicklung von Songs im Detail ablaufen und welche Rolle dabei der Einsatz technischer Geräte (wie Verstärker, Mikrofone, Verzerrer oder auch das Metronom) spielt. So wird das Proben zu einer ersten eigenen Form des gemeinsamen Musizierens, dessen nächster Produktionsschritt die Aufnahme im Tonstudio ist.

Im nächsten Unterabschnitt “Aufnehmen” steht das Tonstudio im Mittelpunkt als in räumlicher und technischer Hinsicht interessierender Ort der Musikaufnahme. Eine erkenntnisleitende Perspektive liegt für Waldecker hier in der Frage, ob und inwieweit sich die Produktions- und Aufnahmeprozesse der (Amateur-)Hardcore-Band von dem (professionellen) Jazz-Ensemble unterscheiden – oder eben auch nicht.

Hinzu kommt als neuer Akteur*in die/der Toningenieur*in. Sie/er entscheidet über die technischen Möglichkeiten der Klangherstellung unter Berücksichtigung der Wünsche der Musizierenden und bringt das notwendige Know-How für Perfektionierung des Klangs mit. Genau beobachtet Waldecker in der Vorbereitung zur Aufnahme die “Mikrophonierung”, jenen Vorgang, der in einer komplexen Aufstellung und Ausrichtung der verschiedenen Mikrofone im Raum und an den Instrumenten besteht. Der Einsatz der Mikrofone und der elektrifizierten Instrumente erzeugen einen Klang, der ohne die Technik gar nicht hörbar wäre. Dass, was die Konsument*innen von Musik am Ende zu hören bekommen, ist Ergebnis einer äußerst komplizierten und wohlaustarierten Raum-/Technik-Konstellation, die eine Variationsbreite in Aufnahme und Verarbeitung je nach Vorstellung und Bedarf der jeweiligen Musizierenden bietet.

Die Arbeitsvorgänge und Herstellungsprozesse werden durch den Aufnahme- und den Regieraum bedingt und zu zwei getrennten Sphären: Der Regieraum ist der zentrale Ort, an dem die Toningenieure letzte klangliche Abstimmungen der im Aufnahmeraum musizierenden Musiker*innen am Mischpult vornehmen und ggf. korrigieren. Die räumliche Trennung, so Waldecker (vgl. 251), markiert zugleich die Differenz und unterschiedliche Ausrichtung der musikalischen Wissenskulturen zwischen Musizierenden und Toningenieur*innen. Die Arbeit im Tonstudio ist, so wird zusammengefasst, “als eigene soziale Welt zu begreifen”, wobei trotz musikalischer Unterschiede und unterschiedlicher Professionalisierungsgrade zwischen Hardcore-Band und Jazz-Ensemble Parallelen zu beobachten sind.

Der dritte Unterabschnitt des empirischen Teils wendet sich dem “Mischen und Meistern” zu und beobachtet die Bearbeitungen der Songs mithilfe entsprechender Software. Während die Musiker*innen des Jazz-Ensembles an der finalen Abmischung keinen Anteil haben, “bewerten und entscheiden” (266 ff.) die Mitglieder der Hardcore-Band das Ergebnis ihrer Tonstudioaufnahmen gemeinsam und nehmen entsprechend ihrer jeweiligen Vorstellungen klangliche Justierungen vor, um die Aufnahme in ihrem Sinne klingen zu lassen. Auch hierin steckt wiederum ein sozialer Aspekt der Vergemeinschaftung (und hardcore-adäquaten Gleichheit aller Bandmitglieder), der in diesem Sinne beim Jazz-Ensemble nicht gegeben ist. So wird das Mischen zu einer weiteren Form des gemeinsamen Musizierens. Es verdeutlicht, dass von der Idee zu einem Song über die Bearbeitung bis zum fertigen Musikprodukt ein langer und klanglich transformativer Weg führt.

Das Fazit fällt entsprechend umfangreich aus, da Waldecker nicht nur seine Beobachtungen und Einordnungen im Tonstudio mit Blick auf unterschiedliche Musikkulturen und Musiker*innen zusammenfasst, sondern auch theoretische Schlüsse zieht. In diesen erkennt er das Tonstudio als einen spezifischen Raum im Musikproduktionsprozess, der nach technischen Erwägungen angeordnet ist und damit im Sinne des Rationalisierungsprozesses in der Moderne als Ort der professionalisierten Kulturproduktion interpretiert werden kann. Ein Ort, an dem zugleich über auditive Ästhetisierungen sinnliche Wahrnehmungsprozesse wie das Musikhören in ihrer klanglichen Phänomenalität gesteuert werden. Insofern schlägt Waldecker vor, das Tonstudio als “Kipppunkt” zu begreifen, der zwei verschiedenen Arten des Umgangs mit Musik – der Erzeugung und des Hörens – miteinander in Beziehung setzt (285).

Zugleich entzaubert die Untersuchung die Vorstellung von Musik als einem geistigem Produkt, da gezeigt wird, wie tiefgreifend die Technik in den Prozess der Klangherstellung eingreift und durch räumlich-technische Anordnungen und Konstellationen etwas hervorbringt, das es zuvor nicht gab. Interessant ist, dass sich nicht nur das Jazz-Ensemble an einer Perfektionierung des Klangs orientiert, sondern gleichermaßen auch die Hardcore-Band Perfektionismus anstrebt – wenngleich sich diese im Sinne ihrer punkigen Wurzeln und Attitüden gerade nicht als vermarktbar und perfekt versteht (vgl. 287).

Des Weiteren zeigt Waldecker im Sinne seiner Reaktualisierung von Adornos Musiksoziologie und der von Horkheimer/Adorno verfassten Kulturindustrie-These auf, dass sich beide Ansätze auch auf musikkulturelle Formen wie den Hardcore zur (kritischen) Beschreibung und Einordnung erkenntnisreich übertragen lassen, was die Produktion und Ausrichtung der Hörer*innen an einem rationalisierten, technisch perfektionierten Klangerzeugungsverfahren betrifft (vgl. 298). Im Zeichen der kulturindustriellen Kritik lässt sich Waldecker zufolge auch die ästhetische Aufwertung der Tontechniker*innen zu “Stars” und der Tonstudios zu “Musikinstrumenten” begreifen, da sich hier die Abkehr von einer lokal hergestellten Kunstmusik in einem situativen Aufführungsrahmen hin zur technisch bearbeiteten Form der Musikproduktion vollziehe, in der die ursprünglichen instrumentalen Klänge kaum mehr etwas mit dem technisch bearbeiteten Endprodukt zu tun hätten.

David Waldecker hat ein hoch spannendes Thema aufgegriffen und nicht nur empirisch detailliert, sondern auch theoretisch anspruchsvoll bearbeitet. Dabei lebt die Arbeit ebenso von der Genauigkeit der Beobachtung wie von der Ausgewogenheit des theoretischen Diskussionsrahmens. Vor allem Interessierte der Kultur-, Medien- und Musiksoziologie, aber auch der Raum- und Techniksoziologie finden in diesem Werk eine Fülle von Anregungen, die das Tonstudio als rationalisierten, technisch hochgerüsteten Raum begreifen lernen, der geradezu paradigmatisch als Ort moderner Produktionsverfahren und kreativer Ästhetisierungsprozesse verstanden werden kann.

Links:

Über das BuchDavid Waldecker: Mit Adorno im Tonstudio. Zur Soziologie der Musikproduktion. Reihe: Media in Action. Bielefeld [transcript] 2022, 362 Seiten, 45,- EuroEmpfohlene ZitierweiseDavid Waldecker: Mit Adorno im Tonstudio. von Heinze, Carsten in rezensionen:kommunikation:medien, 18. September 2023, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/23987
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