Rezensiert von Niels Penke
Kultfilme werden vom Publikum gemacht. Kultfilme, so das Herausgeber-Trio in der Einleitung, “graben sich in das kulturelle Gedächtnis ein“ und stellen eine Grundlage für “metafiktionale Diskursangebote“ (7) dar. Dennoch geht es im vorliegenden Band weniger um die Praktiken des Publikums als darum, dem “Hang des Horrorgenres zu Selbstreflexion und Metafiktion“ (8) nachzugehen. Diesem Ansatz zeigt sich die Mehrheit der insgesamt neun Aufsätze verpflichtet.Susanne Bach eröffnet mit einem Beitrag zu F.F. Coppolas Dracula (1992), den sie unter liminalen Gesichtspunkten dahingehend liest, dass es zwei Formen des Horrors gibt, wobei neben dem Vampirgrafen auch Dr. van Helsing als unheimliche Figur gelesen wird. Arno Rußegger widmet sich Mel Brooks Young Frankenstein (1974), dessen parodistische Leistung mit engem Bezug zu James Whales Frankenstein (1931) und anderen Genre-Stereotypen herausgearbeitet wird.
Marcus Stiglegger führt in einem der zwei Beiträge zu Dario Argento aus, wie sich dessen Suspiria (1977) als alogische Alice im Wunderland-Pastiche um Atmosphäre und die Wirkung des “performativen Terrors“ (58) bemüht. Der darauffolgende Beitrag von Angela Fabris liefert die Vorgeschichte dazu nach, indem sie sich der engen Beziehung Argentos zu Mario Bava am Beispiel von Profondo Rosso (1975) annimmt. Anschließend zeigt Jörg Helbig an Pete Walkers House of the Long Shadows (1983) einen weiteren hochgradig intertextuell aufgeladenen metapoetischen Kommentar, der für ein “Mindfuck Movie“ (91) relativ seicht daherkommt; allerdings werden mit Bezug auf die Hauptdarsteller (Lee, Cushing, Price) Überlegungen zur Entstehung eines Kultfilms angestellt.
Sabrina Gärtner widmet sich Jessica Hausners Hotel (2004), an dem sie die intertextuellen Verfahren als Akte der Verweigerung und vorsätzliche Genreenttäuschung aufzeigt. Benjamin Moldenhauer unterzieht nicht nur The Texas Chain Saw Massacre (1974) einer erhellenden Analyse, sondern zeigt an diesem Beispiel zugleich den Übergang vom ‘unheimlichen’ zum ‘drastischen’ Horrorfilm, der sich, vom psychoanalytischen Subtext bereinigt, durch selbstzweckhafte Gewaltdarstellung auszeichnet.
Michael Fuchs führt anschließend in den Motivkomplex des Tierhorrors ein, der anhand von The Birds, Jurassic Park, Mimic und Shark Night historisch nachvollzogen wird. Neben dem Verweis auf das ‘Andere’, das im Tier zur Darstellung kommt, stehen vor allem Bezüge zum Ecocriticism im Fokus. Der letzte Beitrag von Frank Hentschel beschäftigt sich mit dem vielleicht wichtigsten Konstituenten des Horrors, der Musik. Hentschel zeigt dabei einige Entwicklungen seit den 1970er Jahren auf, wobei die Vorliebe für Atonalität und Geräusch geblieben ist, jedoch vermehrt um neue Elemente erweitert wurde und wird. Den Band beschließt, der permanenten evaluativen (Publikums-)Praxis eines populären Genres angemessen, eine Reihe von Listen, die u.a. ‘beste’, ‘bedeutendste’ und ‘schlechteste’ Filme anzeigen. Auch diese werfen Fragen auf, deren Beantwortung man durch das Selbstanschauen aber vielleicht ein Stück näherkommt.
Insgesamt zeichnet Horror Kultfilme, wie viele andere Sammelbände auch, ein recht heterogenes Bild, was Qualität und Originalität der Beiträge angeht. Dies liegt zum einen daran, dass manche theoretischen Überlegungen und Analysen (u.a. Stiglegger, Moldenhauer, Hentschel) bereits anderswo ähnlich, aber umfassender zur Darstellung gebracht wurden. Zum anderen aber auch daran, dass die eigentliche Leitfrage, die der Titel immerhin suggeriert, nur sporadisch thematisiert wird.
Denn wie auf der Grundlage ‘Kultfilm’ die Auswahl der thematischen Zugänge und der behandelten Filme begründet wird, bleibt offen. Für den tatsächlichen ‘Kult‘, also die kommunikativen Praktiken, die einen Film von anderen dadurch unterscheidet, dass über ihn anders gesprochen wird, dass er eventisiert wird und sich an ihn Medien- und/oder Stilverbünde anschließen, interessiert sich kaum eine/r der Beiträger/innen. Daher besteht auch ein nicht moderiertes Ungleichgewicht zwischen den Beispielanalysen.
So interessant Sabrina Gärtners Analyse auch ist, muss dennoch bezweifelt werden, dass es sich bei Hausners Hotel um einen Kultfilm handelt. Denn anders als Dracula oder Texas Chain Saw Massacre, deren ‘Kult-Charakter’ nahezu evident ist, hat Hotel weder im Kino noch im Fernsehen, wie mit den entsprechenden Zahlen auch untermauert wird, kaum Interesse gefunden. Sieht man von diesen konzeptionellen Schwächen und einigen irritierenden Quellen (Schülerduden und Hausarbeit aus dem GRIN-Verlag bei Rußegger, Wikipedia und Pinterest bei Bach) ab, bleibt eine unterhaltsame Aufsatzsammlung, die neben luziden Einzelanalysen auch gute Einblicke in die Geschichte des Horror-Genres und die seiner Erforschung bietet.
Links:
Über das BuchAngela Fabris, Jörg Helbig, Arno Rußegger (Hrsg.): Horror Kultfilme. Reihe: Marburger Schriften zur Medienforschung, Bd. 78. Marburg [Schüren] 2017, 200 Seiten, 24,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseJörg Helbig, Angela Fabris, Arno Rußegger (Hrsg.): Horror Kultfilme. von Penke, Niels in rezensionen:kommunikation:medien, 16. August 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21353