Armin Grunwald: Der unterlegene Mensch

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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Einzelrezension
Über die anhaltenden Veränderungen oder gar Transformationen, die durch die Digitalisierung und ihre Anwendungsfelder wie Algorithmen, künstliche Intelligenz und Robotik bewirkt werden, ist mittlerweile schon viel publiziert und diskutiert worden, in euphorischem wie in apokalyptischem Tenor. Kein Wirklichkeits- und Handlungsfeld dürfte bleiben wie bisher, soweit man die Optionen überhaupt absehen kann. Und unaufhörlich kommen neue Entwicklungen und Innovationen hinzu, auch wenn sie sich längst nicht alle so schnell und perfekt realisieren lassen werden, wie es die euphorischen Propheten gern weissagen.

Im sympathischen deskriptiven Ton mustert der Physiker, Philosoph und zudem führende Technikfolgenabschätzer Grunwald fast sämtliche Sektoren, führt Entwicklungen auf, beurteilt Chancen und warnt vor offensichtlichen oder lauernden Nebenwirkungen und Risiken, so dass der Titel von der Unterlegenheit des Menschen nicht so recht passen will. Denn getragen wird diese sachliche, verständliche Abhandlung von einem stets optimistischen, auf die Aufklärung und Immanuel Kant rekurrierenden Menschenbild, das sich von Souveränität, Freiheit, Mündigkeit und sozialer Verantwortung leiten lässt, wie im letzten Kapitel (“Der überlegene Mensch“) expliziert wird. Dort wird die analoge Welt zu weiterhin unverzichtbaren Basis menschlichen Lebens erklärt und die virtuelle zum Instrument, das sie angenehmer, sicherer und humaner, aber auch – bei drohender Verselbstständigung der Technik – unberechenbarer und gefährlicher machen kann, sofern sie die Menschen nicht weiterhin beherrschen (“Warum wir uns nicht kleinmachen sollten“).

Doch zunächst geht der Autor in seinen zwölf Kapiteln davor, in unvoreingenommen, neutralen Duktus – wie es sich für ein seriöses Sachbuch gehört –, die einzelnen anstehenden Handlungsfelder und Fragestellungen durch. Dies tut er nicht aus einer prätentiösen technischen Sicht, sondern eher mit dem sprichwörtlichen gesunden Menschenverstand, der sich mit all den neuen Entwicklungen befasst, ohne sich in ihnen zu verlieren; viele kleinen Einschübe in Kästen über aktuelle Ereignisse, Thesen und Erklärungen veranschaulichen und konkretisieren die Darstellung. Insgesamt schwebt sie mit moralisierendem Gestus leicht über den technischen Details, allerdings auch so weit, dass der Autor mit einem völlig unklaren, nirgendwo verankerten “wir” Verantwortung, Interessen, Profite und Schäden verallgemeinert, gewissermaßen anonymisiert, so dass seine unzähligen Vorschläge, Appelle und Anklagen im unsozialen Nirwana verhallen. Die Welt ist inzwischen wirtschaftlich, sozial, kulturell, ökologisch, ethnisch in prosperierende und leidende Zonen so weit differenziert, dass sich auch bei den digitalen Mutationen Gewinner und Verlierer identifizieren lassen. Die bleiben ausgeblendet.

Es beginnt mit euphemistischen Visionen über die schöne neue Digitalwelt, wie sie allenthalben seit Jahren imaginiert werden. Sodann folgen Ausführungen über die Potentiale (“Wunder“) der digitalen Technologien (“Wodurch ist digitale Technik überlegen?“). Konkreter, aber auch für die Zukunft vager wird es bei den Anwendungsfeldern: bei der digitalen Arbeitswelt, den Perspektiven für Freizeit und Alltag (Roboter als Gefährte und Ratgeber, Wohnen, Reisen, Konzepte für selbst fahrende Autos, Digitalisierung des Gesundheits- und Pflegesystems) bis am Ende diese Abschnitts zu Phantasien, wie der Mensch mit diesen Techniken sich selbst übertrifft und zum Übermenschen wird.

Der dritte Abschnitt (“Wo bleibt der Mensch?“) beleuchtet die digitalen Entwicklungen stärker aus der Perspektive ‘des Menschen‘ und fragt zunächst nach den erforderlichen Anpassungsleistungen, sodann nach der Beständigkeit und der Entwicklung von Demokratie, Individualität und Menschenbild. Hier überschneiden sich manche Argumentationslinien. Schließlich kulminiert die Darstellung – wie schon erwähnt – in der Lobpreisung der menschlichen Fähigkeiten und Souveränität, zunächst in der Demontage der “Illusionen der Digitalisierung“ und am Ende in der Prädikatisierung der analogen Welt und der digitalen Mündigkeit ‘des Menschen‘

Ohne Frage hat Grunwald eine Darstellung der aktuellen Problematik vorgelegt, die sich durch große Sachlichkeit und fachliche Kompetenz auszeichnet, die jede unangebrachte Euphorie, aber auch jeden überzeichneten Alarmismus meidet, vielmehr von einem wertorientierten, festen Menschenbild geleitet wird und dadurch erklärt, zusammenführt, beruhigt, aber auch warnt. Hätte er noch soziale und kulturelle Aspekte hinzugefügt, statt neutral von “wir“ und “dem Menschen” zu sprechen, wäre sein Buch noch näher an die aktuelle Realität und ihre ungewissen Veränderungen herangerückt.

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Über das BuchArmin Grunwald: Der unterlegene Mensch. Die Zukunft der Menschheit im Angesicht von Algorithmen, künstlicher Intelligenz und Robotern. München [Riva] 2018, 256 Seiten, 19,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseArmin Grunwald: Der unterlegene Mensch. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 12. April 2019, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21768
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