Rezensiert von Claudia Kuttner
Angesichts des demografischen Wandels fokussieren Untersuchungen insbesondere im medienwissen-schaftlichen Kontext nicht mehr nur jüngere Menschen und Erwachsene mittleren Alters; zunehmend rücken auch die Älteren auf die Agenden der Medienaneignungsforschung. Eine Analyse der vornehmlich quantitativen Studien, die in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, weist allerdings auf verschiedene Desiderata, darunter die in der Regel noch fehlende Differenzierung der ‘Lebensphase Alter’ nach soziodemografischen und -kulturellen Aspekten. Diese ist besonders vor dem Hintergrund erhöhter Lebenserwartung und zunehmender Pluralisierung der Lebensweisen erforderlich. Das Medienverhalten älterer Menschen wird außerdem nicht selten aus einer defizitorientierten Perspektive beleuchtet. Befürchtungen hinsichtlich einer digitalen Spaltung der Gesellschaft in jene, die dank hinreichender Medienkompetenz in vollem Umfang politisch und gesellschaftlich partizipieren können, und jenen, denen diese Voraussetzungen fehlen, führten dazu, dass ‘die Alten als Problemgruppe’ ins Visier gerieten. Darüber hinaus sind Forschungslücken mit Blick auf medienformatübergreifende Untersuchungen, Längsschnittstudien und Verschränkungen von Empirie und (medien-)theoretischen Konzepten unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen zu konstatieren.Im einleitenden Kapitel seiner Dissertation spricht sich Michael Doh nach Darlegung einiger dieser Forschungsdesiderata daher für eine interdisziplinäre Herangehensweise an das Themenfeld ‘Alter und Medien’ aus. Der Heterogenität der Mediennutzung im Alter könne man schließlich nur gerecht werden, indem etwa Perspektiven der Philosophie, Anthropologie und Erziehungswissenschaft ebenso berücksichtigt werden wie die der Kommunikations- und Medienwissenschaft und Soziologie.
Mit dem Ziel, der Mediennutzung Älterer aus ‘mediengerontolo-gischer’ Perspektive nachzugehen, entfaltet Doh einen entsprechend interdisziplinär und multiperspektivisch ausgerichteten theoretischen Bezugsrahmen, der individuelle, umweltbezogene und gesellschaftliche Konzepte umfasst. Die aufgeführten Ansätze werden dabei sowohl expliziert als auch im Zusammenhang mit darauf basierenden Forschungsergebnissen dargestellt.
Nachfolgend stellt er die Ergebnisse einer Sekundäranalyse zweier quantitativer Studien vor, die er in Bezug auf Untersuchungsdesign, Stichprobe, Methode, Operationalisierung und Auswertung im Vorfeld detailliert vorstellt: Mit der vergleichenden Analyse der achten und neunten Erhebungswelle der repräsentativen Langzeitstudie Massenkommunikation (MK) der ARD/ZDF-Medienkommission gelingt es ihm zunächst, eine intra- und interkohortenspezifische Heterogenität der Mediennutzung sowie diesbezügliche Veränderungen nachzuweisen. Die medienzentrierte Analyse erfolgt dabei in einem ersten Schritt anhand der Daten der Langzeitstudie Massenkommunikation entlang der Kategorien Alter und Kohorte und im zweiten Schritt innerhalb der Kohorte 1930-1939 entlang soziodemographischer Merkmale (Geschlecht, Bildung, Einkommen usw.).
In der gerontologisch ausgerichteten Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) von 2005 (dritter Messzeitpunkt) spürt er dann schließlich Unterschieden in Bezug auf Erklärungsansätze für die Heterogenität der Mediennutzung nach. Am Beispiel der Fernsehnutzung belegt er für die zwischen 1930 und 1932 Geborenen unterschiedliche Nutzungsmotivationen, die durch abweichende psychologische Konstrukte bedingt werden (z.B. durch Persönlichkeit, physiologische und kognitive Voraussetzungen). Die wichtigsten Erkenntnisse dieser ausführlichen Ergebnisdarstellung werden im letzten Kapitel abschließend noch einmal zusammengestellt und diskutiert. Zum Abschluss zeigt er mit Blick auf die Limitation der eigenen Arbeiten Ansätze für nachfolgende Forschungsbemühungen auf.
Insbesondere Dohs Ausführungen im Kontext des theoretischen Referenzrahmens zeichnen sich durch eine notwendigerweise hohe Komplexität aus. Um seiner sinnvollen Ordnungsstruktur der theoretischen Konzepte auf Mikro-, Meso- und Makroebene folgen zu können, hilft eine grafische Übersicht über die aufgeführten theoretischen Bezüge bei der Orientierung. Das Buch ist damit für Studierende, Nachwuchswissen-schaftler/innen und erfahrenere Rezipient/innen gleichermaßen zu empfehlen.
Wer sich für die Mediennutzung älterer Menschen interessiert, dem bietet Doh mit seiner Dissertation einen lesenswerten, gut strukturierten Überblick. Tatsächlich noch von größerem Wert erscheint seine Arbeit jedoch für eine weiterführende Forschung: Als Ergebnis einer umfassenden Auseinandersetzung mit nationalen und internationalen Untersuchungen bietet das Buch einen regelrechten ‘Atlas’ für eigene Recherchen und Forschungsansätze. Dies wird durch die Tatsache gestützt, dass Doh nicht auf der Ebene einer deskriptiven Zusammenschau verbleibt, sondern bisherige Erkenntnisse systematisch und gut nachvollziehbar aufbereitet. Indem sich Doh bei seiner Literaturanalyse nicht ausschließlich auf den Bereich ‘Alter und Medien’ beschränkt, ist es zudem möglich, Forschungstraditionen gegenüberzustellen und dahingehend Konsequenzen abzuleiten, welche Aspekte in der Alter(n)smedienforschung bisher noch vernachlässigt wurden. In diesem Sinne leistet er mit seiner Dissertation einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung mediengerontologischer Forschung.
Der impliziten Empfehlung, in zukünftigen Studien und Untersuchungen das Verhalten und die Entwicklung von Individuen, die Zusammenhänge zwischen Personen- und Umweltaspekten sowie gesellschaftstheoretische Aspekte mehr zu berücksichtigen, ist allerdings um den Hinweis zu ergänzen, dass zusätzlich eine vertiefende Auseinandersetzung mit medienstrukturellen und -ökonomischen Voraussetzungen und Wandlungsprozessen (z.B. Digitalisierung, Medienkonvergenz, kommunikative Vernetzung von Lebensräumen) anzuraten ist. Dies erscheint insbesondere dann erforderlich, wenn sich Anschluss-Studien dezidiert mit medienformatübergreifenden Phänomenen auseinandersetzen.
Für die Medienpädagogik, die mit ihren häufig qualitativen Untersuchungen ohnehin den Menschen als aktives Subjekt in den Mittelpunkt rückt, ist das Wissen um inter- und intraindividuelle Unterschiede zwar nicht neu, Dohs theoretische und empirische Ausführungen tragen jedoch einmal mehr zu der Erkenntnis bei, dass es ‘den alten Menschen’ so nicht gibt. In der Praxis – insbesondere auch in der intergenerativen Medienarbeit, die aktuell zunehmend Beachtung findet – mangelt es nicht selten noch an einer entsprechenden Berücksichtigung. Hier bleibt zu wünschen, dass die vielfältigen Belege zur Heterogenität der Mediennutzung älterer Menschen, die ebensolche Unterschiede mit Blick auf jüngere Altersgruppen implizieren, einen weiteren Anstoß hin zu einer lebensweltorientiert(er)en Praxis darstellen.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Michael Doh am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg
- Webpräsenz von Claudia Kuttner an der Professur für Medienpädagogik und Weiterbildung der Universität Leipzig