Rezensiert von Sonja Utz
Auch wenn Twitter nicht so beliebt ist wie Facebook, hat es in den acht Jahren seit seiner Gründung doch erheblich an Popularität gewonnen: 241 monatlich aktive Nutzer posten täglich 500 Millionen Tweets (vgl. Twitter Usage). Die Faszination von Twitter liegt auch darin, dass es auf so viele verschiedene Weisen genutzt werden kann – um in Kontakt mit Freunden und Bekannten zu bleiben, um Events (z. B. Tagungen) zu folgen, als Nachrichtenmedium oder als zweiter Bildschirm beim Fernsehen. Stars und Politiker können das Medium nutzen, um sich selbst zu profilieren oder den Dialog mit Fans oder Bürgern anzugehen. Auch in der Unternehmenskommunikation spielt Twitter eine zunehmend bedeutendere Rolle. Der Sammelband twitter and society, herausgegeben von Katrin Weller, Axel Bruns, Jean Burgess, Merja Mahrt und Cornelius Puschmann, widmet sich all diesen Aspekten und deckt den Themenbereich dadurch in seiner gesamten Breite ab.Passend zum Thema zeichnet sich der Band durch kurze und prägnante Kapitel aus. Die Überschriften sind wie Tweets formatiert und beschreiben in 140 Zeichen, worum es in dem entsprechenden Kapitel geht. Auch das Titelbild, die Zwitscher-Maschine (twittering machine) von Paul Klee, ist liebevoll ausgewählt. Dadurch macht es Spaß, den Band in die Hand zu nehmen. Die insgesamt 31 Kapitel gliedern sich in einen ersten konzeptuellen Teil und einen zweiten, weitaus umfangreicheren Teil, der sich mit Perspektiven und Nutzungspraktiken beschäftigt. Schon das Vorwort von Richard Rogers gibt einen exzellenten Überblick über die Entstehung von Twitter und den Wandel vom ‘ambient friend-following medium’ (xii) hin zum ‘news medium for event-following’ (xvi). Zuletzt weist Rogers darauf hin, dass Twitter sich aufgrund von Big Data Analysetechnologien auch immer mehr als vorausschauendes Medium erweist, in dem Trends früh abgelesen werden können.
Der erste Teil umfasst die Bereiche Konzepte und Methoden. Unter der Überschrift ‘Konzepte’ werden die wichtigsten Begriffe definiert. Hier hätte man Kapitel 3, in dem Alexander Halavais die Unterschiede zwischen tweet, retweet, replies und mentions erklärt, vielleicht besser an den Anfang stellen können, bevor Jan-Hinrik Schmidt auf das Verschwimmen der Grenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation und das Entstehen von persönlichen Öffentlichkeiten eingeht.
Besonders das Kapitel von Axel Bruns und Hallvard Moe sticht hier heraus, das den Informationsfluss auf Twitter zwischen der Mikroebene (@replies), der Mesoebene (follower Netzwerke) und der Makroebene (hashtags) anschaulich erklärt. Leider ergeben sich manchmal Überlappungen zwischen den Kapiteln 2 und 3. Cornelius Puschmann und Jean Burgess fügen mit ihrem Kapitel über die Politik von Twitterdaten eine neue Dimension hinzu, indem sie die gegensätzlichen Ansichten von privaten und institutionellen Twitternutzern, kommerziellen Datenverkäufern, Wissenschaftlern und Twitter selbst zum Thema Eigentum von und Kontrolle über Daten beleuchten.
Die Methodenkapitel sind besonders aufschlussreich. Zunächst erläutern Devin Gaffney und Cornelius Puschmann die Unterschiede zwischen den verschiedenen Twitter APIs und verfügbaren Software-Tools, bevor die folgenden Kapitel auf verschiedene Methoden der Datenanalyse eingehen (z. B. sinnvolle Indikatoren, Sentimentanalyse). Das Kapitel von Jessica Einspänner, Mark Dang-Anh und Caja Timm zur computerunterstützten Inhaltsanalyse von Twitterdaten hätte durch einige konkrete Beispiele noch gewonnen. Alice Marwick gibt einen informativen Überblick über ethnographische und qualitative Forschung; dieses Kapitel besticht auch durch seine Offenheit über erfolglose Versuche der Datenerhebung (z. B. Twitter-Interviews mit Schülern). Der Teil wird abgeschlossen durch ein äußerst informatives Kapitel über die rechtlichen und ethischen Fragen bei der Datensammlung auf Twitter (Michael Beurskens). Insgesamt bietet der erste Teil eine hilfreiche Einführung in die Twitterforschung.
Der zweite Teil beginnt mit den Perspektiven. Unter diesem Titel werden sehr diverse Kapitel zusammengefasst – z. B. von der Verwendung von Memes wie #YOLO (You Only Live Once), über die Angaben zur geographischen Lage in vielen Tweets, Privatheit auf Twitter bis zu automatisierten Twitteraccounts. Die abschließenden Kapitel zur Informationssuche auf Twitter und zur Archivierung von Information hätten auch gut in den Methodenteil gepasst. Für sich alleine lesen sich die Kapitel recht gut, aber der Zusammenhang erschließt sich nicht ganz und besteht wohl vor allem darin, dass alle Kapitel Themen adressieren, die domänenübergreifend sind.
Knapp die Hälfte des Buches widmet sich den verschiedenen Nutzungspraktiken. Diese sind aufgegliedert in die Bereiche populäre Kultur, Markenkommunikation, Politik und Aktivismus, Journalismus, Krisenkommunikation und Twitter in der Wissenschaft und decken dadurch eine große Bandbreite an Themen ab. Nancy Baym beginnt mit einem Kapitel über die Twitternutzung von Musikern. Hier zeigt sich eine große Variabilität – einige nutzen Twitter vor allem als Broadcasting Medium, während andere tatsächlich mit ihren Fans interagieren. Ansonsten geht es um Twitter als zweiten Bildschirm und vor allem um Twitter und Sport. Axel Bruns, Katrin Weller und Stephen Harrington präsentieren Daten zur Twitternutzung von Fußballclubs in verschiedenen Ländern. Der Vergleich von Ländern und Erstligaclubs vs. kleineren Clubs ist interessant, aber es werden vor allem Daten zur Anzahl von Folgern, Tweets, Retweets und Interaktionen mit Fans präsentiert – mehr über den Inhalt der Tweets wäre wünschenswert gewesen. Tim Highfield gibt einen detaillierten Eindruck von den Tweets die von australischen Zuschauern während der Tour de France 2012 gesendet wurden. Ein abschließendes Kapitel zur Integration der verschiedenen Beiträge wäre wünschenswert gewesen.
Unter der Überschrift Markenkommunikation findet sich ein eher dünner Beitrag von Stefan Stieglitz und Nina Krüger zum Issue Monitoring, der neuere Modelle zur Rolle von sozialen Medien in der organisationalen (Krisen-)Kommunikation nicht berücksichtigt, sowie eine fundierte Casestudy zur Sonykrise von Tanya Nitins und Jean Burgess. Unter dem Schlagwort Politik und Aktivismus beleuchten Axel Maireder und Julian Auserhofer politische Diskurse auf Twitter überaus umfassend aus drei Perspektiven. Interessant ist auch der Beitrag von Johannes Paßmann, Thomas Boeschoten und Mirko Tobias Schäfer, der @reply- und retweet Netzwerke aus der Perspektive einer Schenkökonomie analysiert.
Je zwei Kapitel befassen sich mit der Twitternutzung durch Journalisten und Twitter in der Krisenkommunikation. Der Beitrag von Farida Vis und Kollegen konzentriert sich dabei auf die online geteilten Bilder (selbst aufgenommen vs. Screenshots von Nachrichtensendern, als solche erkennbar oder nicht) und fügt damit eine neue und interessante Analyseebene hinzu. Die beiden Kapitel zu Twitter in der akademischen Welt zeigen vor allem, das Twitter dort noch eher ein Nischendasein führt; Merja Mahrt, Katrin Wellter und Isabella Peters geben aber auch einen guten Überblick über die bisherige Forschung zu diesem Thema.
Wie diese Zusammenfassung zeigt, deckt der Band wirklich ein sehr breites Spektrum der Twitterforschung ab. Die Qualität der Kapitel schwankt, aber die große Mehrheit ist überaus fundiert. Der Leser bekommt Einblick in eine Vielfalt von Analysemethoden. Positiv ist auch, dass die vorgestellten Studien aus vielen verschiedenen Ländern stammen und nicht nur aus dem angelsächsischen Raum. Das lässt eine breite internationale Rezeption erwarten. Das Buch bietet sowohl Basisinformationen, um mit Forschung über/auf Twitter zu beginnen, als auch einen guten Überblick über die verschiedenen Einsatzfelder.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Private Webpräsenz von Dr. Katrin Weller
- Webpräsenz von Dr. Axel Bruns an der Universität Hamburg
- Webpräsenz von Dr. Jean Burgess an der Queensland University of Technology (AUS)
- Webpräsenz von Dr. Merja Mahrt an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf
- Private Webpräsenz von Dr. Cornelius Puschmann
- Private Webpräsenz von Prof. Dr. Sonja Utz