Rezensiert von Gabriele Toepser-Ziegert
Im März 2007 fand in Hamburg eine Tagung zur Geschichte der Wochenzeitung “Die Zeit” statt, die von der dort beheimateten Forschungsstelle für Zeitgeschichte und der Universität Nottingham ausgerichtet wurde. Die Herausgeber des vorliegenden Sammel-bandes, Axel Schildt und Christian Haase, die beide Institutionen repräsentieren, haben die 15 Referate in drei Blöcke (“Aufbruch, Liberalisierung und soziale Modernisierung”, “Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit”, “‘Die Zeit’ und die zwei deutschen Staaten”) zusammengefasst und ihnen zwei Übersichtsreferate über die Entwicklung der Wochenzeitung von ihrer Lizenzierung im Februar 1946 bis zur Wiedervereinigung 1989 hinsichtlich der deutschen Innen- wie Außenpolitik vorangestellt.Angereichert werden die Wortbeiträge mit vier bemerkenswerten “Bildstrecken”, die thematisch an die Blöcke angelehnt sind. Die Referenten sind durch die Bank weg Historiker mit Schwerpunkt Zeitgeschichte. Dementsprechend bewegt sich die inhaltliche Analyse der Zeitung als historischer Quelle entlang der bundesdeutschen Nachkriegspolitik, wobei phasenweise, zum Beispiel in der Frage der Wiederbewaffnung, eine gefährliche Annäherung an die Argumentation der Adenauer-Regierung attestiert wird, die Wochenzeitung sei zu vergleichen mit dem “amtlichen Sprachrohr des Bonner Informations- und Presseamtes” (263).
Tatsächlich unterstützte das Bundespresseamt die Wochenzeitung 1952, also noch vor diesem Zeitpunkt, mit 12.000 D-Mark und 1953 mit 16.500 D-Mark. Damit aber nicht genug, entgegen dem allgemeinen Trend der Hamburger Printmedien erlitten die Auflagenzahlen der “Zeit” einen Einbruch von 81.000 (1950) über 44.000 (1952) auf 78.000 (1960) (107). Die Zeitung überlebte wirtschaftlich nur durch finanzielle Umschichtungen des Verlegers Gerd Bucerius von Profiten, die er aus seiner Beteiligung an der gewinnbringenden Illustrierten “Stern” tätigte, sowie durch jährlich sechsstellige Subventionen der bundesdeutschen Industrie auf Anregung des damaligen Bundeswirtschaftsministers Erhard wegen der wirtschaftsliberalen Haltung des Blattes (109). Erst ab 1975 schrieb das Unternehmen schwarze Zahlen.
Am 15. Februar 1946 erhielten vier Männer vom britischen Militärgouverneur in Hamburg die Lizenz, eine Zeitung herauszugeben. Es war nicht festgelegt, ob es eine Tageszeitung oder eine Wochenzeitung sein sollte, wobei Tageszeitung in den rohstoffarmen Nachkriegszeiten nicht wirklich täglich bedeutete, sondern zwei- oder dreimal pro Woche. Unter den Männern waren auch der vierzigjährige Rechtsanwalt Gerd Bucerius und der spätere Chefredakteur der “Zeit”, Richard Tüngel, der dann die erste nationalliberale Phase bis 1955 prägte. Das Layout war dem des NS-Vorzeigeblattes “Das Reich” nachempfunden (15), das seinerseits, und das verschweigt Axel Schildt an dieser Stelle, den englischen “Observer” zum Vorbild hatte. Die andere zentrale Persönlichkeit für die Entwicklung der “Zeit” war Marion Gräfin Dönhoff, die als Volontärin von Anfang an dabei war.
Zeitungen als Untersuchungsgegenstand haben zu allen Zeiten das Interesse verschiedener Disziplinen geweckt, sei es der Germanistik, der Naturwissenschaften, der Ökonomie, der Kunst oder eben der Geschichtsschreibung. Die in den 1920er Jahren in Deutschland entstandene Zeitungsforschung ist nach dem Zweiten Weltkrieg in der Kommunikationswissenschaft aufgegangen, und in dieser Disziplin wären Aussagen über eine Zeitung wie diese: “Wie kaum ein anderes Pressemedium war diese Wochenzeitung durchgehend mit der politischen Entwicklung in der Bundesrepublik verbunden” (9) schwer denkbar, denn vor allem die Printmedien sind auf den politischen Orientierungsrahmen angewiesen. Und so ließen sich bei näherer Betrachtung auch für andere Zeitungen und Zeitschriften Beispiele finden, wie sich Politik und Publizistik gegeneinander beeinflussen. Meinungsbildend wirken sie alle. Im Falle der “Zeit” ist die Kontinuität der Konstellation Bucerius und Dönhoff besonders nachhaltig für die Wechselwirkung, da Bucerius CDU-Bundestagsabgeordneter war, bis er sich mit Bundeskanzler Adenauer überwarf und aus der CDU austrat.
Nach der Abkehr von der konservativen Ausrichtung der 1950er Jahre nahm die redaktionelle Funktion als “transatlantische[r] Mittler” (29) Fahrt auf. Dönhoff wurde zur leitenden Redakteurin. In Zeiten der sozialliberalen Koalition unterstützte das Blatt die Ostpolitik Willy Brandts trotz emotionaler Betroffenheit der ostpreußischen Chefredakteurin und Herausgeberin. Lediglich bei der Wiedervereinigung überrollte der Lauf der Geschichte die vorherrschende Auffassung der “Zeit”-Redaktion, ein geregeltes Nebeneinander der beiden deutschen Staaten sei vertretbarer als ein wie auch immer gearteter Beitritt.
Lediglich in den Beiträgen von Karl Christian Führer über die Hamburger Presselandschaft der 1950er Jahre und Christina von Hodenberg über den Umgang der “Zeit” mit der NS-Vergangenheit kommt zum Ausdruck, dass es in der “Bonner Republik” neben der “Zeit” noch andere anspruchsvolle Medien gegeben hat, die eine Rolle in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik Deutschland gespielt haben – auch da hat es “Terrainwechsel” (9) zwischen politischer und medialer Bühne gegeben. Abgesehen von den Wiederholungen, die ein auf Referaten basierender Tagungsband immer riskiert, ist es dem vorliegenden gelungen, am Beispiel einer Wochenzeitung zu zeigen, wie Politik und Publizistik letztlich von Menschen geprägt werden. Nicht thematisiert wurde die Position, die eine Wochenzeitung im Vergleich zur Tageszeitung mit kürzerem Erscheinungsintervall auf dem Printmarkt einnimmt und die offenbar so attraktiv ist, dass Zeitungen wie die “Welt“ und die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” seit 1948 bzw. 1990 mit zusätzlichen Wochenzeitungen den Wettbewerb um die Leser aufgenommen haben.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- persönliche Homepage von Christian Haase
- Webpräsenz von Axel Schildt an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg