Rezensiert von Konrad Dussel
Seit den Maßstab setzenden Forschungen von Rudolf Herz zu “Hoffmann & Hitler” und dem dazu 1994 veröffentlichten umfangreichen Ausstellungskatalog hat sich niemand mehr nennenswert mit “Hitlers Fotograf” beschäftigt. Nun wurde dazu an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung eine Dissertation vorgelegt, betreut von Wolfgang Ullrich, dort bis 2015 Professor für Kunstwissenschaft und Medienphilosophie, sowie Bernhard Stiegler, Professor für Neuere Deutsche Literatur im medialen Kontext an der Universität Konstanz. Was sie an wissenschaftlicher Erkenntnis Neues bringt, hätte an keiner Universität mit einem historischen Fachbereich eine Promotion gerechtfertigt.
Die schmale Arbeit besteht aus vier Teilen: einer Art Einleitung, die sich unter dem Titel “Revision” mit den Diskussionen um die “Hoffmann & Hitler”-Ausstellung von 1994 beschäftigt; einem ersten, allgemeineren Teil mit dem Titel “Zur Popularität des Mediums Fotografie im Kontext von Avantgarde und Nationalsozialismus”; einem zweiten, speziellerem zu “Heinrich Hoffmanns Unternehmen als Bildindustrie” und einer “Nachbildung”, die knapp die Rezeption des Hoffmann-Werks nach 1945 thematisiert.
Ein klar dargestelltes Erkenntnisziel verbunden mit einem entsprechenden Forschungsprogramm sucht man in diesem Buch vergeblich. Es finden sich nur Bruchstücke wie die ziemlich problematische “These, dass der Geschäftsmann Hoffmann medienstrategisch also ganz bewusst die Bild- und Blickmacht Hitlers entwickelte und sie mit seiner ‘Bildfabrik’ gewinnstrebend steuerte” (30) oder die interessante Behauptung, dass Hoffmanns Bildband Hitler wie ihn keiner kennt als “‘Vorbild’ für eine Vielzahl darauf folgender, politisch motivierter Bildbände zu betrachten” ist und damit eigentlich bis in die Gegenwart nachwirkt (29). Verbunden wird dies mit einer anspruchsvoll erläuterten “Technik der vergleichenden Bildanalyse” (26).
Konkret hat diese Bildanalyse bei Irrgang zwei Aspekte. Zum einen untersucht sie akribisch die Veränderungen, die im Laufe der Jahre in verschiedenen Auflagen vor allem der beiden Hoffmann-Bildbände Hitler wie ihn keiner kennt und Jugend um Hitler vorgenommen wurden; und zum anderen kontrastiert sie die Darstellungen in den beiden Bänden Mit Hitler in Polen und Wir arbeiten bei Junkers mit Beschreibungen der darin ausgeblendeten Realitätsaspekte. Nicht ganz nachvollziehbar ist allerdings, warum die gerade im ersten Fall sehr aussagekräftigen Bildbeispiele in eine nur über das Internet abrufbare “Materialsammlung” ausgelagert wurden. Die wenigen Bildseiten mehr hätte das nicht sehr umfangreiche Buch leicht verkraftet und dadurch wesentlich an unmittelbarer Anschaulichkeit gewonnen.
Auf richtig Überraschendes stößt der über die damalige Zeit einigermaßen Informierte bei Irrgangs Bildanalysen nicht. Dass Bilder mit dem SA-Führer Ernst Röhm nach 1934 ausgetauscht wurden, liegt genauso nahe, wie das Verschwinden von Rudolf Heß durch saubere Retusche auf einem konkreten Bild nach seinem Englandflug 1941. Das sind nur weitere Beispiele für die Manipulation an und mit vermeintlich authentischen Fotografien.
Die beim aktuellen Stand der Forschung zu erwartenden Fragen werden von Irrgang nicht angesprochen. Dies liegt vor allem daran, dass sie die nicht gerade schmale Literatur zur NS- und besonders Propaganda-Geschichte kaum ausschnitthaft zur Kenntnis genommen hat. Wer das Stichwort “Treffen der Harzburger Front” mit einem Hinweis auf Meyers Schülerduden erläutert (vgl. 115), hat sich wohl auch nicht näher mit politischen Abläufen im NS-Staat beschäftigt. Die Frage, wer (und auf welche Weise) alles an der Entstehung und Veränderung von Hoffmanns Bildbänden beteiligt gewesen sein könnte, wird nirgends gestellt, geschweige denn zu beantworten versucht. Es heißt an der das Schöpfertum des individuellen Genies beschwörenden Rhetorik früherer Zeiten anzuknüpfen und jeglichen politischen Kontext auszublenden, wenn man davon ausgeht, dass in einem Staat, der ein eigenes Propagandaministerium ins Leben gerufen hatte, Bildbände, die in hunderttausendfacher Auflage erschienen, allein der Initiative eines Fotografen überlassen worden wären. Umgekehrt wird man sich eher fragen müssen, wieviel Spielraum überhaupt dem das Bildmaterial Liefernden gelassen wurde.
Und kann es dann wirklich wundern, dass sich das Regime in bestem Licht darstellte und alles ausblendete, was unschöne Schatten hätte werfen können? Hier hätte Irrgang die Chance besessen, an die Diskussionen anzuknüpfen, die mittlerweile zur weitgehenden Aufgabe eines allzu moralisierend gebrauchten Propaganda-Begriffes geführt haben. Waren diese Bildbände nicht Teil einer umfassenden Staats-PR, wie sie vielleicht in allen politischen Systemen betrieben wird? Stehen Bildbände zu deutschen Kanzlern und us-amerikanischen Präsidenten dann tatsächlich in der Tradition von Hoffmanns Hitler wie ihn keiner kennt, wie eine Fußnote suggeriert (vgl. 29)? Diese These fundiert medienwissenschaftlich zu untersuchen, würde eine Dissertation tatsächlich rechtfertigen.
Links:
Über das BuchChristina Irrgang: Hitlers Fotograf. Heinrich Hoffmann und die nationalsozialistische Bildpolitik. transcript [Bielefeld] 2020, 243 Seiten, 40,- Euro.Empfohlene ZitierweiseChristina Irrgang: Hitlers Fotograf. von Dussel, Konrad in rezensionen:kommunikation:medien, 18. Januar 2021, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22564