Uwe Pörksen: Politische Rede oder Wie wir entscheiden

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Rezensiert von André Haller

Einzelrezension
Ein zentraler Kritikpunkt an heutigen Politikern ist der Vorwurf, dass ihre Redekunst verloren gegangen sei. Waren rhetorische Duelle in der bundesrepublikanischen Vergangenheit oftmals Höhepunkte des Parlamentarismus, so gleichen Bundestagsdebatten heute oft einem Schauspiel, das durch Worthülsen dominiert wird. Der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen richtet mit seinem Buch Politische Rede oder Wie wir entscheiden (2016) den Fokus auf die politische Entscheidungsrede – das älteste Kommunikationsinstrument der Politik, das der Überzeugung von Zuhörern dient.

Pörksens Werk ist als Sammlung bereits veröffentlichter Schriften mit neuen Ausführungen konzipiert. Das große Verdienst des Autors ist seine originelle, durchaus als universell zu bezeichnende Argumentationsstruktur: Ausgehend von einer Kritik der wissenschaftlichen Sprache (Kapitel 1), die er als Deckmantel für Allgemeinplätze kritisiert, konstatiert Pörksen im zweiten Kapitel einen Übergang inhaltsleerer Formulierungen in den Bereich der Politik. Begriffe wie „Innovation“ entstammten einer Trias aus „Naturwissenschaft – Technik – Wirtschaft“ und würden in heutigen politischen Reden bedeutungslos eingesetzt. „Die Politik wird zur Schaufensterrede“ (S. 26), da Realpolitik nicht mehr im öffentlichen Diskurs verhandelt, sondern hinter verschlossenen Türen umgesetzt werde. Zu dieser ,Schau‘ gehören auch Bildstereotype (z.B. das verhungerte Kind als Bild von Afrika), die Pörksen im dritten Kapitel behandelt. So plädiert er im vierten Kapitel dafür, Rhetorik an den Universitäten wieder zu etablieren – ein Mangel, den er kritisch mit der Ökonomisierung der Wissenschaft verbindet.

Das zentrale fünfte Kapitel widmet sich schließlich der Idealform der politischen Entscheidungsrede nach Vorbild der alt-griechischen Rhetorik. In einem Vergleich präsentiert Pörksen dem Leser eine gelungene und eine missglückte Rede. Pörksens Auswahl ist willkürlich, da es zahlreiche weitere Beispiele gegeben hätte. Sie ist dennoch passend, da der Autor die Kernelemente der Entscheidungsrede einem Negativbeispiel gegenüberstellt und sie damit klar und deutlich veranschaulicht. Die ,bessere‘ Rede trug der DDR-Schriftsteller Uwe Grüning wenige Tage vor der Wende vor. Grünings Vortrag beinhaltet geradezu idealtypisch die klassischen Elemente der Entscheidungsrede: Grüning stellt die These auf, dass das DDR-Regime die „Wirklichkeit abgeschafft“ (S. 210) habe, weil es die Bürgerproteste ignorierte. Der Beweis seiner These anhand von Erzählungen und Belegen macht den Großteil seiner Rede aus. Im dialektischen Sinn führt er danach Gegenpositionen an und formuliert eine emotionale Schlussthese, in der er die DDR-Führung harsch attackiert. Pörksens Fazit: „Das war Revolution“ (S. 206).

Als missglücktes Gegenstück dazu führt Pörksen die Rede des SPD-Politikers Erhard Eppler wenige Wochen nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 an. Der Redner skizziert eingangs das Thema seiner Rede („Braucht die Politik eine neue Sprache?“), bevor er dann jedoch sein Thema wechselt und über die Begriffe „Krieg“ und „Terrorismus“ im Nachklang an 9/11 spricht. Epplers Einstieg, in dem er Politik als „Benennungshandeln“ bezeichnet, misslang: „Die These sagt zunächst gar nicht, woran bei dem ‚Benennungshandeln’ gedacht ist, sie bleibt allgemein und unbestimmt“, übt Pörksen scharfsinnig Kritik (S. 221). Über weite Strecken, so behauptet er, war die Rede „unfrei“ in dem Sinn, dass sie kritisierte Personen nicht konkret benannte. Sie sei damit keine Entscheidungs-, sondern vielmehr eine Orientierungsrede, „[…] die sich aber auf der Ebene der Entscheidung, der Aktion, nicht entscheidend einmischt“ (S. 226). Pörksens Wertung ist nachvollziehbar und sein Untersuchungsschema für die Kommunikationsforschung durchaus fruchtbar: Der idealtypische Aufbau der Entscheidungsrede kann als Analysegrundlage aktueller politischer Reden dienen.

Rückblickend relativiert Pörksen seine Bewertung aus seinem Text des Jahres 2002 (S. 227): Eppler könnte durch die angespannte Situation gehemmt gewesen sein und eine direkte Benennung der implizit kritisierten Bush-Regierung hätte ihn isolieren können. Pörksens Rückschau ist bemerkenswert, zieht er doch ein alternatives Fazit angesichts der geschichtlichen Entwicklungen. Zugleich schwächt dieser Abschnitt de facto die Grundthese seines Buches: Nimmt man sein Argument der von außen verursachten Zwangslagen an, so müsste jede politische Entscheidungsrede scheitern, weil stets äußere Zwänge auf den Sprecher einwirken.

Vor dem Hintergrund einer aufstrebenden populistischen Rhetorik in westlichen Demokratien ist Pörksens Textsammlung ein Appell an die Öffentlichkeit, die politische Rede wieder zu einem wirkmächtigen Instrument zu machen. Seine Ausgangsthese fungiert zugleich als Forderung: Die Autonomie der Politik müsse durch die Anwendung der Entscheidungsrede im politischen Betrieb zurückgewonnen werden.

Weil sich der Autor aber auf den Redner konzentriert, lässt er die Zuhörer größtenteils außen vor. Kulturpessimisten könnten daher einwerfen, dass die Wählerschaft heute eher an flachem „Politainment“ (Dörner 2001) bzw. einfachen Phrasen interessiert sei. Tatsächlich stützen kommunikationswissenschaftliche Studien diese These. Empirische Befunde belegen, dass vage und allgemeingültige Aussagen in TV-Duellen von den Zuschauern am positivsten bewertet wurden (Maurer/Reinemann 2003: S. 324-325). Uwe Pörksen ist optimistischer: „Die Mündigkeit des Publikums wird maßlos unterschätzt“ (S. 12). Sicher ist: Sein Buch bietet eine solide und engagiert verfasste Grundlage für die Kritik an der politischen Kommunikation an.

Literatur:

  • Dörner, Andreas: Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Frankfurt/M. [Fischer] 2001.
  • Maurer, Marcus; Carsten Reinemann: TV-Duelle als Instrumente der Wahlkampfkommunikation: Mythen und Fakten. In: Jackob, Nikolaus (Hrsg.): Wahlkämpfe in Deutschland. Fallstudien zur Wahlkampfkommunikation 1912 – 2005. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2007, S. 317-331.

Links:

Über das BuchUwe Pörksen: Politische Rede oder Wie wir entscheiden. Göttingen [Wallstein] 2016, 288 Seiten, 24,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseUwe Pörksen: Politische Rede oder Wie wir entscheiden. von Haller, André in rezensionen:kommunikation:medien, 21. Juni 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20292
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