Rezensiert von Claudia Riesmeyer
Die Frage, wie unabhängig Journalismus ist, beschäftigt die Kommunikationswissenschaft seit vielen Jahren. Wer hat welchen Einfluss auf die Berichterstattung und wie transparent sind welche Interessenslagen? Dieser Frage widmet sich Colin Porlezza in seiner Dissertation, die er 2012 bei Stephan Ruß-Mohl an der Universität Lugano eingereicht hat. Er sorgt jedoch gleich zu Beginn seiner Arbeit für Ernüchterung: “Die sogenannte Chinesische Mauer, also die strikte Trennung zwischen ökonomischen und publizistischen Interessen, zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten und Programmen, bekommt zunehmend Risse“ (13). Als Beleg dafür führt er Einzelfälle an, die sich seiner Beobachtung nach in den letzten Jahren häufen. Porlezza, inzwischen an der City University London tätig, will diese Einzelfälle quantifizieren und untersucht dazu den Zusammenhang zwischen Berichterstattung und Werbeteil einer Zeitung. Welche Auswirkungen hat die “Durchmischung von Werbung und Journalismus auf den Output der redaktionellen Produktion“ (16)?Seine Untersuchung ist nicht nur aufgrund seines Ziels, diese Alltagsbeobachtungen zu quantifizieren, wichtig für unser Fach und unser Verständnis von der Leistungsfähigkeit des Journalismus, sondern auch aufgrund der Veränderungen der Medienlandschaft in den vergangenen Jahren. Porlezzas’ Untersuchungsgegenstand ist die Schweizer Presselandschaft, die sich durch das Aufkommen der Gratiszeitungen sehr gewandelt hat. Gratiszeitungen finanzieren sich in großen Teilen aus Werbeeinnahmen (2001 machte der Werbeteil 30 Prozent an ihrem Gesamtumfang aus, vgl. 15), sie sind damit eine relevante Größe im Wettbewerb auf dem Werbemarkt der Printprodukte und haben eine große Leserschaft gefunden.
Um seine Forschungsfrage zu beantworten, nähert sich Colin Porlezza seinem Dissertationsthema aus verschiedenen Perspektiven fast lehrbuchhaft an. Zunächst erörtert er das Spannungsverhältnis zwischen Journalismus und Werbung und geht dabei auf den Doppelcharakter von Printprodukten als Kultur- und Wirtschaftsgut ein. Aufschlussreich ist seine Begriffsklärung der Ökonomisierung als gesellschaftliches und Kommerzialisierung als unternehmerisches Phänomen (vgl. 41 ff.). Bei der Begriffsklärung referiert er auf verschiedene theoretische Konzepte (u. a. aus der Medienökonomie, Systemtheorie) und Denkschulen und sucht nach Schnittstellen, um schließlich den Strukturwandel der Medien diskutieren zu können.
In Kapitel vier setzt sich Porlezza mit dem Forschungsstand auseinander und identifiziert drei Formen der Vermischung redaktioneller und werblicher Inhalte: Product Placement, Kopplungsgeschäfte und Gefälligkeitsjournalismus. Diese drei Formen sind bekannt. Dennoch überzeugt dieser Abschnitt, da er dichtgedrängt auf wenigen Seiten Wissenswertes zum Thema zusammenträgt.
Dem Theorieteil folgen die Ausführungen zur Methodik der Arbeit. Colin Porlezza geht dabei zweigeteilt vor: Er führt eine Werbeanalyse und eine quantitative und qualitative Inhaltsanalyse der Berichterstattung über sechs ausgewählte Unternehmen in fünf Gratiszeitungen und einer Bezahlzeitung durch. Dafür formuliert er – abgeleitet aus dem Forschungsstand – sieben Forschungsfragen und elf Hypothesen und entwirft ein Untersuchungsmodell (vgl. 121). Seine getroffenen methodischen Entscheidungen werden nachvollziehbar dargelegt und begründet. Im Anhang der Arbeit finden sich u. a. die Codebücher beider Analysen.
Die Befunde bestätigen weitestgehend die eingangs geschilderten Einzelfallbeobachtungen. Vor allem bei den Gratiszeitungen könne Porlezzas‘ Meinung nach nicht von Unabhängigkeit gesprochen werden, da er deutliche Zusammenhänge zwischen redaktionellem und werblichem Teil findet (vgl. 213). Aufgrund der großen Reichweite, die dieser Medientyp erreicht, stuft er diesen Befund als Gefahr für die Demokratie ein. Porlezza schließt mit einer kritischen Würdigung seiner Befunde und liefert einen Ausblick auf künftige Forschungsansätze. Vor allem die Verbindung aus den inhaltsanalytisch gewonnenen Daten mit (qualitativen) Interviews mit Medienmachern (Journalisten, Anzeigenleitern) ist gewinnversprechend. So könnten getroffene Entscheidungen hinterfragt und vor den Befunden der Inhaltsanalyse reflektiert werden. Ebenso überzeugt die Idee, die Rezipienten in den Blick zu nehmen und zu untersuchen, ob sie eine Verquickung zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung wahrnehmen und wie sie diese beurteilen.
Auch wenn Porlezza das Thema ‘nur’ inhaltsanalytisch untersucht, liefert seine Dissertation, die stringent gegliedert und flüssig zu lesen ist, einen wichtigen Beitrag bei der Untersuchung der journalistischen Unabhängigkeit. Die von ihm untersuchte chinesische Mauer hat mehr Risse als man vermuten mag.
Links:
Über das BuchColin Porlezza: Gefährdete journalistische Unabhängigkeit. Zum wachsenden Einfluss von Werbung auf redaktionelle Inhalte. Konstanz [UVK] 2014, 290 Seiten, 39,- Euro.Empfohlene ZitierweiseColin Porlezza: Gefährdete journalistische Unabhängigkeit. von Riesmeyer, Claudia in rezensionen:kommunikation:medien, 11. Oktober 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/17076