Sinan Sevinc: Augmented Reality im Journalismus

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Rezensiert von Markus Kaiser

Einzelrezension
Die Talsohle nach dem ersten Aufschwung hat Augmented Reality auf dem Gartner Hype Cycle 2018 überschritten. Dank des Smartphone-Games Pokémon GO ist die Technologie der erweiterten Realität in der Bevölkerung angekommen, nachdem bereits im Jahr 2010 das Magazin der Süddeutschen Zeitung als erstes Magazin weltweit virtuelle Zusatzinhalte in sein Printprodukt verpackt hatte. In der Industrie setzt sich Augmented Reality (AR) immer stärker durch.

Sinan Sevinc hat sich in seiner Bachelorarbeit Augmented Reality im Journalismus. Inhaltlicher Mehrwert und Potenziale einer innovativen Medientechnologie damit beschäftigt, wie AR speziell im Journalismus eingesetzt wird, ob AR-Produkte in der Lage sind, auch hier einen Mehrwert zu schaffen, und worin dieser Wertzuwachs genau besteht. Anders als bei Virtual Reality taucht der Nutzer nicht ganz in eine künstlich erschaffene Welt ab, sondern erhält Zusatzinformationen in die reale Umgebung eingeblendet.

Wie in einer Bachelorarbeit üblich, grenzt der Autor zunächst die Begriffe Augmented und Virtual Reality voneinander ab und schildert die historische Entwicklung. Hierbei stützt er sich vor allem auf das lesenswerte Standardwerk Augmented und Mixed Reality für Medien, Marken und Public Relations von Dirk Schart und Nathaly Tschanz. Einen Mehrwert bietet an dieser Stelle das Buch von Sinan Sevinc noch nicht. Auch die anschließenden Praxisbeispiele schaffen keine neuen Erkenntnisse.

Deshalb lohnt es sich, bei der Lektüre sofort zum vierten Kapitel, der empirischen Untersuchung, zu springen. 20 Personen haben sich bereit erklärt, im Mai 2017 zunächst Anwendungen auf der Microsoft-AR-Brille HoloLens zu testen, um dann in einem Fragebogen Auskunft darüber zu geben, wie sie diese erlebt haben. Zuvor wurden die folgenden sechs Indikatoren erarbeitet, um einen inhaltlichen Mehrwert für die journalistischen Inhalte messen zu können: den Informationsgehalt, die Verständlichkeit, die Einflussnahme, die Einzigartigkeit, die Wahrnehmungserweiterung (Immersion) und die Nutzerorientierung.

Sevinc zufolge hatten vor dem Test nur zwei der 20 befragten Teilnehmer überhaupt von Augmented Reality gehört. Offen bleibt, ob sie nur den Begriff nicht kannten oder ob auch die ein Jahr zuvor auch in Publikumsmedien stattgefundene Diskussion um Pokémon GO an ihnen vorübergegangen ist. Zudem gibt es in der Community immersiver Medien hitzige Diskussionen, ob für diese Inhalte tatsächlich der Begriff Augmented Reality der richtige ist oder ob es nicht korrekterweise Mixed Reality heißen müsste. Ein Head-Mounted Display (der Fachbegriff für eine Virtual- oder Augmented-Reality-Brille) hatten bisher nur vier Teilnehmer benutzt. Gerade bei AR bildet aber ohnehin das Smartphone eine deutlich niedrigschwelligere Zugangshürde als eine Brille.

Fraglich ist deshalb, ob die Zahl von 20 Testpersonen, von denen 16 anscheinend noch keinerlei Erfahrung mit immersiven Medien hatten, ausreicht, um eine empirische Untersuchung durchzuführen. Denn erfahrungsgemäß sind die meisten User, die erstmals eine Brille aufgesetzt bekommen haben, von den neuen Erfahrungen beeindruckt (aber auch zum Teil vom Komfort der Brille desillusioniert, die derzeit von der Größe noch an die erste Phase der Handy-Telefonie erinnert und an deren Weiterentwicklung längst gearbeitet wird).

Sinan Sevinc zog nach seiner Auswertung ein positives Fazit, dass AR verstärkt auch im Journalismus eingesetzt werden sollte: “Augmented-Reality-Produkte sind auf mehreren Ebenen in der Lage, einen inhaltlichen Mehrwert im journalistischen Kontext zu erzeugen, auch wenn die Technik noch einige Schwachstellen – speziell in punkto Tragekomfort – beheben muss“ (79). Die Testpersonen berichteten vor allem von einem Verständniszuwachs und einer Komplexitätsreduzierung. “Einen klaren Mehrwert offenbarten auch die Daten zum Informationsgehalt der Darstellungsform. Die Authentizität der Darstellung konnte in diesem Zusammenhang besonders überzeugen“ (ebd.), erklärt Sevinc.

Die Bachelorarbeit konnte natürlich nicht darauf eingehen, dass das Storytelling mit immersiven Medien genauso noch am Anfang steht wie die Technologie selbst. Daher entspricht die Untersuchung vom Mai 2017 naturgemäß in einem sich rasant weiter entwickelnden Mediensegment nicht mehr dem Stand von 2019, weshalb die Halbwertszeit von Büchern über digitalen Journalismus generell deutlich geringer ist als im Fernseh-, Hörfunk- oder Printjournalismus.

Das Fazit kann dementsprechend nur abstrakt ausfallen: “Zusammenfassend hat die vorliegende Bachelorarbeit deutlich gemacht, dass sich AR in Mitten eines fortlaufenden Entwicklungsprozesses befindet, der speziell auf inhaltlicher Ebene durch praktische Arbeiten weiter vorangetrieben werden muss“ (96). Dieser Prozess lasse bereits jetzt schon großes Potenzial erahnen. “Das anhaltende Interesse nationaler und internationaler Branchengrößen untermauert dieses Resultat und zeigt deutlich den Stellenwert und das Zutrauen, welches in die Technologie zweifelsohne besteht“ (ebd.), glaubt der Autor. Auf eine Hürde geht Sevinc allerdings nicht ein, die neben der Frage nach dem journalistischen Mehrwert für Medienunternehmen noch relevanter sein dürfte: Noch fehlt für privatwirtschaftliche Medien ein überzeugendes Geschäftsmodell hinter AR-Inhalten, was sich aber natürlich auch entwickeln lassen kann.

Literatur:

  • Dirk Schart; Tschanz, N.: Augmented und Mixed Reality für Medien, Marken und Public Relations. Konstanz [UVK] 2017, 2. Aufl.

Links:

Über das BuchSinan Sevinc: Augmented Reality im Journalismus. Inhaltlicher Mehrwert und Potenziale einer innovativen Medientechnologie. Reihe: Now Media, Bd. 3. Baden-Baden [Nomos] 2018, 125 Seiten, 24,- Euro.Empfohlene ZitierweiseSinan Sevinc: Augmented Reality im Journalismus. von Kaiser, Markus in rezensionen:kommunikation:medien, 15. März 2019, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21712
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