Harald Weiß (Hrsg.): 100 Jahre Biene Maja

Einzelrezension
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Rezensiert von Peter Conrady

100 Jahre Biene MajaEinzelrezension
“Am Anfang war die Biene Maja.” Dieses Zitat aus dem Buch (143) mag sinngemäß für so vieles gelten, was mit “Biene Maja” verbunden wird, was sie wirklich ist, was sie ausgelöst und bewirkt hat, wie mit ihr umgegangen wurde und wird, wo und wie sie lebt, welchen Charakter sie hat. Dabei ist eines besonders verwunderlich: eigentlich kennen wir alle “Biene Maja”, oder – besser gesagt – wir alle meinen, sie zu kennen. Und doch gab es bisher lediglich hier und da wissenschaftliche Auseinandersetzungen und Beiträge zu dieser literarischen und medialen Figur und zu seinem Schöpfer und zu seinen Nach-Schöpfern. Bis 2014.

Den 100. Geburtstag der Erstveröffentlichung des Buches Die Biene Maja und ihre Abenteuer nutzte Harald Weiß an der Universität Tübingen im Sommersemester 2012 für eine vorbildliche Vortragsreihe. Eingeladen waren Fachleute ganz unterschiedlicher Provenienz. Eine treffliche Gelegenheit, die der Biene-Maja-Fachmann eröffnete, um nunmehr fundiert und kompetent zentrale und wesentliche Aspekte zum Autor, zum Buch, zu medialen Verarbeitungen und zu den vielfältigen Rezeptionen zu erarbeiten und zu diskutieren.

Wer war der Autor Waldemar Bonsels? Harald Weiß geht auf seine Lebensspur, entdeckt Details, auch unbekannte, fügt vieles zueinander und hält sich bei allem mit Interpretationen und Bewertungen zurück. Vielleicht gelingt es gerade deswegen, die Individualität Bonsels besser zu verstehen, auch seine Beziehungen und Freundschaften und seine Einstellung zum NS-Regime.

Mit der Textanalyse, die Bettina Kümmerling-Meibauer unter dem Stichwort “Crossover Literatur” (45 ff.) vornimmt, wird der Text von seinen vorurteilsbeladenen Einschätzungen befreit. Die erarbeiteten vielschichtigen und differenzierten Aspekte zeigen den historisch besonderen Wert des Textes. Das bietet zugleich die Möglichkeiten, dort in der kinderliterarischen Forschung anzuknüpfen, wenn sie denn sozial-historisch und kritisch aufgestellt ist.

Feinfühlend arbeitet Jürg Häusermann ein Phänomen der “Biene Maja” heraus, das den Text begleitet und ihn zugleich unterlegt: die Lieder und insgesamt die Klanglandschaften (Soundscapes). Das ist etwas, was diesem Text speziell und eigen ist, leider bei den medialen Vermarktungen ausgespart wurde und lediglich mit dem (neuen) Titellied zur Fernsehserie seit 1976 Maja-Kultstatus bekommt.

Ist “Biene Maja ein Klassiker? Dieser Frage geht Kaspar Maase nach. Die Vielschichtigkeit seiner Antworten liest sich überzeugend, auch weil sie historisch und gesellschaftlich fundiert sind, und ergänzt deutlich die entsprechenden Diskussionen in der Kinder- und Jugendliteraturforschung, die aktuell etwas stiller geführt wird.

Mit der “Schlacht der Bienen und Hornissen”, dem vorletzten Buch-Kapitel, zugleich der letzten Folge der ersten Trickfilm-Staffel von 1976, setzt sich Martin Loiperdinger auseinander. Gerade dieses Kapitel war immer wieder Anlass zu vernichtender Kritik am Gesamtwerk und auch an der Person Waldemar Bonsels’. Dem nimmt Martin Loiperdinger nicht die Spitze. Doch gelingt es ihm vorzüglich, durch vergleichende Analysen verschiedener Fassungen, ausgehend vom Buch über die Filme von 1926 und 1934 bis 1976, Akzente und Positionen zu entdecken und herauszustellen.

Die NS-Zeit und Waldemar Bonsels – das liegt im zentralen Blick des Beitrages “Maja, Shakespeare und Herr Goebbels” von Harald Weiß. Dabei stellt er deutlich strukturiert die eigen verquere Kulturpolitik dieser Zeit dar, arbeitet Bonsels’ eigensinnige Maja-Umgestaltung heraus und entwickelt und begründet intensiv den Adaptionsansatz, den Thea von Harbou seinerzeit in einem Drehbuch verfasste.

Bei den folgenden drei Beiträgen liegt der Schwerpunkt auf der ‘neuen’ Maja. Mit “Maja – Alle lieben Maja“ betitelt erzählt(!) Josef Göhlen, der in den 1970er Jahren als Redaktionsleiter beim ZDF u. a. auch die Zeichentrickserie Die Biene Maja verantwortlich (mit-)entwickelte, anschaulich von dieser Weiter- und Neuentwicklung. Seine Programmideen und Erfahrungen, zunächst mit Wickie und die starken Männer, seine Zusammenarbeit mit japanischen Animatoren, die Erfindung neuer Figuren, wie “Willi”, die faule Drohne und Majas Freund, und “Flip”, der namenlose Grashüpfer aus dem Text, der nun Erzähler wird, die Produktion des Titelliedes und der Zuschauererfolg und vieles mehr – all das sind spannende Einzelheiten und Episoden, die der Insider hier öffentlich macht.

Medienverbund und ein kritischer kulturwissenschaftlicher Blick – das zeichnet den Beitrag von Heinz Hengst aus. Insbesondere die sog. “Japanisierung der kommerziellen Kultur” (143) als auch die Weiter- und Neuentwicklungen der Medien verändern das Sehen und Verstehen, unsere Gewohnheiten und Vorlieben und erweitern mögliche Partizipationen an der (Medien-)Kultur durch Anteilnahme und Handeln. “Biene Maja wird von der Figur zum Charakter!

Wie Elemente aus all dem, was “Biene Maja” inzwischen ausmacht, nutzbar gemacht werden, um Lernen kindgemäßer und ggf. lernbarer zu machen, das beschreibt Jana Mikota. Zentral sind immer wieder die vordergründigen Absichten, Figuren und Bilder für Motivation und Lernfreude zu nutzen. Das ist durchaus ein wichtiges didaktisches Element, aber eben nur eines! Buch und Film bieten gleichviel mehr an Dimensionen, um Figuren und Handlungen zu erspüren.

Dieses Buch 100 Jahre Biene Maja – Vom Kinderbuch zum Kassenschlager ist mit seinen Beiträgen der Meilenstein in der wissenschaftlichen Forschung, nicht nur zu “Biene Maja”. Hieran wird niemand vorbeikommen. Und das ist schon ein außerordentlicher Verdienst. Noch viel mehr eröffnen sich zahlreiche weitergehende (neue) Fragestellungen, die es sich wahrlich lohnen aufgegriffen zu werden. So z. B. Bonsels Leben und Wirken und Denken im Ersten Weltkrieg. Oder seine (tiefenpsychologische) Lebensphilosophie. Aktuell ist sicher das Rezeptionsverhalten von Kindern und Erwachsenen ein spannendes Untersuchungsfeld. So z. B. welchen Einfluss “Willi” als neue Dialogfigur auf eine ggf. andersartige Wahrnehmung von Buch und Film hat. Vielleicht bei Jungen anders als bei Mädchen? Und bei Erwachsenen: ist es ‘nur’ Nostalgie?

Links:

Über das BuchHarald Weiß (Hrsg.): 100 Jahre Biene Maja - Vom Kinderbuch zum Kassenschlager. Heidelberg [Universitätsverlag Winter] 2014, 186 Seiten, 26,- Euro.Empfohlene ZitierweiseHarald Weiß (Hrsg.): 100 Jahre Biene Maja. von Conrady, Peter in rezensionen:kommunikation:medien, 8. April 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/17489
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