Moritz Fink: Understanding The Simpsons

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Rezensiert von Miriam Czichon

Einzelrezension
2017 ist das Jahr der gelben, fünfköpfigen Familie aus Springfield, USA. Vor 30 Jahren flimmerten die Simpsons zum ersten Mal über die amerikanischen Bildschirme, wenn auch noch nicht als eigenständige TV-Serie (die ging erst 1989 auf Sendung). In dem bisweilen sehr kurzlebigen Fernsehgeschäft sind 30 Jahre eine halbe Ewigkeit und The Simpsons damit eine echte Rarität. Schon in den Anfangsjahren entwickelte sich die Serie zu einem popkulturellen Medienphänomen. Entsprechend steht sie seit jeher unter erhöhter wissenschaftlicher Beobachtung. Die auf Englisch verfasste Monographie Understanding The Simpsons. A media phenomenon at the edge of convergence culture nimmt sich nun einmal mehr diesem Phänomen an.

Es handelt sich um die Dissertationsschrift des Amerikanisten und selbsterklärten Simpsons-Fans Moritz Fink (S. 21). Seine Qualifikationsarbeit steht in der Tradition der Cultural Studies, als theoretischen Zugang wählt er den Cultural Convergence-Ansatz von Henry Jenkins (1992, 2006). Methodologisch orientiert sich Fink an Douglas Kellner (1995), folglich unterteilt er seine Analyse in drei Bereiche: die politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen, die ein kulturelles Artefakt entstehen lassen, den eigentlichen ‚Text‘ sowie das Publikum, das aus diesem ‚Text‘ Sinn generiert. Sämtliche theoretischen Vorüberlegungen und deren Erläuterung verstecken sich in der Einleitung, die mit 25 Seiten entsprechend lang ausfällt.

Im Hauptteil thematisiert Fink zunächst die amerikanische Unterhaltungsindustrie, die das Medienphänomen The Simpsons hervorgebracht hat (S. 29-62). Er zeichnet überzeugend nach, wie das gerade neu gegründete Fernseh-Network FOX die Zeichentrickserie gezielt einsetzte, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer der Generation X zu gewinnen – eine begehrte Zielgruppe der werbetreibenden Wirtschaft (S. 29-46). Zwei Dinge waren dabei typisch für die Generation X: Wie bei keiner Generation vor ihr war das Medium Fernsehen zum Freizeitbegleiter Nummer 1 geworden. Gleichzeitig entwickelte sie eine ironische Sichtweise auf ihre ‚Fernsehabhängigkeit‘ und damit auf das Fernsehen und seine Inhalte. Der Serie gelang es, den spezifischen Humor dieser jungen Zielgruppe einzufangen. Entscheidenden Anteil hatte der Erfinder der Simpsons, Cartoonist Matt Groening. Aufgrund seiner Biographie  –  er entstammte ursprünglich der Comicszene und damit einer Subkultur –  ließ sich die Serie glaubhaft als ‚Alternative TV‘ vermarkten. Wie Fink schlüssig darlegt, entwickelte Groening zusammen mit Produzent James Brooks sowie Showrunner Sam Simon eine Serie mit eindeutig liberaler Agenda, die zur besten Sendezeit ausgerechnet auf einem konservativen Sender ausgestrahlt wurde (S. 47-62).

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich ausführlich mit der Ästhetik der Serie (S. 65-135). Fink beschreibt den Stil der Simpsons als ‚Ironic Hyper-Realism‘ (S. 75-96) und führt als Beispiel die Darstellung der Figuren an, die trotz ihres animierten Charakters eher an Live-Action-Figuren erinnern. Dass die Zeichentrickserie filmischen Realismus anstrebt, zeige sich ferner in der verwendeten Schnitttechnik, die dem Ganzen einen „cinematic look“ (S. 83) gebe. Hinzu kommen zahlreiche Filmzitate und eine Fülle an selbstreflexiven Verweisen, wodurch dem Publikum konstant die Künstlichkeit der Situation in Erinnerung gerufen wird. Zudem weist Fink darauf hin, dass die explizite Thematisierung von Fan-Kultur in einzelnen Folgen wesentlich dazu beigetragen habe, dass die Simpsons selbst zu ‚Cult TV‘ wurden (S. 97-135). Mehr als eine stringente Zusammenfassung des Forschungsstandes sind aber weder Teil 1 noch Teil 2.

Erst im dritten Hauptkapitel erfolgt ein kleiner empirischer Teil. Anknüpfend an Teil 2, in dem Fink das Partizipationspotenzial der Serie herausgearbeitet hat, gibt er in diesem Abschnitt Beispiele, wie sich Fans die Serie zu Eigen machen (S. 157-192). Dabei unterscheidet er verschiedene Formen der Partizipationskultur, angefangen von Projekten, die von den Machern der Show initiiert wurden und gezielt der Publikumsbindung dienen (S. 139-156), bis zu Fan Fiction und Fan Art (S. 157-192). Wie sich die einzelnen Partizipationskulturen quantitativ verteilen und nach welchen Kriterien er die konkreten Beispiele ausgewählt hat, bleibt jedoch unklar. Für Fink ist besonders von Interesse, inwieweit die Fans die Inhalte der Serie lediglich wiedergeben oder ob auch eine kritische Auseinandersetzung erfolgt. Für beides führt er Beispiele an, wobei er verhältnismäßig umfassend einen Remix des vom britischen Streetart-Künstler Banksy entwickelten Simpsons-Vorspanns aus dem Jahr 2010 bespricht. Für Fink stellt dies eines der wenigen Beispiele dar, bei denen die Simpsons zweckentfremdet und mit einer eigenen gesellschaftspolitischen Botschaft unterlegt werden.

Insgesamt handelt es sich bei Understanding The Simpsons um eine gelungene Nachzeichnung dessen, wie die Serie zu einem popkulturellen Medienphänomen geworden ist und welche Rolle dabei die Interaktion zwischen Serie und Fans spielt. Die Arbeit überzeugt sowohl sprachlich als auch visuell, wobei besonders das Layout hervorzuheben ist. Dieses ist ganz im Simpsons-Stil gehalten, ohne aufdringlich oder anbiedernd zu wirken. Weil es in englischer Sprache verfasst und damit für den anglo-amerikanischen Raum zugänglich ist und aufgrund des Jubiläums wird Finks Arbeit sicher auf viel Resonanz stoßen. Sonderlich originell ist das Thema jedoch nicht, denn keine andere Serie wurde so häufig unter dem Schlagwort ‚Cult TV‘ diskutiert und als Beispiel für Partizipationskultur herangezogen wie die gelbe, fünfköpfige Familie aus Springfield.

Literatur:

  • Jenkins, Henry: Textual Poachers. Television Fans and Participatory Culture. New York [Routledge] 1992.
  • Jenkins, Henry: Convergence Culture: Where Old and New Media Collide. New York [University Press] 2006.
  • Kellner, Douglas: Media Culture: Cultural Studies, Identity and Politics between the Modern and the Postmodern. New York [Routledge] 1995.

Links:

Über das BuchMoritz Fink: Understanding The Simpsons. A media phenomenon at the edge of convergence culture. Marburg [Tectum] 2016, 262 Seiten, 24,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseMoritz Fink: Understanding The Simpsons. von Czichon, Miriam in rezensionen:kommunikation:medien, 9. Juni 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20225
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