Laura Badura: Riskante Rezeption

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Beatrice Dernbach

Einzelrezension

Lässt die Rezensentin ein 400-Seiten-Fachbuch zu lange nach der Lektüre liegen, droht mancher Gedanke verloren zu gehen. Verfasst sie gleich im Anschluss die Rezension, drehen sich noch (zu) viele Details im Kopf und versperren den Blick auf das Wesentliche. Also ein paar Tage zum sortierenden Abkühlen ruhen lassen. Dann ist die Bilanz klar: Laura Badura hat zum einen eine Monographie vorgelegt, in der sie sich ein herausforderndes Ziel gesetzt und erreicht hat. Zum anderen steuert sie einen wesentlichen Teil zum Forschungsfeld “Vertrauen und Kommunikation in der digitalisierten Welt” bei, das vor allem ihr Doktorvater Bernd Blöbaum an der Universität Münster betreut hatte. Während und nach der Projektlaufzeit sind zahlreiche Publikationen erschienen, darunter auch die Dissertationen von Katherine M. Engelke (2018) und Bernadette Uth (2021).

Das Besondere an Laura Baduras Arbeit ist, dass sie theoretisch Journalismus mit den Konstrukten Risiko und Vertrauen koppelt, aber nicht aus der Position der Medienschaffenden betrachtet, sondern aus der Perspektive derjenigen analysiert, die journalistische Informationsangebote nutzen. Risiken versteht Badura dabei nicht als Phänomene, die aus Natur- oder gesellschaftlichen Ereignissen von Journalismus wahrgenommen, bearbeitet und publiziert werden, sondern als Merkmale, “die den journalistischen Inhalten selbst inhärent sind und die mit der Möglichkeit einhergehen, dass ihr Konsum dem Ziel der aufgeklärten Meinungs- und Willensbildung abträglich sind” (19).

Die Autorin legt ein normatives Verständnis von Journalismus zugrunde: Die von ihm verbreiteten Informationen sind relevant, glaubwürdig und demokratiefördernd. Ihnen zu vertrauen, setzt Handlungsautonomie der Rezipierenden voraus, die rational, aber auch reflexiv sein kann. Diese wird bestimmt “durch ein Set an individuellen Einflussfaktoren” (21). Das Verhältnis zwischen Journalismus und Vertrauen ist vergleichsweise häufig beschrieben worden; ein Defizit sieht Laura Badura zu Recht in der Analyse der Beziehung zwischen Journalismus und (einem ihm innewohnenden) Risiko. Diese erste offene Frage ergänzt sie um eine zweite: “Wie hängt die Wahrnehmung des journalistischen Risikos mit einer Vertrauens- bzw. Risikohandlung zusammen?” (23; ausführlicher 201-202).

Nach der überzeugenden Darstellung und kritischen Würdigung des Forschungsstandes und ihres Forschungskontextes entwirft die Autorin schrittweise ihr komplexes Modell riskanter Rezeption (200). Zentral ist die Zeitleiste des Nutzungsprozesses: Badura betrachtet Ursachen für riskante Rezeption in der Pre-Phase, Risiken während des Rezeptionsprozesses und die Folgen riskanter Rezeption. Die wichtigste Phase ist die mittlere. Denn hier werden zum einen Risiken wahrgenommen und bewertet und die Frage der Risikobereitschaft steuert das Risikohandeln. Auf der anderen Seite spielen die Vertrauenserwartung, die Vertrauensentscheidung und die Vertrauenshandlung eine wesentliche Rolle. Unterlegt sind Eigenschaften des Journalismus, allen voran Qualität und Reputation, sowie individuelle Eigenschaften der Rezipierenden wie Vertrauens- und Risikoneigung, Erfahrungen, Erwartungen und Bedürfnisse, Mediennutzung und Medienkompetenz.

Wie kann diese Komplexität empirisch nachvollzogen und umgesetzt werden? Laura Badura geht zweigleisig vor: Sie entwickelt einen Online-Fragebogen, den sie breit streut. Nach drei Monaten Laufzeit kann sie 221 ausgefüllte Bögen auswerten. Aus der Zahl derjenigen, die ihre Bereitschaft erklärt hatten, auch an einer qualitativen Befragung teilzunehmen, hat die Forscherin 16 Probanden ausgewählt, die mittels der Methode des lauten Denkens via Zoom qualitativ von ihr befragt wurden.

Die Ergebnisse lassen sich nicht mal eben kurz zusammenfassen. Um mit den Limitationen zu beginnen: Über die verzweigten und reichweitenstarken digitalen Kanäle lassen sich Links zu Fragebögen zwar wunderbar verschicken, aber weder quantitativ noch qualitativ generieren sie ein ideales Sample. So sind 221 Fragebögen durchaus in manchen Aspekten aussagekräftig im Sinne von: Es bestätigen sich Zusammenhänge, die in anderen Studien ebenfalls festgestellt wurden. So korrelieren positiv das Kognitionsbedürfnis und die Selbsteinschätzung der Nachrichtenkompetenz; je geringer die Nutzungsmotivation und das Nachrichteninteresse, desto geringer auch die Nutzungshäufigkeit von Informationsjournalismus. Die quantitative Befragung diente vor allem dem Zweck, eine geeignete Gruppe für den qualitativen Teil zu finden. Darunter waren schließlich neun Menschen, die den Medien eher vertrauen, und sieben, die skeptisch sind. Die Ergebnisse dieser Teilstudie werden anhand vieler Tabellen und Zitate in Kapitel 11 (286-336) dargestellt und im darauffolgenden Abschnitt (337-357) reflektiert.

Nur sehr, sehr kursorisch können hier einzelne Aspekte herausgegriffen werden: Merkmale des Journalismus (Qualität und Reputation) und der Rezipierenden (politische Einstellung, Vertrauen, Involvement) steuern die Risikowahrnehmung vor der Rezeption. Während des Rezeptionsprozesses liegt der Fokus auf dem Risiko verzerrter Information und der wahrgenommenen Parteilichkeit in der Berichterstattung. Laura Badura sieht – wie schon so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor ihr – die Medienschaffenden zur Transparenz und sowohl Bildungseinrichtungen als auch die Mediennutzerinnen und -nutzer selbst verpflichtet, den Prozess der Mediennutzung wieder ernster zu nehmen, zu reflektieren und letztlich die Medienkompetenzen zu stärken. Auch sie wird wieder nicht gehört werden, geschweige denn, dass großflächig Maßnahmen für Aufklärung und Medienbildung in Sicht sind.

Links:

Über das BuchBadura, Laura: Riskante Rezeption. Der Vertrauens- und Risikoprozess bei Rezipierenden informationsjournalistischer Berichterstattung. Baden-Baden [Nomos] 2023, 407 Seiten, 89,- EuroEmpfohlene ZitierweiseLaura Badura: Riskante Rezeption. von Dernbach, Beatrice in rezensionen:kommunikation:medien, 29. November 2024, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/25220
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