Rezensiert von Saskia Sell
Mit ihrer Dissertation macht Kuhnhenn die Relevanz und die Anknüpfungsmöglichkeiten sprachwissenschaftlicher Analysemethoden für das Feld der Medien- und Kommunikationsforschung deutlich. Die Frage nach Glaubwürdigkeit berührt dabei einen Kernbereich der politischen Kommunikationsforschung. Wie diese durch sprachliche Mittel unterstützt und in der Auseinandersetzung mit Medientexten von Rezipienten und Rezipientinnen einzelnen politischen Akteuren zugeschrieben wird, steht im Vordergrund ihrer demokratietheoretisch gerahmten Analyse. Glaubwürdigkeit politischer Kommunikation ist für Kuhnhenn die Voraussetzung für Vertrauen in politische Akteure und damit “von basaler Bedeutung für das Funktionieren einer Demokratie” (13).Die Auseinandersetzung mit theoriebasierten Glaubwürdigkeitsfaktoren und -indikatoren sowie die systematische und kritische Aufarbeitung disziplinenübergreifender Forschungsliteratur zu Glaubwürdigkeit und Vertrauen aus der Persuasionsforschung, der Psychologie, der Kommunikationswissenschaft, der Sprachwissenschaft und der Politikwissenschaft bilden hier einen wesentlichen Baustein. Daraus wurde ein Glaubwürdigkeitsmodell entwickelt, mit dem sich die Konstruktion, oder, wie Kuhnhenn es bezeichnet, “Konstitution” von Glaubwürdigkeit in einer Fallstudie empirisch untersuchen lässt. Aus der theoretischen Auseinandersetzung hat Kuhnhenn neun offene Forschungsfragen abgeleitet (vgl. 110), die sich in drei inhaltliche Blöcke unterteilen lassen: 1) in Fragen zur Konstruktion von Glaubwürdigkeit im Gespräch, die durch eine Gesprächsstilanalyse beantwortet werden können, 2) in Fragen zur Wahrnehmung und Konstruktion von Glaubwürdigkeit durch die Rezipientinnen und Rezipienten, die anhand qualitativer Interviews in einer Rezeptionsstudie beantwortet werden können und 3) in übergeordnete und für beide Teile relevante, bzw. die Fallstudie im Hinblick auf das Theoriemodell und den Forschungsstand kontextualisierende Fragen. Diese Forschungsfragen sind wie folgt formuliert:
- Welche Gesprächsstile von politischen Akteuren können innerhalb eines spezifischen Kommunikationskontextes ermittelt werden und aus welchen Merkmalen bestehen diese?
- Erfüllen die ermittelten Gesprächsstile die Funktion der Glaubwürdigkeitskonstitution – d.h. inwiefern finden sich kommunikative Glaubwürdigkeitsmarker und -indikatoren in den Gesprächsstilen wieder?
- Sind funktionalstilistische Spuren in den Gesprächsstilen erkennbar?
- Wie nehmen Rezipienten die politischen Akteure der vorliegenden Diskussionsrunde und deren kommunikative Handlungen wahr?
- Wie bewerten Rezipienten die kommunikativen Merkmale verschiedener politischer Sprecher?
- Wie schätzen Rezipienten die politischen Akteure der Diskussionsrunde hinsichtlich deren Glaubwürdigkeit ein?
- Womit begründen Rezipienten ihre Bewertungen und Einschätzungen?
- Inwiefern liegen Parallelen bzw. Differenzen bezüglich der Glaubwürdigkeitsfunktion der ermittelten Gesprächsstile und den Befunden aus der Rezeptionsstudie vor?
- Können die theoretisch begründeten Glaubwürdigkeitsfaktoren und -indikatoren exemplarisch bestätigt werden?
Das Forschungsdesign kombiniert die sprachwissenschaftliche Methode der Gesprächsstilanalyse mit der kommunikationswissenschaftlichen Methode der qualitativen Interviews aus dem Bereich der Rezeptionsforschung. Das theoretische Modell und der erste gesprächsanalytische Teil der Untersuchung bilden dabei die Voraussetzung um den zweiten Teil überhaupt sinnvoll auswerten zu können. Als Untersuchungsmaterial dient auf der Ebene des Medientextes eine politische Diskussionssendung im Radio, innerhalb derer die Gesprächsstile von drei politischen Sprechern einer Analyse unterzogen wurden: Bärbel Höhn (Die Grünen), Armin Laschet (CDU) und Jochen Ott (SPD). Zentraler Befund der interaktionalen Stilanalyse ist, dass die Sprecher ihre Glaubwürdigkeit mit ihrem Gesprächsstil aufbauen, festigen oder mindern können. Individuelle Stilbilder werden deutlich, die neben wiederkehrende funktionalistische Merkmale treten – was durch die Forscherin umfassend und mit vielen anschaulichen Beispielen unterfüttert dargestellt werden konnte. Der Gesprächsstil der politischen Akteure hat also “eine glaubwürdigkeitskonstituierende Funktion” (253).
Im Anschluss an die Gesprächsstilanalyse widmet sich Kuhnhenn der Wahrnehmung und Zuschreibung von Glaubwürdigkeit. Diese werden letztlich zur Gesprächsstilanalyse ins Verhältnis gesetzt. Faktoren wie Sachkompetenz, soziale Einbettung, Verlässlichkeit/Reputation und Verständlichkeit im Ausdruck hatten aus Sicht der Rezipientinnen und Rezipienten positive Auswirkung auf die Glaubwürdigkeit der Akteure. Kuhnhenn konnte auch aus den Interviews herausarbeiten, dass bestimmte Ausprägungen dieser Faktoren einen gegenteiligen Effekt erzielten, was am Beispiel des Faktors Reputation besonders deutlich wird: Während der Verweis auf Erfolge der Person selbst oder ihres Gegenübers in der Theorie als glaubwürdigkeitsfördernd gelten, können bestimmte Ausprägungen auch glaubwürdigkeitsmindernd wirken, wenn der Indikator beispielsweise zu stark realisiert wurde.
Unter erneutem Rückbezug auf die drei Beispiele werden im letzten Schritt die Ergebnisse miteinander ins Verhältnis gesetzt. Der Gesprächsstil ist die zentrale Größe, durch die ein Sprecher oder eine Sprecherin als glaubwürdig bewertet wird. Die theoretisch erarbeiteten Glaubwürdigkeitsmarker werden von den Akteuren “teilweise markant realisiert” (326). Interaktionsverhalten, inhaltliche Aussagen und die Art zu formulieren sind Parameter, die zur Konstruktion von Glaubwürdigkeit beitragen. Das theoretisch erarbeitete und empirisch (exemplarisch) geprüfte Glaubwürdigkeitsmodell erscheint für weitere Studien in diesem Bereich gut nutzbar.
Die Monografie ist formal gekennzeichnet durch eine sehr klare Struktur, flüssige Lesbarkeit und anschauliche Abbildungen sowie die sorgfältige Dokumentation des Analysematerials. Die in Greifswald entstandene Dissertation ist insgesamt sowohl für sprachwissenschaftlich ausgerichtete Forschungsbereiche als auch für die Medien- und Kommunikationswissenschaft, insbesondere für den Schwerpunktbereich der politischen Kommunikationsforschung, bedeutsam und wird daher besonders diesem Fachkollegium zur Lektüre empfohlen. Die Methodenkombination, die zugleich die analytische Kombination zweier Ebenen der medialen Bedeutungsproduktion (Medientext und Medienrezeption) darstellt, erweist sich für den hier fokussierten Gegenstand als fruchtbare Herangehensweise, die es uns ermöglicht, den Aspekt der Glaubwürdigkeitskonstruktion in der politischen Kommunikation besser zu verstehen.
Links:
Über das BuchMartha Kuhnhenn: Glaubwürdigkeit in der politischen Kommunikation. Gesprächsstile und ihre Rezeption. Konstanz [UVK] 2014, 370 Seiten, 49,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMartha Kuhnhenn: Glaubwürdigkeit in der politischen Kommunikation. von Sell, Saskia in rezensionen:kommunikation:medien, 27. Juli 2015, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18261