Rezensiert von Hans-Dieter Kübler
Kritik des Journalismus zumal aus Insider-Sicht gibt es derzeit zuhauf und ist wohlfeil. Dennoch hält der Autor, der langjährig Hörfunkjournalist und Wellenchef beim Hessischen Rundfunk war und nun an der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz einschlägig lehrt, die verbreitete und tief sitzende “Unkenntnis” über “Struktur und Arbeitsweise der Medien” dafür verantwortlich, dass das im Titel formulierte gängige Vorurteil weiterhin grassiert und sich sogar verfestigt. Mit seinem knappen “Erklärbuch” will er ihm entgegenwirken, indem er “die Mechanismen der Medien und deren Fehlentwicklungen [erklärt] ebenso wie die Sachzwänge, unter den Journalistinnen und Journalisten arbeiten und die sehr viel öfter Ursache für Fehlleistungen sind, als die oft unterstellte Absicht” (8).
In zehn Kapiteln setzt sich der Autor mit markanten, häufig auftretenden Tendenzen und Fehlentwicklungen vor allem des Nachrichten- und Informationsjournalismus in den traditionellen Massenmedien auseinander. Er steuert etliche aktuelle Beispiele bei, spart nicht an vielfältiger, sicherlich auch berechtigter Kritik, bietet wiederholt – wie in journalistischen Handreichungen – Regeln und Normen für guten, seriösen, verantwortlichen Journalismus und untermauert sie oftmals mit Erkenntnissen und Befunden der Kommunikations- und Publizistikwissenschaft, vornehmlich aus der Mainzer Schule.
Das beginnt mit der schon klassischen Maxime “Bad news are good news”, setzt sich fort im Umgang mit Fakten und Wahrheit in der Ära der “fake news”, mit anhaltenden Neigungen zu Skandal und (Über-)Dramatik sowie dem inzwischen durchgängigen Primat der Unterhaltung. Danach wird eine Lanze für die bewährte angelsächsische Tugend der Trennung von Nachricht und Kommentar gebrochen, sodann wird das eng gewobene, meist versteckte Netz von Politik, Wirtschaft und Medien etwa infolge des wachsenden Einflusses von PR und Politikberatung beleuchtet und der Vorwurf der Manipulation sowie der Macht der Öffentlichkeit etwa im Licht der berühmten “Schweigespirale” inspiziert. Im vorletzten Kapitel kommt der Autor auf die anhaltenden Veränderungen durch die “sozialen Medien” zu sprechen und prüft die kurante These vom Überflüssigwerden des professionellen Journalismus, die er erwartungsgemäß verwirft. Ob “wir” in einer “Informationsgesellschaft” leben oder von nutzlosem, überbordendem Informationsmüll (“Our society ist overnewsed, but underinformed”) zugeschüttet werden, so dass Wissen, Orientierung und Bildung verlorengehen, wie der Autor immer wieder tadelt, diskutiert er im abschließenden Kapitel, lässt aber die Frage letztlich offen. Erst gegen Ende weist er knapp auf grassierende soziale Disparitäten und Benachteiligungen im Publikum hin, die die These von der sogenannten Wissenskluft längst noch nicht differenziert genug, zumal nicht für die Welt als ganze, markieren, und fragt sich, ob der viel beschworene Qualitätsjournalismus nur noch eine Offerte für die “Eliten” sei (130).
Offen bleibt weitgehend, an wen sich der Autor richtet und von wem er Änderungen erwartet: Den Journalisten und Journalistinnen erneut, wie schon so oft, den kritischen Spiegel vorzuhalten, dass sie nicht gründlich, seriös und verantwortlich genug arbeiten, ihnen Allgemeinbildung fehlt, sie die Sprache misshandeln, den PR-Leuten auf den Leim gehen oder sich bei ihnen bequem bedienen, mit den Mächtigen gern kungeln, ist nicht neu und – wie gesagt – wohlfeil. Dem Publikum helfen diese Tadel und Läuterungsappelle wenig. Ihnen erklärt indes der Autor zu wenig und meist nur oberflächlich, warum Journalismus heute so funktioniert, wie er es tut, und welche basalen Strukturen vorherrschen. Sie liegen vornehmlich in der Ökonomie und in den Verflechtungen mit Kommerz und Werbung (worüber Arnold kaum ein Wort verliert) und zwingen selbst die gelobten, eigentlich unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu willfährigen Anpassungen.
Bei den sozialen Medien sind solche internationale Machstrukturen noch ungleich gewaltiger, wogegen politische Konzepte zur Besserung oder eigentlich schon Rettung des Journalismus wenig ausrichten können oder sogar weitgehend scheitern. Probate Appelle an das Ethos und an die Professionalität der Journalisten und Journalistinnen, sich auf ihr redliches publizistisches Handwerk zu fokussieren (das ja auch in der Vergangenheit längst nicht nur integer und ambitioniert war), schaffen jene Strukturen und erzwungene Funktions- und Arbeitsabläufe gewiss nicht ab. Vermutlich wird es daher künftig noch mehr solch kritische Aufarbeitungen des Journalismus geben; und die Verantwortlichen in den einschlägigen Studien- und Ausbildungsgängen müssen sich fragen, worauf sie ihre Studierenden jenseits des knappen Edelfeder-Ideals qualifizieren (möchten), wenn sie nicht nur den notorischen Zynismus in ihrer Branche begünstigen wollen.
Links:
Über das BuchBernd-Peter Arnold: Die Medien sind an allem Schuld. Behauptungen – Vermutungen – Erklärungen. Leipzig [Vistas] 2018, 140 Seiten, 16,- Euro.Empfohlene ZitierweiseBernd-Peter Arnold: Die Medien sind an allem schuld!?. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 20. November 2020, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22416