Franziska Bruckner, Erwin Feyersinger, Markus Kuhn, Maike Sarah Reinerth (Hrsg.): In Bewegung setzen …

Einzelrezension, Rezensionen
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Rezensiert von Rudi Strauch

Einzelrezension
Die Arbeitsgruppe ‚Animation‘ innerhalb der Gesellschaft für Medienwissenschaft veranstaltete im November 2012 in Hamburg eine Fachtagung, auf der Animation in den Medien Film, TV und Games, aber auch die Anwendung in Architektur und Medizin reflektiert wurde. Der jetzt erschienene Sammelband In Bewegung setzen… präsentiert in zwölf Beiträgen Inhalte und Erkenntnisse dieser Tagung.

Im Bereich der Filmwissenschaft, die die Hälfte der Aufsätze einnimmt, changieren sie thematisch zwischen Kurzfilm und Blockbuster, klassischem Zeichentrick und computerbasiertem Motion-Capture-Verfahren. Besonderes Augenmerk erfährt hierbei die Hybridität zwischen verschiedenen Filmgenres, 2D und 3D sowie analogen und digitalen Formen. Übergänge und Vermischungen lassen angesichts des noch beschränkten Forschungsstandes am ehesten prägnante Beobachtungen zu.

So beschreibt Andreas Rauscher in seinem Beitrag Fenster zur animierten Welt (S. 37-55) die Schwierigkeit, Animation im Spannungsfeld zwischen Gattung und Genre einzuordnen. Am Beispiel von Robert Zemeckis‘ Klassiker Who framed Roger Rabbit (1988) findet er im Cartoon eine hilfreiche Schnittstelle, ihn zu verorten.

Ein wichtiger, sonst oft vernachlässigter Aspekt ist die Bedeutung des Soundtracks, den Saskia Jaszoltowski in ihrem Beitrag über die Akustik der animierten Welt um 1930 (S. 57-70) berücksichtigt. Während sie sich darin mit der Vertonung von Zeichentrickfilmen befasst, betrachtet Christian Stewen in Disneys Pinocchio und Spielbergs Artificial Intelligence (S. 91-107) einen technischen Aspekt, der über das Produkt hinausgeht: Der Autor spürt auf, dass die Dopplung der Erschaffung künstlicher Charaktere in fiktiven Medien – analogen wie digitalen – im Kern eine Selbst-Reflexion der Traumfabrik Hollywood beinhaltet.

Dieser wie auch die anderen Beiträge glänzen durch ihren ernstzunehmenden Entwurf, theoretischen Zugang zu konkreten Beispielen zu finden. Das hat zur Folge, dass sich nirgends ein Beigeschmack theoretisierender Abgehobenheit einstellt. Matthias C. Hänselmann beispielsweise punktet unter dem Titel Erst die Bewegung formt die Figur (S. 71-89) auf der Suche nach Erklärungsmodellen: Er spürt die Grenzen traditioneller semiotischer Theorie im Hinblick auf den Zeichentrick auf und zeigt unter Berücksichtigung kognitionssemiotischer Perspektiven einen nachvollziehbaren Zugang zum Verständnis des Rezeptionsprozesses: Der Rezipient zieht nicht nur seinen Fundus an Zeichen, sondern seinen gesamten kognitiven Erfahrungsschatz als Referenz heran.

Lukas R.A. Wilde widmet sich im Kapitel Die motorische Seele des Affen Caesar (S. 109-127) hingegen dem Motion-Capturing. Dabei erläutert er, inwieweit schauspielerische Bewegungs-Inputs ein wesentlicher Teil digital animierter Charaktere sind. Wilde zeigt, wie vielschichtig und komplex dieses Verfahren ist, stellt vorhandene Ansätze übersichtlich dar und weist den Weg für weitere Forschung.

Trotz großer technischer und ästhetischer Schnittmengen zwischen 3D-animierter Filme und Games wird die Betrachtung von Computerspielen oft vernachlässigt. Das konstatiert Felix Schröder in seinem Beitrag Tech Demos für Computerspiel-Engines als animierte Kurzfilme (S. 129-148). Damit nimmt er sich ein junges, doch nicht mehr seltenes, vermeintliches Zwitter-Genre vor, das in erster Linie von Anbietern spielerelevanter Software und Technik eingesetzt wird und in Online-Video-Portalen ihr werbewirksames Forum findet. Schröder beleuchtet, wie die eigentliche Botschaft, nämlich die besonderen technischen Fähigkeiten des beworbenen Produktes, in eine narrative Fantasy-Umgebung gehüllt wird. Deutlich macht er auch, dass nicht allein animierte Charaktere animierte Genres ausmachen, sondern zunehmend aufwändige Settings, deren Dynamik in immer rasanteren virtuellen Kamerafahrten besteht. Gerade unter dem Aspekt der Hybridität, dem roten Faden der Publikation, ist dies, wie sich hier zeigt, ein lohnendes Forschungsobjekt.

Überraschend, aber überzeugend, sind zudem die Beispiele aus nicht-fiktionalen Anwendungen von Animations-Technologie in Medizin und Architektur. Sven Stollfuß etwa stellt die Verwandtschaft digital aufbereiteter Bilddaten in der Medizin mit populären Medien auf den Prüfstand (S. 149-168). Zugleich fragt er, welchen Erkenntnisgewinn die Analyse dieses Verwertungszusammenhanges für das Verstehen digitaler Formate mit sich bringen kann. Wie auch bei den anderen Aufsätzen ist das Literaturverzeichnis eine Fundgrube für weitere Auseinandersetzungen mit dem Themenkomplex.

Erwin Feyersinger konstatiert ganz richtig, dass es sich lohnt, bei den unterschiedlichsten Formen von Animation eine verbindende Perspektive zu finden. Er wählt für eine genauere Betrachtung die visuelle Abstraktion, die er in narrativen und experimentellen Formaten sowie in wissenschaftlichen Visualisierungen untersucht (S. 169-188). Das ist ein geeignetes Beispiel, da sich mit abstrakten Darstellungen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Mediengestalter und Kunstschaffende beschäftigen.

Oliver Schmidt prüft schließlich, wie Informationen in aktuellen Fernsehprogrammen dreidimensional aufbereitet werden und wie reale und virtuelle Räume in dieser Umgebung kombiniert werden (S. 203-222) – sowohl mit Blick auf die Selbstdarstellung der Sender und Programmübersichten als auch zur Darstellung konkreter Inhalte innerhalb von Sendungen.

Mehr grenzüberschreitende Betrachtung hätte dem Sammelband gut zu Gesicht gestanden, werfen doch alle Erscheinungen des weitgefächerten Phänomens der Animation eine gemeinsame Frage auf: Wie kann es gelingen, den Rezipienten in die Lage zu versetzen, Unbelebtes als lebendig zu erleben? Die Antwort kann nur medienspezifisch gefunden werden. Und doch ist es lohnend, wie der Beitrag von Erwin Feyersinger zeigt, verbindenden Aspekten nachzuspüren – ganz gleich, ob es sich um Holzschnitzerei, Zeichnungen oder CGI-Grafik handelt.

Zum vollständigen Verständnis von Animation ist es zwingend nötig, die dreidimensionalen analogen Animationsformen auf Bühnen und in den Medien zu berücksichtigen, denn die Puppenspielkunst birgt die Wurzeln der Animation. Die umfangreichen Wechselwirkungen zwischen Puppenspiel auf Bühnen, im Film sowie im Fernsehen zu betrachten, würde zu aufschlussreichen Ergebnissen führen. Die Beschränkung mag durch die Kapazität einer Tagung sowie den notwendigen Fokus berechtigt sein, verweist aber auch darauf, dass das Theater durch die etablierte Medienwissenschaft ausgeblendet wird. Letzteres hat strukturelle Ursachen und sollte sich wegen der inhaltlichen, stilistischen und personellen Schnittmengen eigentlich verbieten. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass im Falle der Animation die Theaterwissenschaft bislang nur punktuell und insgesamt zu wenig beigetragen hat.

Angesichts der noch beschränkten Zahl an Publikationen zur Animation haben nicht nur die fundierten Texte, sondern auch die Quellenangaben dieses Sammelbandes besonderes Gewicht. Sie führen dazu, dass die Veröffentlichung aus dem VS Verlag ein must have für jede einschlägige Bibliothek ist. Vorausgesetzt, dass die verzögerte Publikation kein ungutes Zeichen ist, trägt der Titel In Bewegung setzen… auch im metaphorischen Sinn: Die Publikation taugt zum Kristallisationskern in der endlich aufblühenden wissenschaftlichen Diskussion, das medienübergreifende Phänomen der Animation zu ergründen.

Links:

Über das BuchFranziska Bruckner, Erwin Feyersinger, Markus Kuhn, Maike Sarah Reinerth (Hrsg.): In Bewegung setzen … Beiträge zur deutschsprachigen Animationsforschung. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2016, 228 Seiten, 29,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseFranziska Bruckner, Erwin Feyersinger, Markus Kuhn, Maike Sarah Reinerth (Hrsg.): In Bewegung setzen …. von Strauch, Rudi in rezensionen:kommunikation:medien, 8. Februar 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19867
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