Carina Jasmin Englert: Der CSI-Effekt in Deutschland

Einzelrezension
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Rezensiert von Jan Pinseler

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Angesichts der Fülle von audiovisuellen Medieninhalten, die sich mit Kriminalität und Verbrechen auseinandersetzen, ist die wissenschaftliche Frage, in welchem Verhältnis diese medialen Darstellungen von Verbrechen und Abweichung zu den gesellschaftlichen Vorstellungen hiervon stehen, naheliegend. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat sich bekanntlich dieser Fragestellung genähert, zumeist mit Blick auf simple Ursache-Wirkungsbeziehungen, wobei die mediale Darstellung in der Regel als Ursache für Wirkungen bei Rezipient_innen angenommen wurden. Englert widmet sich in ihrer Analyse einem speziellen Aspekt solcher Medienwirkungstheorien, dem ‘CSI-Effekt‘. Hierbei handelt es sich, verkürzt gesagt, um die Annahme, dass die Darstellung kriminalistischer Arbeit einen Einfluss unter anderem auf das Gerichtsverfahren, die Polizeiarbeit und die gesellschaftlichen Vorstellungen, aber auch auf Täter_innen selber hat. Benannt ist der Effekt nach den gleichnamigen Serien. Wie die Autorin deutlich macht, wurde der ‘CSI-Effekt‘ zunächst von den Medien selbst behauptet, bevor er Gegenstand wissenschaftlichen Interesses vor allem in den USA wurde.

Der Titel des Buches täuscht darüber hinweg, dass es Englert gerade nicht darum geht, eindimensionale Medienwirkungen nachzuweisen. Vielmehr untersucht sie, wie mediale Darstellungen gesellschaftliche Macht ‘entfalten‘ können. Mediale Darstellungen von Verbrechensaufklärung beschreibt sie als “Formen der Führung“, als Teil von Governance (im Foucaultschen Sinne). Hierzu untersucht sie mit Hilfe einer hermeneutisch-wissenssoziologischen Videoanalyse sieben serielle Fernsehsendungen, die sich mit Kriminalitätsaufklärung beschäftigen: von Niedrig & Kuhnt über Ermittlungsakte bis Der Kriminalist, von Aktenzeichen XY.. ungelöst bis – natürlich – CSI, und beschreibt für die jeweils typische “Botschaft“ in Bezug auf Kriminaltechnik. Diese wiederum ordnet sie zwei Diskursgruppen zu: dem erzieherischen und dem religiösen Diskurs, wobei ersterer dadurch charakterisiert ist, dass er den Zuschauer_innen einen größeren Deutungsspielraum ermögliche.

Die Fernsehsendungen zeichneten sich so durch eine Form der Governance aus, die zwischen repressiver und konsensualer Führung schwanke, wobei die Kamera “als korporierte[r] Akteur“ (276) bestimmte Bedeutungen nahe lege. Unter Bezug auf das Modell des Kulturkreislaufs aus den Cultural Studies beschreibt sie schließlich, wie die Darstellung der Verbrechensaufklärung in Fernsehsendungen eben gerade nicht einfache Wirkungen entfaltet, sondern vielmehr in Wechselwirkungen mit spezifischen Formen des Konsums und der Produktion, mit Identitätsvorstellungen und staatlichen Regulierungen etwas entfalten kann, was Englert “Machtbeziehungen“ in Bezug auf Vorstellungen von Wirkungsweisen der Kriminaltechnik nennt.

An dieser Stelle wird aber auch deutlich, wo die Grenzen der Analyse liegen. Während die Autorin die Darstellung der Aufklärung von Kriminalität in Fernsehsendungen untersucht und hieran deren gesellschaftliche Wirkung deutlich machen will, wird der gesellschaftliche Konstruktionscharakter von Kriminalität nicht weiter beleuchtet. Was kriminell ist und was nicht, scheint völlig selbstverständlich zu sein, obgleich dies tatsächlich in hohem Maße Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und dementsprechend Veränderungen unterworfen ist. Diese Auslassung hat einerseits unangenehme, aber weniger dramatische Folgen, beispielsweise wenn der abschätzige Duktus der Sendung Aktenzeichen XY.. ungelöst in die Sprache der Autorin übernommen wird, indem vom Mord in der “Homosexuellenszene“ gesprochen wird. Andererseits führt dies aber auch dazu, dass die Autorin zwar von Governance und Ausübung von Macht redet, diese Macht aber seltsam akteurlos bleibt.

Die gesellschaftliche Konstruktion von spezifischen Abweichungen als Kriminalität, die die Sendungen durch ihre Darstellung von Kriminalitätsaufklärung stützen, wird als solche auch in der Analyse von Englert eben nicht deutlich. Vielmehr betont sie die ‘Anleitung‘ und ‘Befähigung‘ der Zuschauer_innen durch diese Darstellungen zu einem “(selbstständigen) […] Diskurs über moderne Methoden der Kriminaltechnik und Gerichtsmedizin“ (316). Gerade das von der Autorin herangezogene Modell des Kulturkreislaufs hätte hier aber auf die Rolle von z. B. Repräsentationen, Regulierung und Produktion bei der Konstruktion spezifischer Bedeutungsangebote in den untersuchten Sendungen aufmerksam machen können, die sich gerade nicht in der Regulierung des Pay TV und der Aktivierung von Zuschauer_innen zu ‘Prosumer_innen‘ erschöpfen, sondern vielmehr an spezifische Interessen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Normalität und Abweichung anknüpfen.

Der Verdienst der Arbeit liegt vor allem darin, zu zeigen, wie in der Darstellung von Kriminalitätsaufklärung im Fernsehen eben nicht eindeutige Botschaften gesendet werden, sondern vielmehr auf unterschiedliche Art und Weise Bedeutungen angelegt sind, mit denen diese ihre Deutungen von Kriminalitätsaufklärung als allgemeinverbindlich durchsetzen können. Sie zeigt, dass Bedeutungsangebote in medialen Texten gerade nicht beliebig sind, sondern spezifische Deutungen filmimmanent den Rezipient_innen nahegelegt werden.

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Über das BuchCarina Jasmin Englert: Der CSI-Effekt in Deutschland. Die Macht des Crime-TV. Wiesbaden [Springer VS] 2014, 334 Seiten, 44,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseCarina Jasmin Englert: Der CSI-Effekt in Deutschland. von Pinseler, Jan in rezensionen:kommunikation:medien, 19. Februar 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18952
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