Ann Fletchall, Chris Lukinbeal, Kevin McHugh: Place, Television, and the Real Orange County

Einzelrezension
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Rezensiert von Heike Steinhoff

Einzelrezension
In ihrer Studie Place, Television, and the Real Orange County untersuchen Ann Fletchall, Chris Lukinbeal und Kevin McHugh am Beispiel des amerikanischen Orange County die mediale Konstitution von Raum. Das Werk, das jüngst (2012) in der Reihe Media Geography des Franz Steiner Verlags erschien, lässt sich somit im Bereich der Mediengeographie verorten, einer Disziplin oder vielmehr Schnittstelle zweier Disziplinen, die Jörg Döring und Tristan Thielmann in ihrem 2009 erschienen Sammelband Mediengeographie: Theorie – Analyse – Diskussion als die Entdeckung der Medien durch die Humangeographie und die Entdeckung des Raums durch die Medienwissenschaft beschreiben (Klappentext).

Anhand der Analyse dreier populärer Fernsehserien, The OC, Laguna Beach: The Real Orange County und The Real Housewives of Orange County, zeigt Place, Television and the Real Orange County auf, wie das stattfindet, was die Autoren televisuelles “place-making” nennen. Die Grundannahme ist dabei, dass keine klare Unterscheidung zwischen direkter und indirekter (d. h. medialer) Raumerfahrung aufrecht erhalten werden kann: “Place-making and meanings are irretrievably bound up in media” (13). Mag diese Erkenntnis besonders aus medientheoretischer Perspektive nicht völlig neu erscheinen, so wollen die Autoren damit eine Lücke in der geographischen Forschung schließen, die die mediale Konstitution von Raum, zumindest jenseits des Kinos, für lange Zeit weitestgehend unerforscht gelassen hat. Gleichzeitig schließt die Studie an das zunehmende Rauminteresse der Medienwissenschaft nach der topographischen Wende an. Die Fallstudie Orange County dient den Autoren dabei nicht nur zur Illustration dieses spezifischen Prozesses des “place-makings”, sondern führt zugleich die spannende Formation eines derzeit sehr präsenten hyperrealen Ortes – the OC – vor.

Die Arbeit, die sehr klar und übersichtlich strukturiert ist, gliedert sich in acht Kapitel. In ihrer sehr dichten Einleitung liefern die Autoren auch die theoretischen Grundlagen für die folgenden Analysen. Rückgreifend auf bekannte Raumtheoretiker wie Edward Soja, Tim Cresswell, Deborah Dixon, Doreen Massey, David Harvey und andere, sowie den Medientheoretiker Jean Baudrillard, grenzen sie sich von rein repräsentationspolitischen Ansätzen und einer real/reell Binarität ab. Sie begreifen den medialen Raum als nicht statisch sondern prozessual, als nicht rein textuell sondern als eine bedeutsame Erfahrung, und, mit Jean Baudrillard, als Simulakrum, als “real virtuality” (93).

Vor diesem theoretischen Hintergrund beschreiben Fletchall, Lukinbeal und McHugh nun anhand zahlreicher geographischer und demographischer Daten sowie mit anschaulichen Beispielen aus Literatur, Musik und Film, das ambivalente Image von Orange County vor dessen Erfolg als TV-Star zu Beginn des neuen Jahrtausends: Orange County als “site of the American Dream, the anti-LA, the Tragic Kingdom” (48). Damit präsentieren sie die Grundlagen für die folgende Analyse der Transformation dieses Images durch die drei populären Fernsehserien, die Orange County in einen der trendigsten Orte der USA verwandeln (“the capital of cool”) (49). Kapitel 3 führt diese Serien und ihre Spezifika ein.

Kapitel 4 ist der Analyse der Funktion der Landschaft in den TV-Serien gewidmet. Es zeichnet eine televisuelle Ikonographie von Orange County nach, unter besonderer Berücksichtigung dessen, was die Autoren ‘geographic realism’ nennen, “an aesthetic practice that links a fictional narrative to a sense of place, regardless of whether or not the actual filmed location has any relation to the fictional narrative (LUKINBEAL 2006)” (61). Kapitel 5 verschiebt den Fokus vom geographischen auf den emotionalen Realismus und arbeitet heraus, wie das Sehen der Serien, die sich durch melodramatische Strukturen auszeichnen, über Affekt und Emotion “the OC” als einen bedeutsamen Ort kreiert.

Ist die Analyse bis zu diesem Zeitpunkt den Mechanismen der Serien, inklusive ihrer narrativen Strukturen und visuellen Inszenierungen gewidmet, beschäftigt sich Kapitel 6 mit der aktiven Partizipation des Zuschauers an der Konstruktion des televisuellen Raums. Auf Basis selbsterhobener empirischer Daten aus Zuschauerbefragungen entwickeln die Autoren unterschiedliche Kategorien der Zuschauerreaktionen und ihrer spezifisch ausgeprägten Teilnahme am raumkonstituierenden Prozess.

Kapitel 7 zeigt auf, wie der mediale Raum in den ‘realen’ Raum zurückwirkt, indem es der Verquickung von Tourismus in Orange County und dem medialen Raum “the OC” nachspürt. Fans auf den Spuren von “the OC” im Orange County werden, laut den Autoren, mit der Erfahrung konfrontiert, dass zwei Orte am selben Fleck existieren. Fletchall, Lukinbeal und McHugh kommen zu dem Schluss, dass der mediale Raum genau so real ist wie der ‘reale’ Raum, der Unterschied sei jedoch, dass der mediale Raum durch einen Überschuss an Bedeutung und eine besondere Auslösung von Affekt gekennzeichnet ist. Im letzten Kapitel (Kapitel 8) fassen die Autoren ihre Ergebnisse noch einmal systematisch zusammen und blicken auf das Ende der Serien bzw. deren Verlegung an andere Orte.

Mit Place, Television, and the Real Orange County haben die Autoren eine vielseitige, einsichtsreiche und klar verständliche, wenn auch teilweise etwas redundant formulierte, Studie vorgelegt. Hervorzuheben ist die Bandbreite der unterschiedlichen Perspektiven, die sie zu ihren Gegenständen einnehmen. Wünschenswert wäre an manchen Stellen auch eine ebensolche Tiefe in der Betrachtung. Die Analysen der literarischen und filmischen Werke (Kapitel 2), aber auch einiger televisueller Szenen (Kapitel 3-6), bleiben teilweise etwas oberflächlich, Zitate oder Beschreibungen unkommentiert. Symptomatisch sind hier auch die zahlreichen, durchaus interessanten aber eben bloß referentiellen, Verweise auf andere Serien sowie die vielen Abbildungen, die den wissenschaftlichen Text zwar auf angenehme Weise auflockern, manchmal aber doch einen rein illustrativen statt einen argumentativen Charakter zu haben scheinen.

Ist der empirische Teil einerseits einer der interessantesten des Buches, so wäre hier andererseits auch eine kritischere Reflektion über den eigenen theoretischen Ansatz angesichts der Erhebungsergebnisse wünschenswert gewesen. Auch hätte sich die kulturwissenschaftliche Leserin ab und an zumindest einen Kommentar auf die, in der Einleitung angesprochene, Funktion der Landschaft als gesellschaftliche Machtverhältnisse reflektierendes und konstituierendes Element erhofft. Nicht zuletzt wäre aus einer solchen Perspektive auch aufschlussreich gewesen, die befragten Zuschauer nicht nur nach ihrem Wohn- bzw. Aufenthaltsort (Midwestern und Orange County Studenten) und Bezug zur Serie (Fans oder nicht) zu unterscheiden, sondern auch andere sozialdemographische Daten zu erfassen bzw. mit in die Analyse einzubinden. Am Ende zeigen aber vielleicht auch gerade diese Monita, die die Leserin und den Leser nach der Lektüre trotz aller Erkenntnisse teilweise etwas enttäuscht zurücklassen, wie viel Forschungsbedarf noch besteht, in einem Feld für das Fletchall, Lukinbeal und McHugh mit ihrer Fallstudie wichtige und grundlegende Richtungen aufweisen.

Literatur:

  • Döring, J., Thielmann, T.: Mediengeographie: Theorie – Analyse – Diskussion. Bielefeld [transcript Verlag] 2009.

Links:

Über das BuchAnn Fletchall, Chris Lukinbeal, Kevin McHugh: Place, Television, and the Real Orange County. Reihe: Media Geography at Mainz, Band 2. Stuttgart [Franz Steiner Verlag] 2012, 144 Seiten, 34,- Euro.Empfohlene ZitierweiseAnn Fletchall, Chris Lukinbeal, Kevin McHugh: Place, Television, and the Real Orange County. von Steinhoff, Heike in rezensionen:kommunikation:medien, 19. April 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/12230
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