Rezensiert von Hans-Dieter Kübler
Lassen sich politische Phänomene wie Donald Trump und die von ihm und seiner Administration bewirkten Umwälzungen der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft mit Kategorien und analytischen Versatzstücken aus der materialistischen Mottenkiste erklären? Der an der britischen University of Westminster lehrende Autor, der im Klappentext als “führender kritischer Theoretiker im Bereich Gesellschaft und Kommunikation” ausgelobt wird und sich hierzulande mit etlichen Publikationen an der begonnenen Wiederbelebung einer kritischen Kommunikations- und Medienwissenschaft beteiligt, zeigt sich in diesem Band davon überzeugt und will auch seine Leser*innen davon überzeugen. Wer selbst seit den 1960er Jahren analytisch tätig war, ist darüber zumindest verwundert und fragt sich, ob es seither keine zeitgemäße Überarbeitungen und modernere theoretische Analyseprojekte gegeben hat. Die gibt es natürlich en masse, auch kritischer Art, doch Fuchs recht plakativ und selektiv gewähltes Analysevokabular reicht nur an wenige Arbeiten der Kritischen Theorie heran, um den von ihm postulierten “autoritären Kapitalismus”, der inzwischen fast weltweit herrsche, zu diagnostizieren.So enthält das erste Kapitel zunächst etliche Definitionen und Definitionsversuche von Ideologie, Nationalismus und endlich Faschismus, die als wichtigste theoretische Grundlagen des Buches deklariert werden. Auch dafür muss vorzugsweise der klassische marxistische Fundus herhalten. Doch dabei bleibt es nicht, denn nach den kategorialen Ausführungen werden unversehens und willkürlich empirische Befunde über die faschistische NS-Wirtschaft, die soziale Mitgliederstruktur der NSDAP, über die Wähler der FPÖ und von Donald Trump, die Anhänger des Brexit und schließlich über den “ideologischen Bonapartismus“ angefügt. Und diese recht unsystematische, oftmals redundante Vorgehensweise, wo vieles durchmischt und wiederholt wird, bestimmt das gesamte Buch, so dass sich der Eindruck verfestigt, dass hier Texte, die Fuchs schon in seinem Open-Access-Magazin tripleC: Communication, Capitalism & Critique veröffentlicht hat, aneinandergereiht, ein wenig bearbeitet und erneut publiziert werden.
Recht deskriptiv ist zunächst hingegen das 3. Kapitel gehalten, in dem der “Trumpismus“ und “der autoritäre kapitalistische Staat“ beschrieben werden. Zunächst überwiegen statistische Daten zu einer Reihe von gesellschaftlichen Feldern (von der Bildung bis hin zum Militär), bis die Frage aufgeworfen wird, ob Trump ein “Faschist“ (123) sei. Sie bleibt indes nach vielen Zitaten unbeantwortet, wird aber in den Schlussfolgerungen (Kap. 6) dann als strukturelle, bezogen auf den gegenwärtigen US-Staat, wieder aufgenommen. Doch die eigentlich historiographische Frage, ob sich Begriffe so schlicht von einer Epoche in eine andere transponieren lassen, auch wenn sie mit Neologismen wie “Post-Faschismus“, “schleichender Faschismus“ oder gar “freundlicher Faschismus“ (130) modernistisch aufgehübscht werden, reflektiert der Autor kaum. So bleiben die am Ende angestellten Schlussfolgerungen recht blass und oberflächlich: Dass Trump “Kapitalist“ ist und Politik im Interesse des Großkapitalismus betreibt, auch in internationaler Hinsicht und bei der Handelspolitik, ist gewiss nicht neu oder analytisch weiterführend.
Dem Titel des Buches (Digitale Demagogie) sind eigentlich nur die beiden nächsten Kapitel gewidmet (selbst wenn auch in ihnen immer wieder abgeschweift wird): Kapitel 4 beschäftigt sich mit “Trumps Ideologie“ (die schon zuvor erläutert worden ist) und mit seinem Umgang mit Twitter, aber auch mit den “Mainstream-Medien“, Kapitel 5 erneut mit “Trump und Twitter“, abermals überhöht als “Die autoritäre Ideologie des Kapitalismus auf sozialen Medien“ (warum Trumps wirres und unsägliches Twitter-Gestammel erneut solche analytische Prädikatisierung braucht, bleibt unerfindlich).
Neben Referaten über einige anderweitig durchgeführte Inhalts- und Sprachanalysen von Trumps Tweet, über ihren geringen Wortschatz, ihre mangelnde Logik, ihre sprachlichen und inhaltlichen Verfehlungen wird auch über Trumps frühere Fernsehpraxis in Reality-TV-Spektakeln berichtet und darüber räsoniert, ob Trump seine Präsidentschaft mehr oder weniger dümmlich nach dem auf dem Bildschirm erfolgreichen Vorbild betreibt. Allerdings lässt sich so der Titel Digitale Demagogie und seine schon hypothetisch anstehenden Implikationen nicht einlösen. Warum Trump im fünften Kapitel eine Art “Führerschaft“ im “autoritären Kapitalismus“ (Zitat: “Trump ist die Manifestation des autoritären Kapitalismus, der durch die direkte Herrschaft der Milliardärsklasse, Nationalismus, eine Sündenbockpolitik, das Freund/Feind-Schema, Law & Order-Politik und mediatisierte Spektakel gekennzeichnet ist“ [200]) bescheinigt wird, bleibt abermals un-expliziert. An Trumps naiver Sanktions- und Zollpolitik dürfte das international agierende Großkapital gewiss kein Interesse haben.
Mit solchen abstrakten Etiketten streift man die kompliziertere kollektive wie individuelle Sozialpsychologie gegenwärtiger Gesellschaften, ihre Umbrüche und ihre Führungsfiguren allenfalls äußerlich. Jedenfalls gibt es in der aktuellen Literatur – selbst in den USA – ungleich präzisere und in die Tiefe dringende Diagnosen. Kapitel sechs soll mit “Schlussfolgerungen“ die wichtigsten Befunde resümieren, bietet aber auch neue oder schon einmal angeführte empirische Analysen und stellt am Ende völlig unvermittelt politische Forderungen zur “Notwendigkeit von Slow Media“ und zu einem “sozialistischen Humanismus“ als Gegenstrategien zur beschleunigten Öffentlichkeit, zu Trumps Twitterismus und zum allenthalben grassierenden “autoritären Kapitalismus“ auf.
Nein, Trump und der sich verbreitende Rechtspopulismus bis hin zum Nationalismus, Rassismus und Rechtsextremismus sind viel zu einschneidend, zu gefährlich und auch zu vielschichtig motiviert, als dass man ihnen nur apodiktisch und eindimensional ein paar altvordere Begriffe und Analyseansätze überstülpen und damit vermeintlich einleuchtende, systemische Erklärungen erhalten könnte. So bleiben sie unhistorisch und damit analytisch stumpf. Letztlich verharmlost solches Gebaren sicherlich unfreiwillig diese Entwicklungen eher. Dabei sollte jede Disziplin bei ihrem Metier bleiben und dafür gründliche und gehaltvolle Erkenntnisse liefern; die Kommunikations- und Medienwissenschaft hat unendlich viel zu den sich ändernden Funktionen aller Medien und den sich erweiterten Einflussoptionen der sozialen Medien zu erforschen und sollte sich nicht in überambitionierten, aber unhaltbaren Allerweltstheorien ergehen, wie es Fuchs mit diesem Buch tut.
Links:
Über das BuchChristian Fuchs: Digitale Demagogie. Autoritärer Kapitalismus in Zeiten von Trump und Twitter. Hamburg [VSA Verlag] 2018, 320 Seiten, 24,80 Euro.Empfohlene ZitierweiseChristian Fuchs: Digitale Demagogie. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 8. Oktober 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21462