Walter Grasskamp: Das Kunstmuseum

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Jürgen Stiller

Einzelrezension
Unter den in der Regel eher staubtrockenen Texten hiesiger KunsthistorikerInnen fällt ein Beitrag, der sich mit dem Phänomen des Kunstwitzes (Grasskamp 2014) beschäftigt, durchaus angenehm auf und ist geeignet, den Leser beiläufig für den Verfasser einzunehmen – denn nicht immer gelingt Fachwissenschaftlern ein Blick auf die eigene Branche mit einer gewissen Prise Humor. Ein gezeichneter Kunstwitz des Cartoonisten Christopher Weyant (6) eröffnet, quasi folgerichtig, auch die vorliegende Publikation Walter Grasskamps aus dem Jahr 2016 und lässt visuell schon zu Beginn eines der Leitmotive seiner Ausführungen über das Kunstmuseum anklingen – Geld: Ein zufrieden lächelnder Museumsbesucher lauscht per Audioguide nicht etwa kunsthistorischen Ausführungen, sondern den rekordverdächtigen Verkaufspreisen der betrachteten Werke!

In acht Kapiteln, von denen jedes durch ein thematisch stimmiges, in Schwarzweiß abgedrucktes Kunstwerk annonciert wird, entwirft der Autor ein detailliertes Panorama des – hauptsächlich bundesdeutschen – (Kunst-)Museumsbetriebs, welches eine erfreuliche lebensnahe Sichtweise anbietet. Nämlich diejenige der betriebswirtschaftlichen Obliegenheiten, historischer Verbindlichkeiten oder juristischer Formalitäten, vor allem ab Seite 155, wodurch der Museumsbetrieb der verklärten Wahrnehmung als `Musentempel´ schnell entkleidet wird und sich die beinharten Rahmenbedingungen jeglicher aktueller Museumsarbeit unmissverständlich erweisen. Hier, wie auch schon zuvor in ähnlich gelagerten Texten des Verfassers (Grasskamp 2002), zeigt sich vor allem seine besondere Expertise, komplizierte Sachverhalte, welche ökonomische Aspekte, verwaltungstechnische Prozeduren und Fragen kultureller Vermittlung miteinander verflechten, für den Leser transparent und gut nachvollziehbar darzustellen. In der Nachbemerkung, vor allem aber im umfangreichen Anmerkungskapitel, ab Seite 167, untermauert und belegt der Autor in bester wissenschaftlicher Manier die vorgetragenen Argumente durch zahlreiche Quellen, so dass sich auch der Leser bei Bedarf und Interesse eigenständig weiter mit dem Gegenstand des Buches beschäftigen kann.

Nicht nur an diesen Details ist zu erkennen, dass der Autor bestens informiert ist und sehr genau weiß, worüber er schreibt. Denn Prof. Dr. Walter Grasskamp, Jahrgang 1950, ist einer der bedeutendsten deutschen Kunsthistoriker, der ab 1985 als Professor für Kunstwissenschaft an den Fachhochschulen Münster und Aachen, sowie von 1995 bis 2015 als Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrte. Als stellvertretender Vorsitzender gehört er dem Vorstand der Museumsstiftung zur Förderung der Staatlichen Bayrischen Museen an. Seit 2003 ist er ferner in der Sektion `Bildende Kunst´ Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Die in diesem Buch sprachlich ebenso eloquent wie pointiert vorgetragenen Essays zu den verschiedenen `Konstruktionsfehlern´ des Kunstmuseums lassen von Anfang an noch eine andere, nämlich die publizistische Qualität des Autoren erkennen, der seit 1975 auch als Kunstkritiker bzw. -soziologe für verschiedene Medien tätig war und ist.

Dabei scheint z. B. das Paradoxon zu seinen präferierten rhetorischen Figuren zu gehören, was nicht nur – implizit – im Buchtitel, sondern – explizit – ebenfalls im zweiten Kapitel anklingt. Diese bewusst widersprüchlichen Formulierungen stimmen den Leser auf jeden Fall nachdenklich und führen durch die Analyse der von Grasskamp gebildeten Syntagmen im besten Fall zum tieferen Verständnis. Fast ebenso häufig sind im Text Formulierungen zu finden, die im Nachsatz eine ironische Brechung des zuvor Gesagten bewirken, z. B. “Subvention – das klingt nach Brüssel und EU, nach Butterbergen und Milchseen, also unsympathisch und verschwenderisch, zumal man sich die Suffixe -abbau oder -betrug gleich hinzudenken kann“ (86), wodurch bei aller Lockerheit zugleich auf tiefer gehende Folgen verwiesen wird.

Vordergründig betrachtet, könnte man am Ende möglicherweise dennoch leicht verstimmt das Buch aus der Hand legen, denn der Verfasser benennt wohl viele Schwachstellen des Museumswesens, enthält sich jedoch konkreter Optimierungsvorschläge. Tiefgründig betrachtet, skizziert Grasskamp allerdings stellenweise treffende Vexierbilder der Problemlagen, die zwar einerseits klar den “paradoxen“ Sachverhalt illustrieren, jedoch zugleich – quasi in den Umrissen der Motive – Lösungsoptionen artikulieren: So schildert der Autor zum Beispiel als 13. Paradox das Missverhältnis zwischen `hohen Ausgaben für Museumsneubauten und Sparmaßnahmen für Alltagsaufgaben´ (38), die zwar erst aus dem Bauetat fließen und in der Folge aus dem Kulturetat regelrecht refinanziert werden; hier wäre – so die umrissene Schlussfolgerung – eine angemessenere Umverteilung das Mittel der Wahl. Oder indem er den gerne tabuisierten Vorgang des Verkaufs aus Museumsbeständen oder aus öffentlichem Besitz, das ‘de-accessioning’ (44), anhand historischer Beispiele als durchaus nicht unüblich charakterisiert und zugleich durchblicken lässt, dass eine darauf bezogene Diskussion unter historischen bzw. moralischen Vorzeichen (47) die Sachlage entkrampfen könnte. Die Lektüre des Buches ist insgesamt nicht nur überaus informativ, denn der kunstinteressierte Laie erhält anhand zahlreicher Beispiele spannende Einblicke in eine schwierige Branche, sondern auch sehr kurzweilig – kurzum empfehlenswert.

Literatur:

  • Grasskamp, Walter. Unerwartete Folgen eines Ausstellungsbesuchs. Versuch über den Kunstwitz. In: Barbara Lutz-Sterzenbach, Maria Peters, Frank Schulz (Hg.): Bild und Bildung. Kopaed München 2014, S. 435 – 442
  • Grasskamp, Walter. Kunst als Ressource? Kulturelle Kompetenz als neues Leitbild. In: Politische Studien, 53. Jg. 2002
Über das BuchWalter Grasskamp: Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion. München [C.H.Beck] 2016, 187 Seiten, 18,- Euro.Empfohlene ZitierweiseWalter Grasskamp: Das Kunstmuseum. von Stiller, Jürgen in rezensionen:kommunikation:medien, 2. August 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20398
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