Rezensiert von Jana Kiesendahl
Das Medienspektrum der heutigen Zeit ist vor allem durch eine Vielzahl digitaler Kommunikationsformen geprägt, die mehr denn je den visuellen Kommunikations- kanal in Form von Bildern beanspruchen. Wie wirkt sich die zunehmend bildbezogene Kommunikation auf die klassischen Kulturtechniken Lesen und Schreiben aus? Zeigt diese Entwicklung einen Wandel der Kommunikationskultur an? Wie wird computervermittelte Kommunikation erlebt? Auf diese und weitere Fragen wird in dem Buch Kommunigrafie von Thomas Knaus umfassend eingegangen. Unter dem Begriff ‘Kommunigrafie’ versteht der Autor kommunikative Vorgänge, die gleichermaßen durch Schrift und Bild – und damit mittels zweier unterschiedlicher Zeichensysteme – prozessiert werden. Dabei stehen die Codierung bildlicher und schriftlicher Zeichen und ihre Bedeutung für den Kommunikationsprozess im Fokus. Das Bestreben, sowohl die Kommunikationskompetenz als auch das kommunikative Erleben bei der Nutzung digitaler Medien empirisch zu untersuchen, verlangt ein aufwändiges methodisches Konstrukt, das der Autor zweifelsohne anschaulich und strukturiert bereitstellt.
Neben einer einführenden Begriffsklärung zu Bild und Text werden die Grundmerkmale der computervermittelten Kommunikation klar vermittelt. Zudem skizziert der Autor drei wesentliche medientheoretische Ansätze (Walter Benjamin: Theorie der sinnlichen Wahrnehmung; Marshall McLuhan: Erweiterung des menschlichen Körpers; Siegfried J. Schmidt: Konstruktion von Wirklichkeit). Das Medium wird im Rahmen dieser Studie als kommunikatives Hilfsmittel begriffen. Auffällig ist die mitunter synonyme Verwendung von ‘Medium’ und ‘Kommunikationsform’, deren Konzepte zweifellos miteinander verbunden, jedoch nicht identisch sind. Daneben werden in angemessenem Umfang verschiedene didaktische Ansätze präsentiert, die die lerntheoretische und konstruktivistische Sichtweise des Autors plausibilisieren.
Die Studie basiert auf einer Felduntersuchung, die quantitative und qualitative Verfahren vereint. Der Leser wird schrittweise in einem gut verständlichen Schreibstil an die Thematik herangeführt. Insgesamt ist eine sehr präzise Beschreibung des Versuchsaufbaus und eine damit einhergehende Nachvollziehbarkeit der vielzähligen Ergebnisse zu konstatieren. So wurde u. a. auch das geschlechtsspezifische Nutzungsverhalten ausgewertet, das besagt, dass Schülerinnen mit einem starken Nutzungsverhalten in digitalen Medien viermal häufiger eine hohe Schriftkompetenz aufweisen als ihre männlichen Mitschüler. Der Autor führt dies auf die unterschiedliche Art der Nutzung zurück: Während Schüler den Computer und das Internet primär zum Spielen benutzen, verwenden Schülerinnen diese eher zur Kommunikation.
Trotz der Genauigkeit in der Durchführung der Untersuchung, der theoretischen Fundierung sowie der kritischen Methodenreflexion erscheint die methodische Vorgehensweise stellenweise nicht ganz schlüssig. So wurde die empirische Studie zur Beantwortung der ersten Leitfrage “Führt eine hohe Nutzung von bildreicher computervermittelter Kommunikation zu einem tendenziellen Verlust der Schriftkompetenz?” mithilfe von 84 Probanden durchgeführt, die ausschließlich Gymnasialschüler sind. Die Einschränkung auf Gymnasiasten begründet der Autor einerseits damit, dass eine “stark schriftbasierte Methode eher Gymnasiasten anspricht” (87) und eine Untersuchung mit Haupt- und Realschülern eher auf mündlich basierten Untersuchungsmethoden fußen müsse. Zudem wird konstatiert, dass mehr Gymnasiasten auf einen heimischen Computer zugreifen können als Haupt- und Realschüler (vgl. 87). Dies wiederum müsste im Umkehrschluss jedoch bedeuten, dass Haupt- und Realschüler über eine eher hohe Schriftkompetenz verfügen, wenn sie aufgrund einer geringen Geräteverfügbarkeit die computervermittelte Kommunikation weniger häufig nutzen. Die Auswahl der Probanden wird hier methodisch begründet und es werden Ergebnisse vorweggenommen, indem Haupt- und Realschülern von vornherein eine mangelnde Schriftkompetenz attestiert wird.
Daneben enthalten die zur Validierung der Fragebogenerhebung durchgeführten Leitfadeninterviews die Aufforderung, das als letztes gelesene Buch bzw. den zuletzt gesehenen Film nachzuerzählen. Hier ist jedoch zu bedenken, dass eine schriftliche kommunikative Kompetenz (die es hier zu untersuchen galt bzw. die validiert werden sollte) nicht zwangsläufig mit einer hohen mündlichen kommunikativen Kompetenz einhergehen muss. Zudem erscheinen vier Leitfadeninterviews für eine Validierung der Fragebogenuntersuchung, an der 84 Probanden teilnahmen, zu knapp. Darüber hinaus teilte der Autor den SchülerInnen vor der Befragung die konkrete Forschungsfrage mit, was insofern Auswirkungen auf das Antwortverhalten haben kann, als dass die Probanden die ‘erwünschten’ Antworten ankreuzen. Trotz dieser Kritikpunkte gewährleistet die Untersuchung eine hohe Nachvollziehbarkeit des methodischen Vorgehens und liefert insgesamt wichtige Impulse für andere empirische Studien.
Die zweite Leitfrage, nämlich wie die interpersonelle computervermittelte Kommunikation im Gegensatz zur Kommunikation mit klassischen Medien erlebt wird, wurde mittels einer Online-Befragung ermittelt, die auf der Grundlage eines Planspiels mit Studierenden erstellt wurde. Sehr aufschlussreich sind hier die Rückmeldungen der Studierenden zum kommunikativen Erleben der Face-to-face-Kommunikation bzw. E-Mail-Kommunikation. Sie zeigen deutlich die Vor- und Nachteile der beiden Kommunikationsformen und bestätigen, dass die Medienwahl dem kommunikativen Zweck angepasst werden muss.
Der Autor kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass eine hohe Nutzung von digitalen Medien zu einem Verlust der Schriftkompetenz führt. Das Bild scheint den Text zunehmend zu ‘verdrängen’. Gleichzeitig wird die Bildkommunikation als erlebnisreicher empfunden und erzeugt einen motivationalen Anreiz zur Kommunikation. Dies ist insbesondere für digitale Lehr- und Lernmedien ein relevantes Ergebnis, da sie über ein hohes Erlebnispotential verfügen, das sich positiv auf die Lernmotivation auswirkt. Zudem konstatiert der Verfasser, dass selbst geübte Nutzer von digitalen Medien Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von authentischen und gefälschten Nachrichten haben. Hiervon ausgehend würden sich weiterführende Studien anbieten, die den Zusammenhang zwischen (digitalen) Bildern und Glaubwürdigkeit/Vertrauenswürdigkeit in den Blick nehmen.
Insgesamt leistet die Studie einen wichtigen empirisch gestützten Beitrag zum Nutzungsverhalten des Medienspektrums und zur mediendidaktischen Grundlagendiskussion der Erziehungswissenschaften. Es liegen nun empirische Ergebnisse vor, auf deren Grundlage die didaktische Diskussion über den Einsatz neuer Medien fortgeführt werden kann.
Links:
Über das BuchThomas Knaus: Kommunigrafie. Eine empirische Studie zur Bedeutung von Text und Bild in der digitalen Kommunikation. München [kopaed] 2009, 308 Seiten, 18,80 Euro.Empfohlene ZitierweiseThomas Knaus: Kommunigrafie. von Kiesendahl, Jana in rezensionen:kommunikation:medien, 16. März 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2294