Michael Meyen: Breaking News – Die Welt im Ausnahmezustand

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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Einzelrezension
“Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit”, skandiert der Münchner Kommunikationswissenschaftler im saloppen Boulevardstakkato das oberste Credo seiner Rundum-Medienkritik (wie sie offenbar viele Journalistik-Professoren ab und an äußern müssen1). Dieser Imperativ, den es angeblich schon seit den 1980er Jahren – mit der Privatisierung bzw. Kommerzialisierung der Medien durch private Konzerne – gibt, bedroht oder zerstört sogar die Medien selbst, nicht nur Ethos und Arbeitsweise von Journalisten, wie sie davor aufrechte Publizisten wie etwa die vielfach beschworenen Ikonen Hans Joachim Friedrichs und Ulrich Wickert neutral, präzise und professionell betrieben haben, sondern auch die Gesellschaft als ganze, ihre Öffentlichkeit und ihre Demokratie.

Die jüngsten digitalen Entwicklungen – als Medienrevolutionen zwei (Internet) und drei (Social Media) apostrophiert – firmieren nur als mehr oder weniger konsequente Fortsetzungen, nicht als eigenständige und ungleich grundlegendere Umwälzungen. Die Pervertierungen und Verhunzungen des Sports hin zur Massenshow und Geldmaschine, dem Meyen viele, oft redundante Sätze, auch exemplarische Anschauungen (aus Arbeiten anderer) widmet, sind ebenso Antriebe wie Ausweise dieser Verheerungen.

Aus beliebigen Verweisen auf wissenschaftliche Diskussionen (in denen sich Meyen sonst kompetent bewegt) wird als zentrales Paradigma die Medialisierung eingeführt. Sie umfasst ebenso Handlungslogiken der mächtigen und prominenten Akteure wie systemische und technische Medienlogiken, verstanden als Grammatik der Medienkommunikation: primär die Abhängigkeit von Einschalt- und Klickquoten, die durch Sensationsgier, übersteigerte Sprache und aufgebauschte Belanglosigkeiten, durch Konflikte, Katastrophen, Schicksale, durch Personalisierung und Emotionalisierung bis hin zur Überhöhung von Scheinprominenz, durch Attraktionen, Storys und Events buchstäblich um jeden Preis eingelöst werden. Dazu gehören auch PR statt Recherche und Investigation, Aufreizung und voyeuristische Anprangerung statt Orientierung und sachliche Differenzierung und vieles andere mehr, das Meyen als so genannte “Kernelemente der Medienlogik” (80) voluntaristisch anführt.

Allenthalben werden Personal und Agenturen für Öffentlichkeitsarbeit enorm aufgebläht, die selbst verdeckt gefällige Texte und Bilder (Product Placement) produzieren und die journalistische Arbeit gängeln, hingegen schrumpfen bei den klassischen Medien Redaktionen, Ausgaben und Auflagen: “Kommunikation“ ist gewissermaßen das Nonplusultra, wichtiger als das tatsächliche Ereignis, Medienrealität verdrängt die ursprüngliche, authentische Realität. Doch dies behauptete Niklas Luhmann schon vor gut 20 Jahren – und ob es in der unterstellte Pauschalität stimmt, ist nach wie vor strittig. Werbung, Marketing und Ökonomie, von grundsätzlicheren Analysen angemahnt, hält Meyen allenfalls für sekundär, jenseits besagter Attraktions-, Visualisierung- und Vereinnahmungsstrategien.

In allen gesellschaftlichen Feldern – in Politik, Wirtschaft, selbst bei Gesundheit und Sozialarbeit, endlich auch in Bildung und Wissenschaft (Edutainment) – dominieren längst Medienöffentlichkeiten, der Impetus der Aufmerksamkeit und verinnerlichtes PR-Bewusstsein. Gebuhlt wird überall um Außenwirkung, Prominenz, Image, Anerkennung. Letztlich regieren sie jede/n einzelne/n, bestimmen, wie wir leben und miteinander umgehen (wie das letzte Kapitel anprangert): Alltag, Konsum, Liebe, Familie, Gastronomie, Reisen – immer lauter, greller, künstlicher, performativer werden sie, alle sind sie medialisiert, funktionieren nach Mechanismen der Selbstdarstellung, Imitation und Show.

All dies ist nicht neu – wer erinnert sich noch an Vance Packards Geheime Verführer von 1957! – aber trefflich, wenn auch einseitig beobachtet; Meyen illustriert besagte Trends an vielen aktuellen Beispielen von journalistischen Insidern, publizierten Einlassungen wie einschlägigen Studien (Interviews und Inhaltsanalysen), interpretiert sie mit knappen Thesen und einschlägigen Kategorien, wie man es in einem populären Sachbuch, das auch sein Publikum sucht, macht. Weit entfernt vom kritisierten Sujet ist es daher nicht, weder im seinem zur Pauschalität neigenden Duktus noch in der aufgebrachten Sprache. Daher verschlagen die zuletzt angebotenen Abhilfen kaum: “Resilienz“ firmiert als magisches Plädoyer, weil damit der Blick auf die Bedrohungen geschärft und der Zwang, genauer hinzusehen, erhöht werden soll. Solche Empfehlungen findet man in jedem der unzähligen Ratgeber-Werke, muss Meyen kleinlaut einräumen.

Am Ende bescheiden sie sich damit, den gesellschaftlichen Auftrag der Medien, Öffentlichkeit herzustellen und sie möglichst authentisch, professionell und neutral zu bewerkstelligen, anzumahnen, besser noch: zu verteidigen und darüber hinaus selbst “in uns [zu]gehen“ (184). Doch das gelänge leichter, wenn zuvor der Mund nicht so voll genommen und schon jeweils auf Widrigkeiten und Gegenläufigkeiten – womöglich sogar dialektisch – verwiesen worden wäre.

Links:

  1. Vgl. in jüngster Zeit: Stephan Russ-Mohl: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie zerstört. Köln 2017; Siegfried Weischenberg: Medienkrise und Medienkrieg. Brauchen wir überhaupt noch Journalismus? Wiesbaden 2018
Über das BuchMichael Meyen: Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand. Wie uns die Medien regieren. Frankfurt/a.M. [Westend] 2018, 208 Seiten, 18,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMichael Meyen: Breaking News – Die Welt im Ausnahmezustand. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 6. November 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21508
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