Ulla Autenrieth: Die Bilderwelten der Social Network Sites

Einzelrezension
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Rezensiert von Jan-Hinrik Schmidt

Die Bilderwelten der Social Network SitesEinzelrezension
Die medientechnologischen Innovationen des Smartphones und der sozialen Medien, insbesondere der Netzwerk- und Multimediaplattformen wie Facebook, YouTube oder Instagram, haben es in den vergangenen Jahren enorm erleichtert, (digitale) Bilder aufzunehmen, an andere Menschen zu verbreiten und mit denen darüber zu sprechen. Zugleich bestätigen regelmäßig repräsentative Befragungen zum Gerätebesitz und Mediengebrauch, dass diese Technologien für die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Grundausstattung gehören; zudem existieren zahlreiche spezialisierte Studien, die sich mit der Aneignung mobiler wie sozialer Medien und ihrer Rolle für das alltägliche Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement befassen. Doch den Bildern, die eine so wesentliche Rolle in den entsprechenden Nutzungspraktiken spielen, wurde bislang in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Mit dieser Diagnose leitet Ulla Autenrieth ihre Dissertation ein, die zwischen 2008 und 2012 an der Universität Basel entstand und nun als Buch veröffentlicht ist. Ihr Erkenntnisinteresse liegt nicht auf Merkmalen der Bilder als digitale Artefakte, sondern bezieht sich auf die “Analyse typischer Abläufe bzw. Handlungsweisen der Bilder(alben)gestaltung und -rezeption sowie deren kommunikativer Funktionen für die Identitäts- und Beziehungsaushandlungen jugendlicher Userinnen und User“ (15f.). Autenrieth konzentriert sich in ihrer Studie, die Teil des SNF-geförderten Projekts Jugendbilder im Netz war, auf die Gruppe der 12- bis 24-Jährigen in der deutschsprachigen Schweiz und deren Nutzung der Plattformen Facebook, schülerVZ & studiVZ, sowie festzeit.ch, einer vor allem im Basler Raum verbreiteten Plattform für Partyfotos.

Ihr methodisches Design umfasst Plattform- und Bildanalysen, eine repräsentative standardisierte Befragung sowie Gruppendiskussionen und vertiefende Einzelinterviews. Mit vier Freundescliquen unterschiedlichen Alters führte Autenrieth zudem eine “Peergroup-Network-Exploration“ (71ff.) durch, in der Beziehungsstrukturen und (bildbezogene) Kommunikationsmuster mit Hilfe von Gruppendiskussionen, Netzwerkkarten und Kommunikationstagebüchern untersucht wurden.

Drei Kapitel der Arbeit fassen die Fülle an empirischen Material zusammen: Kapitel 4 entfaltet ausgehend von kurzen Beschreibungen der untersuchten Plattformen die unterschiedlichen Kategorien von Bildern (Profilbilder; Bilderalben; Pinnwandbilder) und vorherrschenden Gestaltungsstrategien. Zudem rekonstruiert Autenrieth an dieser Stelle, wie die Bilder zugleich als Ausdruck von Identitätsaspekten und als Objekt von Anschlusskommunikation (z. B. über Beschriftungen und Titel, über Kommentare oder über technisch unterstützte Verknüpfungen mit anderen Nutzern) fungieren.

Kapitel 5 behandelt verschiedene Strategien der “bildzentrierten Aushandlung sozialer Beziehungen“ (175), die auf Kombinationen von Bildinhalten und Anschlusskommunikation beruhen. Jugendliche nutzen Bilder demnach erstens, um enge Freundschaft zu einer anderen Person auszudrücken und sichtbar zu bekräftigen; Bilder können zweitens dazu dienen, Grupppenbeziehungen in Freundschaftsgruppen einerseits und in formalen Gruppen wie Schulklassen oder Sportvereinen andererseits zu stärken, insbesondere über im Bild festgehaltene und geteilte Erlebnisse (“performing peergroup“); und drittens ordnen sich Jugendliche mit Hilfe von Bildern Szenen und Konsummilieus zu, indem sie bspw. Markenbilder oder szenetypische Gesten, Stile o.ä. reproduzieren.

Kapitel 6 widmet sich schließlich zwei übergreifenden Aspekten des bildbezogenen Handelns auf Netzwerkplattformen. Zum einen ist dies die “Authentizität“, die als Leitbild der jugendlichen Selbstpräsentation zugrunde liegt, was sich besonders in der Auswahl und Beurteilung der veröffentlichten Bilder niederschlägt. Jugendliche müssen dabei die Spannung reflektieren und navigieren, sich einerseits notwendigerweise auf der Bühne der eigenen persönlichen Öffentlichkeit zu präsentieren, andererseits eine Überinszenierung zu vermeiden, die von den Peers als Verletzung von Normen oder als “Fake“ empfunden werden würde. Zum anderen dient das bildbezogene Handeln auch der Aushandlung von Status und Anerkennung, zum Beispiel durch Praktiken der validierenden oder evaluierenden Kommentare im Sinne einer “Ehrerbietung“, aber durch auch das Befolgen von Reziprozitätsnormen beim Kommentieren oder Taggen der Bilder.

Man mag kritisch einwenden, dass die Studie mittlerweile nur mehr begrenzte Aussagekraft habe, denn die untersuchten VZ-Netzwerke existieren heute nicht mehr, festzeit.ch ist über den Basler Raum hinaus kaum bekannt, und Facebook scheint derzeit von Instagram, Whatsapp und Snapchat überholt, was die Bedeutung für jugendliche peer-Kommunikation angeht. Solche Kritik würde aber der bemerkenswerten Leistung von Autenrieths Studie nicht gerecht, auf materialreicher Grundlage überzeugend herausgearbeitet zu haben, wie “jugendliche Bilderwelten auf SNS als Peer-reviewte Bühnen der Beziehungsaushandlung und Imagearbeit“ (so der Untertitel des Fazits) fungieren. So wird deutlich, dass die Netzwerkplattformen bildbezogene Praktiken und Prozesse unterstützen und rahmen, die weit über das Digitale hinausreichen.

Links:

Über das BuchUlla Autenrieth: Die Bilderwelten der Social Network Sites. Bildzentrierte Darstellungsstrategien, Freundschaftskommunikation und Handlungsorientierungen von Jugendlichen auf Facebook und Co. Baden-Baden [Nomos] 2014, 321 Seiten, 59,- Euro.Empfohlene ZitierweiseUlla Autenrieth: Die Bilderwelten der Social Network Sites. von Schmidt, Jan-Hinrik in rezensionen:kommunikation:medien, 28. Oktober 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18659
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1 Pings/Trackbacks für "Ulla Autenrieth: Die Bilderwelten der Social Network Sites"
  1. […] Kurz der Hinweis, dass im Online-Rezensionsjournal r:k:m gestern eine Rezension von mir erschienen ist. Ich habe mir die Dissertation von Ulla Autenrieth („Die Bilderwelten der Social Network Sites„) vorgenommen – eine sehr interessante und aufschlussreiche Studie, die die Forschung zu Netzwerkplattformen an wesentlichen Stellen erweitert. Warum ich zu diesem Schluß komme, steht hier. […]