Martin Welker; Carsten Wünsch (Hrsg.): Die Online-Inhaltsanalyse

Einzelrezension
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Rezensiert von Johannes R. Gerstner

Einzelrezension
Im Werkzeugkasten der empirischen Kommunikations- und Medien- wissenschaft ist die Inhaltsanalyse zu Recht neben der Befragung und der leider in der Forschungsarbeit etwas vernachlässigten Beobachtung das Powertool aktueller Forschung. Martin Welker und Carsten Wünsch haben mit ihrem Sammelband Die Online-Inhaltsanalyse den Fokus auf die neuen Herausforderungen der Analyse von Online-Inhalten gerichtet. Zugegebenermaßen: Ganz neu sind diese Herausforderungen nicht. Umso unbefriedigender war bisher die Auswahl an spezifischer Literatur zu diesem Thema. Der vorliegende Titel stößt damit in eine Lücke in der Methodenliteratur und rückt ein Thema in den Mittelpunkt, das bisher eher in Unterkapiteln und Artikeln sein Dasein fristete.

Bereits in der mit 14 Textseiten zwar kurzen aber durchaus inhaltsstarken Einleitung machen die Autoren klar, dass die Anwendung der Inhaltsanalyse auf Online-Inhalte klassischen Regeln folgt, diese aber auf die Eigenart des Untersuchungs- gegenstandes angepasst werden muss. War der ‘Aggregatzustand’ der klassischen Medieninhalte im Vor-Internet-Zeitalter statisch, also wurden mit publizierten Texten oder aufgezeichneten Radio- und Fernsehbeiträgen unveränderliche Inhalte analysiert, hat man es online mit dynamischem Content zu tun. Informationen werden ständig aktualisiert, Inhalte für den Nutzer individualisiert, und durch Nutzerbeteiligung entstehen veränderliche Angebote, die man mit den üblichen Mitteln nur noch schwer analysieren kann. Auch in der Multimedialität sehen die Autoren eine der Herausforderungen, die mit modernen und angepassten Methoden gelöst werden müssen.

In einigen der 18 Beiträge bietet das Buch praktikable Lösungen an, eine Auswahl verschiedener Fallbeispiele illustriert die Umsetzung. Dieses anwendungsorientierte Vorgehen ist gleichzeitig die Stärke des Bandes, führt allerdings auch dazu, dass das Buch nicht als Methodenbuch zu betrachten ist. Die Autoren kommen in etwa hälftig aus der hochschulgebundenen und der angewandten Forschung. Keine Schwäche, sondern Stärke des Bandes, da so neben den akademischen Fragestellungen auch Berichte aus der angewandten Forschung, besonders der Marktforschung, geliefert werden.

Der Aufbau des Bandes orientiert sich am klassischen forschungslogischen Ablauf empirischer Untersuchungen. Ausgehend von der Diskussion von Forschungsfragen und möglichen Untersuchungsgegenständen werden Probleme der Bestimmung der Grundgesamtheit und der sich daraus ableitenden Ziehung der Stichprobe behandelt. Auch Fragen der Operationalisierung und der Bestimmung von Reliabilität und Validität als Mittel der Qualitätsbestimmung der Inhaltsanalyse online finden sich im Inhalt wieder, ebenso wie die Beschreibung einzelner Methodenausprägungen.

Im Anschluss wird in einem Praxisteil mit konkreten Untersuchungsbeispielen die mögliche Anwendung der Methode skizziert. Diese Struktur erleichtert es dem Leser, sich zielgerichtet über einen bestimmten Schritt im Forschungsablauf zu informieren. Die Einordnung ist gelungen, einzig bei einem Kapitel erscheint die Entscheidung der Herausgeber etwas willkürlich. So könnte man den Beitrag von Monika Taddicken und Kerstin Bund aufgrund des deutlichen Fallbeispielcharakters – es wird die Umsetzung eines Community Research Projektes am Beispiel von Zeit Online gezeigt – statt in den Theorieteil ebenso in den Praxisteil eingliedern.

Inhaltlich sind die Beiträge durchweg ergiebig und aufschlussreich. Besondere Beachtung verdient der Beitrag von Patrick Rössler, der auf wenigen Seiten insbesondere zukünftige Herausforderungen der Inhaltsanalyse online herausarbeitet und so die Notwendigkeit der vorliegenden Methodendiskussion verdeutlicht. Auch der Beitrag von Annekatrin Bock, Holger Isermann und Thomas Knieper zur quantitativen Inhaltsanalyse visueller Inhalte ist ein wertvoller Beitrag zu konkreten Fragen zur Umsetzung der Methode. Denn gerade die steigende Bedeutung von visuellen Inhalten wie Fotos und vor allem Bewegtbild stellt Forscher vor Herausforderungen. Da stellen sich Probleme bei der Archivierung der großen – und oft kopiergeschützten – Dateien sowie bei der Entscheidung, welche Videos, eingebunden oder verlinkt, in einem Forschungsvorhaben erfasst werden sollen. Hier wünscht man sich, die Autoren hätten noch etwas mehr Platz gehabt, um weitere entscheidende Fragen wie etwa die Erfassung des Umfeldes und der Platzierung von visuellen Inhalten auf Internetseiten zu diskutieren. Der Beitrag von Martin R. Herbers und Anne Friedmann sensibilisiert für das Problem der Reaktivität von Online-Inhalten in Bezug auf das Erreichen von Reliabilität und Validität und macht auch deutlich, dass hier noch keineswegs befriedigende Lösungen gefunden wurden.

Dass allerdings bereits Lösungen für die statistisch-automatisierte Inhaltsanalyse existieren, zeigt das sechste Kapitel. Hier stellen die Autoren François Rüf, Saskia Böcking und Stefan Kummer die Einsatzmöglichkeiten des SINDBAD-Knowledge-Generators zur Erfassung von Meinungen und Assoziationen bezüglich bestimmter Themen der Online-Kommunikation vor. Sehr lesenswert ist auch die Darstellung der momentanen Möglichkeiten der automatischen Textanalyse, die Michael Scharkow in seinem Beitrag liefert. Besonders dieser Beitrag ist eine Entscheidungshilfe für die Forschungsplanung, da hier ein breiter Überblick über aktuelle Forschungstechniken in Bezug auf die Auswertung von textbasierten Inhalten gezeigt wird.

Insgesamt ist der Band ein sehr guter Beitrag zur aktuellen Methodendiskussion und gibt mit seinen Anwendungsbeispielen Impulse für die praktische Anwendung der Online-Inhaltsanalyse. Ein Verdienst des Buches ist es, die etablierte Methode der Inhaltsanalyse auf aktuelle Anwendungen zu beziehen und somit die Voraussetzungen für weitere Beiträge in diesem Bereich zu schaffen. Denn ein umfassendes Methodenbuch für Forschung und Lehre zur Online-Inhaltsanalyse steht noch aus.

Links:

Über das BuchMartin Welker; Carsten Wünsch (Hrsg.): Die Online-Inhaltsanalyse. Forschungsobjekt Internet. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2010, 480 Seiten, 28,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMartin Welker; Carsten Wünsch (Hrsg.): Die Online-Inhaltsanalyse. von Gerstner, Johannes R. in rezensionen:kommunikation:medien, 16. April 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2362
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  1. Stimmen der Presse Juli 2011 | halemblog sagt:

    […] und somit die Voraussetzungen für weitere Beiträge in diesem Bereich zu schaffen. r:k:m, April […]

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