Rezensiert von Hans-Dieter Kübler
Zur 3. Jahrestagung hatte das Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft im November 2019 nach Leipzig geladen. Unter dem Leitthema “Transformation und Medien” diskutierten die etwa 100 anwesenden Mitglieder die aufgerufenen Themen; nach einem strengen, aber transparenten Auswahlverfahren wurden 20 Beiträge in die vorliegende Dokumentation aufgenommen. Aufgeteilt wurden sie von den Herausgebenden in vier Abschnitte, die wohl nicht nur systematischen Kriterien geschuldet sind: “Medien-Transformation in der DDR und in Ostdeutschland”, “Digitale Transformation in der neoliberalen Globalisierung”, “Kommunikation für eine sozial-ökologische Transformation“ und “Visionen für transformative Kommunikationsverhältnisse”.
Transformation, so führen die Herausgebenden in der Einleitung aus, lässt sich in dreifacher Hinsicht verstehen: nämlich als politischer Umbruch, wenn die gesellschaftlichen Kontextstrukturen wie in der ehemaligen DDR zusammenbrechen (was, weltgeschichtlich betrachtet, ja nur eine marginale Episode war), sodann als durch technologische Faktoren bewirkten Strukturwandel, wie er mit der Digitalisierung vorangetrieben wird. “Begleitet” wird er allerdings und “verschränkt” (10) ist er – so vage sind die gewählten Attribute – von und mit weiteren Megatrends, nämlich von und mit der “Globalisierung, Ökonomisierung und Individualisierung”, wie immer sie auch interagieren und zusammenpassen, was nicht näher erläutert wird.
Diese technischen Innovationen und Triebkräfte produzieren immer wieder Umbrüche, als sie auch Herrschaftsstrukturen reproduzieren. Daher müsse Transformation noch grundsätzlicher und breiter erschlossen werden, nämlich als “tiefgreifende Umgestaltung” angesichts von “Klima- und Ökokrise, exorbitanten sozio-ökonomischen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sowie Diskriminierungen in Sachen class, race und gender” (10). Ob der vielfach, auch anderswo unkritisch gebrauchte Transformationsbegriff diese globalen und prinzipiellen Dimensionen semantisch stemmen kann, müsste allerdings mit kritischer terminologischer Analyse geprüft werden.
Jedenfalls erwächst aus Sicht der Herausgebenden daraus für die Kommunikationswissenschaft die enorme Verantwortung, die “medialen Bedingungen dieser Transformationen” (11) zu erforschen, darüber hinaus “Fragestellungen emanzipatorischer gesellschaftlicher Bewegungen” aufzunehmen und letztlich zu einer “moralischen Revolution” hin zu einer “sozial-ökologischen Transformation” der generellen Nachhaltigkeit beizutragen (12). Nur “bedingt” habe sich die Kommunikationswissenschaft bislang dieser Aufgabe und Intention gestellt, daher wird kritisch zu prüfen sein, ob und inwieweit sie dies mit diesem umfangreichen Reader tut.
Über die Medienentwicklung in der ehemaligen DDR, vor allem über die Usurpation der DDR-Medien durch westliche Konzerne und die nur kurzfristigen und schwachen Initiativen von ostdeutschen Reformkräften, sich dagegen zu stemmen und alternative Medienstrukturen zu entwickeln, ist schon vielfach berichtet und auch geforscht worden. Die drei unter dem ersten Abschnitt versammelten Beiträge liefern dazu einige weitere Aspekte, aber keine grundsätzlich neuen oder alternativen Sichtweisen.
Zunächst rekapituliert die Leipziger Kommunikationswissenschaftlerin M. Tröger, die in ihrer Studie von 2019 just diese Eroberungen der westdeutschen Konzerne aufgearbeitet hat, zentrale Ziele der eigenständigen Reformpolitik der Post-DDR wie etwa die stärkere Profilierung der internen Pressefreiheit zum Schutz der Journalist*innen. Sodann rekonstruieren J. Kretzschmar und R. Steinmetz, ebenfalls Kommunikationswissenschaftler*innen in Leipzig, Strukturen und Programme von rund 40 sächsischen, lokalen, kurzfristig als Bürgerfunk agierenden TV-Sendern, um zum einen authentische Dokumentationen aus der Wendezeit zu erhalten und zum anderen heutigen Generationen (nach der Wende) wichtige Kulturgüter und alternative Darstellungen und Verarbeitungen von ‘DDR’-Wirklichkeiten zu vermitteln, wie sie so angeblich in den etablierten Medien nicht verbreitet wurden. So könnten sie erfahren, “woher ihre Identitäten kommen und wie sie geformt wurden”“ (72). Schließlich beschreibt die in England arbeitende Kommunikationswissenschaftlerin A. Glück mittels einer kritischen, exemplarisch intendierten Diskursanalyse, welche Stereotypen und Klischees in der Berichterstattung der Zeit (im Osten) anfangs vorherrschten, die erst mit dem dort wachsenden Rechtsradikalismus allmählich von integrativen Prämissen abgelöst wurden.
Grundsätzlicher befassen sich die folgenden sieben Beiträge mit dem Transformationsbegriff und mit den von ihm bezeichneten Strukturveränderungen zumal unter digitalen Vorzeichen, wobei allerdings kein Beitrag den plakativen Zusatz (“neoliberale Globalisierung”) hinreichend einlöst. Zunächst inkorporiert der Jenaer Soziologe, Klaus Dörre, bekannt durch etliche einschlägige Publikationen, die schon seit den 1980er Jahren stattfindenden globalen Konzentrationen und Machtzuwächse zunächst der traditionellen Medienkonzerne, inzwischen der digitalen Internetgiganten (in den USA, aber auch in China) in sein Modell der kapitalistischen “Landnahme”, und zwar als “Expansionsparadoxon” (107), da sich kapitalistische Produktionsweisen ständig ausweiten müssen, um zu existieren. Dabei absorbieren und ruinieren sie allmählich, was für ihre Reproduktion benötigt wird. Auch Kommunikation, Wissen, Erfahrung und Öffentlichkeit werden – pauschal adressiert – zunehmend durch private Verwertungsinteressen einvernommen, kommodifiziert und kommerzialisiert und so ihrem aufklärerischen, emanzipatorischen Impetus beraubt. Kommunikative Vernunft wird zerstört. Allein öffentliche, gemeinwirtschaftliche Medienstrukturen erkennt Dörre als konstruktive, wenn auch nicht ausreichende Bollwerke, die durch einen “Mediensozialismus”, wie immer er konstituiert und organisiert sein sollte, gestärkt, erst eigentlich untermauert werden.
Konkreter und auf praktische Bezüge sind die folgenden Beiträge ausgerichtet: Zunächst entwickeln und profilieren die beiden folgenden “kritische Medienkompetenz” einerseits im Hinblick auf fundierte, transparente Archivarbeit auch mit digitalen Techniken, andererseits auf eine “transformative Wissensaushandlung” (147) im reflexiven Umgang mit Wikipedia. Der nächste Beitrag wagt einen Blick über nationale Grenzen, auf den vieldiskutierten arabischen Frühling in den Jahren 2010/2011. Am Beispiel von Ägypten und Tunesien zeigt er vornehmlich theoretisch auf, dass solche medial angestoßenen und getragenen Transformationsprozesse sich in struktureller Interdependenz von Gesellschaft, Politik und Kultur entwickeln und entsprechend interdisziplinär untersucht werden müssen.
Auf Journalismus und journalistische Arbeit sind die beiden nächsten Beiträge fokussiert: Der erste plädiert gerade bei digitaler und politisch heikler Berichterstattung wie derzeit über Russland und die Ukraine für sorgfältige Quellenangabe und -prüfung, denn nur dadurch erhalte und stärke man das Vertrauen der Rezipienten. Der andere, vom Leipziger Journalismusnestor M. Haller verfasst, beklagt wie schon öfter den wachsenden Wettbewerbsdruck und die sinkenden Ressourcen im Online-Journalismus, die tradierte Kompetenzen verschleißen, und formuliert am Ende “Bedingungen für eine Erneuerung der Kompetenzen”, die intermediäre Konzerne des Internets Informationsjournalist*innen einräumen müssten (222). Schließlich untersucht als letzte in diesem Abschnitt eine qualitative Diskursanalyse in diversen Medien (Leitmedien, TV-Werbung und Instagram) im Zeitraum von 2016 bis 2019 “Anerkennungsstrukturen von Mutterschaft und Care-Arbeit” (226) und entdeckt die Individualisierung von Konflikten auf der einen Seite sowie die Kommodifizierung und Ästhetisierung von Mutterschaft auf der anderen (240).
Angesichts omnipräsenter Disparitäten werde allenthalben eine “neue Große Transformation hin zu einer klimaverträglichen, gerechten und nachhaltigen Weltwirtschaftsordnung” (17) gefordert, heißt es einleitend zum nächsten Abschnitt (der unentschiedener überschrieben ist). Nachhaltigkeit gelte inzwischen als “ein wirkmächtiger Herausforderer des gegenwärtigen Systems” (17), die unzählige Akteure in allen Kommunikationssektoren als “Leitbild für eine gute Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft” (ebd.) vertreten.
Mit verschiedenen Akzentuierungen thematisieren die folgenden sieben Beträge diese Kategorie und ihrer erwünschten Konsequenzen für Wissenschaft und Forschung: Der erste der Bremer Kommunikationswissenschaftlerin S. Kannengießer diskutiert, wie sämtliche Medien und Medienpraktiken zur “Großen Transformation” aktiv beitragen und wie diese Aktivitäten von einer entsprechend veränderten Kommunikationswissenschaft reflektiert werden können. Auch die PR-Forschung, die gemeinhin Einzel- und/oder Organisationsinteressen verfolgt, will der nächste Beitrag in gesellschaftliche Transformationsprozesse einbezogen wissen, indem er “öffentlich die Relevanz und Zielsetzung einer transformative Wissenschaft” (18) herausarbeitet.
Der folgende Beitrag will strategische Kommunikation nutzen, um meist wenig beachteten sozialen Bewegungen öffentliche Aufmerksamkeit zu verleihen. Dafür plädiert die Autorin für die “Inszenierung normenabweichender Handlungen” (18), wie sie bei den Protestaktionen um den Hambacher Forst erfolgreich eingesetzt wurden. Auch in etablierten politischen Diskursen werde inzwischen Nachhaltigkeit allerdings unterschiedlich beschworen. Am Beispiel der Bundestagsdebatte zur nachhaltigen Entwicklung am 31. März 2017 sowie der journalistischen Begleitberichte in den deutschen Qualitätszeitungen darüber analysiert der Autor die Spannweite zwischen Parlamentsdiskurs und medialer Berichterstattung, zwischen Kongruenz, “Greenwashing”, aber auch kritischer Reserve.
Einen Überblick über den Stand des deutschsprachigen Nachhaltigkeitsjournalismus in diversen einschlägigen Publikumszeitschriften bietet der folgende Beitrag. Er kann belegen, dass das Thema Nachhaltigkeit im medialen Mainstream angekommen ist, allerdings sind die dafür affinen Medien prekär finanziert und werden nur von wenigen engagierten Protagonist*innen getragen. Lässt sich ein Engagement für eine Große Transformation zur Nachhaltigkeit mit dem tradierten journalistischen Rollenverständnis und seinen Maximen Objektivität, Neutralität, Unabhängigkeit, Kritik und Kontrolle vereinbaren, fragt im nächsten Beitrag der Leipziger Kommunikationswissenschaftler U. Krüger. Er sichtet dafür eingeführte Paradigmen wie den “Konstruktiven Journalismus” und den “Development Journalismus” aus dem globalen Süden und postuliert am Ende einen “Transformativen Journalismus” mit einer klaren Wertentscheidung zugunsten der Nachhaltigkeit und mit institutioneller und mentaler Unabhängigkeit.
Schließlich beleuchtet der letzte Beitrag in diesem Abschnitt die Kinolandschaft und die Filmförderung in Deutschland. Da die Förderung vorzugsweise Bewährtes und Konformes alimentiere und die Filmschaffenden vornehmlich aus der bürgerlichen Elite stammen, spricht der Autor dem deutschen Spielfilm mittelfristig nennenswerte Impulse für die transformativen Herausforderungen der Gesellschaft ab (19).
Visionen und Utopien sowohl für transformative Gesellschafts- und Medienstrukturen als auch für eine kongenial operierende alternative Kommunikationswissenschaft werden zu guter Letzt in drei Beiträgen entworfen. Zunächst sichten N. S. Borchers und S. Jürss diverse Geschäftsmodelle von Sharing Economy wie Plattformkooperative, Peer-to-Peer-Transaktionen und missionsgetriebene Geschäftsansätze, um daraus einen Idealtyp zu filtern. Nach ihrem Modell könnte die Sharing Economy eine “relevante Transformationsagentin” (20) werden, sofern andere Rahmenbedingungen stimmen und zielgerichtet motiviert werden.
Dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten weitere Online-Angebote platzieren (sollten), wird schon länger diskutiert und teilweise auch erprobt. Wenn sie ihre Mediatheken gemeinsam mit einbringen könnten, wofür der nächste Beitrag plädiert, könnten sie sich zu gemeinnützigen Streamingdiensten entwickeln und den kommerziellen Konkurrenz machen, worüber allerdings die landesbezogenen Gesetzgeber restriktiv wachen. Schließlich macht sich der letzte Beitrag für eine umfassende Medienreform stark. Sie müsste Konzentrationskontrolle, unabhängige Aufsicht und Überwachung journalistischer Standards, Demokratisierung der Presse- und Rundfunkräte, Aufbau und Finanzierung unabhängiger Nachrichtenmedien, öffentliche Kontrolle und journalistische Selbstverwaltung umfassen. Über Quellen und Mechanismen der Finanzierung verlautet wenig, aber sie sind nach wie vor die zentralen Prämissen und Konditionen aller Reformbemühungen aller Medien.
So fallen Konzepte und Ideen zur Transformation von Gesellschaft und Medien in diesem Tagungsband insgesamt noch recht zögerlich, fragmentarisch oder idealistisch aus. Für die “Große Transformation” braucht es sicherlich fundierterer und empirisch-materiell gesicherterer Ansätze, die es weiterhin zu entwickeln und zu diskutieren gilt.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Dr. Nils S. Borchers an der Universität Tübingen
- Webpräsenz von Selma Güney an der Unversität Tübingen
- Webpräsenz von Dr. Uwe Krüger an der Universität Leipzig
- Private Webpräsenz von Dr. Kerem Schamberger
- Webpräsenz von Prof. Dr Hans-Dieter Kübler beim Verein Gesellschaft – Altern – Medien e. V.