Rezensiert von Boris Romahn
Lauren Lucia Seywald ist Master-Absolventin des Wiener Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, freie Journalistin und Projektleiterin bei ichschreibe.at. In dem vorliegenden Buch verfolgt sie zwei Ziele: zum einen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren für investigativen Journalismus zu ergründen, zum anderen mehr über das berufliche Selbstverständnis von Medienmacher*innen, die ‘investigative reporting’ betreiben, zu erfahren.Auf gut 290 Seiten begibt sich die Autorin auf die Suche nach dem, was investigativen Journalismus und investigative Journalist*innen ausmachen (sollte). Nach einer achtseitigen theoretischen Einbettung, die im Wesentlichen aus Versatzstücken der System- und Akteurstheorie besteht, wird auf rund sechzig Seiten der Forschungsstand dargestellt. Seywald beschreibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Entwicklung und Bedeutung von investigativem Journalismus in den USA und Österreich, analysiert, warum es das Investigative als journalistischer Berufszweig gerade in Österreich ungleich schwer(er) habe – keine Journalist*innenschulen, keine Berufszugangsprüfung i.S. einer Profession, kaum unterrichtetes Handwerk – , erklärt zentrale, rechtliche Aspekte von Medien- und Recherchefreiheit und stellt Finanzierungsmodelle für den investigativen Journalismus in Österreich vor. Dieser Teil ist schon aufgrund des Vergleichs von Journalismuskulturen innerhalb Europas, aber auch im Vergleich zu den USA mit ihrer langen Tradition des investigativen Journalismus interessant.
Dann beginnt der an Seitenzahlen doppelt so starke, rund 175 Seiten umfassende zweite, empirische Teil des Buches. Das methodische Vorgehen, das auf leitfadengestützten Interviews beruht, wird stark verkürzt dargestellt. Es soll im Kern um die Beantwortung dreier Forschungsfragen gehen:
1. Wie hat sich der investigative Journalismus in Österreich von seinen Wurzeln bis heute entwickelt?
2. Was kann der investigative Journalismus für die Medienbranche und die Gesellschaft leisten?
3. Was sind mögliche Entwicklungen des investigativen Journalismus in Zukunft?
Anschließend werden der Fragenkatalog und die elf Interviewpartner*innen (unter anderen Florian Klenk, Michael Fleischhacker, Eva Roither und auch der Betreuer der Masterarbeit, Fritz Hausjell) aus den drei Bereichen Chefredaktion, Redaktion und Wissenschaft vorgestellt. Es folgt die Zusammenfassung der Ergebnisse, ergänzt von einem kurzen Fazit und Ausblick sowie den originalen, längeren und sehr lesenswerten Interview-Transkripten (Seiten 183-270).
Wer auf der Suche nach aktuellen Statements namhafter, österreichischer Medienmacher*innen zum Thema investigativer Journalismus ist, wird von diesem Buch sicher nicht enttäuscht werden. In der Tat gelingen aufschlussreiche Einblicke in ein berufliches Selbstverständnis und dazu, wie sich investigativer Journalismus in Österreich in den letzten 20 Jahren entwickelt, vernetzt und professionalisiert hat.
Wer sich aber mit dem Lesen dieses Buches eine wissenschaftliche Klärung von und Auseinandersetzung mit investigativem Journalismus erhofft, muss etliche Abstriche hinnehmen. Erstens: Distanz. Denn der Autorin geht es darum, für sich “und alle interessierten Menschen herauszufinden, was es bedeutet die Crème de la Crème der Berichterstattung auszuüben, nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis”. Der investigative Journalismus sei dabei “die höchste Kunst der journalistischen Praxis” und er “macht aus einem gewöhnlichen Reporter einen Meister seines Fachs”. Das zeugt von wenig Distanz und viel Bewunderung, eine kritische Perspektive aber fehlt – bei aller Zustimmung, dass investigativer Journalismus der Demokratie nützt.
Zweitens: Theorie. System- und Akteurstheorie kombiniert mit Siegfried Weischenbergs Zwiebelmodell (1992) auf ein paar Seiten ist wenig innovativ und zur Theoretisierung journalistischer Praxis in einem spezifischen Medienumfeld sicher nicht ausreichend. Es fehlen neuere Ansätze aus der Journalistik, Öffentlichkeits- und Demokratietheorie und -forschung sowie Überlegungen dazu, inwiefern Medientechnologien ‘investigative reporting’ zum Teil erleichtern, zum Teil aber auch erheblich erschweren.
Drittens: Akteur*innen und Rollen. Wer sich aktuell mit investigativem Journalismus befasst, sollte sich nicht auf die festangestellten oder festen freien Journalist*innen beschränken, die hauptsächlich für ein Medium arbeiten, sondern auch diejenigen in den Blick nehmen, die außerhalb von etablierten journalistischen Strukturen arbeiten, sich mit anderen Journalist*innen weltweit zu Recherchenetzwerken zusammenschließen, gemeinsam Informationen sammeln, prüfen und zum richtigen Zeitpunkt veröffentlichen. So war das auch bei dem österreichischen Skandal, der unter dem Namen ‘Ibiza-Affäre’ im Mai 2019 zum Ende der türkis-blauen Regierung geführt hat. Zu diesem ‘Fall’ findet sich leider in dem ein Jahr später publizierten Werk nichts, was aber dem Umstand geschuldet sein durfte, dass die Interviews zur Masterarbeit von Juli 2018 bis Februar 2019 geführt wurden, die Arbeit ggf. dann schon fertig gestellt war.
Schade auch, wenn eine Journalistin und Schreibtrainerin auf die Floskel zurückgreift, dass aus “Gründen der besseren Lesbarkeit auf gegenderte Formulierungen verzichtet” werde. Auf dem Klappentext, des im Marburger Büchner-Verlag erschienenen Bandes, heißt es dann aber immerhin “Journalist_innen” und “Medienmacher_innen”.
Alles in allem hat Lauren Lucia Seywald aus ihrer Masterarbeit eine gute Publikation gemacht, die für all jene interessant ist, die mehr über praktischen, investigativen Journalismus in Österreich wissen und dazu auch Originalstimmen aus der Medienpraxis hören wollen – wie zum Beispiel die der Wiener Journalistin Julia Herrnböck: “Ich glaube, dass [der investigative Journalismus] ein wichtiger Schlüssel ist, nicht der einzige, der dem Journalismus eine Zukunft sichern kann. Weil es der Kern von Journalismus ist. Journalisten sollen beschreiben, was sie sehen, unabhängig arbeiten, kritisch sein, alles überprüfen und belegen. Das ist die Kernaufgabe. Und dahin zurück zu gehen, tut dem Journalismus gut” (186).
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