Claus Leggewie, Dariuš Zifonun, Anne Lang, Marcel Siepmann, Johanna Hoppen (Hrsg.): Schlüsselwerke der Kulturwissenschaften

Einzelrezension
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Rezensiert von Helmut Schanze

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Das vorliegende Buch hat Handbuchcharakter. Es bildet einen Kanon von Personen und deren Werke ab, die zur Etablierung des sozial- und geisteswissenschaftlichen Paradigmas der ‘Kulturwissenschaft’ geführt haben. Richtigerweise ist dabei nicht der Singular, sondern der Plural ‘Kulturwissenschaften’ für den Titel gewählt. Das Wort ‘Titel’ bedeutet Anspruch, und, um dies vorab zu sagen, einen Anspruch, der mit diesem Werk zu ‘Schlüsselwerken’ durchaus erreicht wird. Das HerausgeberInnenteam und seine MitautorInnen verbürgen Qualität und auch eine gewisse Einheitlichkeit, ohne dass damit die enge Einheit einer Schule, eines Dogmas, aufgestellt wird. Vorgestellt werden die ‘Schlüsselwerke’ nicht nur in Referaten, sondern auch in kurz gehaltenen Forschungsessays. Sie übertreffen einführendes Niveau. Damit ist zugleich ein Problem der Nutzung verbunden, das erfahrungsgemäß allen Handbüchern anhaftet. Sie sind für den erfahrenen Leser, der mit der Materie vertraut ist, geschrieben.

Geboten werden, in übersichtlicher Anordnung, ohne Übersystematisierung, nach der Einleitung, acht Kapitel mit Unterkapiteln, deren Titel hier nur kursorisch genannt werden sollen: “Wir sind nie monokulturell gewesen” (mit “Formen des Kulturellen”, “Ethnowissen”), “Zeichen, Symbole, Kommunikation” (mit “Sprachen”, “Symbolische Formen”), “Kulturelle Pluralismen und soziale Ungleichheiten” (mit “Urbanität”, “Stratifikation und Herrschaft”, “Das Heilige”, “Gender”), “Geschichte, Gedächtnis, Zeit”, “Wege zum Wissen”, “Handeln, Begründen, Erleiden”, “Die Natur des Menschen”, “Vom Geist der Zeit”, sowie “Statt eines Nachworts: Orientalistik als Kulturwissenschaft”. Unter diesen, zuweilen etwas plakativ wirkenden Stichworten werden die wesentlichen Stichwortgeber und ihre Hauptwerke vorgestellt. Die Reihe geht – historisch – von “Hesiod – Aischylos – Platon, Prometheus” und “Aristoteles” bis “Judith Butler” und “Paul Gilroy” (geb. 1956) – eine bereits lange Geschichte mit langer Vorgeschichte. Es wäre natürlich ebenso schwer wie leicht gewesen, weitere Stichwortgeber in diese Reihe zu stellen, um diesen Kanon zu durchkreuzen. Seine Offenheit – auch in Bezug auf die Breite des Begriffs der ‘Wissenschaft’ – ist aber durchaus als Vorzug des Bandes zu werten.

Einzelreferate der Referate und der vorliegenden Essays verbieten sich, auch eine Einzelkritik, die gelegentlich anzubringen wäre, aber regelmäßig der für ein Handbuch nötigen Kürze geschuldet ist. Der sehr abgewogen argumentierende Einleitungsteil beschreibt zutreffend die Probleme, die mit dem Begriff der ‘Kulturwissenschaft’ als übergreifendes Forschungsparadigma und als methodischer Spezialfall der Sozialwissenschaft, enger noch, der Soziologie, verbunden sind. Die ‘kulturwissenschaftliche Orientierung’ – um den allfälligen Begriff des ‘turns’ zu vermeiden – aber hat, die Gesamtheit der Sozial- und Geisteswissenschaften quasi vom Rande her, von der ethnologischen Feldforschung und ihren methodischen Ansätzen erfasst. Der ‘kulturwissenschaftliche’ Ansatz konkurriert dabei nur noch mit dem medienwissenschaftlichen. Wie stark hier die Überschneidungen sind, kann, qualitativ wie quantitativ, bei einem Vergleich der Stichworte, Personen und ‘Schlüsselwerke’ mit denen eines ‘Handbuchs der Medienwissenschaft’ erhoben werden, ein Vergleich, der von kulturwissenschaftlicher Seite insofern problematisch erscheinen mag, als in der etablierten Medienwissenschaft inzwischen eine kulturwissenschaftliche Orientierung selbst zu einem methodischen Paradigmenwechsel geführt hat. Dass wiederum das vorliegende Werk davon kaum Notiz nimmt, darf man als Beteiligter kritisch anmerken. Wissenschafts- und institutionengeschichtlich, wie auch methodengeschichtlich müsste hier noch Einiges aufgearbeitet werden.

Trotz dieses Kritikpunkts: Das vorliegende Werk ist nicht nur lesenswert, sondern auch, nach der durch es angeregten (Re-)Lektüre der verarbeiteten Primär- und Sekundärliteratur, der notwendige und unaufschiebbare Ansatz für einen zu führenden Methodendialog. Sie betrifft nicht nur ‘die Methode’ im engeren Sinn, sondern auch den Kanon der gesetzten Themen (den anthropologisch-ethnologischen Ausgangspunkt, die ‘origins’ der Kulturwissenschaft) und deren Erweiterung in den Sozial- und Geisteswissenschaften, der mit dem Begriff der ‘Schlüsselwerke’ implizit angesprochen ist. Er betrifft auch die angedeutete epistomologische Fragestellung, und nicht zuletzt Grundfragen empirischer Forschung und ihre Zielstellungen. Die Vagheit des Begriffs einer ‘Kulturwissenschaft’, die seine Anschlussfähigkeit garantierte, der Bezug auf die Gesamtheit der menschlichen Hervorbringungen – nicht im Gegensatz zur Gegenstandsbestimmung der ‘Naturwissenschaft’, sondern in einen dynamischen Zusammenspiel – machte das Konzept der ‘Kulturwissenschaften’ universell attraktiv. Den HerausgeberInnnen und BeiträgerInnen des vorliegenden Werks ist zuzustimmen, wenn sie nicht auf disziplinärer Abgrenzung, sondern auf einer Pluralität der Ansätze bestehen. Der notwendige Dialog der Methoden steht am Beginn, und er ist noch keineswegs obsolet.

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Über das BuchClaus Leggewie, Dariuš Zifonun, Anne Lang, Marcel Siepmann, Johanna Hoppen (Hrsg.): Schlüsselwerke der Kulturwissenschaften. Bielefeld [transcript] 2012, 344 Seiten, 25,80 Euro.Empfohlene ZitierweiseClaus Leggewie, Dariuš Zifonun, Anne Lang, Marcel Siepmann, Johanna Hoppen (Hrsg.): Schlüsselwerke der Kulturwissenschaften. von Schanze, Helmut in rezensionen:kommunikation:medien, 14. Oktober 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/14523
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