Sprachverlust mit System: Die Presse in der Krise

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Rezensiert von Harald Rau

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Nach den Diskussionen um den Boston Globe, den wiederholten Anläufe der New York Times, nun endlich doch “paid content” durchzusetzen, nach dem Niedergang honoriger Westküstenzeitungen in den Staaten, geraten – so scheint es – zunehmend auch die deutschen Zeitungsmacher in Aufruhr. Sich mit der “Presse in der Krise” zu beschäftigen – das liegt offensichtlich auch hierzulande im Trend. Vermutlich auch deshalb, weil die Einschläge näherkommen, das intellektuelle Frankreich ist längst bedient. Den letzten Ausschlag geben vermutlich die (euphemistisch formuliert) “Schwierigkeiten” der Süddeutschen und die händeringenden Versuche, die Frankfurter Rundschau nur irgendwie über die Tabloid-Runden zu retten.

In der Tat: Die Zeiten sind vorbei, als die Rundschau ein in den Süden strahlendes Flaggschiff modern gelebter linksliberaler Berichterstattung war, als Nachmittagsausgaben an roten Ampeln verkauft wurden, viele von ihnen mit legendären Schlagzeilen. Die Rundschau war für weite intellektuelle Kreise ein Muss – auch weil der Stil souverän und unverwechselbar für die Zeit stand. Unter uns: Ins Siechtum beförderte das Blatt der Tabloid. Das ist eine Meinung, die man nicht teilen muss. Eine eigene Stimme jedenfalls hat die Rundschau nicht mehr – und für den Rezensenten hier steht sie nachgerade als Blaupause einer neuen Zeitungswelt, die sich selbst überlebt hat.

Aber – auch auch das sei gleich vorausgeschickt: Das Prinzip Tageszeitung ist nicht tot, beileibe nicht. Das Prinzip wird sogar einen Schub erfahren, wird nicht nur überleben sondern uns in die kommenden Jahrzehnte begleiten. Anders – aber in seinen Grundzügen unverändert. Im Rahmen dieser Mehrfachrezension ist weder Raum noch Zeit, dies tiefer zu diskutieren, geht es doch vielmehr darum, vier Bücher zu betrachten, die die Zeitung, ihre Zukunft, ihre Krise in den Mittelpunkt stellen.

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Beginnen wir mit der Studie, die Stephan Weichert und Leif Kramp unter dem Titel Das Verschwinden der Zeitung? im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt haben. Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine Studie, die aus Sicht des Rezensenten dem Namen des Auftraggebers nicht würdig ist. Das Gutachten kommt unter anderem zum Ergebnis, dass unabhängige Förderung von Qualitätsjournalismus besonders geeignet ist um Qualitätsmedien wie Zeitungen zu finanzieren. Nun ja, das erscheint angesichts mediensoziologischer Erwägungen ein Allgemeinplatz – und reichlich unscharf, wenn die Autoren keine tragfähige Definition bereitstellen, was denn nun tatsächlich Qualitätsjournalismus ist. Eine Trennung zwischen Qualitätsjournalismus und Zeitungen wird nicht klar vollzogen, ebenso wenig werden Diskussion und Studie historisch verortet. Vielleicht – und dies sei nur am Rande bemerkt – sollten sich die Autoren auch noch einmal über ihren Medienbegriff verständigen. Nun denn – es gibt dennoch Wertvolles: Die Liste ausgewählter Institutionen in den USA und in Europa. Wenngleich zwei Stunden Internetrecherche zum gleichen Ergebnis führen könnten. Auch die Liste der Pressesubventionen ist vergleichsweise leicht zu recherchieren. Vielleicht wäre es ja auch angezeigt gewesen, sich kritisch mit den ineffizienten Subventionen auseinanderzusetzen. Werden Zeitungen eher abonniert, wenn sie statt 1,10 Euro nur noch einen Euro kosten? Das Problem der Tageszeitung liegt in der Attraktivität ihrer Leistung. Der Preis dürfte eher zweitrangig sein. Kurzum: Zu viel Status quo, zu wenig Einordnung und eine – auch dies ist anzusprechen – vergleichsweise wenig zielführende Untersuchung mit zum Teil suggestiv gestellten Fragen, die dann, wie auch der Rezensent erwartet, zu stark einseitigen Antworttendenzen führen.

Lassen Sie uns noch für einen Moment beim Autorenteam Weichert/Kramp bleiben und den Band Wozu noch Zeitungen? betrachten, den die beiden gemeinsam mit Hans-Jürgen Jakobs herausgegeben haben. Hierin ist eine Fülle von Interviews versammelt. Einige dieser Gespräche waren im Vorfeld der Veröffentlichung bereits in der Süddeutschen Zeitung erschienen, andere bei NZZ Online, Spiegel Online und im Evangelischen Pressedienst (epd). Kurzum – und zur Ehrenrettung: Das ist ein interessantes Lesebuch mit vielen hundert Anregungen und Aussagen, die Verleger und Herausgeber inspirieren dürften, vielleicht darf man hinzufügen: müssen.

Vieles darin ist polemisch, man lese nur das hier erstmals abgedruckte Interview mit Ariana Huffington, vieles muss man zwischen den Zeilen deuten. Das ist nicht negativ zu verstehen, denn überraschenderweise gerade dann, wenn die Befragten im Vagen bleiben, sich der Interpretation hingeben, entwickeln die Interviews ihre wahre Stärke. Bill Kovach sei jedem selbstverliebten Herausgeber empfohlen und Philip Meyer versöhnt die zeitunglesenden Dinosaurier (zu denen sich auch der Rezensent weiterhin zählt). Manche Fragen hätte man gerne anders gestellt, manche andere scheint die Interviewten auf dem “falschen Fuß” zu erwischen (vgl. zum Beispiel im Gespräch mit David M. Rubin, der sonst zu den eher “aufgeräumten” Wissenschaftlern zählt), manchmal hätte man gerne mehr gelesen und intensiver nachgehakt. Insgesamt aber ist dieser Band eine gute Lektüre für alle jene, die die Tageszeitung noch ernst nehmen wollen. Auch der eine oder andere Lernhinweis für frustrierte Zeitungsmacher lässt sich dem Interviewband entnehmen. Insofern gilt hier das Prädikat: lesenswert!

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Apropos Lernhinweise: Wer sich an vergnüglicher und insbesondere auf den Wirtschaftsjournalismus abzielender Polemik ergötzen möchte, darf mit Freude zum ebenfalls schnell zu lesenden Band Presse in der Krise von Sabine Kirchhoff und Walter Krämer greifen. Bei diesem handelt es sich um Journalismuskritik vom Feinsten. Aufgehängt am wirtschaftlichen Krisengeschehen des Jahres 2009 analysieren die Autoren journalistische Auswahlhandlungen und Verarbeitungsroutinen. Was sie an schlechtem Wirtschaftsjounalismus zutage fördern ist beeindruckend. Vielleicht sollte man besser sagen: erschreckend.

Insbesondere der unverbesserliche Zeitungsleser, der immer wieder frustriert von der regionalen Abozeitungslektüre aufblickt, wird jede Seite dieses Buchs mit heftigem Nicken quittieren. So viel Wortgeklimper, so viele hohle Phrasenblasen, so grandios verfehlte Thementiefe ist uns selten so unterhaltsam vor Augen geführt worden. Man mag den Autoren unwissenschaftliche Vorgehensweise und an manchen Stellen essayistische Grobheiten vorwerfen können – aber unterhaltsam und aufklärend ist die Lektüre allemal. Und selten langweilig! Vorausgesetzt, man überfliegt die zahlreichen in das Buch aufgenommenen Zitate der phrasendreschenden Journalisten.

Zugegeben, dem Rezensenten werden die beiden Autoren nicht zuletzt auch deshalb sympathisch, weil es ihnen gelingt, statt ständig auf Oberlehrer Sick (gut, auch er darf ein paar Anregungen beisteuern, vgl. 103) zu verweisen, immer wieder Ludwig Reiner zitieren (besonders schön: 27) und uns damit die Freude machen, dass guter Stil und passender Ausdruck auch durchaus altmodisch sein dürfen. Nun denn, das wirtschaftliche Krisengeschehen wird konsequent mit dem Tunnelblick des journalistischen Systems verknüpft und wir erkennen, dass Luhmann auch bezogen auf einzelne Themen- und Fragestellungen Anwendung finden kann: Die nachgerade überflüssige und unsinnige Dauerthematisierung als Autopoiesis, in der das Gerücht mehr zählt als harte Fakten anderer Themen. Kurz gesagt: Rund 120 unterhaltsame Seiten, die sich auch leicht auf einer Zugfahrt “konsumieren” lassen. Und, ja, stimmt schon, liebe Frau Kirchhoff, lieber Herr Krämer, ich habe gelernt, dass nicht nur Journalisten, sondern auch wir Medienwissenschaftler dieses Wort durchaus unreflektiert und ungenau verwenden, ohne “die Krankheiten” zu benennen, spezifizieren zu können – und werde in Zukunft sehr viel sorgfältiger mit diesem Begriff operieren. Eines aber will ich dann doch gesagt haben: Immer dann, wenn wir dieses Wort in den Mund nehmen und die Brücke zum Medienbetrieb schlagen, sollten wir daran denken, dass die Krise der Medien insbesondere eine Krise des Journalismus ist. Punkt.

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Das deckt sich übrigens auch mit den Erkenntnissen von Siegfried Weischenberg, der im Band Krise der Printmedien: Eine Krise des Journalismus? des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund das Zeitalter des Journalismus zu Ende gehen lässt – freilich nicht ohne historische Bezüge herzustellen und Entwicklungen aufzuzeigen. Eine gute Zusammenfassung mit vielen Erklärungsansätzen. Wie überhaupt der kleine Band viele Anregungen gibt und Thesen formuliert, die eine ganze Zunft ins Grübeln bringen dürften. Ein Beispiel sei herausgegriffen. Im Rahmen einer Studie ließ Horst Pöttker (101) die folgende Aussage überprüfen: “Manche Chefredakteure lassen sich zu leicht zum Werkzeug von Verlegerinteressen machen. Sie sollten mehr Mut haben, sich für einen unerschrockenen Journalismus einzusetzen.” Nun, was kommt heraus? Wir können es uns fast denken. Und dennoch ist es wichtig, die Einschätzung zu lesen: 55,7 Prozent der befragten Journalisten stimmen der Aussage “voll und ganz”, 33 Prozent “teilweise“ zu. 10,4 Prozent wissen nicht, wie sie sich entscheiden sollen. Mitgerechnet? Was bleibt unter dem Strich für diejenigen, die die Aussage ablehnen? Richtig: 0,9 Prozent. Aha.

Okay – Pöttkers Studie ist nicht besonders umfangreich und methodisch wäre, eng genommen, vielleicht auch das eine oder andere zu kritteln. Aber die Aussage bleibt und sie ist wertvoll – ebenso wertvoll wie die weiteren Erkenntnisse der Befragung. Wir lernen: hier wird berechtigterweise gefragt, und wir erkennen: Die Probleme des Journalismus sind auch hausgemacht. Wir könnten es auch mit Ottfried Jarren formulieren, der im gleichen Band über “Die Presse in der Wohlfahrtsfalle” nachdenkt (19): “Eine Branche, die vormals zur Herstellung von Öffentlichkeit angetreten war, hat sich selbst – um des kurzfristigen ökonomischen Vorteils und vielleicht sogar nur um des eigenen Profites willen kollektiv – kollektiv! – um die öffentliche Debatte gebracht, weil gedrückt.”

Dem bliebe nichts hinzuzufügen – vielleicht eines: Möglicherweise liegt es ja tatsächlich nahe, dass sich eine renommierte Veranstaltung wie der der Dreiländer-Soziologentag des Jahres 2011 dem neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit widmen will. Es scheint an der Zeit den alten Habermas neu zu lesen!

Links:

http://www.macromedia-fachhochschule.de/studiengaenge/journalistik/professoren-lehrende/person/detail/kramp.html
Über das BuchStephan Weichert; Leif Kramp: Das Verschwinden der Zeitung? Internationale Trends und medienpolitische Problemfelder. Berlin [Friedrich-Ebert-Stiftung] 2009, 120 Seiten. Publikation frei verfügbar unter URL: http://library.fes.de/pdf-files/stabsabteilung/06156.pdf

Hans Bohrmann; Gabriele Toepser-Ziegert (Hrsg.): Krise der Printmedien: Eine Krise des Journalismus? Reihe: Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Band 64. Berlin, New York [De Gruyter Saur] 2010, 118 Seiten, 39,95 Euro.

Sabine Kirchhoff; Walter Krämer: Presse in der Krise. Wiesbaden [VS Verlag] 2010, 130 Seiten, 14,95 Euro.

Stephan Weichert; Leif Kramp; Hans-Jürgen Jacobs (Hrsg.): Wozu noch Zeitungen? Wie das Internet die Presse revolutioniert. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 2009, 280 Seiten, 19,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseSprachverlust mit System: Die Presse in der Krise. von Rau, Harald in rezensionen:kommunikation:medien, 9. Juli 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/3098
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