Rezensiert von Jan Krone
Die Netzneutralität im Internet, der diskriminierungsfreie Transport von Datenpaketen in IP-gestützten Netzwerken, ist in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft bislang ein Nischenthema. Wenngleich die Vertriebswege für publizistische Inhalte in Deutschland, etwa das Pressevertriebssystem und Must-Carry-Regelungen für die Verbreitung von AV-Inhalten, die Subdisziplin Medienökonomie praktisch von Beginn an unter dem Eindruck des ungehinderten Zugangs zu Informationen und der öffentlichen Kommunikation (Informationsfreiheit/Vielfalt) beschäftigt haben. Diese Form der Einlassung in die Strukturen des Kommunikationsraumes findet insbesondere dort seine Grenzen, wo das Gebiet der Massenmedien verlassen wird: Die Debatte um Roaminggebühren (regulierte Netzneutralität) in der Festnetz- und Mobilfunkkommunikation etwa ist nur mehr Agenda der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.Als Grund für die rudimentäre Beachtung des gewählten Untersuchungsgegenstandes seit dem Eintritt der Problematik in eine halbwegs größere Fachöffentlichkeit 2006, darf ohne Zweifel die disziplinäre Vielschichtigkeit des Phänomens gelten. Die Netzneutralität im Internet ist ein Konvergenz-Sachverhalt aus der Sphäre der Medientransformation und erstreckt sich ob des Wirkungszusammenhangs dezentraler Netzwerke über die vertrauten Grenzen der klassischen Medienregulierung hinaus. Die EU-europäische Telekommunikationsregulierung empfiehlt den Mitgliedstaaten in ihrer Richtlinie Ausnahmen in Form von spezifischen Bandbreiten-Diensteklassen bei Mindeststandards, eine eingeschränkte Netzneutralität, als zulässig zu deklarieren. Der politische Begriff eines ‘Zwei-Klassen-Internets’ steht im Raum der mit der normativen Ausgestaltung befassten Arenen. Die Berücksichtigung von kontinuierlich publizierten journalistischen Inhalten ist dort nicht dezidiert herausgestellt.
Hier setzt der Autor mit der vorliegenden, rechtswissenschaftlichen Dissertationsschrift an und veröffentlicht eine detaillierte Prüfung des “Komplexes Netzneutralität” (3) vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Schutzpflichten wie dem Artikel 5, Abs. 1, S. 2 GG, der sogenannten “Medienverfassung”. Die streng nach der rechtswissenschaftlichen Methode der Subsumtion durchgeführte Untersuchung mag einem ungeübten Leser verschachtelt und zu wenig hypothesengeleitet erscheinen, bietet jedoch nach wiederholtem Studium eine relevante Grundlage für das Verständnis und Verortung der Problematik.
Jäkel geht in seiner Prüfung von der Grundannahme, basierend auf einer technischen Definition des Begriffs “Netzneutralität”, aus, dass eine Verletzung der Prinzipien derselben durch Netzwerkbetreiber oder -agenten signifikante Diskriminierungspotentiale und Einschränkungen von Grundrechtspositionen angenommen werden müssen. Somit sei eine Befassung mit dem Komplex Netzneutralität auch eine Frage nach der Wahrung der “Pluralität des öffentlichen Diskurses” (43).
Nach der über drei Teile reichenden (Grundlagen, Verfassungsrechtliche Aspekte des Komplexes Netzneutralität im Internet, Sicherungsmechanismen und regulatorischer Ausblick) Untersuchung plus einer als Anhang beschriebenen, unsystematischen Komparatistik (Internationale Aspekte), kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass die Netzneutralität im Internet eine Vielzahl von verfassungsrechtlich geschützten Grundrechten berührt. Ein Missbrauchspotential sei anzunehmen. Durch die Übernahme der EU-Richtlinien-Empfehlung einer eingeschränkten Netzneutralität für den bundesdeutschen Raum durch den Gesetzgeber könne davon ausgegangen werden, ausreichend präventive Sicherungsmaßnahmen für die Kommunikations- und Medienfreiheit vorzuhalten. Rechtmäßige, journalistische Inhalte und Kommunikation mit geringem Bandbreitenbedarf in Deutschland sehen sich danach absehbar keiner ernsthaften, unrechtmäßigen Einschränkung ausgesetzt.
Darüber hinaus sei, so der Autor, die Erweiterung der Schutzvorschriften nach Art 5, Abs. 1, S. 2 GG um eine “Internetfreiheit” (243f.) nicht notwendig. Der bestehende Katalog sei, auch über seine Auslegungen und folgenden einfachgesetzlichen Regelungen für den komplexen Wirkungsbereich der Netzneutralität im Internet, imstande die Ansprüche an den Kommunikationsraum Bundesrepublik Deutschland zu erfüllen. Nichtsdestoweniger sei eine weitere Präzisierung von Netzneutralität im Internet zur Abwehr von noch nicht erfassten Diskriminierungen unerlässlich.
Dass der Netzneutralität im Internet aus einer im Kern nationalstaatlichen Sichtweise begegnet wird, mag an den formalen Umständen der Publikation liegen. Hier muss jedoch angemerkt werden, dass die Regulierung des Vertriebs von publizistischen Inhalten und Kommunikation über IP-gestütze Netzwerke das dezentrale, weltumspannende Netz mitsamt des Routings und Datenmanagements auf den bundesdeutschen Raum wie natürlich, und, das sei dem Rezensenten oder einfach der Erwartungshaltung der Rezeption an die Behandlung des Gegenstandes erlaubt, snobistisch begrenzt. Eine Einpassung des Untersuchungsgegenstandes in den Bedeutungszusammenhang täte dem Diskurs gut.
Die für die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft interessante Frage, ob bandbreitenintensive journalistische Angebote (AV-Content) im Verhältnis zu journalistischen Text- und Bildinformationen mit nur geringem Bandbreitenbedarf (HTML, .jpeg) einem Vertriebsmanagement seitens der Netzwerkbetreiber unterworfen und im Zweifel verhindert/verzögert/entgeltgebunden durch zusammengeschaltete Netze geleitet werden dürfen, bleibt noch offen und wird von Jäkel nur implizit transportiert (vgl. 80). Eine Berücksichtigung von Content Delivery Networks (CDN) finanzstarker Medienkonzerne oder Kommunikationsplattformen zur Umgehung von Durchleitungsentgelten außerhalb des Einspeisenetzes und deren Folgen für die Medien- und Kommunikationsfreiheit sowie der Markteintrittsbarrieren werden dagegen nicht berücksichtigt.
Zusammengefasst liefert die Dissertationsschrift einen wertvollen Beitrag für den interdisziplinären Diskurs, der, Jäkel rekurriert darauf bereits im Vorwort, sich inmitten seiner Ausfaltung befindet und die Grenzen einzelner Zirkel verlassen hat.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Florian Jäkel an der Philipps-Universität Marburg
- Webpräsenz von Prof. Dr. Jan Krone an der Fachhochschule St. Pölten
Über das BuchFlorian Jäkel: Netzneutralität im Internet. Verfassungsrechtliche Aspekte und Sicherungsmechanismen. Zugleich ein Beitrag zu Kommunikations- und Medienfreiheiten im Internet. Reihe: Schriften zum Medien-, Urheber- und Wirtschaftsrecht, Band 18. Frankfurt am Main [Peter Lang] 2013, 267 Seiten, 62,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseFlorian Jäkel: Netzneutralität im Internet. von Krone, Jan in rezensionen:kommunikation:medien, 14. April 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16262