Erik Meyer: Zwischen Partizipation und Plattformisierung

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Rezensiert von Michael Johann

Einzelrezension
Der durch die Digitalisierung bedingte technologische und gesellschaftliche Wandel hat längst auch in die politische Kommunikation Einzug gehalten. Völlig zu Recht merkt Erik Meyer im vorliegenden Buch an, dass sich dabei ein Spannungsfeld zwischen “Beteiligungseuphorie und pauschale[r] Ablehnung” (60) herausgebildet hat. Die Herausforderung besteht angesichts der Dynamik im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien darin, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Dies gilt sowohl für die praktische als auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Phänomenen wie beispielsweise Fake News, Social Bots oder Microtargeting, die in den vergangenen Jahren den Diskurs um die politische Kommunikation geprägt haben. Der Autor hat es sich dabei mit dem vorliegenden Buch zur Aufgabe gemacht, die wichtigsten Themen in diesem Kontext zu beleuchten und einzuordnen. An zahlreichen Beispielen aus der politischen Kommunikationspraxis “exploriert die vorliegende Ausarbeitung unterschiedlich konfigurierte Angebote und Verfahren digitaler Partizipation” (22) und thematisiert “eine Reihe von Entwicklungen, die aus demokratietheoretischer Perspektive problematisch erscheinen” (68).

Was dieses Buch auszeichnet, ist der scharfsinnige Detailreichtum, der sich im ersten Teil um verschiedene Beteiligungsangebote des Bundestags, der Parteien, der Regierung, der Länder und der Kommunen sowie um die Jugendbeteiligung und die digitale Partizipation herausbildet. Auch der zweite Teil, in dem vor allem die Informationsintermediäre und ihre Rolle für die Meinungsbildung im Vordergrund stehen, besticht durch eine umfassende pragmatische Sichtweise auf die politische Kommunikation. In diesem Sinne bietet das vorliegende Buch einen umfangreichen Überblick über verschiedene politische Beteiligungsformate und Herausforderungen der Kommunikation in und von digitalen Teilöffentlichkeiten an. In dieser Stärke liegt jedoch auch das größte Defizit dieser Arbeit: Die praxisorientierte Fokussierung geht zu Lasten der wissenschaftlichen Fundierung der behandelten Phänomene. Weiterführende Informationen oder Verweise auf relevante wissenschaftliche Studien fristen in einem Übermaß an Fußnoten häufig nur ein Mauerblümchendasein. Über weite Strecken mutet das Buch wie eine deskriptive Aneinanderreihung von Buzzwords und Diskursthemen an. Bei all dem akribischen und beeindruckenden Detailreichtum fehlt letztendlich ein roter Faden, der auf eine Abstraktion der wichtigsten Erkenntnisse hinführt. Ein solcher roter Faden hätte sich beispielsweise durch ein systematisches Analyse- und Bewertungsraster entlang der analytischen Dimensionen des Partizipationsbegriffs realisieren lassen. So ließen sich Vor- und Nachteile sowie Implikationen der zahlreichen Formate gewinnbringend kondensieren. Daraus wiederum würde sich zum Beispiel eine Forschungsagenda ableiten lassen.

Exemplarisch lässt sich dies auch am Phänomen Fake News festmachen. Demnach argumentiert der Autor explizit, dass eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Begriffsdefinition nicht notwendig sei, sondern ein problemorientiertes Verständnis ausreiche (74). Die darauffolgende Konzeptualisierung verpufft im weiteren Verlauf der Arbeit. Ähnlich verhält es sich insbesondere auch bei den Ausführungen zu den Social Bots, Echokammern und Filterblasen. Hier hielten sowohl die kommunikations- als auch die politikwissenschaftliche Forschung zahlreiche theoretische und empirische Vorarbeiten bereit, auf die sich zurückgreifen ließe. Dabei würde gerade die Verknüpfung von Befunden aus der Forschung und einer pragmatischen und problemorientierten Sichtweise auf die behandelten Phänomene einen Mehrwert in Aussicht stellen. Stattdessen wird mit den Begriffen meist schlagwortartig operiert und gewählte Begriffsbestimmungen werden nicht näher hinterfragt. Beispielsweise werden Internet-Memes als virale Phänomene verstanden (80), obwohl Memetik und Viralität grundsätzlich unterschiedliche Formen der Informationsverbreitung darstellen: Während erstere auf Prozessen der Imitation basiert, stellt für zweitere die Replikation das zentrale Verbreitungsmerkmal dar.

Alles in allem bleibt das Buch von Erik Meyer leider hinter seinem Potenzial zurück. Im Versuch, verschiedene Phänomene, die gerade in den letzten Jahren den Diskurs zur politischen Kommunikation geprägt haben, zu integrieren, geht die notwendige Tiefe verloren, um diese Phänomene ausreichend wissenschaftlich zu fundieren. Wer sich in dieser Arbeit einen Überblick über den Stand der Forschung erhofft, dem ist empfohlen, auf andere Werke auszuweichen. Wer jedoch auf der Suche nach einem umfassenden und problemorientierten Überblick über den Status Quo der politischen Kommunikation in der digitalen Gesellschaft ist, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

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Über das BuchEric Meyer: Zwischen Partizipation und Plattformisierung. Politische Kommunikation in der digitalten Gesellschaft. Reihe: Schriftenreihe des Zentrums für Medien und Interaktivität, Bd. 14. Frankfurt a.M. [Campus Verlag] 154 Seiten, 29,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseErik Meyer: Zwischen Partizipation und Plattformisierung. von Johann, Michael in rezensionen:kommunikation:medien, 31. März 2020, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22136
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