Andreas Hepp, Sebastian Kubitschko, Inge Marszolek (Hrsg.): Die mediatisierte Stadt

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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Einzelrezension
Mögliche Zusammenhänge zwischen Urbanisierung und audiovisuellen Medienentwicklungen im 20. Jahrhundert; Stadt, Heimat, Region und ihre Reproduktionen in lokal-regionalen Medien wie der Presse, dem Hörfunk und Fernsehen; Deutungen des Hanseatischen in den Hamburger Zeitungen seit den 1920er bis zu den 1960er Jahren; Jugendzentrums- und Alternativzeitungen in westdeutschen Klein- und Mittelstädten der 1970er Jahre; Gruppenbildungen (“Vergemeinschaftungen“), Treffpunkte und Freizeittätigkeiten als Formen des Zusammenlebens von Jugendlichen, exemplarisch dargestellt in Bremen und Leipzig; Aneignung und Rekonstruktion von sozial benachteiligten Quartieren durch so genannte Raumpioniere am Beispiel von Berlin-Moabit; Beobachtungen des (öffentlichen) Gebrauchs des Mobiltelefons; CB-Funk, Walkie-Talkie und die ersten Mobiltelefone als Medien der so genannten “Smart Cities“ der 1960er Jahre; Bürger- und Protestbewegungen, aber auch E-Government und Verwaltungsmodernisierung in nun digitalen “Smart Cities“; soziale Netzwerke und Medien als Vehikel und Foren von Semiöffentlichkeiten, politischer Mobilisierung und Bürgerbeteiligung; schließlich: Repair Cafés als Räume für Konsumprotest, Nachhaltigkeit und Aktivitätszentren für Gleichgesinnte – das sind stichwortartig die Themen und Forschungsbefunde der elf Beiträge in dem vorliegenden Reader.

Überschreiben ließen sie sich mit etlichen Pauschalkategorien, am treffendsten wohl mit Stadtöffentlichkeit (worauf etliche Aufsätze rekurrieren) und -kultur; waren doch die Städte seit jeher die Lokalitäten, in denen gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen am offensivsten geführt wurden und stets nach öffentlichen Formen strebten, ohne dass sie in der Geschichtsschreibung immer explizit thematisiert wurden. Das beginnt bei der “Wiege der Demokratie“, der griechischen Polis, setzt sich über die italienischen Stadtrepubliken der Renaissance, den mittelalterlichen Reichstädten (“Stadtluft macht frei“) und den bürgerlichen Emanzipations- und Konstitutionsbestrebungen bis hin zu den Protestbewegungen und Revolten der Gegenwart fort, bei denen die jeweils verfügbaren Artikulationsformen und -medien mitgewirkt haben, wie unzählige historische Studien mit genereller und speziellen Reichweiten belegen.

Dazu gehören etwa die Druck- und Buchstädte Mainz, Frankfurt und Leipzig, Berlin und andere europäische Hauptstädte als Metropolen der Massenpresse, Hamburg, Frankfurt und München mit ihren publizistischen Spezifika, Stadtillustrierten in allen größeren Städten in den 1920er und 1930er Jahren, die Expansion von Außenwerbung, Litfaßsäulen, Plakaten, Licht- und Elektronikbanden, Theater, Museen und Bibliotheken als Foren für Aufklärung und Identitätsstiftung, die Entwicklung des Kinos von den Jahrmarktbuden bis zu den Kinopalästen, die kommunalen Kinos der 1970er Jahren, neue Stadtmagazine und die vielen alternativen Medieninitiativen mit Foto, Schmalfilm, Funk und Video in dieser Zeit, Lokalpresse und lokaler Rundfunk bis heute mit ungebrochener Resonanz zumal in Mittelstädten, schließlich die Installation digitaler Infrastrukturen dieser Tage und ihre wachsenden Indienstnahme auch durch zivilgesellschaftliche und alternative Bewegungen – bei hinreichender Recherche lassen sich viele Studien und Befunde finden, die unter dem Rubrum “Stadt und Medien“ erstellt worden sind, von denen hier aber nur sehr wenige erwähnt werden.

Aber ebenso waren und sind Städte die Brennpunkte des gesellschaftlichen Wandels bis heute, und unzählige Probleme wie Umwelt- und Luftverschmutzung, Parallelgesellschaften, Elendsquartiere und Slums, Wohnungsnot und Immobilienpreisexplosion, Verkehrskollaps, Segregation und Gentrifizierung, Entvölkerung der Innenstädte, Konsumverdichtung, Kommerzialisierung und Uniformierung durch globale, billige Ladenketten sowie Pomp-Kultur bis hin zu vielbeklagter weltweiter Angleichung der Metropolen und den riesigen Mega-Cities besonders in Entwicklungsländern mit ihren Slums und Müllhalden kennzeichnen, beschleunigen und potenzieren ihn. Die Entwicklung von Medien und in jüngster Zeit die Digitalisierung (wie es inzwischen gebräuchlicher ist) rangiert dagegen allenfalls als weniger gravierende, eher reproduktive Dimension, die für die Zukunft wohl einige Optionen annonciert, aber besagte basale Probleme nicht löst.

Gleichwohl überhöhen A. Hepp und die Mitherausgebenden “Mediatisierung“, die hier zudem noch mit dem Attribut “tiefgreifend“ gewichtet wird, zum zentralen und analytisch ergiebigen Analysefokus wie auch schon bei anderen gesellschaftlichen Sektoren; und um die Novität des eigenen Zugangs noch zu unterstreichen, behaupten sie sogleich – entgegen den angeführten Beispielen – dass die “Bedeutung der Medien für gesellschaftliche Entwicklungen“ von der Forschung lange Zeit vernachlässigt worden sei. Erst seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahren [sei] “eine deutliche Dynamisierung in diesem Forschungsfeld zu beobachten“ (2).

Als “aktuelle“ Forschungsansätze werden dann angeführt: Diskussionen um “Smart Cities“, die eine umfassende “Durchdringung der Stadt mit Informations- und Kommunikationstechnologien“ im Fokus haben; zweitens Konzepte für “Locative Media“, die sich um Plattformen und Dienste für ein Ortsbewusstsein kümmern; drittens Initiativen für “hyperlokalen Journalismus“, die über die Städte hinaus Online-Initiativen befördern mit dem Ziel, Nachrichten für regionale Territorien zu produzieren; und endlich der selbst forcierte Ansatz des so genannten “mediengestützten Zusammenlebens“ in einer Stadt, der einschlägige Vergemeinschaftungsprozesse beobachtet (5). Sie alle gelten als zukunftsweisend, ohne dass ihre Wurzeln und Traditionen aufgezeigt werden.

Als Untersuchungsmethode wird eine “figurationsanalytische Perspektive“ favorisiert, die sich auf die soziologische Kategorie von Norbert Elias bezieht, “gleichwohl kommunikations- und medientheoretisch“ (8) weitergedacht werden müsse. Aber dem bekannten Zivilisationskritiker F. Tönnies galt Gemeinschaft eher als archaischer Gegenpol zur eher anonymen, zweckorientierten Gesellschaft, für die die Stadt als genuine Keimzelle firmiert, und Elias‘ “Figuration“ steht für ein Beziehungsgeflecht von untereinander abhängigen Individuen, wie sie für moderne, sich eher situativ und funktionell bildende und auch wieder zerfallende Gruppen kaum kennzeichnend sind.

In drei Abschnitte sind die Beiträge eingeteilt: in die “Geschichte der mediatisierten Stadt“ (1), die “Vergemeinschaftung“ (2) und die “Bewegungen in der mediatisierten Stadt“ (3), und allein die Überschriften lassen erkennen, wie weit sich die analytische Reichweite jeweils erstrecken soll. Die einzelnen Beiträge lösen sie indes kaum ein, zumal schon die Kernkategorie der Mediatisierung nicht hinreichend definiert ist und viele Interpretationsspielräume offen lässt. In den Beiträgen reicht sie in der Tat von der griechischen Polis (vgl. 199) über die immer noch als zentral erachtete Phase der Massenkommunikation bis hin zum Gebrauch von Social Media im semiöffentlichen Raum, ohne allerdings an die vielfach unterstellte umfassende und /oder abstrakte analytische Spannweite heranzukommen, und oft genug wird auf die oben genannte Öffentlichkeit rekurriert. So bleibt vieles pauschal und disparat.

Das schmälert freilich nicht den konkreten Ertrag und die empirische Substanz mancher Beiträge: etwa die Studien über Hamburger Medien, die sich in eine inzwischen reiche Tradition stadt- und mediengeschichtlicher Forschung einbringen, die Entdeckung alternativer Provinzblättchen, die an viele Studien zur alternativen Presse anknüpfen kann, die Fallanalysen zu städtischen Raumpionieren und Repair Cafés, für die es zumal in Großstädten vielfältige Vorläufer und Parallelen von Protest- und Alternativgruppen gibt und es sicherlich bei den künftigen gesellschaftlichen Verwerfungen weitere geben wird, schließlich alle Überlegungen und Strategien zur Digitalisierung der Stadt, die hier zu kurz gekommen sind. Denken lässt sich etwa an Kontrollexzesse mit Videokameras wie in London über funktional sinnvolle Verkehrslenkung und Parkraumbewirtschaftung bis hin zu bürgerfreundlichem, aber datensensiblem E-Government der Stadtverwaltungen. Kommunale Öffentlichkeit und zivile Kontrolle müssen mit und ohne Medien jeweils erstritten und verteidigt werden, und deshalb gibt es für die mediatisierte, künftig besser: digitale Stadt noch viele Forschungsdesiderate und -herausforderungen.

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Über das BuchAndreas Hepp, Sebastian Kubitschko, Inge Marszolek (Hrsg.): Die mediatisierte Stadt. Kommunikative Figurationen des urbanen Zusammenlebens. Reihe: Medien - Kultur - Kommunikation. Wiesbaden [Springer VS] 2018, 230 Seiten, 39,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseAndreas Hepp, Sebastian Kubitschko, Inge Marszolek (Hrsg.): Die mediatisierte Stadt. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 20. August 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21372
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