Rezensiert von Thomas Merten
Die mediale und künstlerische Vermittlung des Holocausts befindet sich in einem Spannungsverhältnis: Einerseits kann kein Kunstwerk der Aufgabe gerecht werden, das unfassbare Ausmaß der Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen im Nationalsozialismus darzustellen. Andererseits gilt jedoch das Gebot zur Darstellung, denn ohne Repräsentation droht das Vergessen. In diesem Feld siedeln sich die Texte des Sammelbands Notwendige Unzulänglichkeit an. Das Vorwort und die elf Beiträge reihen sich ein in bereits zahlreiche ähnliche Überlegungen zur Repräsentation, darunter etwa Bilder trotz allem (Didi-Huberman 2007), Mediale Transformationen des Holocausts (Weber/Keitz 2013), Holocaust-Fiktion. Kunst jenseits der Authentizität (Roebling-Grau/Rupnow 2015) oder der Forschungsschwerpunkt des Hamburger Graduiertenkollegs Vergegenwärtigungen (2015-2017). Dabei muss der gewählte, titelgebende Begriff der notwendigen Unzulänglichkeit differenziert verstanden werden: Die Unzulänglichkeit ist nicht notwendig, sie geschieht zwangsläufig – notwendig hingegen ist die Repräsentation, die wiederum von dieser zwangsläufigen Unzulänglichkeit gezeichnet ist.Dabei stellt sich die Frage: Besteht diese Unzulänglichkeit per se oder muss sie extra markiert, von den Künstlerinnen und Künstlern bzw. Medienschaffenden berücksichtigt und offen reflektiert werden? Thema des Bandes ist demnach nicht das Abwägen von Angemessenheit oder Unangemessenheit. Inhaltlich beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren mit konkreten Beispielen aus Kunst und Medien, darunter überwiegend visuelle Darstellungsformen wie Comics, Kunstinstallationen, Fotografie und Film, darüber hinaus Literatur, soziale Medien, Mahnmale und Gedenkstätten.
Ein vielversprechender Ansatz: Schon früh zeigte sich innerhalb der Forschung, dass die theoretischen Überlegungen zu einer reflektierenden Repräsentation den vielfältigen Darstellungsweisen hinterherhinken. Spiegelmans Comic Maus ist dafür ein Beispiel, aber auch das im Vorwort der Herausgeberinnen als Fluchtpunkt gewählte Kunstwerk Birkenau von Gerhard Richter. Birkenau muss sich nicht nur dem Problem der sinnstiftenden Bildproduktion stellen, sondern auch dem des Kontextverlusts im Zuge eines hohen Symbolwerts, zumal nur der Titel auf das Thema verweist. Dementsprechend bewegen sich viele der weiteren behandelten Beispiele im Band inmitten dieser Dichotomie aus historischer Referenzialität und abstrakter Vergegenwärtigung.
Die Texte sind immer dann am spannendsten, wenn sie auf gegenwärtige Entwicklungen Bezug nehmen – etwa den Generationenwandel – oder noch kaum erforschte Darstellungen behandeln. Dies geschieht etwa im Beitrag von Gerald Schröder, der sich vor dem aktuellen Hintergrund des spatial turn in den Kultur- und Geisteswissenschaften (Csáky/Leitgeb 2009) mit der ästhetischen Raumerfahrung von historischen Orten aus der NS-Zeit auseinandersetzt, und das generationsübergreifend anhand dreier Kunstwerke. Erinnerung und Raum führt ebenfalls der Beitrag zum Audioweg Gusen produktiv zusammen und lotet aus, wie die Besucher dieser Gedenkstätte, die per Audioguide auf die heutige Alltagslandschaft des ehemaligen KZ projiziert wird, zu sekundären Zeugen werden. Gar einen Fingerzeig zu neuen Ausrichtungen der Forschung bietet Maria Hofmanns Text über Harun Farockis Dokumentarfilm Aufschub, der ein selbstreflexives Hinterfragen bei der Rezeption auslösen soll. Hofmann vermutet hier vorsichtig eine neue Phase des Holocaust-Dokumentarfilms vor dem Hintergrund von Marianne Hirschs Konzept der postmemory. Der Beitrag regt zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema an.
Andere Beiträge bieten eher einen Überblick über diskursprägende Darstellungen, Texte und Entwicklungen, darunter die Rezeptions- und Remediatisierungsgeschichte der vier Fotos, die Häftlinge des Sonderkommandos heimlich in Auschwitz aufnehmen konnten. Eva Hohenberger schließt daran mit ihrem Konzept der sekundären Gedächtnisbilder an: Fotos, die von den Anlagen der heutigen Gedenkstätten angefertigt werden. Die Stärke dieser Beiträge liegt in der historischen Quellenkritik und der nachträglichen Einordnung, die das Corpus für weitere Untersuchungen fruchtbar machen. Die Themen greifen an dieser Stelle gut ineinander, was dem Band Struktur verleiht.
Einen klassischen Einstieg zum Thema wählt Monika Schmitz-Emans, die in ihrem Aufsatz “Literatur und Holocaust” – abermals mit Rückgriff auf Adorno – prägnant das dialektische Spannungsverhältnis in der Dichtung zum Holocaust zusammenfasst, einen historischen Abriss bietet und die Problematik sowie konkrete Umsetzungen anhand weiterer literarischer Beispiele (u. a. Sebald, Bachmann, Celan, Brecht) diskutiert. Dabei benennt sie die poetologischen Codes im Umgang mit dem Thema und stellt folgerichtig fest, wie lebensnotwendig diese Literatur ist. Eine Berücksichtigung aktueller literarischer Texte wäre dabei noch interessant gewesen, so bietet der Aufsatz eher einen guten Einstieg als Basis für die eigene Forschung.
Daniela Kaufmann vermag der Fülle an Forschungstexten zu Maus noch etwas hinzuzufügen, indem sie in ihrem pointierten, aktualisierenden Text die Maskerade und Metaphorik bei Spiegelman aufs Neue verhandelt. Dazu knüpft sie direkt an die detaillierten Ausführungen des Comicforschers Ole Frahm an, indem sie weniger bekannte Konzeptzeichnungen Spiegelmans sowie sein analytisches ‘Werk zum Werk‘ MetaMaus (2011) heranzieht. So lässt sich dem Stoff noch Neues abgewinnen. Dennoch wäre angesichts der vielen neueren Comics zum Holocaust eine aktuelle Ausrichtung beziehungsweise ein eigener Beitrag zu Comics, etwa der mittlerweile dritten Generation, wünschenswert gewesen.
Mit Dynamiken um Tabu und Tabubruch setzen sich Susanne Rohrs Beitrag zu Humor und Holocaust in drei US-Romanen auseinander sowie Annika Wienerts Text über die marginalisierte mediale Darstellung der Gaskammern, die ausgerechnet als zentraler Ort der Vernichtung in ikonografischen Repräsentationen des Holocausts kaum vorkommen. Abseits von Empörung und Affirmation wagt sich Wienert an eine differenzierte Interpretation der beiden in der deutschen und polnischen Erinnerungskultur skandalisierten Kunstwerke von Artur Zmijewski und Santiago Sierra. Eine ähnliche Ausrichtung vollzieht der vorletzte Text von Katja Grashöfer, die sich mit den mittlerweile gar nicht mehr so ‘neuen‘ Medien befasst. Ihre Einzelbetrachtungen von Veröffentlichungen auf YouTube, Facebook und Wikipedia führen anschaulich vor Augen, welch große Aufgabe mit der Untersuchung der Erinnerungskultur in Netz und Social Media noch auf die Forschung wartet. Es wird Zeit, dass dieses Thema nicht mehr nur ausblickartig am Ende behandelt wird, sondern ins Zentrum des Interesses rückt.
Übergreifend lässt sich feststellen, wie die künstlerischen und medialen Repräsentationen immer weiter vom konkreten Erzählen abrücken und die sinnliche Erfahrung, hauptsächlich visuell, in den Vordergrund stellen. Insofern bewegen sich die Beiträge nah an der gegenwärtigen Entwicklung, indem sie die Kontinuitäten der Repräsentationsformen bis heute herausarbeiten. Ein Sammelband, der angesichts der Themenfülle einen großen Spagat durch die Disziplinen schafft, dem allerdings eine noch spezifischere Ausrichtung auf aktuelle Entwicklungen auch gut gestanden hätte. So bietet die Sammlung allerdings produktive Anregungen für weiter ins Detail gehende Forschungsprojekte.
Literatur:
- Csáky, M.; C. Leitgeb (Hrsg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem “Spatial Turn“. Bielefeld [transcript] 2009.
- Didi-Huberman, G.: Bilder trotz allem. München [Fink] 2007.
- Keitz, U.; T. Weber (Hrsg.): Mediale Transformationen des Holocausts. Berlin [Avinus] 2013.
- Roebling-Grau, I.; D. Rupnow (Hrsg.): “Holocaust“-Fiktion: Kunst jenseits der Authentizität. München [Fink] 2015.
- Spiegelman, A.: MetaMaus. A look inside a modern classic, Maus. New York [Pantheon Books] 2011.
Links:
Über das BuchNina Heindl, Véronique Sina (Hrsg.): Notwendige Unzulänglichkeit. Künstlerische und mediale Repräsentationen des Holocaust. Münster [LIT Verlag] 2017.Empfohlene ZitierweiseNina Heindl, Véronique Sina (Hrsg.): Notwendige Unzulänglichkeit. von Merten, Thomas in rezensionen:kommunikation:medien, 8. Mai 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21178