Lutz Hachmeister, Till Wäscher: Wer beherrscht die Medien?

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Lars Rinsdorf

Einzelrezension
Konvergenz ist ein Metatrend in TIME-Märkten, der nun auch den Titel dieses Standardwerks zu Medienstrukturen erreicht hat. Firmierte Lutz Hachmeisters Kompendium in den Vorgängerauflagen noch unter dem Titel Die 50 größten Medienkonzerne der Welt, geht es nun um Medien- und Wissenskonzerne. Was sich auf dem Titel sperrig liest, ist doch ein kaum zu vermeidendes Zugeständnis an eine zunehmend digitalisierte Ökonomie, in der die Grenzen zwischen Telekommunikation, IT, Medien und Entertainment zerfließen.

Im obligatorischen Umsatz-Ranking, das Hachmeister mit seinem neuen Co-Autor Till Wäscher präsentiert, wird deutlich, wer die Leidtragenden dieser Entwicklung sind – nämlich die content-getriebenen europäischen Medienkonzerne, die ihre dominante Position als Mittler zwischen Inhalten und Zielgruppen eingebüßt haben. Landete die Bertelsmann-Gruppe im Jahr 1995 noch auf Platz zwei des globalen Rankings, liegt sie zwanzig Jahre später gerade noch auf Platz 11, mit weitem Abstand zum neuen Spitzenreiter Alphabet. Andere deutsche Konzerne wie ProSiebenSat.1 oder Axel Springer schaffen es nicht einmal mehr unter die besten 50.

Das Ranking bleibt auch in dritten Auflage der Kernpunkt des Bandes, und auch sonst gibt es viele Konstanten: einen einleitenden Text, fundiert recherchierte Unternehmensporträts und einen journalistischer Stil, in dem die Fakten verständlich auch für Nicht-Wissenschaftler aufbereitet werden. Die Grundstruktur der Unternehmensporträts hat sich ebenfalls nicht verändert: An einen Überblickstext schließen sich zunächst ökonomische Basisdaten und eine Übersicht über relevante Akteure im jeweiligen Management an. Darauf folgen ausführliche Abschnitte zu Geschichte und Profil des Unternehmens, dem Management und den Geschäftsbereichen, in denen der jeweilige Konzern tätig ist. Ein Ausblick auf aktuelle Entwicklungen rundet jedes Porträt ab.

Dieser Aufbau gestattet den Nutzern durchaus unterschiedliche Zugänge zu dem Werk. Wer noch keine Übersicht über die wichtigsten Akteure auf globalisierten Medienmärkten hat (etwa zu Beginn des Studiums), kann das Buch tatsächlich von vorn bis hinten durcharbeiten und sich so ein Bild von Trends und Akteuren im globalen Mediengeschäft machen. Fortgeschrittene Leser können das Buch nach wie vor lexikalisch nutzen und bei einzelnen Playern in die Tiefe gehen, die im aktuellen unternehmerischen oder wissenschaftlichen Kontext von besonderer Bedeutung sind. Experten werden zuerst auf das Ranking schauen und nach Mustern im großen Bild suchen, das sich in den Umsatzentwicklungen auszeichnet.

In den Unternehmensporträts spiegelt sich die Vielfalt der Medien- und Wissensindustrie wieder. Selbstverständlich fehlt dort nicht die Erfolgsstory von Alphabet alias Google. Beachtlich ist der Bedeutungsgewinn chinesischer Konzerne wie Tencent (Neueinstieg auf Platz 15) oder der indischen Essel Group (erstmals gerankt auf Platz 26). Es finden sich fast schon tragikomische Geschichten wie die des greisen Viacom-Patrons Sumner Redstone, dessen Tochter einen erbitterten Erbstreit mit der deutlich jüngeren Ex-Freundin ihres Vaters ausfocht (Platz 7 nach Platz 3 im Jahr 2005), neben der kühlen Effizienz von Fachinformationskonzernen wie Wolters Kluwer aus Amsterdam (Neueinstieg auf Platz 45). Die Porträts sind durchweg detailreich aus einer distanziert-kritischen Perspektive geschrieben und laden so dazu ein, sich genauer mit einem Unternehmen auseinanderzusetzen – oder einfach beim nächsten Platz weiterzulesen.

Licht und Schatten liegen dagegen bei den einleitenden Texten eng beieinander. Hier findet sich einerseits eine zum Zeitpunkt des Erscheinens im Januar 2017 sehr aktuelle Einordnung medienpolitischer Entwicklungen vor dem Hintergrund des Wahlsiegs von Donald Trump im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Dies ist ein hervorragender Rahmen, um die strukturellen Veränderungen in der Medien- und Wissensindustrie zu reflektieren. Dieser kurzfristige Vorteil wird allerdings um den Preis erkauft, dass er sich auf eine politische Entwicklung mit erheblicher Eigendynamik bezieht. Was sich in den wenigen Monaten der Trump-Administration vom Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches bis jetzt abgespielt hat, lässt den Text an der einen oder anderen Stelle fast schon wieder inaktuell erscheinen. Dieses Wagnis kann man in der Einleitung durchaus eingehen, denn dieser journalistische Zugang ist erfrischend unorthodox, zumal das Ranking und die Porträts nicht dadurch an Wert verlieren, dass die Einleitung notgedrungen zeitlich an einen spezifischen Ausschnitt der politischen Dynamik in den Vereinigten Staaten gebunden bleibt.

Das lässt sich für den Nachdruck des Kapitels Die Kulturen der Medienkonzerne aus der 2005er-Auflage nur bedingt behaupten. Auch hier finden sich Passagen, die im Jahr 2017 noch interessant zu lesen sind, etwa filmhistorische Überlegungen, inwieweit die amerikanische Unterhaltungsindustrie zur Selbstreflexion fähig ist (S. 45). Gerade die Passagen, die sich konkret auf Unternehmensstrategien beziehen, haben dagegen Patina angesetzt, darunter zur Art und Weise, wie Thomas Middelhoff den Bertelsmann-Konzern geführt hat (S. 51f.) oder über das Phänomen der „New Economy“ (S. 53). Hier wäre es gerade angesichts des tiefgreifenden Wandels der Medienlandschaft durch die Digitalisierung wünschenswert gewesen, die Argumentation grundlegender zu überarbeiten und detaillierter auf zeitgenössische Phänomene wie Sharing Economy, Big Data oder die wachsende Bedeutung sozialer Netzwerke einzugehen.

Jenseits der Frage, wie genau man die Befunde der Recherche einordnet, zeigt sich gerade im Vergleich von 1995 bis heute, wie wertvoll der Ansatz sein kann, einen Gegenstand mit identischem Instrumentarium über zwei Dekaden zu beobachten. Besonders in den Geschichten der Auf- und Absteiger kristallisieren sich die Chancen und Risiken eines Marktes heraus, der in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Umso interessanter wäre es gewesen, zumindest in einem Anhang bei den Unternehmen, die damals schon existierten, noch mehr Zahlen aus den Jahren 2005 und 1995 zu präsentieren – obgleich dies den Rechercheaufwand, der sich bereits jetzt hinter den unscheinbaren Tabellen verbirgt, noch einmal erhöht hätte. Insgesamt darf man aber gegenwärtig gespannt sein, wie das Ranking im Jahr 2025 aussieht, wenn sich die Autoren und ihre Rechercheure hoffentlich an die vierte Auflage begeben.

Links:

Über das BuchLutz Hachmeister, Till Wäscher: Wer beherrscht die Medien? Die 50 größten Medien- und Wissenskonzerne der Welt. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2017, 559 Seiten, 23,- Euro.Empfohlene ZitierweiseLutz Hachmeister, Till Wäscher: Wer beherrscht die Medien?. von Rinsdorf, Lars in rezensionen:kommunikation:medien, 20. März 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19943
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