Rezensiert von Jürgen Heinrich
In ihrer auf zwei Bände angelegten Geschichte der Medienökonomie wollen die Autoren “ausgehend von realökonomischen Medienprozessen in den letzten Jahrhunderten die diversen theoretischen Wandel der Medienökonomie umfassend beschreiben” (5). Dabei geht es aber nicht, wie man denken könnte, um eine Theoriegeschichte der Medienökonomie, sondern um eine Darstellung der Entwicklung der Medienwirtschaft, die sich auf vorhandene Quellen stützt.Band 1, der hier zu rezensieren ist, beschreibt in vier Kapiteln die Entwicklung der Medienmärkte in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis 2000. Vorgehensweise und Fragestellung werden leider nur sehr unklar und in einem kaum lesbaren Stil im Vorwort und sonst an keiner anderen Stelle vorgestellt. Es fehlt vor allem eine sachliche Eingrenzung der Darstellung (was ist der spezifische Zuschnitt der Ökonomie, um welche Medien geht es, warum diese Zeitperioden?) und eine (klare) Beschreibung der Fragestellungen und der methodischen Ansätze. So muss man raten, was “medienökonomische und medienhistroische Ansätze” (5, Schreibfehler in den Zitaten sind jeweils original) sein sollen und glauben, “dass sie zum Erkennen von gegenwärtigen Lösungsansätzen von relevanter Bedeutung (sic) sein können” (5). Zudem wird sehr apodiktisch behauptet, dass es ein Forschungsdefizit gäbe, weil vorhandene Literatur sich nur auf einzelne Aspekte konzentriere. Diese Behauptung erklärt sich möglicherweise damit, dass im Literaturverzeichnis die einschlägigen Werke zur Mediengeschichte z. B. von Faulstich oder zur Pressegeschichte z. B. von Koszyk nicht auftauchen.
Die vier Kapitel gliedern sich zeitlich: Kapitel 1 beschreibt den Medienmarkt im 18. und 19. Jahrhundert, Kapitel 2 beschreibt den deutschen Medienmarkt um 1900, Kapitel 3 beschreibt den Medienmarkt von 1945 bis 1970, und Kapitel 4 behandelt die Zeit von 1970 bis 2000. Die Medien sind, sofern schon vorhanden, Buch, Zeitung, Zeitschrift, Theater, Kino, Film und Tonträger. Die zeitliche Struktur und die Auswahl der Medien werden nicht explizit begründet, erklären sich indes ansatzweise von selbst. Die Gewichtung der Medien ist ungewöhnlich, so werden z. B. Fernsehen und Hörfunk im gesamten Buch nur auf 28 Seiten behandelt.
Was sind die festgestellten “diversen theoretischen Wandel”? Dies ist nicht leicht festzustellen, weil der Stil der Darstellung, die reichliche Verwendung von unklaren Konzepten, die unzureichende Integration vieler Tabellen in den Text (und die Fülle der Schreibfehler) die Rezeption erschweren. Eine Vernetzung der Akteure wird schon früh als Charakteristikum der Medienproduktion herausgestellt (vgl. 35ff.) und auch nachfolgend immer wieder thematisiert.
Weiter wird die Einbindung der Medienwirtschaft, insbesondere der Nachfrage, in gesellschaftliche Entwicklungen herausgestellt: Sie ist in einen “Prozess der Destruktion traditioneller Bindungen eingebettet” (38, 106), und die “Suche nach Antworten forcierte die Nachfrage nach Druckerzeugnissen, die sowohl Meinungen der auf Veränderung drängenden Tendenzen … unterstützten, wie auch jene, die das Bestehende zu bewahren suchten” (106). Das kann so sein, ist aber weder Ökonomie noch im Buch fundiert. Schlussfolgerungen sind wenig konzis, sind spekulativ und haben mit Ökonomie nichts zu tun. Dazu ein Beispiel aus dem Rundfunkabschnitt: “Die damit verbundenen Kämpfe gegen Modernisierungserscheinungen intendierten zwangsläufig die Abwehr der individuellen Autonomie des Anderen. Dessen Ablehnung bildete letztlich einen Ausdruck einer permanenten Angst vor übergreifenden Veränderungsprozessen und somit in scheinbar unüberwindbaren Superstrukturen marginalisiert zu werden oder völlig zu verschwinden. Demnach wirkten die Antigloblisierungseinstellungen bis weit in die 1960er Jahre nach” (149).
Als weiteres Charakteristikum der Medienwirtschaft wird herausgestellt, dass sie bereits sehr früh zu einem “Vorläufer für grundlegende Wandlungen im Rahmen der gesamten wirtschaftlichen Wertschöpfung wurde” (38). Auch das kann sein, ist aber auch nicht fundiert und der Ausblick auf die Ökonomie wirkt hilflos: “So hatte die Produktion von neuen Geräten in Hörfunk, Fernsehen und von Plattenspielern … unmittelbare Auswirkungen auf das produzierende Gewerbe. Genaue Angaben konnten nicht ermittelt werden. Ein anderes Beispiel war ihr Agieren auf dem Arbeitsmarkt” (189). Ein Blick in die amtliche Umsatzsteuerstatistik und die Beschäftigungsstatistik der BA wäre hilfreich gewesen. Eine Vorreiterfunktion kann aber nicht belegt werden. So heißt es im Abschnitt über die Veränderungen in der Medienrezeption (194ff.): “Die Nachfrageseite verdeutlicht zunächst dass, wie früher erkennbar wurde, die zunehmende Mediennutzung ein Indikator für eine positive wirtschaftliche Entwicklung war. Legt man darüber hinaus das Bruttoinlandsprodukt als Wachstumsgröße für die Volkswirtschaft zu Grunde, stieg das Medienbudget der Haushalte durch die Mediennutzung insgesamt schneller als der Index der wirtschaftlichen Entwicklung.” Diese konzeptionell reichlich unklare Aussage wird durch nichts fundiert, was auch schwierig wäre, weil sie falsch ist.
Und generell ist die ökonomische Fundierung von Aussagen beschränkt. Ein Beispiel: Printprodukte wurden, so wird behauptet, im Vergleich zur Mehrheit anderer Produkte billiger (vgl. 107), was lediglich mit einem Vergleich der Jahrespacht pro Hektar mit einem Jahresabonnement belegt wird. Daraus wird geschlossen, dass daher die Nachfrage nach Printprodukten gestiegen sei (vgl. 63ff.). So einfach sind Kausalitäten nicht zu erkennen.
Tabellen sind schlampig konstruiert (4-5, 4-6), ihre Quellen werden schlampig angegeben – Was ist die Quelle ‘Buch-und Buchhandel’ (127), ‘die deutsche Presse’ (130ff.), ‘Die Zeitschriftenleser’ (133)? –, und Standardquellen wie z. B. die Jahrbücher des BDZV, die amtliche Pressestatistik oder die grundlegenden Analysen von Seufert fehlen. Und Standardkonzepte der Ökonomie werden offenbar missverstanden: Die Meritorik ist nur ein sehr kleiner Aspekt des Komplexes von Marktversagen, nicht mit diesem gleichzusetzen (vgl. 343). Insgesamt ist das Buch nicht empfehlenswert, die Schwächen sind in der Tat ein Konglomerat (vgl. 6).
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Prof. Dr. Wolfgang Mühl-Benninghaus an der Humboldt-Universität zu Berlin
- Webpräsenz von Prof. Dr. Mike Friedrichsen an der Hochschule der Medien Stuttgart
- Webpräsenz von Prof. Dr. Jürgen Heinrich an der TU Dortmund