Rezensiert von Peter W. Schulze
Intermediale Bezüge zwischen Fotografie und Film wurden in den letzten Jahren verstärkt Gegenstand medienwissen-schaftlicher Forschung, wie Stefanie Diekmann und Winfried Gerling in der Einleitung von Freeze Frames. Das Verhältnis von Fotografie und Film zu Recht feststellen. Beispielhaft anführen lassen sich zwei ebenfalls 2010 erschienene Sammelbände zur Intermedialität von Fotografie und Film. Während Fixe/animé. Croisements de la photographie et du cinéma au XXe siècle (Guido/Lugon 2010) anhand von fünf Themenfeldern mit umfangreichen einleitenden Aufsätzen die “Kreuzungen” beider Medien systematisch zu erfassen sucht, widmet sich Viva Fotofilm: bewegt/unbewegt (Hámos/Pratschke/Tode 2010) dem medienspezifischen Phänomen des Fotofilms en détail. Erklär-termaßen ein “Kaleidoskop von Beiträgen” (10), zielt die Publikation von Diekmann und Gerling weder auf eine systematische Übersicht über das Verhältnis von Fotografie und Film noch auf die Erfassung einer speziellen Form von Intermedialität (auch wenn der Titel Freeze Frames dies suggerieren mag).Sowohl von der theoretischen Perspektivierung als auch von den zur Untersuchung herangezogenen ästhetischen Artefakten ist der Band betont heterogen. Dennoch bleiben die einzelnen Beiträge nicht isoliert, sondern fügen sich – untergliedert in drei Themen-felder und einen Epilog – zu einem vielschichtigen Gesamtbild, das den mannigfaltigen Formen von Intermedialität zwischen Fotografie und Film in ihrer Komplexität Rechnung trägt. Auch wenn die Einleitung des Bandes recht kursorisch ausfällt und der Unter-suchungsgegenstand nur ansatzweise in der Forschung verortet wird, bildet sich der aktuelle Forschungsstand in den einzelnen Beiträgen ab, die von ausgewiesenen Kennern der Materie stammen und neue Perspektiven auf die Thematik eröffnen oder zumindest aktuelle Fragestellungen aufgreifen und systematisieren.
Diskutiert werden in zwölf Beiträgen “die Beziehung von Film und Fotografie vor allem mit Blick auf Spannungsverhältnisse und Grenzgänge zwischen den beiden Medien und die damit verbundenen Zeit- und Darstellungs-ökonomien” (7), wie es die Herausgeber formuliert haben. Die Aufsätze beziehen sich primär auf die Darstellung der Fotografie im Film und auf Freeze Frames, aber auch auf Aspekte wie Bewegtbilder des Computerspiels oder Fotoreportagen.
Unter der Rubrik “Fotografische Bilder im Film” beschäftigen sich vier Beiträge mit den Funktionen und Verwendungsweisen von Fotografien im Spiel- und Dokumentarfilm. Durch die Engführung von Blade Runner mit Roland Barthes’ Die helle Kammer deckt Bernd Stiegler “die Leitmetaphern eines neuen fotografischen Imaginariums” (14) auf und reflektiert damit die Schwelle zwischen analoger und digitaler Fotografie. Alexander Streitberger arbeitet die “fotofilmische Todesrhetorik” (34) in La double vie de Véronique heraus, indem er den Film auf die Relation von Fotografie, Doppelgängermotiv und Tod hin untersucht. Kay Kirchmann und Nicole Wiedenmann analysieren die Funktionen der Fotografie in Zeitreise-Filmen und zeigen auf, dass die zeitlichen Paradoxien in einem intermedialen Raum zwischen Film und Fotografie verhandelt werden und “immanent als Mediendifferenz” (51) ausgestaltet sind. In ihrer Untersuchung des Dokumentarfilms Standard Operating Procedure beleuchtet Stefanie Diekmann intermediale Konstellationen von Film, Fotografie und Computer, die durch Differenzen, Angleichungen und Medienhierarchien bestimmt sind.
Der zweite Teil des Bandes thematisiert die “Ambiguität des Bildes”, wobei ein breites Spektrum intermedialer Konstellationen berücksichtigt wird. Kathrin Peters untersucht das Werk von Sharon Lockhart mit Blick auf die Annäherungen der Fotografie und des Films an das jeweils andere Medium, vor allem in Form von extremer Verlangsamung des Bewegtbildes und Sequenzialisierung von Fotografien. Stefan Koppelkamm geht der Verbindung von “fotografischer und voyeuristischer Sichtweise” (96) in Malerei und Film nach, um vor diesem Hintergrund sein Fotokunst-Projekt Screens zu präsentieren, eine Serie von ‘Fensterbildern’, die in Auszügen auf sieben Seiten abgedruckt ist. In dem Beitrag “Die Geste des Manipulierens” arbeitet Stephan Günzel die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Bildlichkeit anhand der Bewegtbilder des Computerspiels heraus, wobei er nicht etwa medienontologisch argumentiert, wie in der Fototheorie gängig, sondern einen bildpragmatischen Zugang entwickelt.
Der dritte Themenbereich des Bandes widmet sich dem Verhältnis von Fotografie und Film “[z]wischen Stillstellung und Bewegung”. Christine Hanke untersucht den Film Caché in Bezug auf die “Verunsicherung von Blick- und Bildverhältnissen” (130), die aus der reduzierten Markierung unterschiedlicher Bildtypen resultiert. Gleichsam als Gegenpol zum Freeze Frame analysiert Winfried Gerling das Phänomen des Time-Slice (bekannter als Bullet-Time) mit seiner “Konvergenz von stasis und kinesis” (146), wobei er diese Form der “Multiperspektivität” in ihrer mediengeschichtlichen Entwicklung nachzeichnet. In der Analyse von Freeze Frames und Fotografien im Film, unter besonderer Berücksichtigung von Barton Fink, unternimmt Lorenz Engell grundlegende medientheoretische Reflexionen über den Status von Fotografie und Film, über ihre spezifischen Formen von Zeitlichkeit und ihr intermediales Verhältnis, das “als eines der anhaltenden Verwiesenheit” (172) herausgestellt wird.
In Form eines medienphilosophischen Gesprächs reflektieren Michaela Ott und die Filmemacherin Angela Melitopoulos über deren Videofilm Die Sprache der Dinge, in dem vor allem über den Einsatz von Freeze Frames “die Dividierung des Geschehens und seine Kontingenz in Abhängigkeit von Blickwinkeln” (201) verhandelt wird. Der Band schließt mit einem Beitrag über das fotografische Werk von Stanley Kubrick, das Hubertus von Amelunxen vor allem in Bezug auf die frühen fotografischen Reportagen untersucht, in denen er die Formen der Blickführung und die “komplex struk-turierte[n] Szenarien der Verzeitlichung” (205) herausarbeitet.
Freeze Frames versammelt eine Reihe hervorragender Beiträge zur Intermedialität von Fotografie und Film. Im Gegensatz zu einigen anderen Publikationen zu dem Thema liefern Diekmann und Gerling erklärtermaßen keine systematisierende Darstellung des Untersuchungsgegenstands. Stattdessen kennzeichnet sich der Band durch seine produktive Heterogenität. Diese rührt zum einen aus den sehr unterschiedlichen Fallbeispielen, die das Thema Fotografie und Film nicht nur von den medialen Grenzen her ausloten, sondern auch Aspekte jenseits davon beleuchten. Deutlich wird dies besonders in Günzels Beitrag zum Computerspiel, der den Untersuchungsgegenstand zwar regelrecht transzendiert, durch den Rekurs auf die Fototheorie und seinen Bildbegriff jedoch besonders erhellend ist. Zum anderen resultiert die produktive Heterogenität auch aus den unterschiedlichen Textsorten. Neben Aufsätzen finden sich in dem Band Beiträge, die die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst überschreiten, so in Koppelkamms medienwissenschaftlich instruiertem Fotoprojekt und in dem Künstlergespräch zwischen Michaela Ott und der Filmemacherin Angela Melitopoulos. In der erkenntnisfördernden Grenzüberschreitung entspricht der Ansatz der Herausgeber auch dem Konzept der Buchreihe Metabasis (griechisch für ‘Veränderung’ bzw. ‘Übergang’), die von den Lehrstuhlinhabern des Instituts für Künste und Medien der Universität Potsdam herausgegeben wird.
Literatur:
Guido, L.; O. Lugon (Hrsg.): Fixe/animé. Croisements de la photographie et du cinéma au XXe siècle. Lausanne [L’Age d’Homme] 2010.
Hámos, G.; K. Pratschke; T. Tode (Hrsg.): Viva Fotofilm: bewegt/unbewegt. Marburg [Schüren] 2010.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Stefanie Diekmann am Institut für Theaterwissenschaften der Ludwig-Maximilians Universität München
- Webpräsenz von Winfried Gerling am Fachbereich Design der Fachhochschule Potsdam
- Webpräsenz von Peter W. Schulze am Institut für Filmwissenschaft und Mediendramaturgie der Gutenberg-Universität Mainz