Rezensiert von Katharina Lobinger
Dass Werbung in Online-Gemeinschaften wichtiger Teil einer Markenkommunikations-Strategie sein muss, kann angesichts der selbstverständlichen Internetnutzung und des damit verbundenen Booms von Online-Netzwerken als ‘Common Sense’ gesehen werden. Dennoch fiel die kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Markenkommunikation im Web 2.0 bisher vergleichsweise spärlich aus. Umso begrüßenswerter ist es, dass das vorliegende Buch nicht lediglich einen spezialisierten Teilbereich der Markenkommunikation im Web 2.0 fokussiert, sondern die Ziele und Interessen von Unternehmen, Netzwerk-Betreibern und Usern in den Blick nimmt. Nur wenn eine Übereinstimmung der Interessen und Bedürfnisse dieser drei Akteure gegeben ist, so die Prämisse, lässt sich Markenkommunikation im Web 2.0 erfolgreich in den Prozess der strategischen Markenführung integrieren.Kapitel 1 (‘Markenkommunikation 2.0’), verfasst von Daniela Schlütz, Helmut Scherer, Hannah Schmid-Petri und Anke Trommershausen, sichert die inhaltliche Kohärenz der Beiträge, indem es den theoretischen Referenzrahmen festsetzt. Auf eine äußert detaillierte Definition und Systematisierung verschiedener Online-Gemeinschaften folgt die Diskussion der unterschiedlichen Nutzen von Online-Gemeinschaften für verschiedene Akteure unter Rückgriff auf kommunikationswissenschaftliche Ansätze.
Die erste empirische Studie (‘Schöne neue Markenwelt?’) von Barbara Förth und Anke Trommershausen (Kapitel 2) untersucht mittels einer Online-Befragung, ob markenbezogenes Handeln auf Facebook einen Nutzen für alle drei Akteursgruppen hat. Auf Basis des Uses-and-Gratifications-Ansatzes und der empirischen Ergebnisse wird ein komplexes Modell entwickelt, das veranschaulicht, dass alle Akteure von markenbezogenem Handeln der User profitieren können.
Kapitel 3 (‘Die loyale Community?’) von Jennifer Czolkoss und Hannah Schmid-Petri geht der Frage nach, wie Mediengemeinschaften zur Steigerung von Marken-Loyalität gegenüber Medienmarken beitragen können und überprüft die Modellannahmen mittels einer Online-Befragung mit Userinnen von Frauenmagazin-Communities. Die Analyse führt zur Identifikation zweier distinkter Userinnen-Gruppen (UGC-Extremnutzerinnen und Userinnen mit verstärktem Interesse an redaktionellen Inhalten). Die Ergebnisse sprechen dafür, dass für letztere durchaus Potenzial zur Steigerung von Marken-Loyalität besteht, während bei den UGC-Extremuserinnen ein wesentlich geringerer Markentransfer von der Mediencommunity auf die Medienmarke und damit auch geringere Markenloyalität zu erwarten ist. Die Verfasserinnen argumentieren schlüssig, dass dennoch beide Userinnen-Gruppen wichtig für die Betreiber der Mediengemeinschaften sein können (u.a. für Page Impressions).
Die Studie ‘Aus Liebe zum Automobil’ von Hannah Schmid-Petri und Sandra Lessmann (Kapitel 4) verlagert den Fokus auf die Nutzungsperspektive und entwickelt eine Typologie von Usern nicht-kommerzieller Online-Gemeinschaften im Automobilbereich. In der überwiegend männlich dominierten Stichprobe lassen sich sechs verschiedene Nutzertypen identifizieren, die sich hinsichtlich ihrer Personenmerkmale und ihrer Nutzungsweise der Communities unterscheiden. Aus den Ergebnissen lässt sich logisch die Notwendigkeit der zielgruppengerechten Ansprache in Markencommunities ableiten.
Daniela Schlütz und Lukas Hartmann beschäftigen sich in Kapitel 5 (‘Geminderter Nutzen: Reaktanz bei Facebook’) schließlich mit potenziellen negativen Effekten von Werbung und der Frage, ob Werbung in Facebook zu Reaktanzeffekten führt und welche Determinanten diese erklären. Eine Online-Befragung mit Facebook-Usern führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass die Reaktanz der User gegenüber Werbemaßnahmen bei Facebook generell eher schwach ausgeprägt ist (vgl. 197), Werbung demnach als nicht besonders störend empfunden wird bzw. die subjektive Freiheit der Nutzer nicht stark einzuschränken scheint. Die Verfasser erklären das geringe Reaktanzverhalten durch die hohe Akzeptanz der untersuchten Facebook-spezifischen Werbemaßnahmen (z.B. Marken- bzw. Fan-Seiten) seitens der User (vgl. 197). Um ein vollständiges Bild des Reaktanzverhaltens gegenüber Werbung auf Online-Netzwerkgemeinschaften zu bekommen, sollten jedoch auch Werbeformen, die üblicherweise stärkere Reaktanz auslösen, untersucht werden. Auf Facebook kommen beispielsweise personalisierte Werbeanzeigen zum Einsatz, die im Rahmen der Studie offenbar nicht berücksichtigt wurden. Ein Vergleich des Reaktanzverhaltens gegenüber dieser Werbeform könnte den hochspannenden Ergebnissen noch mehr Nachdruck verleihen.
Das abschließende Kapitel 6 (‘Nutzen hoch drei’), verfasst von Anke Trommershausen, Helmut Scherer, Daniela Schlütz und Hannah Schmid-Petri, synthetisiert die Ergebnisse der vier empirischen Studien und fasst die identifizierten Nutzenpotenziale für Marken, Betreiber und User zusammen. Eine Erkenntnis zieht sich dabei durch alle Studien: “die hohe Relevanz sozialer Beziehungen” (204). Beziehungen stehen also im Mittelpunkt des Verhältnisses der drei Akteure (vgl. 205): Das bedeutet einerseits, dass die tatsächliche Interaktion, der Beziehungsaufbau zwischen Usern und Marken, gefördert werden sollte, während der bestehende Beziehungsaspekt zwischen Usern nicht durch Werbung gestört werden darf. Gelingt beides, sind auch positive Netzwerkeffekte für die Betreiber der Seiten zu erwarten.
Die Studien arbeiten mit äußerst komplexen Modellannahmen, die – obwohl nachvollziehbar theoretisch hergeleitet – Fragen aufwerfen. Kapitel 2 geht davon aus, dass markenbezogenes Handeln in Online-Netzwerkgemeinschaften einen positiven Einfluss auf die Markenzufriedenheit ausübt. Markenbezogenes Handeln wird als Markenerfahrung, ähnlich dem Besuch eines Events einer Marke verstanden (vgl. 72). Positive Erfahrungen mit der Marke führen demnach zu höherer Markenzufriedenheit (Forschungsfrage 3). Die schrittweisen Regressionen testen lediglich die theoretisch vermutete Wirkrichtung, es wurde jedoch nicht getestet, ob nicht vielmehr, umgekehrt, die Markenzufriedenheit das markenbezogene Handeln positiv beeinflusst und dazu führt, dass sich ein User (entsprechend den in der Einleitung formulierten Annahmen zur aktiven Zuwendung mit Inhalten in Online-Medien, vgl. 37) einer Marke aktiv zuwendet (Pull-Kommunikation). Das Modell scheint nicht ganz konsistent mit dem Vorgehen im Kapitel 4. Dort wird davon ausgegangen, “dass die Motivation, eine Online-Markengemeinschaft zu nutzen, je nach Stärke der individuellen Beziehung zur betreffenden Marke variiert (Markenaffinität)” (162). Wenn auch Markenzufriedenheit und Markenaffinität nicht gleichzusetzen sind, so scheinen hier doch unterschiedliche Annahmen bezüglich des Zusammenhangs der Einstellung zur Marke und des markenbezogenen Handelns vorzuliegen. Dies muss nicht als Schwachpunkt des Buches gesehen werden, sondern als spannende Problemstellung, die es zukünftig noch stärker zu untersuchen gilt.
Marken im Web 2.0 leistet durch seine akribische theoretische und empirische Grundlagenarbeit im Interaktionsfeld der an Markenkommunikation im Web 2.0 beteiligten Akteure insgesamt einen wertvollen und aktuellen Beitrag zur kommunikations- und medienwissenschaftlichen Werbeforschung. Demensprechend ist ihm eine breite Rezeption zu wünschen. Dem entgegen steht, dass leider weder der Entstehungskontext des Buches noch die adressierten Lesergruppen klar benannt werden. Somit bleibt unklar, an wen das Buch sich eigentlich richten möchte.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Prof. Dr. Helmut Scherer an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
- Webpräsenz von Dr. Daniela Schlütz an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
- Webpräsenz von Dr. Hannah Schmid-Petri an der Universität Bern
- Webpräsenz von Jun.-Prof. Dr. Anke Trommershausen an der Bauhaus-Universität Weimar
- Webpräsenz von Dr. Katharina Lobinger an der Universität Bremen
Habe mir das Buch von einem Freund geliehen, hat mir tatsächlich noch mal einiges weitergeholfen! Auch sehr gute Beispiele vorhanden, aber vor allem auch schlüssige Erklärungen von Konzepten!
Zum Thema Reaktanz habe ich noch einen interessanten Artikel gefunden, für alle Interessierten: http://kundesucht.de/magazin/reaktanz-der-reiz-des-limitierten-und-verbotenen.html